J- NATURWISSENSCHAFTLICHE MONOGRAPHIEN und LEHRBÜCHER HERAUSGEGEBEN VON DER SCHRIFTLEITUNG DER „NATURWISSENSCHAFTEN'' j DRITTER BAND DIE RELATIVITÄTSTHEORIE EINSTEINS VON MAX BORN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1922 DIE RELATIVITÄTSTHEORIE EINSTEINS UND IHRE PHYSIKALISCHEN GRUNDLAGEN ELEMENTAR DARGESTELLT VON MAX BORN DRITTE, VERBESSERTE AUFLAGE MIT 135 TEXTABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1922 QC (o ßtt 13 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1922 BY JULIUS SPRINGER IN BERLIN. MEINER LIEBEN FRAU GEWIDMET Vorwort zur ersten Auflage. Dieses Buch ist eine Bearbeitung einiger Vorträge, die ich im letzten Winter vor einem größeren Publikum gehalten habe. Die Schwierigkeiten, die das Verständnis der Relativitätstheorie dem mathematisch und physi- kalisch nicht geschulten Hörer oder Leser bereitet, scheinen mir haupt- sächlich dadurch zu entstehen, daß ihm die Grundbegriffe und Tatsachen der Physik, besonders der Mechanik, nicht geläufig sind. Daher habe ich bei den Vorträgen ganz einfache, qualitative Experimente gezeigt, die zur Einführung der Begriffe wie Geschwindigkeit, Beschleunigung, Masse, Kraft, Feldstärke usw. dienten. Bei dem Versuche, ein ähnliches Mittel für das gedruckte Buch ausfindig zu machen, kam ich auf die hier gewählte, halb historische Darstellung, die, wie ich hoffe, den trockenen Stil der elementaren Lehrbücher der Physik vermeidet. Aber ich muß betonen, daß die historische Anordnung nur das Gewand ist, das die Hauptsache, den logischen Zusammenhang, um so klarer hervorheben soll. Das einmal angefangene Verfahren zwang zur Vollständigkeit, und dadurch schwoll mir das Unternehmen unter den Händen zu dem Umfange an, in dem es jetzt vorliegt. An mathematischen Kenntnissen setze ich möglichst wenig voraus. Ich habe nicht nur die höhere Mathematik zu vermeiden gesucht, son- dern auch von dem Gebrauche elementarer Funktionen, wie des Loga- rithmus, der trigonometrischen Funktionen usw. abgesehen; allerdings, ohne Proportionen, lineare Gleichungen und gelegentliche Quadrate und Quadratwurzeln ging es nicht ab. Ich rate dem Leser, der an den Formeln hängen bleibt, zunächst über sie hinwegzulesen und aus dem Texte selber zum Verständnis der mathematischen Zeichen zu kommen, Von Figuren und graphischen Darstellungen habe ich ausgiebigen Gebrauch gemacht; auch der in der Handhabung der Koordinaten Ungeübte wird die Kurven leicht lesen lernen. Die philosophischen Fragen, zu denen die Relativitätstheorie Anlaß gibt, werden in diesem Buche nur gestreift; doch ist durchweg ein ganz bestimmter erkenntnistheoretischer Standpunkt gewahrt. Ich glaube sicher zu sein, daß dieser mit Einsteins eigenen Ansichten in der Hauptsache übereinstimmt. Ähnliche Auffassungen vertritt Moritz Schlick in seinem schönen Buche »Allgemeine Erkenntnislehre« (i.Band der vorliegenden Sammlung, Berlin 19 18, Julius Springer). Von anderen Büchern, die ich benutzt habe, nenne ich vor allem Ernst Machs klassische »Mechanik« (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1883), sodann die klargeschriebene Geschichte der Äthertheorien von E. T. Whittaker »A History of the Theories of Aether and Electricity« (London, Long- VIII Vorwort. mans, Green and Co., 1910) und die großzügige Darstellung der Re- lativitätstheorie von H. Weyl >Raum, Zeit, Materie« (Berlin, Julius Springer, 19 18). Dieses Werk muß jeder zur Hand nehmen, der tiefer in die Lehren Einsteins eindringen will. Die zahlreichen Bücher und Ab- handlungen aufzuzählen, aus denen ich mehr oder minder unmittelbar geschöpft habe, ist nicht möglich. Auf Literaturangaben habe ich, dem Charakter des Werkes entsprechend, vollständig verzichtet. Bei der Anfertigung der Abbildungen haben mir Fräulein Dr. Elisa- beth Bormann und Herr Dr. Otto Pauli, bei der Herstellung des Re- gisters Herr Dr. W. Dehlinger in liebenswürdiger Weise geholfen. Um die Richtigkeit der historischen Angaben sicher zu stellen, habe ich Herrn Prof. Conrad Müller in Hannover gebeten, die Korrekturen zu lesen; dieser ausgezeichnete Kenner der Geschichte der Mathematik und Physik hat sich mit Hingabe der großen Mühe unterzogen und mir viele wertvolle Ratschläge gegeben. Allen diesen Helfern schulde ich großen Dank, ebenso dem Verleger und den Herausgebern, durch deren Mühe und Eifer das rasche Erscheinen des Buches in der vorliegenden soliden Ausstattung ermöglicht wurde. Frankfurt a. M., im Juni 1920. Max Born. Vorwort zur zweiten Auflage. Die ersten fünf Kapitel, welche die Entwicklung der Physik bis zur Einsteinschen Relativitätstheorie darstellen, sind im wesentlichen unverändert geblieben. An einigen Stellen, wo in der ersten Auflage nur das Re- sultat einer mathematischen Überlegung angegeben wurde, habe ich diese selbst eingefügt, weil ich mich nicht auf den Glauben, sondern auf die Überzeugung des Lesers stützen möchte. Die Ausführungen über eine astronomische Methode zur Feststellung der Bewegung des Sonnensystems durch den Äther mit Hilfe der Verfinsterungen der Jupitermonde waren in der ersten Auflage nicht korrekt, da ich den Grad der Genauigkeit der astronomischen Messungen überschätzt hatte; dieser Abschnitt ist um- gearbeitet worden. Die letzten Kapitel, die von der Einsteinschen Theorie selbst handeln, sind stark erweitert worden; ihr Umfang war im Verhältnis zu der ausführ- lichen Vorbereitung zweifellos zu knapp und ihr Inhalt zu spärlich. Die Ergänzungen betreffen vor allem die Einsteinsche Dynamik; ich habe den Versuch gemacht, ihre Gesetze abzuleiten, ohne aus dem mathematischen Rahmen dieses Buches herauszutreten, der nur die elementaren Rechen- Vorwort. IX Operationen umfaßt. Sodann habe ich die gegen die Relativitätstheorie vorgebrachten Einwände ausführlicher besprochen; die Autoren dieser sogenannten »Paradoxien« aber habe ich nicht genannt, weil ich die Fortsetzung des unfruchtbaren Streites für zwecklos halte. Um den Anschein zu vermeiden, daß persönliche Teilnahme sich in meine wissenschaftliche Überzeugung eindränge, habe ich das Bild und den Lebenslauf Einsteins in der neuen Auflage fortgelassen. Beim Lesen der Korrekturen haben mir die Herren Prof. R. Laden- burg, Dr. E. Brody, Dr. E. Hauser und Dr. H. Weigt in liebenswürdiger Weise geholfen, wofür ich ihnen großen Dank schulde. Göttingen, 12. Mai 192 1. Max Born. Vorwort zur dritten Auflage. Diese Auflage unterscheidet sich von der vorigen abgesehen von einer Reihe geringfügiger Änderungen durch die Umarbeitung des Abschnitts über die Einsteinsche Dynamik. In dieser war bei der Bildung der Be- schleunigung nicht scharf zwischen Zeit und Eigenzeit unterschieden und statt der gewöhnlichen Kraft war der Minkowskische kovariante Kraft- vektor benützt worden; hierdurch mußte das Verständnis dieses an sich schon schwierigen Kapitels noch mehr erschwert werden. Durch Herrn Dr. W. Pauli jun. wurde ich auf eine von Lewis und Tolman stammende Ableitung der relativistischen Massenformel aufmerksam gemacht, die sich in ausgezeichneter Weise dem Rahmen dieses Buches einfügt, da sie ebenso wie die hier gewählte Darstellung der Mechanik an den Begriff des Im- pulses anknüpft. Das Kapitel über die Einsteinsche Dynamik wurde auf Grund dieser Betrachtungsweise umgearbeitet; dadurch werden auch einige Änderungen in der Darstellung der gewöhnlichen Mechanik notwendig. Ich hoffe, daß diese Neuerung das Verständnis erleichtern wird. Ich möchte nicht unterlassen, Herrn Dr. W. Pauli für seinen Rat meinen Dank auszusprechen. Sein großes Werk über Relativitätstheorie, das als Artikel 19 des V. Bandes der Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften vor kurzem erschienen ist, ist mir von großem Nutzen gewesen. Ich möchte es allen denen, die tiefer in die Relativitätstheorie eindringen wollen, in erster Linie zum Studium empfehlen. Beim Lesen der Korrekturen haben mir die Herren Dr. E. Hückel und Dr. R. Minkowski in freundlichster Weise geholfen. Göttingen, 6. März 1922, Max Born. Inhaltsverzeichnis. Einleitung. I. Geometrie und Kosmologie. ^^^'^ 1. Ursprung der Raum- und Zeitmeßkunst 6 2. Einheiten für Länge und Zeit 6 3. Nullpunkt und Koordinatensystem 7 4. Die geometrischen Axiome 8 5. Das PTOLEMÄische Weltsystem 9 6. Das KoPERNiKAnische Weltsystem 9 7. Der Ausbau der KoPERNiKAnischen Lehre 11 II. Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. 1. Gleichgewicht und Kraftbegriff 13 2. Bewegungslehre. Geradlinige Bewegung 14 3. Bewegung in der Ebene 20 4. Kreisbewegung 21 5. Bewegung im Räume 23 6. Dynamik. Das Trägheitsgesetz .... . 23 7. Der Stoß oder Impuls 25 8. Der Impulssatz 26 9. Die Masse 26 10. Kraft und Beschleunigung 28 11. Beispiel. Elastische Schwingungen 30 12. Gewicht und Masse 32 13. Die analytische Mechanik 35 14. Der Energiesatz 36 15. Dynamische Einheiten von Kraft und Masse 40 III. Das Newtonsche Weltsystem. 1. Der absolute Raum und die absolute Zeit 43 2. Newtons Anziehungsgesetz 46 3. Die allgemeine Gravitation 48 4. Die Mechanik des Himmels 51 5. Das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik 53 6. Der »eingeschränkt« absolute Raum 55 7. GALILEI-Transformationen 56 8. Trägheitskräfte 61 9. Die Fliehkräfte und der absolute Raum 62 IV. Die Grundgesetzfe der Optik. 1. Der Äther 68 2. Emissions- und Undulationstheorie 69 3. Die Lichtgeschwindigkeit . 72 4. Grundbegriffe der Wellenlehre. Interferenz 75 5. Polarisation und Transversalität der Lichtwellen 81 6. Der Äther als elastischer Festkörper 84 7. Die Optik bewegter Körper 92 8. Der DoPPLERsche Effekt 94 9. Die Mitführung des Lichtes durch die Materie 99 10. Die Aberration 108 11. Rückblick und Ausblick iio Inhaltsverzeichnis. XI V. Die Grundgesetze der Elektrodynamik. Seite 1. Die Elektro- und Magnetostatik I13 2. Galvanismus und Elektrolyse 121 3. Widerstand und Stromwärme 123 4. Elektromagnetismus 125 5. Faradays Kraftlinien 127 6. Die magnetische Induktion. 132 7. Die Nahwirkungstheorie Maxwells 134 8. Der Verschiebungsstrom 137 9. Die elektromagnetische Lichttheorie 139 10. Der elektromagnetische Äther 144 11. Hertz' Theorie der bewegten Körper 146 12. Die Elektronentheorie von LoRENTZ 151 13. Die elektromagnetische Masse 157 14. Das Experiment von Michelson 162 15. Die Kontraktionshypothese 166 VI. Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. 1. Der Begriff der Gleichzeitigkeit 173 2. Die EiNSTEiNsche Kinematik und die LORENTZ-Transformationen ... 178 3. Geometrische Darstellung der EiNSTEiNschen Kinematik 181 4. Bewegte Maßstäbe und Uhren 186 5. Schein und Wirklichkeit 189 6. Die Addition der Geschwindigkeiten 196 7. Die EiNSTEiNsche Dynamik 199 8. Die Trägheit der Energie 207 9. Optik bewegter Körper 213 10. Minkowskis absolute Welt 218 VII. Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. 1. Relativität bei beliebigen Bewegungen 223 2. Das Äquivalenzprinzip 225 3. Das Versagen der euklidischen Geometrie 230 4. Die Geometrie auf krummen Flächen 232 5. Das zweidimensionale Kontinuum 237 6. Mathematik und Wirklichkeit 239 7. Die Maßbestimmung des raum-zeitlichen Kontinuums 243 8. Die Grundgesetze der neuen Mechanik 246 9. Mechanische Folgerungen und Bestätigungen 249 10. Optische Folgerungen und Bestätigungen 254 11. Makrokosmos und Mikrokosmos 260 12. Schluß : 262 Zeittafel 264 Namensverzeichnis ■. 266 Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschlicjie ruhig zu verehren. Goethe. Sprüche in Prosa. Einleitung. Die Welt ist dem sinnenden Geiste nicht schlechthin gegeben; er muß sich ihr Bild aus unzähligen Empfindungen, Erlebnissen, Mitteilungen, Erinnerungen, Erfahrungen gestalten. Darum gibt es wohl kaum zwei denkende Menschen, deren Weltbild in allen Punkten übereinstimmt. Wenn eine Vorstellung in ihren wichtigsten Zügen Gemeingut größerer Menschenmassen wird, so entstehen die geistigen Bewegungen, die Re- ligionen, philosophische Schulen, wissenschaftliche Systeme heißen; ein unentwirrbares Chaos von Meinungen, Glaubenssätzen, Überzeugungen. Es scheint schier unmöglich, einen Leitfaden zu finden, durch den diese weitverzweigten, sich trennenden und wiedervereinigenden Lehren in eine übersehbare Reihe gebracht werden könnten. Wohin gehört die Einsteinsche Relativitätstheorie^ deren Darstellung dieses kleine Werk gewidmet ist? Ist sie nur ein spezieller Teil der Physik oder Astronomie, an sich vielleicht interessant, aber ohne größere Bedeutung für die Entwicklung des menschlichen Geistes? Oder ist sie wenigstens das Symbol einer besonderen Geistesrichtung, die für unsere Zeit charakteristisch ist? Oder bedeutet sie gar selbst eine »Weltanschau- ung«? Wir werden diese Fragen zuverlässig erst beantworten können, wenn wir den Inhalt der Einsteinschen Lehren kennen gelernt haben. Hier aber möge ein Gesichtspunkt gegeben werden, der, wenn auch in roher Weise, die Gesamtheit aller Weltanschauungen klassifiziert und der Einsteinschen Theorie eine bestimmte Stellung innerhalb einer einheit- lichen Auffassung des Weltganzen zuweist. Die Welt besteht aus dem Ich und dem Andern, der Innenwelt und der Außenwelt. Die Beziehungen dieser beiden Pole sind der Gegenstand jeder Religion, jeder Philosophie. Verschieden aber ist die Rolle, die jede Lehre dem Ich in der Welt zuweist. Die Wichtigkeit des Ich im Weltbilde deucht mir ein Maßstab, an dem man Glaubenslehren, philo- sophische Systeme, künstlerische und wissenschaftliche Weltauffassungen aufreihen kann, wie Perlen auf einer Schnur. So verlockend es scheint, Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. i 2 Einleitung. diesen Gedanken zu verfolgen durch die Geschichte des Geistes, so dürfen wir uns doch nicht zu weit von unserm Thema entfernen und wollen ihn nur anwenden auf das Teilgebiet menschlicher Geistestätigkeit, in das die Einsteinsche Theorie gehört, auf die Naturwissenschaft. Das naturwissenschaftliche Denken steht an dem Ende jener Reihe, dort, wo das Ich, das Subjekt nur noch eine unbedeutende Rolle spielt, und jeder Fortschritt in den Begriffsbildungen der Physik, Astronomie, Chemie bedeutet eine Annäherung an das Ziel der Ausschaltung des Ich. Dabei handelt es sich' natürlich nicht um den Akt des Erkennen s, der an das Subjekt gebunden ist, sondern um das fertige Bild der Natur, dessen Untergrund die Vorstellung ist, daß die natürliche Welt unabhängig und unbeeinflußt vom Erkenntnisvorgange da ist. Die Pforten, durch die die Natur auf uns eindringt, sind die Sinne. Ihre Eigenschaften bestimmen den Umfang dessen, was der Empfindung, der Anschauung zugänglich ist. Je weiter wir in der Geschichte der Naturwissenschaften zurückgehen, um so mehr finden wir das natürliche Weltbild bestimmt durch die Sinnesqualitäten. Die ältere Physik wird eingeteilt in Mechanik, Akustik, Optik, Wärmelehre: man sieht die Be- ziehungen zu den Sinnesorganen, den Bewegungs-, Gehör-, Licht- und Wärmeempfindungen. Hier sind die Eigenschaften des Subjekts noch ent- scheidend für die Begriffsbildungen. Die Entwicklung der exakten Wissen- schaften führt auf deutlichem Pfade von diesem Zustande fort zu einem Ziele, das, noch lange nicht erreicht, doch klar vor Augen liegt: Ein Bild der Natur zu schaffen, das, an keine Grenzen möglicher Wahrneh- mung oder Anschauung gebunden, ein reines Begriffsgebäude darstellt, ersonnen zu dem Zwecke, die Summe aller Erfahrungen einheitlich und widerspruchslos darzustellen. Heute ist die mechanische Kraft ein Abstraktum, das nur noch den Namen gemein hat mit dem subjektiven Kraftgefühl; mechanische Masse ist nicht mehr ein Attribut der greifbaren Körper, sondern kommt auch leeren, nur von Ätherstrahlung erfüllten Räumen zu. Das Reich der hör- baren Töne ist eine kleine Provinz geworden in der Welt der unhörbaren Schwingungen, physikaHsch von diesen durch nichts unterschieden als durch die zufällige Eigenschaft des menschlichen Ohres, gerade nur auf ein bestimmtes Intervall von Schwingungszahlen zu reagieren. Die heu- tige Optik ist ein spezielles Kapitel aus der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus und behandelt die elektromagnetischen Schwin- gungen aller Wellenlängen, von den kürzesten /-Strahlen der radioaktiven Substanzen (einhundertmilliontel Millimeter Wellenlänge) über die Rönt- genstrahlen, das Ultraviolett, das sichtbare Licht, das Ultrarot bis zu den längsten Hertzschen Wellen (viele Kilometer Wellenlänge). In der Flut unsichtbaren Lichtes, das das geistige Auge des Physikers umwogt, ist das körperliche Auge fast blind; so klein ist der Bereich von Schwin- gungen, den es zur Empfindung bringt. Auch die Wärmelehre ist nur ein besonderer Teil der Mechanik und der Elektrodynamik; ihre Grund- Einleitung. ^ begriffe der absoluten Temperatur, der Energie und der Entropie gehören zu den subtilsten logischen Gebilden der exakten Wissenschaft und tragen nur noch im Namen eine Erinnenmg an das Wärme- oder Kälteerlebnis des Subjekts. Unhörbare Töne, unsichtbares Licht, unfühlbare Wärme: das ist die Welt der Physik, kalt und tot für den, der die lebendige Natur empfinden, ihre Zusammenhänge als Harmonie begreifen, ihre Größe anbetend be- wundem will. Goethe hat diese starre Welt verabscheut; seine grimmige Polemik gegen Newton, in dem er die Verkörperung einer feindlichen Naturauffassung sah, beweist, daß es sich hier um mehr handelt, als um den sachlichen Streit zweier Forscher über Einzelfragen der Farbenlehre. Goethe ist der Repräsentant einer Weltauffassung, die in der oben ent- worfenen Skala nach der Bedeutung des Ich ziemlich am entgegengesetzten Ende steht wie das Weltbild der exakten Naturwissenschaften. Das Wesen der Dichtung ist die Inspiration, die Intuition, das seherische Erfassen der Sinnenwelt in symbolischen Formen; die Quelle der poetischen Kraft aber ist das Erlebnis, sei es die hell und klar bewußte Empfindung eines Sinnenreizes, sei es die kräftig vorgestellte Idee eines Zusammenhanges. Das logisch Formale, Begriffliche spielt in dem Weltbilde eines solcher Art begabten oder gar begnadeten Geistes keine Rolle; die Welt als Summe von Abstraktionen, die nur mittelbar mit dem Erlebnis zusammen- hängen, ist ihm fremd. Nur was dem Ich unmittelbar gegeben sein, was als Erlebnis gefühlt oder wenigstens als mögliches Erlebnis vorgestellt werden kann, ist ihm wirklich und wichtig. So erscheinen dem späten Leser, der die Entwicklung der exakten Methoden während des folgenden Jahrhunderts überblickt und an den Früchten ihre Kraft und ihren Sinn ermißt, Goethes nsitwx historische Arbeiten als Dokumente eines seherischen Blickes, als Ausdruck einer wunderbaren Einfühlung in die natürlichen Zusammenhänge, seine physikalischen Behauptungen aber als Mißverständ- nisse und als fruchtlose Auflehnung gegen eine stärkere Macht, deren Sieg schon damals entschieden war. Worin besteht nun diese Macht, was sind ihr Schwert und Schild? Es ist zugleich eine Anmaßung und ein Verzicht. Die exakten Wissen- schaften maßen sich an, objektive Aussagen zu gewinnen, sie verzichten aber auf ihre absolute Geltung. Durch diese Formel soll folgender Gegen- satz hervorgehoben werden. Alle unmittelbaren Erlebnisse führen zu Aussagen, denen man eine gewisse absolute Gültigkeit zusprechen muß. Wenn ich eine rote Blume sehe, wenn ich Lust oder Schmerz empfinde, so sind das Gegebenheiten, an denen zu zweifeln sinnlos ist. Sie gelten unbestreitbar, aber sie gelten nur für mich; sie sind absolut, aber sie sind subjektiv. Alles Streben menschlicher Erkenntnis zielt darauf hin, aus dem engen Kreis des Ich, dem noch engeren des Ich im Augenblicke, herauszukommen zu einer Gemeinschaft mit andern geistigen Wesen. Zunächst mit dem Ich, wie es zu einer andern Zeit ist, dann mit andern Menschen oder Göttern. A Einleitung. Alle Religionen, Philosophien, Wissenschaften sind Verfahren, erdacht zu dem Zwecke, das Ich zu weiten zu dem Wir. Aber die Wege dazu sind verschieden, wir stehen wieder vor dem Chaos der streitenden Lehr- meinungen. Doch wir schrecken nicht mehr davor ziurück, sondern ordnen sie nach der Bedeutung, die dem Subjekt in dem erstrebten Verstän- digungsverfahren zugestanden wird; damit kommen wir auf unser Prinzip zurück, denn das fertige Verständigungsverfahren ist ^as Weltbild. Hier treten wieder die Gegenpole hervor: Die einen wollen nicht verzichten, wollen das Absolute nicht opfern, bleiben darum am Ich haften imd schaffen ein Weltbild, das durch kein systematisches Verfahren, sondern durch die unbegreifliche Wirkung reli- giöser, künstlerischer, poetischer Ausdrucksmittel in fremden Seelen ge- weckt werden kann. Hier herrscht der Glaube, die fromme Inbrunst, die Liebe brüderlicher Gemeinschaft, oft aber auch Fanatismus, Unduld- samkeit, Geisteszwang. Die andern opfern das Absolute. Sie entdecken — oft schaudernd — die Unübertragbarkeit des seelischen Erlebnisses, sie kämpfen nicht mehr um das Unerreichbare und resignieren. Aber sie wollen wenigstens im Umkreise des Erreichbaren eine Verständigung schaffen. Darum suchen sie nach dem Gemeinsamen des Ich und des andern, fremden Ich, und das beste, was da gefunden wurde, sind nicht die Erlebnisse der Seele selbst, nicht Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle, sondern abstrakte Begriffe einfachster Art, Zahlen, logische Formen, kurz die Ausdrucks- mittel der exakten Naturwissenschaften. Hier handelt es sich nicht mehr um Absolutes. Die Höhe eines Domes wird nicht mehr weihevoll emp- funden, sondern in Metern und Zentimetern ausgemessen. Der Ablauf eines Lebens wird nicht als rinnende Zeit gefühlt, sondern nach Jahren und Tagen gezählt. Relative Maße treten an die Stelle der absoluten Eindrücke. Und es entsteht eine enge, einseitige, scharfkantige Welt, alles Sinnenreizes, aller Farben und Töne bar. Aber eines hat sie vor anderen Weltbildern voraus : ihre Übermittelbarkeit von Geist zu Geist kann nicht bezweifelt werden. Man kann sich eben darüber einigen, ob Eisen spezifisch schwerer ist als Holz, ob Wasser leichter gefriert als Quecksilber, ob der Sirius ein Planet > oder ein Fixstern ist. Mögen Streitigkeiten vor- kommen, mag es manchmal aussehen, als wenn eine neue Lehre alle alten »Tatsachen« über den Haufen würfe, so fühlt doch der, der die Mühe des Eindringens ins Innere dieser Welt nicht gescheut hat, das Wachsen der sicher bekannten Gebiete, und während er dies fühlt, schwindet das Weh der Einsamkeit der Seele, bildet sich die Brücke zu verwandten Geistern. So haben wir versucht, das Wesen der naturwissenschaftlichen Forschung auszudrücken, und können nun die Einsteinsche Relativitäts- theorie in ihren Bereich eingliedern. Sie ist zunächst ein reines Erzeugnis jenes Strebens nach der Los- lösung vom Ich, von der Empfindung und Anschauung. Wir sprachen Einleitung. 5 von den unhörbaren Tönen, dem unsichtbaren Lichte der Physik; wir finden Ähnliches in den Nachbarwissenschaften, in der Chemie, wo die Existenz von (radioaktiven) Substanzen behauptet wird, von denen noch niemand die kleinste Spur mit irgendwelchen Sinnen direkt wahrgenommen hat, oder in der Astronomie, auf die wir unten noch näher einzugehen haben. Diese »Erweiterungen der Welt«, wie man sagen könnte, be- treffen im wesentlichen Sinnesqualitäten; aber alles spielt sich in dem Räume und der Zeit ab, die die Mechanik durch ihren Gründer Newton geschenkt bekommen hat. Einsteins Entdeckung besteht nun darin, daß dieser Raum und diese Zeit noch ganz und gar am Ich kleben und daß das Weltbild der Naturwissenschaft schöner und großartiger wird, wenn man auch diese Grundbegriffe einer Relativierung unterwirft. Ist vorher der Raum eng mit der subjektiven, absoluten Empfindung der Ausdehnung, die Zeit mit der des Lebensablaufs verknüpft, so werden sie nun zu reinen Begrifisschemen, der unmittelbaren Anschauung als Ganze gerade so ent- zogen, wie der gesamte Wellenlängenbereich der heutigen Optik bis auf einen winzigen Ausschnitt der Lichtempfindung unzugänglich ist; aber ebenso wie hier gliedern sich Raum und Zeit der Anschauung in die physikalischen Begriffssysteme widerspruchslos ein. Damit ist eine Ob- jektivierung erreicht, deren Macht sich durch prophetisches Vorhersagen von Naturerscheinungen in wunderbarer Weise bewährt hat. Wir werden davon im folgenden ausführlich zu reden haben. Die Leistung der Einsteinschen Theorie ist also die Relativierung und Objektivierung der Begriffe von Raum und Zeit. Sie krönt heute das Gebäude des naturwissenschaftlichen Weltbildes. I. Geometrie und Kosmologie. I. Ursprung der Raum- und Zeitmeßkunst. Das physikalische Problem von Raum und Zeit ist die sehr nüchterne A-ufgabe, für jedes natürliche Ereignis einen Ort und einen Zeitpunkt zahlenmäßig festzulegen, es gewissermaßen im Chaos des Neben- und Nacheinander der Dinge wieder auffindbar zu machen. Die erste Aufgabe der Menschen war, sich auf der Erde zurechtzu- finden; darum wurde die Erdmeßkunst die Quelle der Raumlehre, die davon ihren Namen Geometrie bekommen hat. Das Maß der Zeit aber entsprang von Anfang an dem regelmäßigen Wechsel von Tag und Nacht, der Mondphasen und Jahreszeiten; durch diese aufdringlichen Vorgänge wurden die Menschen zuerst veranlaßt, ihre Blicke zu den Sternen zu erheben, hier ist die Quelle der Lehre vom Weltall, der Kosmologie. Die astronomische Wissenschaft übertrug die auf der Erde erprobten geometri- schen Lehren auf die Himmelsräume und bestimmte Entfernungen und Bahnen der Gestirne; dafür gab sie den Erdenbewohnern das himmlische Maß der Zeit, daß sie Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft zu scheiden und jedem Ding seinen Platz im Reiche des Chronos zu weisen lernten. 2. Einheiten für Länge und Zeit. Die Grundlage jeder Raum- und Zeitmessung ist die Festlegung der Einheit. Eine Längenangabe »so und so viele Meter« bedeutet das Ver- hältnis der zu messenden Länge zu der Länge des Meters, eine Zeit- angabe »so und so viele Sekunden« das Verhältnis der zu messenden Zeit zu der Dauer einer Sekunde. Es handelt sich also immer um Ver- hältniszahlen, relative Angaben bezüglich der Einheiten. Diese selbst sind in weitem Grade willkürlich und werden nach Gesichtspunkten wie Re- produzierbarkeit, Haltbarkeit, Transportfähigkeit usw. gewählt. Das Längenmaß der Physik ist das Zentimeter (cm), der hundertste Teil eines in Paris aufbewahrten Meterstabes. Dieser sollte ursprünglich in einem einfachen Verhältnis zum Erdumfang stehen, nämlich gleich dem zehnmillionten Teile des Quadranten sein. Aber neuere Messungen haben ergeben, daß das nicht ganz genau stimmt. Das Zeitmaß der Physik ist die Sekunde (sec), die in der bekannten Beziehung zur Umdrehungsdauer der Erde steht. Nullpunkt und Koordinatensystem. 3. Nullpunkt und Koordinatensystem. Will man aber nicht nur Längen und Zeitdauern bestimmen, sondern Ort- und Zeitangaben machen, so sind weitere Festsetzungen nötig. Bei der Zeit, die wir als eindimensionales Gebilde vorstellen, genügt die An- gabe eines Nullpunkts. Unsere Historiker zählen die Jahre von Christi Ge- burt an; die Astronomen wählen je nach dem Ziele ihrer Untersuchung andere Null- punkte, die sie Epochen nennen. Sind die Einheit und der Nullpunkt festgelegt, so ist damit jedes Ereignis durch Angabe einer Zahl auffindbar gemacht. In der Geometrie im engeren Sinne, der Ortsbestimmung auf der Erde, müssen zur Festlegung eines Punktes zwei An- gaben gemacht werden. »Mein Haus liegt in der Taunustraße« genügt nicht, es zu finden, ich muß auch noch die Haus- nummer nennen. In vielen amerikani- schen Städten sind die Straßen selbst numeriert; die Adresse Nr. 25, 13. Straße besteht dann aus zwei Zahlenangaben. Sie ist genau das, was die Mathematiker eine Koordinatenbestimnmng nennen. Man überzieht die Erdoberfläche mit einem Netze sich kreu- zender Linien, die numeriert sind, oder deren Lage durch eine Maßzahl, Entfernung oder Winkel, gegen eine feste Null-Linie bestimmt wird. Die Geographen verwenden gewöhnlich die geographische Länge (öst- lich Greenwich) und (nördliche, südHche) Breite (Abb. i); diese Bestim- Abb. 2. Abb. 3. mungen enthalten zugleich die Festlegung der Null-Linien, von denen aus die Koordinaten zu zählen sind, nämlich bei der geographischen Länge der Meridian von Greenwich, bei der Breite der Äquator. Bei Unter- suchungen über ebene Geometrie bedient man sich gewöhnfich recht- zvinkliger Koordinaten (Abb. 2) x^ y^ die die Abstände von zwei aufein- 8 Geometrie und Kosmologie. ander senkrechten -»Koordinatenachsen«, bedeuten, oder gelegentlich auch schiefwiiikliger Koordinaten (Abb. 3), Polarkoordinaten (Abb. 4) u. a. Ist das Koordinatensystem gegeben, so kann man jeden Ort durch Angabe zweier Zahlen auffinden. Ganz ebenso braucht man zur Festlegung von Orten im Räume drei Koordinaten, die am einfachsten wieder rechtwinklig gewählt und mit Xj y, z bezeichnet werden (Abb. 5). Abb. 4. Abb. 5. 4. Die geometrischen Axiome. Die antike Geometrie als Wissenschaft hat weniger die Frage der Ortsbestimmung auf der Erdoberfläche, als das Problem der Bestimmung der Größe und Form von Flächenstücken, Raumfiguren und deren Gesetze behandelt; man spürt den Ursprung aus der Feldmeßkunst und der Archi- tektur. Darum kam sie auch ohne den Koordinatenbegriff aus. Die geo- metrischen Sätze behaupten in erster Linie Eigenschaften von Dingen, die Punkt, Gerade, Ebene heißen. In dem klassischen Kanon der grie- chischen Geometrie, dem Werke Euklids (300 v. Chr.), werden diese Dinge nicht weiter definiert, sondern nur bezeichnet oder beschrieben; hier erfolgt also ein Appell an die Anschauung. Was eine gerade Linie ist, mußt du schon wissen, wenn du Geometrie treiben willst; stelle dir die Kante eines Hauses vor oder die gespannte Meßkette des Feldmessers, abstrahiere von allem Materiellen: und du behältst die Gerade. Nun werden Gesetze aufgestellt, die zwischen diesen Gebilden der abstrakten Anschauung gelten sollen, und zwar ist die große Entdeckung der Grie- chen, daß man nur eine kleine Anzahl dieser Sätze anzunehmen braucht, um dann alle andern mit logischem Zwange als richtig zugeben zu müssen. Diese an die Spitze gestellten Sätze sind die Axiome\ ihre Richtigkeit ist nicht beweisbar, sie entspringen nicht der Logik, sondern anderen Quellen der Erkenntnis. Welches diese Quellen sind, darüber haben alle Philosophien der folgenden Jahrhunderte Theorien entwickelt. Die wissen- schaftliche Geometrie selber hat die Axiome bis ans Ende des 18. Jahr- hunderts als gegeben hingenommen und darauf ihr rein deduktives System von Lehrsätzen getürmt. Das ptolemäische Weltsystem. — Das kopemikanische Weltsystem. Wir werden es nicht umgehen können, die Frage nach der Bedeutung der mit Punkt, Gerade usw. bezeichneten Elementargebilde und nach dem Erkenntnisgrund der geometrischen Axiome ausführlich zu erörtern. Hier aber wollen wir uns auf den Standpunkt stellen, daß über diese Dinge Klarheit herrscht; wir operieren vorläufig mit den geometrischen Begriffen, wie wir es in der Schule gelernt haben (oder wenigstens hätten lernen sollen) und wie es unzählige Generationen von Menschen unbe- denklich getan haben. Die Anschaulichkeit zahlreicher geometrischer Sätze und die Brauchbarkeit des ganzen Systems zur Orientierung in der realen Welt mögen als Rechtfertigung genügen. 5. Das ptolemäische Weltsystem. Der Himmel erscheint dem Auge als eine mehr oder minder flache Kuppel, an der die Gestirne angeheftet sind; die ganze Kuppel aber dreht sich im Laufe eines Tages um eine Achse, deren Lage am Himmel durch den Polarstem bezeichnet wird. Solange dieser Augenschein als Wirk- lichkeit galt, war eine Übertragung der Geometrie von der Erde auf den Weltenraum überflüssig und wurde tatsächlich nicht vollzogen; denn Längen, Entfernungen, die mit irdischen Einheiten meßbar wären, sind nicht vorhanden, zur Bezeichnung der Stellungen der Gestirne genügt die Angabe der scheinbaren Winkel, die die Blickrichtung vom Beobachter nach dem Gestirne mit dem Horizont und einer andern, geeignet ge- wählten Ebene bildet. In diesem Stadium der Erkenntnis ist die Erdober- fläche der ruhende, ewige Grund des All; die Worte »oben« und »unten« haben einen absoluten Sinn, und wenn dichterische Phantasie oder philo- sophische Spekulation die Höhe des Himmels, die Tiefe des Tartarus abzuschätzen unternehmen, so braucht die Bedeutung dieser Begriffe mit keinem Worte erläutert zu werden, das unmittelbare Erlebnis der An- schauung liefert sie ohne Spekulation. Hier schöpft die naturwissen- schaftliche Begriffsbildung noch ganz aus der Fülle der subjektiven Ge- gebenheiten. Das nach Ptolemäus (150 n. Chr.) benannte Weltsystem ist die wissenschaftliche Formulierung dieses geistigen Zustandes ; es kennt bereits eine Menge von feineren Tatsachen über die Bewegung der Sonne, des Mondes, der Planeten und es bewältigt sie theoretisch mit beträcht- lichem Erfolge, doch hält es fest an der absolut ruhenden Erde, um die die Gestirne in unmeßbaren Entfernungen kreisen. Ihre Bahnen werden als Kreise und Epizykeln nach den Gesetzen der irdischen Geometrie bestimmt, doch wird dadurch nicht eigentlich der Weltraum der Geo- metrie unterworfen; denn die Bahnen liegen gleich Schienen auf den kristallenen Schalen befestigt, die hintereinander geschichtet den Himmel bedeuten. 6. Das kopemikanische Weltsystem. Man weiß, daß bereits griechische Denker die Kugelgestalt der Erde entdeckten und die ersten Schritte vom ptolemäischen , geozentrischen lO Geometrie und Kosmologie. Weltsysteme zu höheren Abstraktionen wagten. Aber erst lange nach dem Absterben der griechischen Kultur, bei andern Völkern anderer Länder, wurde die Erdkugel physikalische Wirklichkeit. Das ist die erste ganz große Abwendung vom Augenschein und zugleich die erste ganz große Relativierung. Wieder sind Jahrhunderte seit jener Wende ver- gangen, und was damals unerhörte Entdeckung war, ist heute Schulweis- heit für kleine Kinder. Darum ist es schwer, sich klar zu machen, was es dem Denken bedeutete, als die Begriffe »oben« und > unten« ihren abso- luten Sinn verloren und das Recht des Antipoden anerkannt werden mußte, die Richtung im Räume oben zu nennen, die hier unten heißt. Aber als die erste Erdumsegelung gelungen war, wurde die Sache so handgreiflich, daß jeder Widerspruch verstummte. Aus diesem Grunde bot auch die Entdeckung des Globus keinen Anlaß zum Kampfe zwischen objektiver und subjektiver Weltauffassung, zwischen Naturforschung und Kirche. Dieser Kampf entbrannte erst, als Köper nikus (1543) die Erde ihrer zentralen Stellung im Weltall entsetzte und das heliozentrische Weltsystem schuf. Hier liegt an sich kaum eine höhere Relativierung vor, aber die Be- deutung der Entdeckung für die Entwicklung des menschlichen Geistes liegt darin, daß die Erde, die Menschheit, das einzelne Ich entthront werden. Die Erde wird ein Trabant der Sonne und schleppt die auf ihr wimmelnde Menschheit im Welträume herum, neben ihr kreisen ähnliche, gleichwertige Planeten : der Mensch der Astronomie ist nicht mehr wichtig, höchstens für sich selbst. Aber noch weiter: alle diese Ungeheuerlich- keiten fließen nicht aus groben Tatsachen (wie es etwa eine Erdumsege- lung ist), sondern aus für jene Zeit feinen, subtilen Beobachtungen, schwierigen Rechnungen über Planetenbahnen, jedenfalls lauter Beweis- gründen, die weder jedermann zugänglich noch für das alltägliche Leben von irgendwelcher Wichtigkeit sind. Augenschein, Anschauung, heilige und profane Überlieferung sprechen gegen die neue Lehre. An die Stelle der sichtbaren Sonnenscheibe setzt diese einen unvorstellbar riesigen Feuerball, an die Stelle der freundlichen Himmelslichter ebensolche Feuer- bälle in unbegreiflichen Fernen oder erdenartige Kugeln, die fremdes Licht widerstrahlen, und alle sichtbaren Maße sollen Täuschung sein, Wahrheit aber unermeßliche Entfernungen, rasende Geschwindigkeiten. Und trotz- dem mußte die neue Lehre siegen; denn ihre Kraft war der heiße Wille jedes denkenden Menschen, alle Dinge der natürlichen Welt, und seien sie noch so bedeutungslos für das menschliche Dasein, als eine gesetz- mäßige Einheit zu erfassen, um sie im Denken festhalten und andern mitteilen zu können. Bei diesem Prozesse, der das Wesen der natur- wissenschaftHchen Forschung ausmacht, scheut der Geist nicht davor zurück, die sinnfälligsten Tatsachen der Anschauung zu bezweifeln oder als Täuschung zu erklären, aber er greift lieber zu den höchsten Abstrak- tionen, ehe er eine sichere Tatsache, sei sie noch so unbedeutend, aus dem Naturbilde ausschließt. Darum mußte auch die Kirche, damals die Der Ausbau der kopemikanischen Lehre. 1 1 Trägerin der herrschenden subjektiven Weltanschauung, die Kopernika- nische Lehre verfolgen, darum mußte Galilei vor das Ketzergericht. Nicht so sehr die Widersprüche gegen überlieferte Dogmen, als die ver- änderte Einstellung gegenüber den seelischen Vorgängen haben diesen Kampf entfesselt; wenn das Erlebnis der Seele, die Anschauung der Dinge, in der Natur nichts mehr bedeuten sollte, so konnte eines Tages auch das religiöse Erlebnis vom Zweifel getrofifen werden. So weit selbst die kühnsten Denker jener Zeit von religiöser Skepsis entfernt waren, die Kirche witterte doch den Feind. Von der großen Relativierungstat des Kopernikus stammen alle die unzähligen ähnlichen, aber kleineren Relativierungen der wachsenden Naturwissenschaft, bis Einsteins Leistung wieder würdig an die Seite des großen Vorbildes tritt. Nun müssen wir aber mit wenigen Worten den Kosmos schildern, wie ihn Kopernikus entworfen hat. Da ist zuerst zu sagen, daß die Begriffe und Gesetze der irdischen Geometrie ohne weiteres auf den Weltenraum übertragen werden. An Stelle der noch flächenhaft vorgestellten Zykeln der ptolemäischen Welt treten nun wirkliche Bahnen im Räume, deren Ebenen verschiedene Stel- lungen haben können. Das Zentrum des Weltsystems ist die Sonne; um sie ziehen die Planeten ihre Kreise, einer von ihnen ist die Erde, die sich selbst um ihre Achse dreht und um die der Mond wieder auf einer Kreisbahn läuft. Draußen aber in ungeheuren Entfernungen sind die Fixsterne Sonnen gleich der unserigen, im Räume ruhend. Koper- nikus' konstruktive Leistung ist der Nachweis, daß bei dieser Annahme der Anbhck des Himmels alle jene Erscheinungen zeigen muß, die das überlieferte Weltsystem nur durch verwickelte und künstliche Hypothesen erklären konnte. Der Wechsel von Tag und Nacht, die Jahreszeiten, die Erscheinungen der Mondphasen, die verschlungenen Planetenbahnen, alles wird auf einmal durchsichtig, verständlich und relativ einfachen Berech- nungen zugänglich. 7. Der Ausbau der kopemikanischen Lehre. Die Kreisbahnen des Kopernikus genügten bald den Beobachtungen nicht mehr; offenbar sind die wirklichen Bahnen wesentlich verwickelter. Es war nun entscheidend für den Wert der neuen Weltauffassung, ob wieder künstliche Konstruktionen wie die Epizykeln des ptolemäischen Systems notwendig würden, oder ob die Verbesserung der Bahnberech- nung ohne Komplikationen gelang. Keplers (161 8) unsterbliches Ver- dienst ist es, die einfachen und durchsichtigen Gesetze der Planeten- bahnen gefunden und dadurch das kopernikanische System in einer Krisis gerettet zu haben. Die Bahnen sind zwar nicht Kreise um die Sonne, aber dem Kreise nah verwandte Kurven, Ellipsen, in deren einem Brenn- punkte die Sonne steht. Wie dieses Gesetz die Form der Bahnen in 12 Geometrie und Kosmologie. einfachster Weise regelt, so bestimmen die beiden andern Gesetze Keplers die Größe der Bahnen und die Geschwindigkeiten, mit denen sie durch- laufen werden. Keplers Zeitgenosse Galilei {1610) richtete das neu erfundene Fem- rohr auf den Sternhimmel und entdeckte die Jupitermonde; in ihnen er- kannte er ein verkleinertes Abbild des Planetensystems, sah des Kopemikus Ideen als optische Wirklichkeiten. Galileis größeres Verdienst aber ist die Entwicklung der Prinzipien der Mechanik, deren Anwendung auf die Planetenbahnen durch Newton (1687) die Vollendung des kopernika- nischen Weltsystems herbeiführte. Kopemikus' Kreise und Keplers Ellipsen sind das, was die heutige Wissenschaft eine kinematische oder phoronomische Darstellung der Bahnen nennt, nämlich eine mathematische Formulierung der Bewegungen ohne Angabe der Ursachen und Zusammenhänge, die gerade diese Bewegungen hervorbringen. Die kausale Fassung von Bewegungsgesetzen ist der In- halt der von Galilei begründeten Dynamik oder Kinetik. Newton hat diese Lehre auf die Bewegungen der Himmelskörper angewandt und durch eine höchst geniale Interpretation von Keplers Gesetzen den Ursachen-; begriff als mechanische Kraft in die Astronomie eingeführt. Das New- tonsche Gesetz der allgemeinen Anziehungskraft oder Gravitation bewies seine Überlegenheit über die älteren Theorien durch die Erklärung aller Abweichungen von Keplers Gesetzen, die sogenannten Bahnstörungen, die durch die verfeinerte Beobachtungskunst inzwischen zutage gefördert worden waren. Diese dynamische Auffassung der Bewegungs Vorgänge im Welten- raume bedingte nun aber sogleich eine schärfere Fassung der Voraus- setzungen über Raum und Zeit. Bei Newton treten diese Axiome zum ersten Male ausdrücklich formuliert in Erscheinung; man darf daher die bis zu Einsteins Auftreten geltenden Sätze als Newtons Lehre von Raum und Zeit bezeichnen. Zu ihrem Verständnisse ist es unumgänglich, die Grundbegriffe der Mechanik klar zu übersehen, und zwar von einem in den elementaren Lehrbüchern gewöhnlich vernachlässigten Standpunkte, der die Frage nach der Relativität in den Vordergrund rückt. Wir wer- den daher zunächst die einfachsten Tatsachen, Definitionen und Gesetze der Mechanik zu erörtern haben. II. Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. I. Gleichgewicht und KraftbegrifF. Die Mechanik hat historisch ihren Ausgang von der Gleichgewichts- lehre oder Statik genommen; auch logisch ist dieser Aufbau der natür- lichste. Der Grundbegriff der Statik ist die Kraft\ er stammt von dem sub- jektiven Gefühl der Anstrengung beim Ausführen einer körperlichen Ar- beit. Von zwei Männern ist der der kräftigere, der den schwereren Stein heben, den steiferen Bogen spannen kann. In diesem Kraftmaße, mit dem Odysseus den Freiern sein Recht bewies und das in den alten Helden- liedern überhaupt eine große Rolle spielt, liegt bereits der Keim der Ob- jektivierung des subjektiven Anstrengungsgefühls. Der nächste Schritt ist die Wahl einer Einheit der Kraft und die Messung aller Kräfte im Ver- hältnis zu der Einheitskraft, also die Relativierung des Kraftbegriffs. Das Gewicht^ als die aufdringlichste Kraft, die alle irdischen Dinge nach unten zieht, bot die Krafteinheit in bequemer Form: ein Stück Metall, das durch irgendeinen staatlichen oder priesterlichen Akt als Gewichts- einheit bestimmt wurde. Heute sind es internationale Kongresse, die die Einheiten festsetzen. Als Gewichtseinheit gilt in der Technik das Ge- wicht eines bestimmten Stückes Platin in Paris; diese Gramm (g) ge- nannte Einheit wollen wir bis auf weiteres benützen. Das Instrument zum Vergleichen der Gewichte verschiedener Körper ist die Wage. Zwei Körper sind gewichtsgleich, gleich schwer, wenn sie, auf die beiden Wagschalen gelegt, das Gleichgewicht der Wage nicht stören. Legt man zwei auf diese Weise gefundene gleich schwere Körper beide in die eine Wagschale, in die andere aber einen Körper, der den beiden das Gleichgewicht hält, so hat dieser das doppelte Gewicht wie jeder der beiden andern. Auf diese Weise fortfahrend verschafft man sich, von der Gewichtseinheit ausgehend, einen Gewichtssatz, mit dessen Hilfe das Gewicht jedes Körpers in bequemer Weise ermittelt werden kann. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, auszuführen, wie mit diesen Hilfs- mitteln die einfachen Gesetze der Statik fester Körper, etwa die Hebel- gesetze, gefunden und gedeutet werden. Wir bringen nur so viele Begriffe, als zum Verständnisse der Relativitätstheorie unerläßHch sind. Andere Kräfte treten dem primitiven Menschen außer in seiner eigenen Körperkraft oder der seiner Haustiere vor allem bei den Vorgängen ent- gegen, die wir heute die elastischen nennen. Dazu gehört die Kraft, die lA Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. ein Bogen, eine Armbrust zum Spannen erfordert. Man kann diese nun leicht mit Gewichten vergleichen. Will man z. B. die Kraft messen, die nötig ist, um eine Spiralfeder (Abb. 6) um ein bestimmtes Stück zu dehnen, so probiere man aus, welches Gewicht man I l anhängen muß, damit gerade bei dieser Dehnung Gleichgewicht herrscht; dann ist die Federkraft gleich der des Gewichts, nur daß sie nach oben, das Gewicht aber nach unten zieht. Hierbei wird stillschwei- gend das Prinzip verwendet, daß Kraft und Gegenkraft (actio und reactio) im Gleich- gewichte einander gleich sind. Stört man ein solches Gleichgewicht durch Schwächung oder Fortnahme der einen Kraft, so tritt Bewegung ein. Das .,, , gehobene Gewicht fällt herab, wenn die Abb. 6. ° ... stützende Hand, die die Gegenkraft leistet, losläßt; der Pfeil fliegt davon, wenn der Schütze die Sehne des ge- spannten Bogens freigibt. Kraft erzeugt Bewegung. Das ist der Aus- gangspunkt der Dynamik^ die nach den Gesetzen dieses Vorganges sucht. 2. Bewegungslehre. Geradlinige Bewegung. Zuvor ist es notwendig, den Begriff der Bewegung selber einer Analyse zu unterwerfen. Die exakte, mathematische Beschreibung der Bewegung eines Punktes besteht darin, daß man von Augenblick zu Augenblick an- gibt, an welchem Orte relativ zu dem im voraus gewählten Koordinaten- system er sich befindet. Der Mathematiker benützt hierzu Formeln; wir wollen diese, nicht jedem geläufige Art, Gesetze und Zusammenhänge darzustellen, nach Möglichkeit vermeiden und bedienen uns statt dessen einer graphischen Darstellungsmethode. Diese möge an dem einfachsten Beispiele, der Bewegung eines Punktes in einer Geraden, erläutert werden. Auf der Geraden sei ein Nullpunkt gewählt; die Längeneinheit sei, wie in der Physik üblich, das cm. Der bewegliche Punkt habe in dem Augen- blicke, wo wir die Betrachtung beginnen und den wir als den Zeitmoment / = o bezeichnen, den Abstand :r = i cm vom Nullpunkte ; während i sec sei er um */2 cm nach rechts gerückt, so daß für / = i der Abstand vom Nullpunkt den Wert rt: = i,5cm hat; in der nächsten Sekunde rücke er um denselben Betrag nach x=^ 2 cm, usw. Die folgende kleine Tabelle gibt die zu den Zeiten t gehörigen Entfernungen x wieder. ^1 o I 2 3 4 5 6 7 8.... X \ I 1,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5 5 ... . Denselben Zusammenhang sehen wir in den aufeinander folgenden Bildern der Abb. 7 dargestellt, wo der bewegliche Punkt als kleiner Kreis Bewegungslehre. Geradlinige Bewegung. 15 auf der Entfemungsskala angedeutet ist. Statt nun lauter kleine Figuren übereinander zu zeichnen, kann man eine einzige Figur entwerfen, in der X und / als Koordinaten auftreten (Abb. 8) ; damit gewinnt man überdies den Vorteil, daß der Ort des Punktes nicht nur für die vollen Sekunden, sondern auch für alle Zwischenzeiten dargestellt werden kann, man braucht dazu nur die in der ersten Figur markierten Lagen durch eine Kurve zu verbinden. In unserm Falle ist das offenbar eine gerade Linie; der Punkt rückt nämlich in gleichen Zeiten um gleiche Strecken vor, die Koordinaten X, t ändern sich also in gleichem Verhältnisse (proportional), und es ist evident, daß das Bild dieses Gesetzes eine Gerade ist. Man nennt eine t^6 t--5 t--h- t=3 t=2 t--1 t-O 4» -©- 1 Z 3 Abb. 7. -^X 1 1 /T\ -G— ' ^X -^ Y 1 1 /T\ 1 "* y 1 1 r^ 1 I •i^ Y 1 © 1 1_ ' >X ^K solche Bewegung eine gleichförmige. Als Geschwindigkeit v der Bewegung bezeichnet man das Verhältnis des zurückgelegten Weges zu der dazu be- nötigten Zeit, in Zeichen: X V = (i) Bei unserm Beispiele legt der Punkt in jeder sec den Weg '/^ cm zurück, die Geschwindigkeit bleibt also immer dieselbe und beträgt ^^ cm pro sec. Die Einheit der Geschwindigkeit ist durch diese Definition schon fest- gelegt; sie ist diejenige Geschwindigkeit, bei der der bewegliche Punkt in I sec i cm zurücklegt. Man sagt, es ist eine abgeleitete Einheit, und man bezeichnet sie, ohne Einführung eines neuen Wertes mit cm pro sec, oder cm/sec. Um auszudrücken, daß die Geschwindigkeitsmessung sich nach der Formel (i) auf Längen und Zeitmessungen zurückführen läßt, sagt man auch, die Geschwindigkeit habe die •* Dimension A' Geradenzuges, dessen erster Teil vertikal ist (Abb. 9, b). Ähnliche geknickte Geraden- züge stellen die Fälle dar, wo ein zuerst nach rechts oder links gleich- förmig bewegter Punkt plötzlich seine Geschwindigkeit ändert (Abb. 9, c, d). Ist die Geschwindigkeit vor der plötzlichen Änderung v^ (etwa = 3 cm/sec), nachher v^ (etwa = 5 cm/sec), so ist die Geschwindigkeits- U kt ->A Abb. 10. Abb. II. zunähme v^ — v^ (also = 5 — 3 = 2 cm/sec). Wenn v^ kleiner als t'^ ist (etwa v^ = i cm/sec), so ist v^ — v^ negativ (nämlich =1 — 3 = — 2 cm/sec) und das bedeutet offenbar, daß der bewegte Punkt plötzlich verzögert wird. Bewegungslehre. Geradlinige Bewegung. 17 Erfährt ein Punkt sehr oft hintereinander momentane Geschwindig- keitsänderungen, so ist das Bild seiner Bewegung ein Vieleck- oder Poly- gonzug (Abb. 10). Folgen die Änderungen der Geschwindigkeit immer schneller aufein- ander und werden dabei hinreichend klein, so wird der Polygonzug bald nicht mehr von einer krummen Linie zu unterscheiden' sein; er stellt dann eine Bewegung dar, deren Geschwindigkeit fortwährend wechselt, die also ungleichförmig, beschleunigt oder verzögert, ist (Abb. 11). Ein exaktes Maß der Geschwindigkeit und ihrer Änderung, der Be- schleunigung, kann man in diesem Falle nur mit den Methoden der In- finitesimalrechnung gewinnen; für uns genügt es, die kontinuierliche Kurve durch ein Polygon ersetzt zu denken, dessen gerade Seiten gleichförmige Bewegungen mit bestimmter Geschwindigkeit darstellen. Die Knicke des Polygons, d. h. die plötzlichen Geschwindigkeitsänderungen, mögen in gleichen Zeitabständen, etwa t = — sec, aufeinander folgen. n •* — 20' ^ Yö Vi = ^2 = 2 , Z'3 5 2 J ze/ = I Abb. 12. Wenn sie überdies alle gleich groß sind, heißt die Bewegung >gleich- förmig beschleunigt«; die einzelne Geschwindigkeitsänderung habe die Größe w^ und wenn n in der Sekunde erfolgen, so ist die gesamte Ge- schwindigkeitsänderung pro sec (Abb. 12). (2) w nw = — == 0. Diese Größe ist das Maß der Beschleunigung', ihre Dimension ist ofifenbar [/^] =: 1 — - == — L und ihre Einheit diejenige Beschleunigung, bei der in der Zeiteinheit die Geschwindigkeit um die Einheit zunimmt, also bezogen auf das physikalische Maßsystem cm/sec*. Will man wissen, wie weit ein beweglicher Punkt bei einer gleich- förmig beschleunigten Bewegung in einer behebigen Zeit / vorrückt, so Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. 2 l3 Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. denke man sich die Zeit f in n gleiche Teile geteilt^) und am Ende jedes t . ... kleinen Zeitabschnitts — dem Punkte einen plötzlichen Geschwindigkeits- n Zuwachs w gegeben; dieser hängt mit der Beschleunigung b durch die Formel (2) zusammen, wenn man darin das kleine Zeitintervall t durch — n ersetzt: w ■= 0 n Dann ist die Geschwindigkeit nach dem ersten Zeitabschnitte v^ = w^ » » zweiten » v^ = v^ -^-w =^ 2w ^ » » dritten > v^=^ v^ -\- w =^ 3 ze/ , usw. Dabei rückt der Punkt vor nach dem ersten Zeitabschnitte bis x^-=v^ — , 71 » » zweiten » » x„ = x. -\- v. — = z; -4- e; ) — » » dritten » » x^= x^-]r v^ — = (^i Hh 2^2 H" ^3) — 1 usw. Nach dem ntQn Zeitabschnitte, also am Ende des Zeitintervalls /, wird der Punkt bis t X = {v^ -\-v^-\ v„) n gekommen sein. Nun ist aber v^ -\- v^-\- '" -\- Vn = \'w -\- 2W Ar ^iW -\- '" -{- nw = (i 4-2 + 3 + . ••;2)zc/. Die Summe der Zahlen von i bis n kann man dadurch einfach be- rechnen, daß man das erste und letzte, das zweite und vorletzte Glied usw. n zusammenzählt; dabei ergibt sich jedesmal n -\- 1^ und man hat — solcher fi Summen. Also wird i + 2 + •••+« = — {n-\- i). Ersetzt man ferner 2 w durch b — , so erhält man n ^i -i- 2^2 H h z'« = — (« + I - = — (« + i) , 2 n 2 also bt . . . t bf 2 n 2 \ n I ^) Hier wird eine beliebige Zeit t^ nicht, wie vorher, i sec in n Teile geteilt. Bewegungslehre. Geradlinige Bewegung. IQ Hier kann man n beliebig groß wählen ; dann wird - beliebig klein, und es ergibt sich x=^\bt'^. Das bedeutet, die in gleichen Zeiten zurückgelegten Wege verhalten sich wie die Quadrate der Zeiten. Beträgt z. B. die Beschleunigung b = lo m/sec, so legt der Punkt in der i. Sekunde den Weg 5 m, in der 2. Sekunde den Weg 5 • 2* = 5 • 4 = 20 m, in der 3. Sekunde den Weg 5'3'' = 5*9 = 45na zurück, usw. Dieser Zusammenhang wird durch eine krumme Linie in der ^ /-Ebene, Parabel genannt, dargestellt (Abb. 13). Vergleicht man diese Figur mit der Abb. 12, so sieht man, wie der Polygonzug näherungsweise die stetig gekrümmte Parabel dar- stellt; in beiden Figuren ist die Beschleunigung ^ = 10 gewählt, und diese bestimmt das Aussehen der Kurve, während die Längen- und Zeit- Einheiten unwesentlich sind. ^ = 10, X =|<5/2 = 5^ 0 5 10 30 W 50 60 70 80 Abb. 13. 100 W 120 130 Man kann den Begriff der Beschleunigung auch auf nicht gleichförmig beschleunigte Bewegungen anwenden, indem man statt i sec eine so kurze Zeit der Beobachtung zugrunde legt, daß während derselben die Be- wegung als gleichförmig beschleunigt betrachtet werden kann. Dann ist die Beschleunigung selber fortwährend veränderlich. Alle diese Definitionen werden erst streng und gleichzeitig bequem zu handhaben, wenn man den Unterteilungsprozeß in kleine Abschnitte, für die die betrachtete Größe als konstant gelten darf, genau studiert; man kommt dabei auf den Begriff des Grenzwertes, der den Ausgangspunkt der Differentialrechnung bildet. Historisch war tatsächlich die Bewegungs- lehre dasjenige Problem, zu dessen Bewältigung Newton die Differential- rechnung und ihre Umkehrung, die Integralrechnung, erfunden hat. Die Bewegungslehre (Kinematik, Phoronomie) ist die Vorstufe zur eigentlichen Mechanik der Kräfte oder, Dynamik; sie ist offenbar eine Art Geometrie der Bewegung. In der Tat wird in unserer graphischen Darstellung jede Bewegung durch ein geometrisches Gebilde in der Ebene mit den Koordinaten x^ t dargestellt. Dabei handelt es sich um etwas mehr als ein bloßes Gleichnis; gerade in der Relativitätstheorie gewinnt die Einführung der Zeit als Koordinate neben den räumlichen Abmes- sungen eine prinzipielle Bedeutung. 20 Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. 3. Bewegung in der Ebene. Wollen wir nun die Bewegung eines Punktes in einer Ebene studieren, so läßt sich unser Darstellungsverfahren ohne weiteres übertragen. Man nimmt in der Ebene ein ^^-Koordinatensystem und errichtet senkrecht auf ihr die /-Achse (Abb. 14). Dann entspricht einer geradlinigen und gleichförmigen Bewegung in der xy-Ebene eine gerade Linie im xyt- Raume; denn wenn man die Punkte der Geraden, die den Zeitmarken / = o, I, 2, 3, ... entsprechen, auf die ^jv-Ebene projiziert, sieht man, daß die örtliche Verschiebung auf gerader Linie und in gleichmäßigen Intervallen vor sich geht. Abb. 14. Abb. 15. Jede nicht geradlinige und gleichförmige Bewegung heißt beschleunigt^ z. B. auch dann, wenn eine krumme Bahn mit konstanter Geschwindig- keit durchlaufen wird; dann ändert sich zwar nicht die Größe aber die Richtung der Geschwindigkeit. Eine beschleunigte Bewegung wird durch eine beliebige Kurve im xyt-KzMTne, dargestellt (Abb. 15); die Projektion dieser Kurve auf die ^j;- Ebene ist die ebene Bahn. Man berechnet die Geschwindigkeit und die Beschleunigung wieder, indem man die Kurve durch einen sich eng anschließenden Polygonzug ersetzt denkt; an jeder Ecke dieses Polygons ändert sich nicht nur die Größe der Ge- schwindigkeit, sondern auch ihre Richtung. Eine genauere Analyse des Beschleunigungsbegriffes würde uns zu weit führen; es genügt zu sagen, daß man am besten den bewegten Punkt auf die Koordinatenachsen x^ y projiziert und die geradlinige Bewegung dieser beiden Projektionspunkte oder, was dasselbe ist, die zeitliche Änderung der Koordinaten x^ y selber verfolgt. Auf diese Projektionsbewegungen lassen sich nun die oben für geradlinige Bewegungen gegebenen Begriffsbestimmungen an- wenden; man erhält zwei Geschwindigkeitskotnponenten Vx^ Vy und zwei Beschleunigungskomponenten bx, by^ die zusammen den Geschwindigkeits- bzw. Beschleunigungszustand des bewegten Punktes festlegen. Bewegung in der Ebene. — Kreisbewegung. 21 Bei einer ebenen Bewegung (und ebenso bei einer räumlichen) sind also Geschwindigkeit und Beschleunigung gerichtete Größen (Vektoren) ; sie haben eine bestimmte Richtung und einen bestimmten Betrag. Letzteren kann man aus den Komponenten berechnen. So erhält man z. B. die Geschwindigkeit nach Richtung und Größe als Diagonale des Rechtecks mit den Seiten Vx und Vy (Abb. i6), ihr Betrag ist also nach dem Pythago- räischen Lehrsatze y A (3) Z'=l/' V% + Vy. Ganz entsprechendes gilt für die Beschleuni- -0— gung. 4. Kreisbewegung. -^JT Abb. 16. Nur einen Fall wollen wir etwas näher betrachten, nämlich die Be- wegung eines Punktes auf einer Kreisbahn mit konstanter Geschwindigkeit (Abb. 17); nach dem oben Gesagten ist das eine beschleunigte Bewegung, da die Richtung der Geschwindigkeit fortwährend wechselt. Wäre die Be- wegung unbeschleunigt, so liefe der bewegte Punkt von A aus geradlinig mit der Geschwindigkeit v vorwärts. In Wirklichkeit aber soll der Punkt Abb. 17. auf dem Kreise bleiben, er muß also eine auf den Mittelpunkt M hin gerichtete Zusatzgeschwindigkeit oder Beschleunigung haben; man nennt diese Zentripetalbeschleunigung, Sie bewirkt, daß die Geschwindigkeit in einem Nachbarpunkte B^ der nach der kurzen Zeit / erreicht wird, eine andere Richtung hat wie im Punkte A. Wir zeichnen nun in einer Neben- figur (Abb. 17) die Geschwindigkeiten in A und B von einem beliebigen Punkte C aus nach Größe und Richtung hin; die Größe v ist dieselbe, da der Kreis mit konstanter Geschwindigkeit durchlaufen werden soll, aber die Richtung ist verschieden. Verbinden wir die Endpunkte D und E 22 Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. der beiden Geschwindigkeitspfeile, so ist diese Verbindungsstrecke offen- bar die Zusatzgeschwindigkeit w^ die den ersten in den zweiten Ge- schwindigkeitszu stand überführt. Wir erhalten somit ein gleichschenk- liges Dreieck CED mit der Basis w und den Schenkeln v^ und wir erkennen sogleich, daß der Winkel a an der Spitze gleich dem Zentri- winkel des Bogens AB ist, den der bewegte Punkt durchläuft; denn die Geschwindigkeiten in A und B stehen auf den Radien MA und MB senkrecht, schließen also denselben Winkel ein. Folglich sind die beiden gleichschenkligen Dreiecke MAB und CDE einander ähnlich, und man erhält die Proportion DE AB Nun ist DE = w ^ CD CD MA z/, ferner ist MA gleich dem Kreis- radius r und AB gleich dem Bogen s bis auf einen kleinen Fehler, der durch hinreichend kleine Wahl des Zeitintervalls / beliebig herabgedrückt werden kann. Daher erhält man WS. SV — = — oder ze/ = — - • w Wir dividieren nun durch t und beachten, daß — = z;, — = /^ ist; dann ergibt sich (4) d. h. die Zentripetalbeschleunigung ist gleich dem Quadrat der Umlaufgeschwindigkeit dividiert durch den Kreisradius. Aut diesem Satze beruht, wie wir sehen werden, einer der ersten und ge- wichtigsten Erfahrungsbeweise für die New- tonsche Theorie der Schwerkraft. Vielleicht ist es nicht überflüssig sich klar zu machen, wie die gleichförmige Kreisbewegung bei der graphischen Dar- stellung im a:,)' /-Räume als Kurve aus- sieht. Diese entsteht offenbar so, daß man den bewegten Punkt während der Kreisbewegung gleichmäßig parallel der /-Achse aufsteigen läßt; man er- hält eine Schraubenlinie^ die nun die Bahn und den zeitlichen Ablauf der Bewegung vollständig wiedergibt. In der Figur (Abb. i8) ist sie auf der Mantelfläche eines Zylinders gezeichnet, der die Kreisbahn der ^»r^-Ebene als Grundfläche hat. Abb. i8. Bewegung im Räume. — Dynamik. Das Trägheitsgesetz. 23 5. Bewegung im Räume. Bei Bewegungen im Räume versagt unsere graphische Darstellung; denn hier haben wir 3 räumliche Koordinaten x, y^ 0, die Zeit / käme als vierte hinzu, leider ist aber unser An schauungs vermögen auf den drei- dimensionalen Raum beschränkt. Da muß nun die Formelsprache des Mathematikers helfend eingreifen; die Methoden der analytischen Geometrie erlauben nämlich, die Eigenschaften und Beziehungen räumlicher Gebilde rein rechnerisch zu behandeln, ohne daß man nötig hätte die Ans«:hau- ung zu Hilfe zu nehmen oder Figuren zu entwerfen. Ja, dieses Verfahren ist sogar viel mächtiger als die Konstruktion. Vor allem ist es nicht an die Dimensionenzahl 3 gebunden, sondern ohne weiteres auch in Räumen von 4 oder mehr Dimensionen anwendbar. In der Sprache der Mathematiker bedeutet der Begriff eines Raumes von mehr als 3 Dimen- sionen nichts Mystisches, sondern ist einfach ein kurzer Ausdruck dafür, daß man mit Dingen zu tun hat, die sich durch mehr als 3 Zahlen- angaben vollständig bestimmen lassen. So ist die Lage eines Punktes zu einer bestimmten Zeit eben nur durch 4 Zahlenangaben festzulegen, die 3 räumlichen Koordinaten jc, j, z und die Zeit /. Wenn wir nun ge- lernt haben, mit dem xy /-Räume als Bild von ebenen Bewegungen um- zugehen, so wird es uns nicht schwer fallen, auch die Bewegungen im dreidimensionalen Räume unter dem Bilde von Kurven im ^j^s /-Räume anzusehen. Diese Auffassung der Kinematik als Geometrie in einem vierdimensionalen xyzt-'KsiXmiQ bringt den Vorteil mit sich, daß man die bekannten geometrischen Gesetze auf die Bewegungslehre übertragen kann. Sie hat aber noch eine tiefere Bedeutung, die in der Einsteinschen Theorie deutlich hervortreten wird. Es wird sich zeigen, daß die Be- griffe Raum und Zeit, die Erlebnisinhalte ganz verschiedener QuaHtät sind, als Objekte physikalischer Messungen gar nicht scharf geschieden werden können; die Physik wird, wenn sie an dem Grundsatze festhalten will, nur physikalisch Feststellbares als wirklich anzuerkennen, die Begriffe von Raum und Zeit zu einer höheren Einheit verschmelzen müssen, eben dem vierdimensionalen xyzt-RBMm. Minkowski hat (1908) diesen •>die Welt*- genannt, wodurch er zum Ausdrucke bringen wollte, daß das Element aller Ordnung der reellen Dinge nicht der Ort und nicht der Zeitpunkt, sondern -»das Ereignis <^ oder -»der Weltpunkt ^ ist, d. h. ein Ort zu einer bestimmten Zeit. Die Bildkurve eines bewegten Punktes nannte er -^Weltlinie^^ ein Ausdruck, den wir im folgenden immer ge- brauchen werden. Die geradlinig gleichförmige Bewegung entspricht also einer geraden Weltlinie, die beschleunigte Bewegung einer gekrümmten. 6. Dynamik. Das Trägheitsgesetz. Nach diesen Vorbereitungen wenden wir uns nun der Frage zu, von der wir ausgingen, nämhch in welcher Weise Kräfte Bewegungen er- zeugen. 24 I^i^ Grundgesetze der klassischen Mechanik. Der einfachste Fall ist der, daß überhaupt keine Kräfte da sind. Dann wird ein ruhender Körper sicherlich nicht in Bewegung gesetzt. Diese Feststellung naachten bereits die Alten; sie glaubten aber überdies, daß auch das Umgekehrte gelten müsse: wo Bewegung sei, müßten auch Kräfte wirken, die sie unterhalten. Diese Ansicht führt sogleich auf Schwierigkeiten, wenn man sich überlegt, warum ein geschleuderter Stein oder Speer weiter fliegt, wenn er die Hand verlassen hat; diese ist es offenbar, die ihn in Bewegung bringt, ihre Einwirkung aber ist zu Ende, sobald die Bewegung eigentlich begonnen hat. Die antiken Denker haben viel darüber gegrübelt, welche Kräfte es sind, die die Bewegung des fliegenden Steines aufrecht erhalten. Erst Galilei fand den richtigen Standpunkt der Sache gegenüber; er bemerkte, daß es ein Vorurteil sei, anzunehmen, wo Bewegung sei, müsse auch jederzeit Kraft sein. Man müsse vielmehr die Frage stellen, welche quantitative Eigenschaft der Be- wegung mit der Kraft in einem gesetzmäßigen Zusammenhange steht, etwa der Ort des bewegten Körpers, oder seine Geschwindigkeit oder seine Beschleunigung oder eine von diesen allen abhängige, kombinierte Größe. Darüber läßt sich durch bloßes Nachdenken nichts herausphiloso- phieren, sondern man muß die Natur befragen, und die Antwort, die diese zunächst gibt, lautet so, daß die Kräfte auf die Geschwindigkeits- änderungen Einfluß haben: Zur Aufrechterhaltung einer Bewegung, bei der Größe und Richtung der Geschwindigkeit unverändert bleiben, ist keine Kxaft erforderlich, und umgekehrt: Wo keine Kräfte sind, bleibt auch Größe und Richtung der Geschwindigkeit unverändert, also ein ruhender Körper in Ruhe, ein geradlinig und gleichförmig bewegter Körper in geradliniger und gleichförmiger Bewegung. Dieses Gesetz vom Beharrungsvermögen oder von der Trägheit liegt nun aber keineswegs so klar zu Tage, wie sein einfacher Wortlaut vermuten ließe. Denn Körper, die wirklich allen Einwirkungen entzogen sind, kennen wir in unserer Erfahrung nicht, und wenn wir sie uns in der Einbildungs- kraft vorstellen, wie sie einsam mit konstanter Geschwindigkeit auf gerader Bahn durch den Weltenraum ziehen, so geraten wir sofort in da3 Problem der absolut geraden Bahn im absolut ruhenden Räume, wovon wir erst später ausführlich zu reden haben werden. Wir verstehen daher vorläufig das Trägheitsgesetz in dem eingeschränkten Sinne, den es bei Galilei hatte. Wir denken uns einen glatten, genau horizontalen Tisch und darauf eine glatte Kugel; diese wird von ihrem Gewichte auf den Tisch ge- drückt, wir stellen aber fest, daß wir keine merkliche Kraft brauchen, um die Kugel auf dem Tische ganz langsam zu bewegen. Auf die Kugel wirkt offenbar in horizontaler Richtung keine Kraft, sonst würde sie ja nicht an jeder Stelle von selbst in Ruhe bleiben. Erteilen wir ihr nun aber eine Geschwindigkeit, so rollt sie auf gerader Linie fort und wird nur äußerst wenig verlangsamt. Diese Verlangsamung wurde von GaHlei als eine sekundäre Wirkung erkannt, die der Reibung Der Stoß oder Impuls. 25 am Tisch und an der Luft zuzuschreiben ist, wenn auch die reibenden Kräfte nach den statischen Methoden, von denen wir ausgegangen sind, nicht nachweisbar sind. Der richtige Blick für die Unterscheidung des Wesentlichen an einem Vorgange von störenden Nebenwirkungen macht eben den großen Forscher aus. Auf dem Tische ist also jedenfalls das Trägheitsgesetz bestätigt; es ist festgestellt, daß bei fehlenden Kräften die Geschwindigkeit nach Rich- tung und Größe konstant bleit. Folglich werden die Kräfte mit der Geschwindigkeitsänderung, der Beschleunigung, verknüpft sein; wie, läßt sich wieder nur durch die Er- fahrung entscheiden. 7. Der Stoß oder Impuls. Wir haben die Beschleunigung einer ungleichförmigen Bewegung als Grenzfall von plötzlichen Geschwindigkeitsänderungen kurzer gleichförmiger Bewegungen dargestellt. Wir werden daher zunächst fragen, wie eine einzelne plötzliche Geschwindigkeitsänderung durch den Angriff einer Kraft erzeugt wird. Dazu muß die Kraft nur einen kurzen AugenbHck wirksam sein; sie ist dann das, was man einen Stoß oder Impuls nennt. Der Erfolg eines solchen Stoßes hängt nicht nur von der Größe der Kraft, sondern auch von der Dauer der Einwirkung ab, auch wenn diese sehr kurz ist. Man definiert daher die Stärke eines Stoßes folgender- maßen : n Impulse y, deren jeder darin besteht, daß während der Zeit von / = — sec die Kraft K wirkt, werden, wenn sie dicht hintereinander n ohne merkliche Pausen erfolgen, genau denselben Erfolg haben, als wenn die Kraft K die ganze Sekunde lang anhielte; also wird I sein; oder^ (5) J=.-K=tK. n Um das zu veranschaulichen, Abb. 19. denke man sich etwa auf die eine Seite eines gleicharmigen Hebels (Wagebalken) ein Gewicht gelegt, auf die andere aber mit einem Hammer gleich starke, schnelle Schläge aus- geführt, mit solcher Kraft und so rasch, daß der Hebel bis auf unmerk- liche Schwankungen im Gleichgewicht bleibt (Abb. 19). Dabei kann man offenbar schwächer und häufiger, oder langsamer und stärker schlagen, nur muß die Stoßstärke J multipliziert mit der Schlagzahl n^ oder dividiert durch die auf jeden Schlag entfallende Zeit t, immer gerade gleich dem Gewicht K sein. Mit dieser »Stoß wage« sind wir imstande, 26 Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. die Stärke von Stößen zu messen, auch wenn wir die Zeitdauer und Kraft des einzelnen nicht feststellen können; wir brauchen nur die Kraft K zu bestimmen, die n gleichen Stößen in der Sekunde (bis auf unmerk- liche Erzitterungen der Stoßwage) das Gleichgewicht hält, dann ist die Größe des einzelnen Stoßes der «-te Teil von K. Die Dimension des Impulses ist [/] = \tG\ ihre Einheit im üblichen Maßsystem sec g. 8. Der Impulssatz. Wir betrachten nun wieder die Kugel auf dem Tische und studieren die Wirkung von Stößen auf sie. Hierzu gebrauchen wir etwa einen um eine horizontale Achse drehbaren Hammer, den wir von bestimmter Höhe herabfallen lassen. Zunächst wird für jede Fallhöhe die Stoßstärke an unserer »Stoß wage« geeicht. Sodann lassen wir ihn gegen die auf dem Tisch ruhende Kugel schlagen und beobachten die Geschwindig- keit, die sie durch den Stoß bekommt, indem wir messen, wieviele cm sie in i sec rollt (Abb. 20). Das Resultat ist sehr einfach: Je stärker der Stoß, um so größer die Geschwindig- keit, und zwar entspricht dem doppelten Stoße die doppelte Geschwindigkeit, dem dreifachen Stoße die dreifache Geschwindigkeit usw. Geschwindigkeit und Stoß stehen in konstantem Verhältnis (sind propor- tional). Das ist das Grundgesetz der Dynamik, der soge- nannte Impulssatz^ für den einfachen Fall, daß ein Körper aus der Ruhe in Bewegung gesetzt wird. Hat die Kugel schon eine Geschwindigkeit, so wird der Stoß sie vergrößern oder verkleinern, je nachdem er die Kugel von hinten oder vorn trifft. Durch starken Gegenstoß kann man die Kugel zum plötzlichen Umkehren bringen. Das Impulsgesetz lautet dann so, daß die plötzlichen Geschwindigkeits- änderungen des Körpers sich verhalten wie die Stöße^ durch die sie erzeugt sind. Dabei werden die Geschwindigkeiten je nach ihrer Richtung als positiv oder negativ gerechnet. g. Die Masse. Bisher haben wir mit einer einzigen Kugel operiert; jetzt wollen wir denselben Stoßversuch ausführen mit Kugeln verschiedener Art, etwa von verschiedener Größe oder aus verschieden -m Material, die einen massiv. Abb. 20. Die Masse. .27 die andern ausgehöhlt. Alle diese Kugeln mögen durch gleichstarke Stöße in Bewegung gesetzt werden. Der Versuch zeigt, daß sie dann ganz ver- schiedene Geschwindigkeiten bekommen, und zwar sieht man sogleich, daß leichte Kugeln weit geschleudert werden, schwere nur langsam fort- rollen. Wir finden hier also einen Zusammenhang mit dem Gewichte, auf den wir nachher ausführlich eingehen werden, denn er ist eine der empirischen Grundlagen der allgemeinen Relativitätstheorie. Hier aber wollen wir gerade im Gegenteil uns klar machen: rein begrifflich hat die Tatsache, daß verschiedene Kugeln durch gleichstarke Stöße verschiedene Geschwindigkeiten erhalten, gar nichts mit Gewicht zu tun. Das Gewicht wirkt nach unten und erzeugt den Druck der Kugel auf den Tisch, aber keinerlei horizontale Kraft. Wir finden nun, daß eine Kugel sich dem Stoße mehr widersetzt als die andere\ wenn die erste zugleich die schwerere ist, so ist das eine neue empirische Tatsache, läßt sich aber von dem hier eingenommenen Standpunkte aus auf keine Weise etwa aus dem Be- griffe des Gewichts deduzieren. Was wir feststellen, ist ein verschiedener Widerstand der Kugeln gegen Stöße; man nennt ihn den Trägheitswider- stand und mißt ihn durch das Verhältnis des Stoßes J zu der erzeugten Geschwindigkeit v. Für dieses Verhältnis hat man den Namen Masse und den Buchstaben m gewählt ; man setzt also : (6) m^J-\ und diese Formel besagt, daß für denselben Körper eine Vergrößerung des Impulses / eine größere Geschwindigkeit hervorruft derart, daß ihr Verhältnis immer denselben Wert m hat. Nach dieser Definition der Masse ist ihre Einheit nicht mehr frei wählbar, weil die Einheiten der Geschwindigkeit und des Stoßes schon festgelegt sind; vielmehr hat die Masse die Dimension H = m und ihre Einheit ist im üblichen Maßsysteme sec'g/cm. Im gewöhnlichen Sprachgebrauche bedeutet das Wort Masse etwa dasselbe wie Substanzmenge, Quantität der Materie, ohne daß diese Be- griffe selbst scharf definiert sind; der Substanzbegriff wird als Kategorie des Verstandes zu den unmittelbaren Gegebenheiten gezählt. In der Physik aber, und das müssen wir auf das nachdrücklichste betonen, hat das Wort Masse keine andere Bedeutung als die durch die Formel (6) ge- gebene: sie ist das Maß des Widerstandes gegen Geschwindigkeitsände- rungen. Wir können den Impulssatz etwas allgemeiner so schreiben: (7) wze/ = /; er bestimmt die Geschwindigkeits^w^^n/«^ w^ die ein (in Bewegung be- findlicher) Körper durch den Stoß J erfährt. 28 Die Grundgesetze der klassischen Mechanik. Man pflegt die Formel auch so zu interpretieren: Die gegebene Stoßkraft J des Hammers wird auf die bewegliche Kugel übertragen; der Hammer »verliert« den Impuls y, dieser kommt in der Bewegung der Kugel wieder im gleichen Betrage mw zum Vorschein. Diese Stoßkraft trägt die rollende Kugel mit sich, und wenn sie selbst gegen einen Körper prallt, so versetzt sie diesem wieder einen Stoß und verliert dadurch gerade ebensoviel Impuls, als der andere Körper gewinnt. Prallen z. B. zwei Kugeln von den Massen m^ und 7n^ gerad- linig aufeinander, so sind die Stoßkräfte, die sie aufeinander ausüben, stets entgegengesetzt gleich, ^^ = — J^i ihre Summe also gleich Null: (8) J^-{- J^z= rn^w^ + m^w^ == o; daruas folgt W r= . W ij d. h. wenn die eine Kugel Geschwindigkeit verliert [w^ negativ), gewinnt die andere (w^ positiv), und umgekehrt. Führt man die Geschwindigkeiten der beiden Kugeln vor und nach dem Stoße ein, nämlich v^^ v\ für die erste, v^^ v'^ für die zweite Kugel, so sind die Geschwindigkeitsänderungen w^ = v\ —v^, w^^v'^—v^, und man kann die Gleichung (8) so schreiben: ^i {^'x — ^i) + ^2 (2^2 — z^J = o. Bringt man hier die auf die Bewegung vor dem Stoße bezüglichen Größen auf die eine Seite, die auf die Bewegung nach dem Stoße be- züglichen auf die andere, so erhält man (9) ^i^i + ^2^3 = ^i^i + ^3^2 j und diese Gleichung läßt sich so deuten: Um einen Körper von der Ruhe auf die Geschwindigkeit v zu bringen, braucht man den Impuls mv\ diesen führt er dann mit sich. Der ge- samte, von den beiden Kugeln vor dem Stoße mitgeführte Impuls ist also m^v^ -\- m^v^. Die Gleichung (9) sagt dann aus, daß dieser durch den Stoß nicht geändert wird. Das ist das Gesetz von der Erhaltung des Impulses. 10. Kraft und Beschleunigung. Ehe wir den auffälligen Parallelismus von Masse und Gewicht weiter verfolgen, wollen wir die gewonnenen Gesetze auf den Fall dauernd wirkender Kräfte übertragen; allerdings läßt sich eine strenge Begründung der Sätze wieder nur mit den Methoden der Infinitesimalrechnung geben, doch können die folgenden Betrachtungen wenigstens eine ungefähre Vorstellung der Zusammenhänge vermitteln. Kraft und Beschleunigung. 29 Eine kontinuierlich wirkende Kraft erzeugt eine Bewegung mit kon- tinuierlich sich ändernder Geschwindigkeit. Wir denken uns nun die Kraft ersetzt durch eine rasche Aufeinanderfolge von Stößen; dann wird die Geschwindigkeit bei jedem Stoße eine kleine plötzliche Änderung er- leiden, es entsteht eine vielfach geknickte Weltlinie wie in Abb. 10, die sich an die wirkliche, gleichmäßig gekrümmte W^ltlinie eng anschließt und sie für die Rechnung ersetzen kann. Wenn nun n Stöße während i sec die Kraft K ersetzen, so hat jeder von ihnen nach (5) den Wert J=^ — K oder = tK^ wo / die auf einen Stoß entfallende kurze Zeit ist. Bei jedem Stoß tritt eine Geschwindigkeitsänderung w ein, die nach (7) durch w . . . mw = J = tK oder m — =K bestimmt ist. Nun ist aber nach (2) w — = ^, also erhält man (10) mb = K . Das ist das Bewegungsgesetz der Dynamik für kontinuierlich wirkende Kräfte; es lautet in Worten: Eine Kraft erzeugt eine zu ihr proportionale Beschleunigung] das kon- stante Verhältnis Klb ist die Masse. Man kann diesem Gesetze noch eine andere Form geben, die für viele Zwecke, insbesondere für die in der Einsteinschen Dynamik not- wendige Verallgemeinerung (s. VI, 7, S. 199) vorteilhaft ist. Ändert sich nämlich die Geschwindigkeit v um w, so ändert sich der vom bewegten Körper mitgeführte Impuls J z= mv um mw\ also ist mb mw die y Änderung des mitgeführten Impulses in der dazu gebrauchten kleinen Zeit /. Demnach kann man das in der Formel (10) ausgedrückte Grundgesetz auch so aussprechen: Wirkt auf einen Körper eine Kraft K^ so ändert sich sein mitgeführter Impuls J ■= mv derart^ daß seine Änderung pro Zeiteinheit gleich der Kraft K ist. In dieser Form gilt das Gesetz zu- nächst nur für Bewegungen, die in einer geraden Linie vor sich gehen und bei denen die Kraft in derselben Geraden wirkt. Ist das nicht der Fall, wirkt die Kraft seitlich zur momentanen Bewegungs- richtung, so muß das Gesetz etwas verallgemeinert werden; man denke sich die Kraft als einen Pfeil gezeichnet und diesen auf drei zueinander senkrechte Richtungen, etwa die Koordinatenachsen, projiziert. In der Abbildung (Abb. 21) ist der Fall dargestellt, daß die Kraft in der ^y- Ebene Abb. 21, lO I^is Grundgesetze der klassischen Meclianik. wirkt, und es sind ihre Projektionen auf die x- und die jj;- Achse ein- getragen. Ebenso denke man sich den bewegten Punkt auf die Achsen projiziert; jeder der Projektionspunkte vollführt dann auf seiner Achse eine Bewegung. Das Bewegungsgesetz lautet dann so, daß die Beschleu- nigungen dieser Projektionsbewegungen mit den entsprechenden Kraft- komponenten in der Beziehung md = K stehen. Wir wollen aber auf diese mathematischen Verallgemeinerungen, die begrifflich nichts Neues bieten, nicht genauer eingehen. II. Beispiel. Elastische Schwingungen. Als Beispiel der Beziehung zwischen Kraft, Masse, Beschleunigung betrachten wir einen Körper, der unter der Wirkung elastischer Kräfte Schwingungen ausführen kann. Wir nehmen etwa eine gerade, breite Stahlfeder und befestigen sie an einem Ende so, daß sie in der Ruhelage horizontal liegt (nicht nach unten hängt); am anderen Ende trage sie eine Kugel (Abb. 22). Dann kann diese in der Horizontalebene hin imd her schwingen; die Schwere hat keinen Einfluß auf ihre Bewegung, diese hängt nur von der elastischen Kraft ^ y^ ^^^ Feder ab. Bei kleinen Ausschlä- i Ij gen bewegt sich die Kugel fast gerad- ^ •• ^ linig; ihre Bewegungsrichtung sei die :v-Achse. Setzt man die Kugel in Bewegung, so vollführt sie eine periodische Schwin- gung, deren Wesen man sich so klar macht: Man bringe die Kugel mit der ^ Hand etwas aus der Gleichgewichtslage, " ^ dabei spürt man die zurückziehende Kraft Abb. 22. der Feder. Läßt man die Kugel los, so erteilt diese Kraft ihr eine Beschleuni- gung, sie kehrt mit wachsender Geschwindigkeit in die Mittellage zu- rück. Dabei nimmt aber die rückziehende Kraft, also auch die Be- schleunigung, dauernd ab und wird beim Passieren der Mittellage selbst gleich Null; denn in dieser ist die Kugel ja im Gleichgewichte, es greift also keine beschleunigende Kraft an ihr an. An derselben Stelle, wo die Geschwindigkeit am größten ist, ist also die Beschleunigung am kleinsten. Infolge des Beharrungsvermögens schießt die Kugel durch die Gleichgewichtslage hindurch, dabei tritt die Federkraft verzögernd auf und bremst die Bewegung ab. Wenn der ursprüngliche Ausschlag nach der anderen Seite erreicht ist, ist die Geschwindigkeit auf Null gesunken, die Kraft hat. ihren größten Wert erreicht; zugleich hat auch die Beschleuni- gung ihren größten Wert, indem sie in diesem Augenblick die Richtung der Geschwindigkeit umkehrt. Von da an wiederholt sich der Vorgang im umgekehrten Sinne. Beispiel. Elastische Schwingungen. 31 Wenn man nun die Kugel durch eine andere von verschiedener Masse ersetzt, so sieht man, daß der Charakter der Bewegung derselbe bleibt, aber die Dauer einer Schwingung verändert wird. Bei größerer Masse wird die Bewegung verlangsamt, die Beschleunigung wird kleiner; Ver- kleinerung der Masse erhöht die Schwingungszahl. In vielen Fällen kann man annehmen, daß die zurückziehende Kraft K dem Ausschlage x genau proportional ist. Dann kann man den Ablauf der Bewegung folgendermaßen geometrisch veranschaulichen. Man denke sich einen beweglichen Punkt P auf der Peripherie eines Kreises vom Radius a gleichförmig umlaufen, und zwar rmal in der Sekunde; er legt dann den Kreisumfang 2TCa [jc = 3,14 . . . .) in der Zeit T= — sec S 2 TT (Z zurück, also ist seine Geschwindigkeit — = — 2TCav. Nehmen wir nun den Kreismittelpunkt O zum Nullpunkt eines recht- winkligen Koordinatensystems, in dem F die Koordinaten x, y hat, so pendelt der Projektionspunkt A des Punktes P auf der :v:-Achse während des Umlaufs von P geradeso hin - und her, wie die an der Feder be- festigte Masse. Dieser Punkt A soll die schwingende Masse darstellen. Rückt P um ein kleines Bogen- stück s vor, so bewegt sich A auf der ::t:-Achse um ein kleines Stück ^, und es ist z; = — die Geschwindig- keit von A. Die Figur (Abb. 23) zeigt nun, daß die Verrückungen ^ und s Kathete und Hypothe- nuse eines kleinen rechtwinkligen Dreiecks sind, das dem großen recht- winkhgen Dreieck OAP offenbar ähnlich ist; also gilt die Proportion Abb. 23. — = — oder s a a Daher wird die Geschwindigkeit von A t t a Nun vollführt der Projektionspunkt B des Punktes P auf der j-Achse genau eine ebensolche Pendelbewegung; bei der kleinen Verrückung s von P verschiebt sich B um ein Stück ly, und es gilt ganz ebenso wie für g — oder a V X s — a 32 Die Grandgesetze der klassischen Mechanik. Dieser Änderung r] von y entspricht eine Änderung der Geschwindig- keit V = 2 7tvy des Punktes A vom Betrage X W = 2 7t VT) = 2 7tVS , ' a also eine Beschleunigung von A w s 0 == =2 7tV — t t X = {2TiVyX. Die Beschleunigung bei dieser Schwingungsbewegung des Punktes A ist also tatsächlich in jedem Augenblicke dem Ausschlage x proportional. Für die Kraft erhält man (ii) K =^ mh ■= m[2 7tvYx. Durch Messung der zu einem Ausschlage x gehörigen Kraft K und Zählung der Schwingungen kann man also die Masse m des Federpendels bestimmen. Das Bild der Weltlinie einer solchen Schwingung ist offenbar eine Wellenlinie in der ^v^-Ebene, wenn x die Schwingungsrich- tung ist (Abb. 24). In der Zeichnung ist an- genommen, daß die Kugel zur Zeit t = o die Mittellage x ■= o nach rechts passiert. Man sieht, daß immer beim Durchgang durch die /-Achse , d.h. für ^ = o , die Richtung der Kurve am flachsten gegen die :r-Achse ist, wodurch die größte Geschwindigkeit ge- kennzeichnet wird; dafür ist dort die Kurve ungekrümmt, die Geschwindigkeitsändernug oder Beschleunigung also Null. Umgekehrt verhält es sich an den Stellen, die den äußer- Abb. 24. sten Ausschlägen entsprechen. 12. Gewicht und Masse. Wir haben sogleich bei der Einführung des Massenbegriffs festgestellt, daß Masse und Gewicht auffallend parallel gehen; schwere Körper wider- setzen sich beschleunigenden Kräften stärker als leichte. Handelt es sich nun hier um ein exaktes Gesetz? In der Tat ist das der Fall. Um den Sachverhalt ganz klar zu stellen, betrachten wir noch einmal den Versuch, bei dem Kugeln auf einem glatten, horizontalen Tische durch Stöße in Bewegung gesetzt werden. Wir nehmen zwei Kugeln A und B und es sei JB doppelt so schwer wie A^ d. h. ß hält auf der Wage zwei gleichen Exemplaren von A das Gleichgewicht. Jetzt versetzen wir A und B gleiche Stöße auf dem Tische und beobachten die erreichte Gewicht und Masse. 33 Geschwindigkeit; wir finden, daß A genau doppelt so schnell davonrollt wie B. Die doppelt so schwere Kugel B widersetzt sich also einer Geschwin- digkeitsänderung gerade doppelt so stark wie die Kugel A. Man kann das auch so ausdrücken: Körper mit doppelter Masse haben das doppelte Gewicht, oder allgemein: die Massen m verhalten sich wie die Gewichte G. Das Verhältnis von Gewicht und Masse ist eine ganz bestimmte Zahl; man bezeichnet es mit g und schreibt (12) 7n g oder G = mg Natürlich ist das Experiment, das wir zur Erläuterung des Gesetzes heran- gezogen haben, äußerst roh''). Es gibt aber viele andere Erscheinungen, die dieselbe Tatsache beweisen, vor allem die, daß alle Körper gleich schnell fallen. Dabei ist natürlich vorauszusetzen, daß keine andern Kräfte als die Schwere auf die Bewegung Einfluß haben, man muß also den Versuch im luftleeren Räume machen, um den Luftwiderstand zu beseitigen. Zur Demonstration geeignet ist eine schiefe Ebene (Abb. 25), auf der man zwei äußerlich gleiche, aber verschieden schwere Kugeln herunterrollen läßt; man beobachtet, daß sie genau gleichzeitig unten an- kommen. Das Gewicht ist die treibende Kraft, die Masse bestimmt den Wider- stand; stehen beide im gleichen Ver- hältnisse, so wird ein schwerer Kör- per zwar stärker angetrieben als ein leichter, dafür wehrt er sich aber gegen den Antrieb stärker, und das Resultat ist, daß der schwere und der leichte Körper gleich schnell herabrollen bzw. fallen. Man erkennt das auch aus unseren Formeln; denn wenn man in (10) für die Kraft das Gewicht G setzt und dieses nach (12) der Masse proportional annimmt, so erhält man: Abb. 25. mb = G mg also (13) b=g. Alle Körper haben also ein und dieselbe Beschleunigung vertikal abwärts, wenn sie sich allein unter dem Einfluß der Schwere bewegen, sie mögen ^) So wird z. B. der Umstand vernachlässigt, daß auch bei der Erzeugung der Rotation der rollenden Kugel ein Widerstand überwunden werden muß, der von der Massenverteilung im Innern der Kugel (Trägheitsmoment) abhängt. B o r n , Relativitätstheorie. 3. Aufl. Bahnelemente« erfahren allmähliche Ände- rungen. Wenn man diese durch Merkur Rechnung nach dem Newtonschen Gesetze ermittelt und an der be- obachteten Bahn anbringt, so muß sie sich in eine exakte Kepler- Perihei\^ Sohne j Bewegung verwandeln, d. h. in eine Ellipse in einer bestimmten, ruhenden Ebene, mit einer großen Achse von bestimmter Richtung Abb. 35. und Länge usw. Das ist auch bei allen Planeten der Fall; nur bei Merkur bleibt ein kleiner Rest. Die Richtung der großen Achse, das ist die Verbindungslinie der Sonne mit dem nächsten Bahnpunkte, dem Perihel (Abb. 35), steht nach Anbringung der Störungen nicht fest, sondern voll- führt eine ganz langsame Drehbewegung, in dem sie im Jahrhundert um 43 Bogensekunden fortschreitet. Diese Bewegung hat der Astronom Leverrier (1845), — derselbe, der die Existenz des Planeten Neptun auf Grund von Störungsrechnungen vorhergesagt hat — zuerst berechnet und sie steht mit großer Sicherheit fest. Durch die Newtonsche An- ziehung der uns bekannten planetarischen Massen ist sie unerklärbar. Man hat daher zu hypothetischen Massen seine Zuflucht genommen, deren Das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik. Cß Anziehung die Perihelbewegung des Merkur erzeugen solle; so wurde z. B. das Tierkreis- oder Zodiakallicht, das von dünn verteilter, nebelartiger Materie in der Umgebung der Sonne herrühren soll, mit der Merkurano- malie in Verbindung gebracht. Diese und zahlreiche andere Hypothesen leiden aber alle an dem Mangel, daß sie ad hoc erfunden und durch keine andere Beobachtung bestätigt sind. Daß die einzige, ganz sicher gestellte Abweichung vom Newtonschen Gesetze gerade beim Merkur, dem sonnennächsten Planeten, auftritt, weist darauf hin, daß hier möglicherweise doch ein prinzipieller Mangel des Newtonschen Gesetzes vorliegt; denn die Anziehungskraft . ist in der Nähe der Sonne am größten, Abweichungen von dem Gesetze des umgekehrten Entfernungsquadrats werden sich also dort am ersten bemerklich machen. Man hat auch solche Abänderungen vorgenommen; aber da sie vollkommen willkürlich erfunden und durch keine anderen Tatsachen geprüft werden können, so wird ihre Richtigkeit nicht dadurch bewiesen, daß sie die Perihelbewegung des Merkur darstellen. Wenn die Newtonsche Theorie wirklich eine Verfeinerung erfordert, so muß man durchaus verlangen, daß sie ohne Einführung willkürlicher Konstanten aus einem Prinzipe fließt, das die bestehende Lehre an Allgemeinheit und innerer WahrscheinHch- keit übertrifft. Das ist erst Einstein gelungen, indem er die allgemeine Relativität als höchstes Postulat an die Spitze der Naturgesetze stellte. Wir werden im letzten Kapitel auf seine Erklärung der Perihelbewegung des Merkur zurückkommen. 5. Das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik. Wir haben über den großen Problemen des Kosmos den irdischen Ausgangspunkt fast vergessen. Die auf der Erde gefundenen Gesetze der Dynamik wurden in den Weltenraum verlegt, durch den die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne mit gewaltiger Geschwindigkeit dahinrast. Wie kommt es denn, daß wir von dieser Reise durch den Raum so wenig merken? Wie kommt es, daß Galilei auf der bewegten Erde Gesetze finden konnte, die nach Newton in Strenge nur im absolut ruhenden Räume gelten sollten ? Wir haben auf diese Frage schon oben angespielt, als von Newtons An- sichten über Raum und Zeit die Rede war. Wir sagten dort, daß die anscheinend gerade Bahn einer auf dem Tische rollenden Kugel in Wirk- lichkeit wegen der Erdrotation ein wenig gekrümmt sein muß, denn sie ist eben nicht gerade bezüglich der rotierenden Erde, sondern bezüglich des absoluten Raumes; daß man diese Krümmung nicht bemerkt, liegt an der Kürze des Weges und der Beobachtungszeit, während derer die Erde sich nur wenig gedreht hat. Sei dies zugegeben, so bleibt doch noch die Umlauf bewegung um die Sonne, die mit der gewaltigen Ge- schwindigkeit von etwa 30 km pro sec vor sich geht. Warum merkt man davon nichts? 54 D^s Newtonsche Weltsystem. Diese Umlaufsbewegung ist zwar auch eine Rotation, und diese muß sich bei irdischen Bewegungen ähnlich bemerkbar machen, wie die Dre- hung der Erde um ihre eigene Achse, nur noch viel schwächer, weil die Krümmung der Erdbahn sehr gering ist. Wir meinen mit unserer Frage aber nicht diese Rotations-, sondern die Vorwärtsbewegung, die im Laufe eines Tages praktisch geradlinig und gleichförmig ist. Tatsächlich verlaufen alle mechanischen Vorgänge auf der Erde so, als wäre diese gewaltige Vorwärtsbewegung nicht vorhanden, und dieses Gesetz gilt ganz allgemein für jedes System von Körpern, das eine gleich- förmige und geradlinige Bewegung durch den Newtonschen absoluten Raum; ausführt. Man nennt es das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik es läßt sich auf verschiedene Weise formulieren; ein vorläufiger Wort- laut ist dieser: Die Gesetze der Mechanik lauten relativ zu einem geradlinig tmd gleich- förmig durch den absoluten Raum bewegten Koordinatensysteme genau ebenso^ wie relativ zu einem in dem Räume ruhenden Koordinatensysteme. Um die Richtigkeit dieses Satzes einzusehen, braucht man sich nur das mechanische Grundgesetz, den Impulssatz, und die darin vorkommen- den Begriffe klar vor Augen zu halten. Wir wissen, ein Stoß erzeugt eine Geschwindigkeits^>2^] — 2 = 5 messen. Die durch den Stoß hervorgerufene Ge- schwindigkeitsänderung ist also im ruhenden Räume w = v^ — ^i = 7 — 5 = 2; dagegen stellt der bewegte Beobachter den Geschwindigkeits- zuwachs w' = V2 — v[ = {v^ — a) — [v^ — a) = v^ — v^ = w = 5 — 3=2 fest: beide sind gleich groß. Genau dasselbe gilt für kontinuierliche Kräfte und die durch sie er- zeugten Beschleunigungen; denn die Beschleunigung b war definiert als Verhältnis der Geschwindigkeitsänderung w zu der dazu gebrauchten Zeit /, und da w davon unabhängig ist, welche geradlinige, gleichförmige Vorwärtsbewegung (Translationsbewegung) das zur Messung benutzte Bezug- system hat, so gilt dasselbe für b. Die Wurzel dieses Satzes ist offenbar das Trägheitsgesetz, wonach eine Translationsbewegung kräftefrei vonstatten geht; ein System von Der »eingeschränkt« absolute Raum. cc Körpern, die alle mit derselben konstanten Geschwindigkeit durch den Raum wandern, befindet sich also nicht nur geometrisch in relativer Ruhe, sondern es treten auch infolge der Bewegung keine Kraftwir- kungen auf die Körper des Systems auf. Wenn aber die Körper des Systems gegeneinander Kräfte ausüben, so werden die dadurch er- zeugten Bewegungen relativ genau so ablaufen, als wäre die gemein- same Translationsbewegung nicht vorhanden. Das System ist also für einen mitbewegten Beobachter von einem absolut ruhenden nicht unter- scheidbar. Die tägHch und tausendfältig wiederholte Erfahrung, daß wir von der Translationsbewegung der Erde nichts bemerken, ist ein handgreiflicher Beweis dieses Satzes. Aber auch bei irdischen Bewegungen zeigt sich dieselbe Tatsache; denn wenn eine Bewegung auf der Erde geradhnig und gleichförmig relativ zu dieser ist, so ist sie es auch gegen den Raum, wenn man bei der Erdbewegung selber von der Rotation absieht. Jeder weiß, daß in einem gleichmäßig fahrenden Schiffe oder Eisenbahn- wagen die mechanischen Vorgänge in derselben Weise ablaufen, wie auf der ruhenden Erde; auch auf dem fahrenden Schiffe fällt z. B. ein Stein vertikal, und zwar längs einer mitbewegten vertikalen Geraden, herab. Würde die Fahrt völlig gleichmäßig und erschütterungsfrei vor sich gehen, so würden die Passagiere nichts von der Bewegung merken, solange sie nicht die vorbeiziehende Umgebung beachten. 6. Der »eingeschränkt« absolute Raum. Der Satz von der Relativität der mechanischen Vorgänge ist der Aus- gangspunkt für alle unsere weiteren Betrachtungen. Seine Wichtigkeit beruht darauf, daß er mit den Newtonschen Anschauungen über den ab- soluten Raum aufs engste zusammenhängt und die physische Realität dieses Begriffs gleich von vornherein wesentlich einschränkt. Wir haben die Notwendigkeit der Annahme des absoluten Raumes und der absoluten Zeit oben damit begründet, daß ohne sie das Träg- heitsgesetz überhaupt keinen Sinn hat. Wir müssen jetzt der Frage nähertreten, wieweit diesen Begriffen das Merkmal der > Wirklichkeit« im Sinne der Physik zukommt. Physikahsche Realität hat aber ein Begriff nur dann, wenn ihm irgend etwas durch Messungen feststellbares in der Welt der Erscheinungen entspricht. Es ist hier nicht der Ort, sich mit dem philosophischen Begriffe der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Jeden- falls steht ganz fest, daß das eben angegebene Wirklichkeitskriterium durchaus dem Gebrauche der physikalischen Wissenschaften entspricht; jeder Begriff, der ihm nicht genügt, ist allmählich aus dem System der Physik verdrängt worden. Wir sehen nun sogleich, daß in diesem Sinne ein bestimmter Ort in Newtons absolutem Räume nichts Wirkliches ist; denn es ist prinzipiell unmöglich, im Räume einen Ort' wiederzufinden. c5 Das Newtonsche Weltsystem. Das geht ohne weiteres aus dem Relativitätsprinzip hervor; ange- nommen, man wäre irgendwie zu der Annahme gelangt, daß ein bestimmtes Bezugsystem im Räume ruhte, so kann ein relativ zu diesem gleichförmig und geradlinig bewegtes Bezugsystem mit demselben Rechte als ruhend angesehen werden. Die mechanischen Vorgänge in beiden verhalten sich vollkommen gleich, keines der beiden Systeme ist vor dem andern aus- gezeichnet. Ein bestimmter Körper, der in dem einen Bezugsystem ruhend erscheint, beschreibt, von dem andern System aus gesehen, eine geradlinige und gleichförmige Bewegung, und wenn jemand also behaupten wollte, dieser Körper markiere einen Ort im absoluten Räume, so könnte ein anderer mit demselben Rechte das bestreiten und den Körper für bewegt erklären. Damit verliert aber der absolute Raum Newtons bereits einen beträcht- lichen Teil seiner etwas unheimlichen Existenz; ein Raum, in dem es keine Orte gibt, die man mit irgendwelchen physischen Mitteln markieren kann, ist jedenfalls ein recht subtiles Gebilde, nicht einfach ein Kasten, in den die materiellen Dinge hineingestopft sind. Wir müssen nun auch den Wortlaut des Relativitätsprinzips abändern; denn darin wurde noch von einem im absoluten Räume ruhenden Koor- dinatensysteme gesprochen, was offenbar physikalisch sinnlos ist. Um zu einer klaren Formulierung zu gelangen, hat man den Begriff des Inertialsy Sterns (inertia = Trägheit) eingeführt und versteht darunter ein Koordinatensystem, in dem das Trägheitsgesetz in seiner ursprüngHchen Fassung gilt; es gibt eben nicht nur das eine, in dem absoluten Räume Newtons ruhende System, wo das der Fall ist, sondern unendlich viele Bezugsysteme, die sämtHch gleichberechtigt sind, und da man nicht gut von mehreren, gegeneinander bewegten »Räumen« sprechen kann, so zieht man vor, das Wort Raum möglichst ganz zu vermeiden. Dann nimmt das Relativitätsprinzip die folgende Fassung an : Es gibt uftendlich viele ^ relativ zueinander in Translationsbewegungen befindliche, gleichberechtigte Systeme^ Inertialsy steme^ in denen die Gesetze der Mechanik in ihrer einfachen^ klassischen Form gelten. Hier sieht man klar, wie das Problem des Raumes aufs engste mit der Mechanik verknüpft ist. Nicht der Raum ist da und prägt den Dingen seine >Form« auf, sondern die Dinge und ihre physikalischen Gesetze bestimmen erst den Raum. Wir werden sehen, wie diese Auf- fassung sich immer klarer und umfassender durchsetzt, bis sie in der all- gemeinen Relativitätstheorie Einsteins ihren Höhepunkt erreicht. 7. Galilei-Transformationen. Wenn auch die Gesetze der Mechanik in allen Inertialsystemen gleich lauten, so folgt daraus natürhch nicht, daß Koordinaten und Geschwindig- keiten der Körper bezüglich zweier relativ zueinander bewegter Inertial- systeme gleich sind; denn wenn z. B. ein Körper in einem Systeme S ruht. Galilei-Transformationen. 57 A/y*' S' ^x' l ■^x Abb. -16. SO hat er gegen das andere relativ zu S bewegte System S' eine konstante Geschwindigkeit. Die allgemeinen Gesetze der Mechanik enthalten nur die Beschleunigungen, und diese sind, wie wir gesehen haben, für alle Inertial- systeme gleich; für Koordinaten und Geschwindigkeiten gilt das nicht. Daher entsteht das Problem, wenn die Lage und der Geschwindig- keitszustand eines Körpers in einem Inertialsysteme S gegeben sind, sie für ein anderes Inertialsystem S' zu finden. Es handelt sich also um den Übergang von einem Koordinaten- system zu einem andern, und zwar einem relativ dazu bewegten. Wir müssen hier einige Bemerkungen über gleichberechtigte Koordinaten- systeme im allgemeinen und die Ge- setze der Umrechnung von einem auf das andere, die sogenannten Trans- formationsgleichungen ^ einschalten. Das Koordinatensystem ist in der Geometrie ein Mittel, relative Lagen eines Körpers gegen einen andern in bequemer Weise zu fixieren. Dazu denkt man sich das Koordinatensystem fest mit dem einen Körper ver- bunden; dann bestimmen die Koordinaten der Punkte des andern Körpers die relative Lage vollständig. Gleichgültig ist dabei natürlich, ob das Koordinatensystem rechtwinklig, schiefwinklig, polar oder noch allgemeiner gewählt wird ; gleich- gültig ist auch, wie es zu dem ersten Körper orientiert ist. Nur muß man entweder diese Orien- tierung festhalten, oder, wenn man sie wechselt, genau an- geben, wie man das Koordi- natensystem gegen den Körper verlagert. Wenn man z. B. in der Ebene mit rechtwinkligen Koordinaten operiert, so kann man statt des zuerst gewählten Systems S ein zweites S' wählen, das gegen S verschoben (Abb. 36) oder gedreht (Abb. 37) ist; man muß aber genau angeben, wie groß die Verschiebung und die Drehung ist. Aus diesen Angaben läßt sich dann berechnen, wie die Koordinaten eines, Punktes P, die im alten System S die Werte x, y hatten, im neuen System S' lauten; nennt man sie x'^ y\ so erhält man Formeln, die erlauben >X Abb. 37. 58 Das Newtonsche Weltsystem. x\ y aus x^ y zu berechnen. Wir wollen das für den allerem fachsten Fall ausführen, nämlich den, wo das System *S' aus S durch eine Parallel- verschiebung um den Betrag a in der .;i;-Richtung entsteht (Abb. 38); dann wird offenbar die neue Koordinate x eines Punktes P gleich seiner alten x^ vermindert um die Ver- \y Schiebung a^ während die y-Koor- dinate ungeändert bleibt. Es |y a gilt also (27) x -. X — a. y =y- y «= x Abb. 38. Ähnliche, nur kompliziertere Trans formationsform ein gelten für andere Fälle; wir werden später noch davon ausführlicher zu reden haben. Wichtig ist die Einsicht, daß jede Größe, die eine geo- metrische Bedeutung an sich hat, von der Wahl des Koordinaten- systems unabhängig sein und da- her in gleichartigen Koordinaten- systemen sich gleichartig ausdrücken muß. Man sagt, eine solche Größe sei invariant gegen die betreffende Koordinaten- Transformation. Be- trachten wir als Beispiel die eben erörterte Transformation (27), die eine Verschiebung längs der^-Achse ausdrückt; so ist klar, daß dabei der Unter- ky ky' Q X P X a l^~x' -xi X ^-JT >^2 Abb. 39. Abb. 40. schied der jc- Koordinaten zweier Punkte F und Q^ x^—^z-, sich nicht ändert; in der Tat ist (Abb. 39) x'^—x[ = (x^ — a) — (x^ — öt) = ^2 — ^i • Sind die beiden Koordinatensysteme S und S' gegeneinander ge- dreht, so ist der Abstand s eines Punktes F vom Nullpunkt eine In- Galilei-Transformationen. ^g Variante (Abb. 40). Er hat in beiden Systemen denselben Ausdruck, denn nach dem pythagoräischen Lehrsatze gilt 28) s = X -i-y = X -\-y . In dem allgemeineren Falle der gleichzeitigen Verschiebung und Dre- hung des Koordinatensystems wird der Abstand zweier Punkte jP, Q invariant sein. Die Invarianten sind dadurch besonders wichtig, daß sie geometrische Verhältnisse an sich darstellen, ohne Bezug auf die zufällige Wahl des Koordinatensystems. Sie werden im folgenden eine beträcht- liche Rolle spielen. Kehren wir nun von dieser geometrischen Abschweifung zu dem Aus- gangspunkte zurück, so haben wir die Frage zu beantworten, welches die Transformationsgesetze für den Übergang von einem Inertialsystem zu einem andern sind. Das Inertialsystem definierten wir als ein Koordinatensystem, in dem das Trägheitsgesetz gilt; wesentlich ist dabei nur der Bewegungszustand, nämlich das Fehlen von Beschleunigungen gegen den absoluten Raum, unwesentlich aber die Art und Lage des Koordinatensystems. Wählt man es, wie es am häufigsten geschieht, als rechtwinkliges, so bleibt noch immer dessen Lage frei; man kann ein verschobenes oder gedrehtes System nehmen, nur muß es denselben Bewegungszastand haben. Wir haben schon im Voraufgehenden immer dort, wo es nur auf den Bewegungszustand, nicht auf die Art und Lage des Koordinatensystems ankommt, von Bezugsystem gesprochen und werden diese Bezeichnung von jetzt an systematisch ver- wenden. Bewegt sich nun das Inertialsystem S' geradlinig gegen S mit der Geschwindigkeit v^ so können wir in beiden Bezugsystemen rechtwinklige Koordinaten so wählen, daß die Bewegungsrichtung die x- bzw. A:'-Achse wird. Ferner können wir annehmen, daß zur Zeit / = o die Nullpunkte beider Systeme zusammenfallen. Dann hat sich der Nullpunkt des S'- Systems in der Zeit / um a = vt in der :r-Richtung verschoben; in diesem Augenblick haben also die beiden Systeme genau die Lage, die oben rein geometrisch behandelt worden ist, es gelten also die Gleichungen (27), wobei a =^ vt zu setzen ist. Mithin erhält man die Transformations- gleichungen (29) x' =^ X — vt, y = _>', z = s, wobei die unveränderte s-Koordinate mit angeschrieben ist. Man nennt dieses Gesetz eine Galilei- Transformation zu Ehren des Begründers der Mechanik. Man kann nun das Relativitätsprinzip auch so aussprechen: Die Gesetze der Mechanik sind invariant gegen Galilei- Transformationen. Das kommt daher, daß die Beschleunigungen invariant sind, wie wir schon oben durch Betrachtung der Geschwindigkeitsänderung eines be- wegten Körpers relativ zu zwei Inertialsystemen eingesehen haben. 6o Das Newtonsche Weltsystem. Wir haben früher gezeigt, daß die Bewegungslehre oder Kinematik als Geometrie im vierdimensionalen xy z f-RsLume , der »Welt« Minkowskis, angesehen werden kann. Daher ist es nicht ohne Interesse, zu überlegen, was die Inertialsysteme und Galilei-Transformationen in dieser vierdimen- sionalen Geometrie bedeuten. Das ist durchaus nicht schwierig; denn die y- und s-Koordinate gehen in die Transformation gar nicht ein ; es genügt also in der ::t: /-Ebene zu operieren. Wir stellen ein Inertialsystem S durch ein rechtwinkliges ^/-Koordi- natensystem dar (Abb. 41). Einem zweiten Inertialsystem S' entspricht dann ein anderes Koordinatensystem x i\ und es fragt sich, wie dieses aussieht und wie es zu dem ersten liegt. Zunächst ist das Zeitmaß des zweiten Systems S' genau dasselbe wie das des ersten, nämlich die eine, absolute Zeit / = /'; also fällt die ::i;- Achse, auf welcher t = o ist, mit der ::t:' -Achse /' = o zusammen. Folglich kann das System S' nur ein schiefwinkliges Koordinatensystem sein. Die /'-Achse ist die Weltlinie des Punktes x = o, d. h. des Nullpunkts des Systems S'', die :\;-Koordi- nate dieses Punktes, der sich mit der Geschwindigkeit v relativ zum System S bewegt, ist in diesem System zur Zeit / gleich vf. Für irgendeinen Weltpunkt I* ergibt dann die Figur ohne weiteres die Formel der GaHlei-Transformation x' = X — vt Irgendeinem andern Inertial- systeme entspricht ein anderes, schiefwinkliges :v /-Koordinaten- system mit derselben ^-Achse, aber anders geneigter /-Achse. Das rechtwinklige System, von dem wir ausgingen, hat unter allen diesen schiefwinkligen keinerlei Vorzugs- stellung. Die Zeiteinheit wird auf allen /-Achsen der verschiedenen Koordinatensysteme durch dieselbe Parallele zur :j?- Achse abgeschnitten; das ist gewissermaßen die »Eichkurve« der :v /-Ebene bezüglich der Zeit. Wir fassen das Ergebnis zusammen: In der xt-Ebe7ie ist die Wahl der Richtung der t- Achse ganz willkür- lich. In jedem schiefwinkligen xt- Koordinatensystem mit derselben x- Achse gelten die mechanischen Grundgesetze. Vom geometrischen Standpunkte ist diese Mannigfaltigkeit gleichwertiger Koordinatensysteme höchst sonderbar und ungewohnt; insbesondere ist die feste Lage oder Invarianz der ^-Achse merkwürdig. Wenn man in der Geometrie mit schiefwinkligen Koordinaten operiert, liegt gewöhnlich kein Grund vor, die Lage der einen Achse festzuhalten. Das wird aber physikahsch durch den Newtonschen Grundsatz von der absoluten Zeit Abb. 41. Trägheitskräfte. 6 1 gefordert. Alle Ereignisse, die gleichzeitig, bei demselben Werte von /, stattfinden, werden durch eine Parallele zur ^- Achse dargestellt; da nach Newton die Zeit »absolut und ohne Bezug auf irgendwelche Gegenstände« abläuft, so müssen gleichzeitigen Ereignissen in allen zulässigen Koordi- natensystemen dieselben Weltpunkte entsprechen. Wir werden sehen, daß diese Unsymmetrie des Verhaltens der Welt- koordinaten X und /, hier nur als Schönheitsfehler gewertet, tatsächlich gar nicht vorhanden ist. Einstein hat sie durch seine Relativierung des Zeitbegriffs beseitigt. 8. Trägheitskräfte. Nachdem wir erkannt haben, daß den einzelnen Orten in Newtons absolutem Räume jedenfalls keine physikalische Realität zukommt, werden wir fragen, was dann überhaupt von diesem Begrifie übrig bleibt. Nun, er macht sich doch recht deutlich und kräftig bemerkbar , denn der Wider- stand aller Körper gegen Beschleunigungen muß im Sinne Newtons als Wirkung des absoluten Raumes gedeutet werden. Die Lokomotive, die den Zug in Bewegung setzt^ muß den Trägheitswiderstand überwinden; das Geschoß, das eine Mauer zertrümmert, schöpft aus der Trägheit seine zerstörende Kraft. Trägheitswirkungen entstehen, wo Beschleunigungen stattfinden, und diese sind nichts als Geschwindigkeitsänderungen im ab- soluten Räume; man kann hier dieses Wort gebrauchen, denn eine Ge- schwindigkeitsänderung hat in allen Inertialsystemen denselben Wert. Bezugsysteme, die selbst gegen die Inertialsysteme beschleunigt sind, sind also mit diesen und untereinander nicht gleichwertig; man kann natürlich auch die Gesetze der Mechanik auf sie beziehen, aber sie nehmen dann eine neue, verwickeitere Form an. Schon die Bahn eines sich selbst über- lassenen Körpers ist in einem beschleunigten Systeme nicht geradlinig und gleichförmig (s. III, i, S. 44); man kann das auch so ausdrücken, daß man sagt: in einem beschleunigten Systeme greifen außer den eigentlichen Kräften noch scheinbare Kräfte^ Trägheitskräfte ^ an; ein Körper, auf den keine wirklichen Kräfte wirken, unterliegt doch diesen Trägheitskräften, seine Bewegung ist daher im allgemeinen weder gleichförmig noch ge- radlinig. Ein solches beschleunigtes System ist z. B. ein Wagen während des Anfahrens oder Bremsens; ein jeder kennt von Eisenbahnfahrten den Ruck bei der Abfahrt oder Ankunft, dieser ist nichts als die Trägheits- kraft, von der wir eben gesprochen haben. Wir wollen die Erscheinungen im einzelnen für ein geradlinig bewegtes System S betrachten, dessen Beschleunigung konstant gleich k sein soll. Messen wir nun die Beschleunigung b eines Körpers gegen dieses bewegte System S^ so ist die Beschleunigung gegen den absoluten Raum offenbar um k größer; daher lautet das dynamische Grundgesetz, bezogen auf den Raum m[b-\-k)=K, 62 Das Newtonsche Weltsystem, Schreibt man dieses nun in der Form mb = K — mk , so kann man sagen, in dem beschleunigten Systeme S gilt wiederum ein Bewegungsgesetz der Newtonschen Form mb == ä", nur ist für die Kraft K' die Summe K'=K—mk zu setzen, wo K die wirkliche, — mk die scheinbare oder Trägheits- kraft ist. Wenn nun keine wirkliche Kraft da, also K=o ist, so wird die Gesamtkraft gleich der Trägheitskraft (30) K' = — mk. Diese greift also an einem sich selbst überlassenen Körper an. Man kann ihre Wirkung durch folgende Überlegung erkennen: Wir wissen, daß die irdische Schwerkraft, das Gewicht, durch die Formel G = mg bestimmt ist, wo g die konstante Schwerebeschleunigung ist. Die Träg- heitskraft K' = — mk wirkt also genau so, wie die Schwere; das Minus- zeichen bedeutet, daß die Kraft der Beschleunigung des zugrunde ge- legten Bezugsystems S entgegengerichtet ist, die Größe der scheinbaren Schwerebeschleunigung k ist gleich der Beschleunigung des Bezugsystems S. Die Bewegung eines sich selbst überlassenen Körpers im System S ist also einfach eine Fall- oder Wurfbewegung. Dieser Zusammenhang der Trägheitskräfte in beschleunigten Systemen und der Schwerkraft erscheint hier noch ganz zufällig; tatsächlich ist er auch zwei Jahrhunderte lang unbeachtet geblieben. Wir wollen aber schon hier sagen, daß er das Fundament der allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins bildet. 9. Die Fliehkräfte und der absolute Raum. In Newtons Auffassung beweist das Auftreten der Trägheitskräfte in beschleunigten Systemen die Existenz des absoluten Raumes, oder besser die bevorzugte Stellung der Inertialsysteme. Besonders deutlich treten die Trägheitskräfte in rotierenden Bezugsystemen in Erscheinung, in der Form der Flieh- oder Zentrifugalkräfte. Auf sie stützte Newton vor allem seine Lehre vom absoluten Räume; zitieren wir seine eigenen Worte: »Die wirkenden Ursachen, durch welche absolute und relative Be- wegung voneinander verschieden sind, sind die Fliehkräfte von der Achse der Bewegung (weg). Bei einer nur relativen Kreisbewegung existieren diese Kräfte nicht, aber sie sind kleiner oder größer, je nach Verhältnis der Größe der (absoluten) Bewegung.« »Man hänge z. B. ein Gefäß an einem sehr langen Faden auf, drehe denselben beständig im Kreise herum, bis der Faden durch die Drehung Die Fliehkräfte und der absolute Raum. 63 Q.^ sehr steif wird (Abb. 42); hierauf fülle man es mit Wasser und halte es zugleich mit letzterem in Ruhe. Wird es nun durch eine plötzlich wir- kende Kraft in entgegengesetzte Kreisbewegung gesetzt und hält diese, während der Faden sich löst, längere Zeit an, so wird die Oberfläche des Wassers anfangs eben sein, wie vor der Bewegung des Gefäßes, hierauf, wenn die Kraft allmählich auf das Wasser einwirkt, bewirkt das Gefäß, daß dieses (das Wasser) merklich sich mitzudrehen anfängt. Es entfernt sich nach und nach von der Mitte und steigt an den Wänden des Gefäßes in die Höhe, in dem es eine hohle Form an- nimmt. (Diesen Versuch habe ich selbst gemacht.)« » Im Anfang, als die relative Bewegung des Wassers im Gefäß (gegen die Wandung) am größten war, verur- sachte dieselbe kein Bestreben, sich von der Achse zu entfernen. Das Wasser suchte nicht, sich dem Umfange zu nähern, indem es an den Wänden empor- stieg, sondern blieb eben, und die zvahre kreisförmige Bewegung hatte daher noch nicht begonnen. Nachher aber, als die relative Bewegung des Wassers ab- nahm, deutete sein Aufsteigen an den Wänden des Gefäßes das Bestreben an, von der Achse zurückzuweichen, und dieses Bestreben zeigte die stets wachsende wahre Kreisbewegung des Wassers an, bis diese endlich am größten wurde, wenn das Wasser selbst relativ im Gefäße ruhte. < » — — Die wahren Bewegungen der einzelnen Körper zu erkennen und von den scheinbaren zu unterscheiden, ist übrigens sehr schwer, weil die Teile jenes unbeweglichen Raumes, in denen die Körper sich wahr- haft bewegen, nicht sinnlich erkannt werden können.« >Die Sache ist jedoch nicht gänzlich hoffnungslos. Es ergeben sich nämlich die erforderlichen Hilfsmittel teils aus den scheinbaren Bewe- gungen, welche die Unterschiede der wahren sind, teils aus den Kräften, welche den wahren Bewegungen als wirkende Ursachen zugrunde liegen. Werden z. B. zwei Kugeln in gegebener gegenseitiger Entfernung mittels eines Fadens verbunden und so um den gewöhnlichen Schwerpunkt ge- dreht (Abb. 43), so erkennt man aus der Spannung des Fadens das Streben Abb. 43. der Kugeln, sich von|der Achse der Bewegung zu entfernen, und kann daraus die Größe der kreisförmigen Bewegung erkennen. . . . Auf diese Weise könnte man sowohl die Größe als auch die Richtung ^dieser kreisförmigen Bewegung in jedem unend- 64 Das Newtonsche Weltsystem. lieh großen leeren Raum finden, wenn auch nichts Äußerliches und Erkennbares sich dort befände, womit die Kugeln verglichen werden könnten.« — Diese Worte bringen den Sinn des absoluten Raumes aufs deutlichste zum Ausdruck; wir haben ihnen nur wenige Erläuterungen hinzuzufügen. Was zunächst die quantitativen Verhältnisse bei den Fliehkräften an- langt, so können wir diese sofort übersehen, wenn wir uns an die Größe und Richtung der Beschleunigung bei Kreisbewegungen erinnern ; sie war nach dem Zentrum gerichtet und hatte nach der Formel (4), S. 22, den Betrag b = — , wo r den Kreisradius, v die Geschwindigkeit bedeuten. r Haben wir nun ein rotierendes Bezugsystem S, das sich in Z'sec einmal herumdreht, so ist die Geschwindigkeit eines im Abstände r von der Achse befindlichen Punktes [s. Formel (18), S. 47] 7.7tr T ' also ist die Beschleunigung nach der Achse hin, die wir mit k bezeichnen (s. S. 47): k = T Hat nun ein Körper relativ zu S die Beschleunigung b^ so ist seine absolute Beschleunigung b -\- k\ genau wie oben bei der geradlinigen, beschleunigten Bewegung ergibt sich dann die Existenz einer scheinbaren Kraft von der absoluten Größe (31) 471 r die von der Drehachse fortgerichtet ist. Das ist die Zentrifugalkraft, Es ist bekannt, daß unter den Be- weisen für die Erddrehung auch die Zentrifugalkraft eine Rolle spielt (Abb. 44). Sie treibt die Massen von der Rotationsachse fort und bewirkt da- durch erstens die Abplattung der Erde an den Polen, zweitens die Ab- nahme der Schwere vom Pol nach dem Äquator hin. Letztere Er- scheinung haben wir schon oben kennen gelernt, als von der Wahl der Krafteinheit die Rede war (II, 15, S. 41), ohne daß wir auf ihre Ursache eingegangen sind. Nach Newton ist sie ein Beweis für die Erdrotation; die nach außen ziehende Zentrifugalkraft wirkt der Schwere entgegen und verringert das Gewicht, und zwar hat die Abnahme der Schwerebeschleuni- ^TZ^a gung g am Äquator den Wert a wo a der Erdradius ist. Setzt man Die Fliehkräfte und der absolute Raum. 65 Abb. 45. hier für a den oben [III, 3, Formel (23), S. 49] angegebenen Wert a = 6,37 • 10^ cm und für die Rotationsdauer 2^= i Tag = 24 • 60 • 60 sec = 86 4oosec, so erhält man für den Unterschied der Schwerebeschleunigung am Pol und am Äquator den gegen 981 relativ kleinen Wert 3,37 cm/sec^; dieser ist übrigens noch wegen der Abplattung der Erde etwas zu ver- größern. Nach Newtons Lehre vom absoluten Räume sind diese Erscheinungen durchaus so aufzufassen, daß sie nicht auf der relativen Bewegung gegen andere Massen, etwa die Fixsterne, beruhen, sondern auf der absoluten Drehung gegen den leeren Raum. Würde die Erde ruhen, der ganze Fixstern- himmel aber im umgekehrten Sinne inner^ halb 24 Stunden um die Erdachse ro- tieren, so würden nach Newton die Zentrifugalkräfte nicht auftreten; die Erde wäre nicht abgeplattet und die Schwerkraft wäre am Äquator ebenso- groß wie am Pol. Der Anblick der Be- wegung des Himmels von der Erde aus wäre in beiden Fällen genau der gleiche ; und doch soll ein bestimmter, physika- lisch feststellbarer Unterschied zwischen ihnen besteben. Noch krasser tritt das vielleicht bei dem Foucaultschen Pendel- versuch (1850) hervor. Ein in einer Ebene schwingendes Pendel muß nach den Gesetzen der Newtonschen Dynamik seine Schwingungsebene im absoluten Räume dauernd beibehalten, wenn man alle ablenkenden Kräfte ausschließt. Hängt man das Pendel am Nordpol auf, so dreht sich die Erdkugel gewissermaßen unter ihm fort (Abb. 45); der Beobachter auf der Erde bemerkt also eine Drehung der Schwingungs- ebene im entgegengesetzten Sinne. Würde die Erde ruhen, aber das Fixsternsystem sich drehen, so dürfte nach Newton die Schwingungsebene des Pendels sich gegen die Erde nicht verlagern. Daß sie es tut, beweist also wieder die abso- lute Rotation der Erde. Wir wollen noch ein Beispiel betrachten, die Bewegung des Mondes um die Erde (Abb. 46). Nach Newton würde der Mond auf die Erde fallen, wenn er nicht eine absolute Rotation um diese hätte. Denken wir uns ein Koordinatensystem mit dem Erdmittelpunkte als Nullpunkt, dessen ^cjj' -Ebene die Mondbahn sei und dessen ;c-Achse dauernd durch den Mond gehe. Würde dieses System absolut ruhen, so würde auf den Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. c ^X Erde /» Mond Abb. 46. 66 Das Newtonsche Weltsystem. Mond nur die Gravitationskraft nach dem Erdmittelpunkte wirken, die nach Formel (26), S. 51, den Wert r hat; er würde also längs der ^- Achse auf die Erde stürzen. Daß er das nicht tut, beweist die absolute Rotation des Koordinatensystems xy ; denn diese erzeugt eine Zentrifugalkraft, die der Kraft K das Gleichgewicht hält, und es gilt mv^ , Mm r r Diese Formel ist natürlich nichts anderes als das dritte Keplersche Gesetz ; denn hebt man die Mondmasse m fort und drückt v durch die Um- 27tr laufszeit T aus, v = — .— , so erhält man oder nach (25), S. 50, 47r^r _ kM Ganz Entsprechendes gilt natürlich auch für die Drehung der Planeten um die Sonne. Diese und viele andere Beispiele zeigen, daß Newtons Lehre vom absoluten Räume sich auf sehr konkrete Tatsachen stützt. Gehen wir die Gedankenreihe noch einmal durch^ so sehen wir folgendes: Das Beispiel mit dem rotierenden Wasserglas zeigt, daß die relative Drehung des Wassers gegen das Glas an dem Auftreten der Fliehkräfte nicht schuld ist. Es könnte sein, daß größere umgebende Massen, etwa die ganze Erde, die Ursache sind. Die Abplattung der Erde, die Abnahme der Schwere am Äquator, der Foucaultsche Pendelversuch zeigen, daß die Ursache außerhalb der Erde zu suchen ist. Die Bahnen aller Monde und Planeten existieren aber ebenfalls nur auf Grund von Zentrifugalkräften, die der Gravitation das Gleichgewicht halten. Und schließlich bemerkt man dieselbe Erscheinung bei den fernsten Doppel Sternen, von denen das Licht Jahrtausende bis zu uns braucht. Es scheint also, als wenn das Auftreten der Fhehkräfte universell ist und nicht auf Wechselwirkungen beruhen kann. Darum bleibt nichts übrig, als den absoluten Raum als ihre Ursache anzunehmen. Solche Schlußweisen haben seit Newton allgemeine Geltung gehabt. Nur wenige Denker haben sich gegen sie gewehrt. Da ist vor allem und fast allein Ernst Mach zu nennen; dieser hat in seiner kritischen Dar- stellung der Mechanik die Newtonschen Begriffe zerlegt und auf ihre Er- kenntniskraft geprüft. Er geht davon aus, daß mechanische Erfahrung Die Fliehkräfte und der absolute Raum. 6? niemals etwas über den absoluten Raum lehren kann; feststellbar und darum physikalisch wirklich sind nur relative Orte, relative Bewegungen. Darum müssen Newtons Beweise für die Existenz des absoluten Raumes Scheinbeweise sein. In der Tat kommt alles darauf an, ob man zugibt, daß bei einer Drehung des ganzen Fixsternhimmels um die Erde keine Abplattung, keine Schwereverminderung am Äquator usw. eintreten würden. Mit Recht sagt Mach, daß solche Behauptungen weit über jede mögliche Erfahrung herausgehen; er macht es Newton sehr energisch zum Vorwurf, daß er hier seinem Prinzipe, nur Tatsachen gelten zu lassen, untreu ge- worden ist. Mach hat selbst versucht, die Mechanik von diesem groben Schönheitsfehler zu befreien. Er meinte, die Trägheitskräfte müßten als Wirkungen der gesamten Massen der Welt aufgefaßt werden, und entwarf die Skizze einer abgeänderten Dynamik, in der nur relative Größen auf- treten. Doch konnte sein Versuch nicht gelingen; einmal entging ihm die Bedeutung der Beziehung zwischen Trägheit und Gravitation, die in der Proportionalität von Gewicht und Masse zum Ausdruck kommt^ sodann fehlte ihm die Relativitätstheorie der optischen und elektromagnetischen Erscheinungen, durch die das Vorurteil der absoluten Zeit beseitigt wird. Beides ist zur Aufstellung der neuen Mechanik nötig gewesen, beides hat Einstein geleistet. 5* IV. Die Grundgesetze der Optik. I. Der Äther. Die Mechanik ist historisch und sachlich das Fundament der Physik; aber sie ist doch nur ein Teil, sogar ein kleiner Teil der Physik. Wir haben bisher nur mechanische Erfahrungen und Theorien zur Lösung des Problems von Raum und Zeit herangezogen; »jetzt müssen wir fragen, was die anderen Zweige der wissenschaftlichen Forschung darüber lehren. Da sind es vor allem die Gebiete der Optik, der Elektrizität und des Magnetismus, die in Beziehung zum Raumproblem stehen, und zwar des- wegen, weil das Licht und die elektrischen und magnetischen Kräfte den leeren Raum durchdringen. Luftleer gepumpte Gefäße sind auch bei höchstem Vakuum für Licht vollständig durchlässig; elektrische und magne- tische Kräfte wirken durch das Vakuum. Das Licht der Sonne und Sterne erreicht uns durch den leeren Weltenraum; die Zusammenhänge zwischen den Sonnenflecken und den irdischen Polarlichtern und magnetischen Stürmen zeigen ohne jede Theorie, daß auch die elektromagnetischen Wirkungen den Weltenraum überbrücken. Diese Tatsache, daß gewisse physikalische Vorgänge sich durch den Weltenraum fortpflanzen, hat früh zu der Hypothese geführt, daß der Raum gar nicht leer, sondern mit einem äußerst feinen, unwägbaren Stoffe, dem Äther^ erfüllt sei, der der Träger dieser Erscheinungen ist. Soweit man diesen Begriff" des Äthers heute noch gebraucht, versteht man darunter nichts anderes als den mit gewissen physikalischen Zuständen oder »Feldern« behafteten leeren Raum. Wollten wir uns gleich von vornherein auf eine solche abstrakte Begriffsbildung festlegen, so würde uns der größte Teil der Probleme unverständlich bleiben, die sich historisch an den Äther knüpfen. Dieser galt durchaus als wirklicher Stoff", nicht nur mit physi- kalischen Zuständen behaftet, sondern auch fähig, Bewegungen auszu- führen. Wir wollen nun die Entwicklung der Prinzipien erst der Optik, dann der Elektrodynamik darstellen; beides wird als Physik des Äthers zu- sammengefaßt. Damit entfernen wir uns zunächst ein wenig von dem Raum- und Zeitproblem, um es dann mit neuen Erfahrungen und Gesetzen wieder aufzunehmen. Emissions- und Undulationstheorie. 6q 2. Emissions- und Undulationstheorie. »Demnach sag' ich, es senden die Oberflächen der Körper Dünne Figuren von sich, die Ebenbilder der Dinge. es müssen die Bilder In unmerklicher Zeit unermeßliche Weiten ereilen. . . . Da wir jedoch allein mit dem Auge zu sehen vermögen, Kommt es, daß nur von da, wohin sich wendet das Auge, Da nur getroffen es wird von Gestalt und Farbe der Dinge. . . .« So ZU lesen in des Titus Lucretius Carus Lehrgedicht von der Natur der Dinge (4. Buch), jenem poetischen Leitfaden der epikureischen Philosophie, der im letzten Jahrhundert vor Christi Geburt geschrieben ist. Die zitierten Verse enthalten eine Art Emissionstheorie des Lichtes, die von dem Dichter mit reicher Phantasie, zugleich aber mit durchaus naturwissenschaftlicher Einstellung durchgeführt wird. Und doch können wir diese Lehre ebensowenig wie andere antike Spekulationen über das Licht als wissenschaftliche Theorie bezeichnen; es fehlt jeder Versuch einer quantitativen Bestimmung der Erscheinungen, des ersten Merkmals einer Objektivierung. Bei den Lichterscheinungen ist es wohl auch be- sonders schwer, die subjektive Lichtempfindung von dem physikalischen Vorgange zu trennen und sie meßbar zu machen. Die wissenschaftliche Optik kann man von dem Auftreten des Des- cartes an rechnen; seine Dioptrik (1638) enthält die Grundgesetze der Lichtfortpflanzung, das Spiegelungs- und das Brechungsgesetz; das erstere war schon im Altertum bekannt, das zweite kurz zuvor von Snellius (um 16 18) experimentell gefunden worden. Descartes entwickelte eine Vorstellung vom Äther als Träger des Lichtes, die ein Vorläufer der Un- dulationstheorie ist. Diese findet sich schon angedeutet bei Robert Hooke (1667), klar formuliert von Christian Huygens (1678); ihr etwas jüngerer großer Zeitgenosse Newton gilt als der Urheber der ent- gegengesetzten" Lehrmeinung, der Emissionstheorie. Ehe wir auf den Kampf dieser Theorien eingehen, wollen wir ihr Wesen in kurzen Zügen erläutern. Die Emissionstheorie behauptet, daß von den leuchtenden Körpern feine Teilchen ausgeschleudert werden, die nach den Gesetzen der Mechanik sich bewegen und, wenn sie das Auge treffen, die Lichtempfin- dungen auslösen. Die Undulationstheorie setzt die Lichtausbreitung in Analogie mit der Bewegung von Wellen auf einer Wasseroberfläche oder mit den Schall- wellen in der Luft. Sie muß dazu annehmen, daß ein alle durchsichtigen Körper durchdringendes Medium vorhanden ist, das Schwingungen aus- führen kann; das ist der Lichtäther. Die einzelnen Teilchen dieser Sub- stanz bewegen sich dabei nur pendelnd um ihre Gleichgewichtslagen ; das, was als Lichtwelle forteilt, ist der Bewegungszustand der Teilchen, nicht diese selbst. Die Zeichnung (Abb. 47) zeigt diesen Vorgang an einer Reihe von Punkten, die auf und ab schwingen können; jedes der untereinander 70 Die Grundgesetze der Optik. gezeichneten Bilder entspricht einem Zeitmoment, etwa /=o, i, 2, 3,... Jeder einzelne Punkt vollführt eine vertikale Schwingungsbewegung; alle Punkte zusammen bieten den t=0 t--1 t--2 t=3 --0- ^ ^ -^ )^ -^ A X -^ ■^ 0 ^ 0 >0^ -i^ ■^ -^ ,-0-^ A ^ -0^ -^ -V ;3' /f--^' 't ;/ Abb. 47. Anblick einer Welle, die von Moment zu Moment nach rechts vorrückt. Es gibt nun einen gewich- tigen Grund, der gegen die Wellentheorie spricht. Man weiß, daß Wellen um Hinder- nisse herumlaufen; an jeder Wasseroberfläche kann man das sehen, aber auch der Schall geht »um die Ecke«. Dagegen breitet sich ein Licht- strahl geradlinig aus ; stellt man einen scharfkantigen, undurch- sichtigen Körper in seinen Weg, so erhält man einen scharfbegrenzten Schatten. Diese Tatsache hat Newton veranlaßt, die Wellentheorie abzulehnen. Er hat sich selbst nicht klar für eine bestimmte Hypothese entschieden und nur festgestellt, daß das Licht etwas ist, das sich mit bestimmter Ge- schwindigkeit »wie ausgeschleuderte Körperchen« von dem leuchtenden Körper fortbewege. Seine Nachfolger aber haben seine Meinung zugunsten der Emissionstheorie gedeutet und die Autorität seines Namens hat dieser für ein volles Jahrhundert zur Herrschaft verholfen. Dabei war zu seiner Zeit, von Grimaldi (posthum publiziert 1665), bereits entdeckt worden, daß auch das Licht »um die Ecke« gehen kann; man sieht an scharfen Schatten- grenzen eine schwache, streifenförmige Erhellung des Schattenraumes, eine Erscheinung, die man Beugimg oder Diffraktion des Lichtes nennt. Diese Entdeckung war es besonders, die Huygens zum eifrigen Vorkämpfer der Wellentheorie machte; als erstes und wichtigstes Argument für diese sah er die Tatsache an, daß zwei Lichtstrahlen einander durchkreuzen, ohne sich zu beeinflussen, genau wie zwei Wasserwellenzüge, während Bündel aus- geschleuderter Partikel zusammenprallen oder wenigstens sich stören müßten. Huygens gelang die Erklärung der Spiegelung und Brechung des Lichtes auf Grund der Wellen theorie; dazu diente ihm das jetzt nach ihm benannte Prinzip, wonach jeder von einer Lichterregung getroffene Punkt wieder als Quelle einer kugelförmigen Lichtwelle anzusehen ist. Hierbei ergab sich nun ein prinzipieller Unterschied zwischen der Emis- sions- und der Undulationstheorie, der später die endgültige experimentelle Entscheidung zugunsten der letzteren herbeiführte. Bekanntlich wird ein Lichtstrahl, der aus Luft kommend die ebene Grenzfläche eines dichteren Körpers, wie Glas oder Wasser, trifft, so ge- Emissions- und Undulationstheorie, 71 brochen, daß er in diesem Körper steiler zur Grenzfläche verläuft (Abb. 48). Die Emissionstheorie erklärt das durch die Annahme, daß die Licht- partikel im Augenblick des Eindringens von dem dichteren Medium eine An- ziehung erfahren; sie werden also an der Grenzfläche senkrecht zu dieser stoß- artig beschleunigt und dadurch nach innen abgelenkt. Daraus folgt, daß sie im dichteren Medium sich schneller be- wegen müssen als im dünneren. Die Huygenssche Konstruktion nach der Wellentheorie beruht genau auf der um- gekehrten Annahme (Abb. 49). Die Licht- welle erzeugt beim Auftrefi'en auf die Grenzfläche in jedem ihrer Punkte Ele- mentarwellen; breiten sich diese im Abb. 48. zweiten, dichteren Medium langsamer aus, so ist die Ebene, die alle diese Kugelwellen berührt und nach Huygens die gebrochene Welle darstellt, im richtigen Sinne abgelenkt. Huygens deutete auch die durch Erasmus Bar- tholinus (1669) entdeckte Doppelbrechung des Islän- dischen Kalkspats auf Grund der Wellen theorie durch die Annahme, daß das Licht in dem Kristall sich mit zwei verschiedenen Geschwin- digkeiten ausbreiten könne, derart, daß die eine Ele- mentarwelle eine Kugel, die andere ein Sphäroid sei. Er entdeckte die merkwürdige Erscheinung, daß die bei- den aus einem Kalkspatstück austretenden Lichtstrahlen sich gegenüber einem zweiten Kalkspatstück durchaus anders verhalten als ge- wöhnliches Licht; wenn man den zweiten Kristall um einen Strahl, der aus dem ersten austritt, dreht, so entstehen aus ihm je nach der Stellung zwei Strahlen von wech- selnder Stärke, von denen der eine oder der andere auch ganz verschwinden kann (Abb. 50). Newton bemerkte (17 17), daß hieraus zu schließen ist, daß ein Lichtstrahl seiner Abb. 50. 72 Die Grundgesetze der Optik. Symmetrie nach nicht einem Prisma mit kreisrundem, sondern mit quadra- tischem Querschnitte entspricht; er deutete diese Tatsache zu Ungunsten der Wellentheorie, denn man dachte damals in Analogie zu den Schall- wellen immer nur an Verdichtungs- und Verdünnungswellen, bei denen die Ungestörte Punktreihe. 26 2k 20 18 16 % 12 hio 8 6 k 2 Longitudinal schwingende Punktreihe in aufeinander folgenden Zeifmomenten • • « • • • • •«•••••• * • '•. ')* > • * • • • • »' # • * * .-*' .-* Pf * * * *' *. '*. \ *■ * * • • .«' .•' lü' •' • ^ • • '• '': '• « •. •. '• • * • # • « .« (• • '• '• '• '• • • • « « •' • * • 0 1 2 3 k 5 6 7 8 9 10 11 12 13 1k IS Entfernung Abb. 51. Teilchen in der Fortpflanzungsrichtung der Welle, »longitudinal«, pendeln (Abb. 51), und es ist klar, daß diese rotatorische Symmetrie um die Rich- tung der Fortpflanzung haben müsse. 3. Die Lichtgeschwindigkeit. Unabhängig von dem Streite der beiden Hypothesen über die Natur des Lichtes erfolgten die ersten Bestimmungen seiner wichtigsten Eigen- schaft, die der Mittelpunkt unserer folgenden Betrachtungen sein wird, nämlich der Lichtgeschwindigkeit. Daß diese ungeheuer groß sei, ging aus allen Erfahrungen über Lichtausbreitung hervor; Galilei (1607) hatte sie mit Hilfe von Laternensignalen zu messen versucht, aber ohne Erfolg, denn irdische Entfernungen durcheilt das Licht in außerordentlich kurzen Zeiten. Daher gelang die Messung erst durch Benutzung der ungeheuren Distanzen zwischen den Himmelskörpern im Weltenraume. Die Lichtgeschwindigkeit. 73 Olaf Römer bemerkte (1676), daß die regelmäßigen Verfinsterungen der Jupitermonde sich verfrühen oder verspäten, je nachdem die Erde dem Jupiter näher oder ferner ist (Abb. 52); er deutete diese Erscheinung durch den Zeitunterschied, den das Licht zur Durchlaufung der ver- schieden langen Wege braucht, und berechnete die Lichtgeschwindigkeit. Wir werden diese immer mit c bezeichnen ; ihr genauer Wert, dem Römer bereits sehr nahe kam, ist (32) c = 300000 km/sec = 3 • io^° cm/sec. Eine andere Wirkung der endlichen Lichtgeschwindigkeit entdeckte James Bradley (1727), nämlich daß alle Fixsterne eine gemeinsame Jupiter- bahn Erde Wchatfen 'Jupitermond Abb. 52. Abb. 53. jährliche Bewegung auszuführen scheinen, die offenbar ein Gegenbild des Umlaufs der Erde um die Sonne ist. Das Zustandekommen dieser Wir- kung ist vom Standpunkte der Emissionstheorie sehr einfach zu ver- stehen; wir wollen diese Deutung hier mitteilen, müssen aber dabei an- merken, daß gerade diese Erscheinung für die Wellentheorie Schwierig- keiten verursacht, von denen wir noch viel zu sprechen haben werden. Wir wissen (s. III, 7, S. 56), daß eine Bewegung, die in einem Bezug- system S geradlinig und gleichförmig ist, es auch in einem andern S' ist, wenn dieses eine Translationsbewegung gegen S ausführt; aber Größe und Richtung der Geschwindigkeit sind in beiden Systemen anders. Daraus folgt, daß ein Strom von Lichtpartikeln, der von einem Fixstern kommend die bewegte Erde trifft, aus einer andern Richtung zu kommen scheint. Wir wollen diese Ablenkung oder Aberration für den Fall, daß das Licht senkrecht zur Bewegung der Erde auftrifft, besonders betrachten (Abb. 53). Wenn eine Lichtpartikel das Objektiv eines Fernrohrs trifft, möge dieses in der Stellung i sein; während nun das Licht die Länge / des Fern- rohrs durcheilt, verschiebt sich die Erde mit dem Fernrohr in die 74 Die Grundgesetze der Optik. Stellung 2 um ein Stück d\ der Strahl trifft also nur dann die Mitte des Okulars, wenn er nicht aus der Richtung der Fernrohrachse, sondern aus einer etwas gegen die Erdbewegung zurückliegenden Richtung kommt. Die Visierrichtung zeigt daher nicht auf den wahren Ort des Sternes, sondern auf einen nach vorn verschobenen Ort des Himmels. Der Ab- lenkungswinkel ist durch das Verhältnis d\ l bestimmt und ofienbar von der Fernrohrlänge / unabhängig ; denn vergrößert man diese, so vergrößert sich auch die Zeit, die das Licht zum Durchlaufen braucht, und damit auch die Verschiebung d der Erde im selben Verhältnisse. Die beiden, in gleichen Zeiten vom Licht und von der Erde durchlaufenen Wege / und d müssen sich wie die entsprechenden Geschwindigkeiten ver- halten : d V T ^ ~7 ' Dieses Verhältnis, auch Aberrationskonstmite genannt, wollen wir in Zukunft immer mit ß bezeichnen: (33) ß^~- Es hat einen sehr kleinen Zahlenwert, denn die Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn um die Sonne beträgt ungefähr z/ = 30 km/sec, während, wie wir schon sagten, die Lichtgeschwindigkeit ^= 300000 km/sec ist; daher ist />* von der Größenordnung i : 10 000. Die scheinbaren Örter aller Fixsterne hegen also immer etwas in der Richtung der momentanen Erdbewegung verschoben und beschreiben daher während des jährlichen Umlaufs der Erde um die Sonne eine kleine elliptische Figur. Durch Ausmessen dieser kann man das Verhältnis ß finden, und da die Geschwindigkeit v der Erde in ihrer Bahn aus astrono- mischen Daten bekannt ist, läßt sich daraus die Lichtgeschwindigkeit c bestimmen. Das Resultat ist in guter Übereinstimmung mit der Römer- schen Messung. Wir greifen jetzt der geschichtlichen Entwicklung vor und berichten von den irdischen Messungen der Lichtgeschwindigkeit. Hierzu gehört grundsätzlich nichts als ein technisches Verfahren, die außerordentlich kurzen Zeiten, die das Licht zum Durchlaufen irdischer Entfernungen von wenigen Kilometern oder gar Metern braucht, sicher zu messen. Nach zwei verschiedenen Methoden haben Fizeau (1849) "^^ Foucault (1865) diese Messungen ausgeführt und den mit astronomischen Ver- fahren gefundenen Zahlenwert von c bestätigt. Die Einzelheiten der Ver- fahren brauchen hier nicht erörtert zu werden, zumal sie in jedem elementaren Lehrbuche der Physik zu finden sind : nur auf eines ist auf- merksam zu machen: Bei beiden Verfahren wird der Lichtstrahl von der Quelle Q nach einem entfernten Spiegel S geworfen, dort wird er reflektiert und kehrt zum Ausgangspunkt zurück (Abb. 54). Er durchläuft also denselben Weg zweimal, und gemessen wird darum nur die mittlere Grundbegriffe der Wellenlehre. Interferenz. 75 Geschwindigkeit auf dem Hin- und Rückwege. Das hat eine für unsere folgenden Überlegungen wichtige Konsequenz: Gesetzt, die Geschwindig- keit des Lichtes sei in beiden Richtungen nicht gleich, darum, ^^ weil die Erde sich selbst bewegt — wir gehen darauf später (IV, 9, S. 102) näher ein — , so wird sich dieser Einfluß beim Hin- und Hergange ganz oder fast ganz wegheben. Abb. 54. Daher braucht man mit Rücksicht auf die Klein- heit der Geschwindigkeit der Erde gegen die des Lichtes bei diesen Messungen auf die Erdbewegung praktisch keine Rücksicht zu nehmen. Die Messungen der Lichtgeschwindigkeit sind später mit größeren Hilfsmitteln wiederholt worden und haben eine beträchtliche Genauigkeit erreicht; sie können heute in einem Zimmer von mäßiger Länge aus- geführt werden. Das Resultat ist der oben angegebene Wert (32). Mit der Methode von Foucault konnte auch die Geschwindigkeit des Lichtes in Wasser gemessen werden; sie fand sich kleiner als die in Luft. Damit wurde eine der wichtigsten Streitfragen zwischen Emissions- und Undu- lationstheorie endgültig zugunsten der letzteren entschieden, allerdings zu einer Zeit, wo der Sieg der Wellenlehre ohnedies schon lange ge- sichert war. 4. Grundbegriffe der W^ellenlehre. Interferenz. Newtons größte optische Leistung ist die Zerlegung des weißen Lichtes in seine farbigen Bestandteile mit Hilfe eines Prismas und die exakte Untersuchung des Spektrums, die ihn zu der Überzeugung führte, daß die einzelnen Spektralfarben die unzerlegbaren Bestandteile des Lichtes seien. Er ist der Begründer der Farbenlehre, deren physikalischer Gehalt noch heute — trotz Goethes Angriffen — vollständig in Geltung ist. Die Wucht der Entdeckungen Newtons lähmte den freien Blick der folgenden Generationen. Seine Ablehnung der Wellentheorie versperrte dieser fast 100 Jahre den Weg. Doch fand sie immer vereinzelte An- hänger, so im 18. Jahrhundert vor allem in dem großen Mathematiker Leonhard Euler. Die Wiederbelebung der Wellentheorie ist den Arbeiten von Thomas Young (1802) zu danken, der das Prinzip der Interferenz zur Erklärung der farbigen Ringe und Streifen heranzog, die schon Newton an dünnen Schichten durchsichtiger Substanzen beobachtet hatte. Wir wollen uns an dieser Stelle mit dem Vorgange der Interferenz etwas näher beschäf- tigen, weil dieser bei allen feineren optischen Messungen, insbesondere bei den Untersuchungen, die die Grundlage der Relativitätstheorie bilden, eine entscheidende Rolle spielt. 76 Die Grundgesetze der Optik. Wir haben oben das Wesen der Welle erklärt; es besteht darin, daß die einzelnen Teilchen eines Körpers um ihre Gleichgewichtslagen perio- dische Schwingungen ausführen, wobei die augenblickliche Lage oder Bewegungsphase benachbarter Teilchen verschieden ist und mit konstanter Geschwindigkeit vorwärts rückt. Die Zeit, die ein bestimmtes Teilchen zu einer Hin- und Herschwingung gebraucht^ heißt Schwingungsdauer oder Periode und wird mit 7 bezeichnet; die Anzahl der Schwingutigen in einer Sekunde oder Frequenz bezeichnen wir mit v. Da die Dauer einer Schwingung multipliziert mit ihrer Anzahl pro Sekunde gerade eine volle Sekunde geben muß, so muß vT^=^\ sein, also (34) r = -TZ, oder T ^^ — T V Abb. 55. Anstatt Schwingungszahl sagt man oft auch »Farbe«, weil eine Lichtwelle von bestimmter Schwin- gungszahl eine bestimmte Farben- empfindung im Auge auslöst. Auf die verwickelte Frage, wie die große Mannigfaltigkeit der psycho- logischen Farbeneindrücke durch das Zusammenwirken einfacher periodischer Schwingungen oder »physikalischer Farben« zustande kommt, gehen wir nicht ein. Die Wellen, die von einer kleinen Lichtquelle ausgehen, haben die Form von Kugeln ; das bedeutet, alle Teilchen auf einer Kugel um die Quelle befinden sich stets in gleichem Schwingungszustande oder in gleicher »Phase« (Abb. 55). Durch Brechung oder andere Beeinflussung kann ein Teil einer solchen Kugelwelle deformiert werden, so daß die Flächen gleicher Phase oder Wellenflächen ir- gendeine andere Form haben. Die einfachste Wellenfläche ist ofienbar die Ebene, und es ist klar, daß ein hinreichend kleines Stück einer beliebigen Abb. 56. Wellenfläche, auch einer Kugel- welle, immer näherungsweise als eben angesehen werden kann. Wir betrachten daher hauptsächlich die Fortpflanzung ebener Wellen (Abb. 56). Die auf den Wellenebenen senkrechte Richtung, die Wellennormale, ist zugleich die Fortpflanzungs- Grundbegriffe der Wellenlehre. Interferenz. nn richtung; es genügt offenbar, den Schwingungszustand längs einer dieser Richtung parallelen Geraden zu betrachten. Ob die Schwingung des einzelnen Teilchens parallel oder senkrecht zur Fortpflanzungsrichtung, longitudinal oder transversal, erfolgt, lassen wir hier noch ganz offen. In den Figuren zeichnen wir immer Wellen- linien und nennen entsprechend die Stellen stärkster Ausschläge . nach oben und unten Wellenberge und Wellentäler. Der Abstand von einem Wellenberge zum nächsten heißt Wellenlänge und wird mit k bezeichnet. Genau ebenso groß ist offenbar der Ab- stand zweier aufeinander folgender Wellentäler oder irgend zweier benach- barter Ebenen gleicher Phase. Während einer Hin- und Herschwingung eines bestimmten Teilchens, deren Dauer T ist, rückt die ganze Welle gerade um eine Wellenlänge A vorwärts (Abb. 47, S. 70). Da nun für jede Bewegung die Geschwindigkeit gleich dem Verhältnis des zurückgelegten Weges zu der dazu gebrauchten Zeit ist, so ist die Wellengeschwindigkeit c gleich dem Verhältnis von Wellenlänge zur Schwingungsdauer: (35) ^ ~ Y °^^^ ^ "^ ^^' Wenn eine Welle von einem Medium ins andere, etwa von Luft in Glas, tritt, so wird natürlich der zeitliche Rhythmus der Schwingungen durch die Grenze hindurch übertragen; es bleibt also T (oder v) dasselbe. Da- gegen ändert sich die Geschwindigkeit c und daher wegen der Formel (35) auch die Wellenlänge X. Alle Methoden, 1 zu messen, können also zum Vergleich der Lichtgeschwindigkeiten in verschiedenen Substanzen oder unter verschiedenen Umständen dienen. Hiervon werden wir später viel Ge- brauch machen. Wir können jetzt das Wesen der Interferenzerscheinungen verstehen, deren Entdeckung der Wellentheorie zum Siege verholfen hat. Die Inter- ferenz kann man mit paradox klingenden Worten so beschreiben: Licht zu Licht gefügt gibt nicht notwendig verstärktes Licht, sondern kann sich auch auslöschen. Der Grund hierfür ist der, daß nach der Wellentheorie das Licht kein Strom materieller Partikeln, sondern ein Bewegungszustand ist; zwei aufeinander treffende Bewegungsimpulse können aber die Bewegung ver- nichten, gerade so wie zwei Menschen, die Entgegengesetzes wollen, sich hindern und nichts zustande bringen. Wir denken uns zwei Wellenzüge, die einander durchkreuzen. Man kann diesen Vorgang schön beobachten, wenn man von Bergeshöhe auf einen See blickt, auf dem die von zwei Schiffen erregten Wellen sich begegnen (Abb. 57). Diese beiden Wellen- systeme dringen durcheinander hindurch, ohne sich zu stören; in dem Gebiete, wo sie beide zugleich existieren, entsteht eine komplizierte Be- wegung, sobald aber die eine Welle durch die andere hindurchgegangen ist, läuft sie weiter, als wäre ihr nichts passiert. Faßt man die Bewegung 78 Die Grundgesetze der Optik. eines schwingenden Teilchens ins Auge, so erfährt dieses von beiden Wellen unabhängige Bewegungsantriebe; sein Ausschlag ist daher in jedem Augenblicke einfach die Summe der Ausschläge, die es unter dem Ein- fluß der einzelnen Wellen haben würde. Man sagt, zwei Wellenbe- wegungen superponieren sich ungestört. Daraus folgt, daß dort, wo bei der Abb. 58. Abb. 57. Abb. 59. Begegnung zweier gleicher Wellen Wellenberg auf Wellenberg und Wellental auf Wellental trifft, eine Verdoppelung der Erhebungen und Vertiefungen eintritt (Abb. 58); wo aber Wellenberg auf Wellental trifft, zerstören sich die Impulse und es entsteht überhaupt kein Ausschlag (Abb. 59). Will man Lichtinterferenzen beobachten, so darf man nicht einfach zwei Lichtquellen nehmen und die von ihnen ausgehenden Wellenzüge sich durchdringen lassen; dabei entsteht keine beobachtbare Interferenz- erscheinung, weil die wirklichen Lichtwellen keine absolut regelmäßigen Wellen sind. Vielmehr wechselt der Schwingungszustand nach einer Reihe regelmäßiger Schwingungen plötzHch in zufälliger Weise, entsprechend den zufälligen Vorgängen bei der Lichtaussendung in der Lichtquelle; diese regellosen Wechsel bewirken ein entsprechendes Schwanken der Interferenz- erscheinungen, das viel zu schnell erfolgt, als daß das Auge ihm folgen könnte, und so sieht dieses nur gleichmäßiges Licht. Man muß, um beobachtbare Interferenzen zu erhalten, einen Licht- strahl auf künstlichem Wege, durch Spiegelung und Brechung, in zwei Strahlen zerlegen und diese nachher wieder zur Begegnung bringen; dann erfolgen die Unregelmäßigkeiten der Schwingungen in beiden Strahlen genau im gleichen zeitlichen Rhythmus, und daraus folgt, daß die Inter- ferenzerscheinungen räumlich nicht schwanken, sondern fest stehen; wo die Wellen in einem Momente sich verstärken oder auslöschen, tun sie es zu jeder Zeit. Bringt man das Auge, bewaffnet mit Lupe oder Fern- rohr, an eine solche Stelle, so sieht man bei Benutzung von einfarbigem Lichte, wie es etwa von einer mit Kochsalz gelb gefärbten Bunsenflamme ausgeht, helle und dunkle Flecke, Streifen oder Ringe. Bei gewöhnlichem Lichte, das aus vielen Farben zusammengesetzt ist, fallen die den ver- schiedenen Wellenlängen entsprechenden Interferenzflecke nicht genau auf- GrundbesfrifFe der Wellenlehre. Interferenz. 79 einander; an einer Steile ist vielleicht Rot verstärkt, Blau ausgelöscht, an anderen Stellen ist es anders, und so entstehen Flecken und Streifen nait wunderbaren Farbenerscheinungen. Doch würde es uns vom Wege ab- führen, diese interessanten Phänomene weiter zu verfolgen. Die einfachsten Anordnungen zur Herstellung von Interferenzen hat Fresnel {1822) angegeben, ein Forscher, dessen Arbeiten die Grundlage für die Theorie des Lichtes geliefert haben, wie sie bis in unsere Tage unange- fochten gegolten hat. Wir werden seinem Namen noch öfters begegnen. Jene Zeit der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts muß in mancher Hinsicht unserer Epoche ähnlich gewesen sein. Wie heute durch die Entdeckung der Radioaktivität und der damit verwandten Strahlungsvor- gänge, durch die Aufstellung der Relativitätstheorie und der Quantenlehre eine ungeheure Vertiefung und Verbreiterung unserer Naturerkenntnis im Werden ist, die dem außen Stehenden als vollständiger Umsturz aller Be- griffe erscheint, so wuchsen vor 100 Jahren die Tausende von einzelnen Beobachtungen, theoretischen Versuchen, physischen oder metaphysischen Spekulationen zum ersten Male zu geschlossenen, einheitlichen Vorstel- lungen und Theorien zusammen, deren Anwendung sogleich eine ungeahnte Fülle neuer Beobachtungen und Experimente anregte. Damals waren La- granges analytische ^Mechanik, Laplaces Mechanik des Himmels ent- standen, jene beiden Werke, die Newtons Ideen zum Abschlüsse brachten; daraus entwickelte sich einerseits in den Händen von Nävi er, Poisson, Cauchy, Green die Mechanik der deformierbaren Körper, die Theorie der Flüssigkeiten und elastischen Substanzen, andererseits durch die Arbeiten von Young, Fresnel, Arago, Malus, Brewster die Theorie des Lichtes. Zugleich begann die Ära der elektromagnetischen Entdeckungen, von der später die Rede sein wird. Damals war die physikahsche Forschung fast ausschließlich in den Händen der Franzosen, Engländer, Italiener. Heute sind alle Kulturnationen an dem Werke beteiligt, und die Urheber der großen, umstürzenden Theorien der S^ Relativität und der Quanten, Einstein und Planck, sind Deutsche. Fresnel läßt einen Lichtstrahl an zwei schwach gegeneinander geneigten Spiegeln S^ und S^ (Abb. 60) reflektieren; die beiden reflektierten Strahlen liefern da, wo sie sich begegnen, Interferenzstreifen, die man mit einer Lupe sehen kann. Ähnliche Vorrichtungen sind in großer Anzahl angegeben worden. Wir wollen hier nur auf ein Anwendungsgebiet eingehen, das für unsere Absicht von Wichtigkeit ist, nämlich experimentelle Methoden, um winzige Änderungen der Lichtgeschwindigkeit zu messen. Solche Apparate heißen Interfero- meter\ sie beruhen darauf, daß mit der Lichtgeschwindigkeit die Wellen- länge sich ändert und dadurch die Interferenzen verschoben werden. Ein Abb. 60. 8o Die Grundgesetze der Optik. Apparat dieser Art ist das Interferometer von Michelson , dem Physiker der Universität Chicago. Es besteht in der Hauptsache (Abb. 6i) aus einer Glasplatte P^ die halb durchlässig versilbert ist, so daß sie die Hälfte des von der Lichtquelle Q kommen- den Strahls durchläßt, die andere Hälfte reflektiert; diese beiden Teil- strahlen laufen nach zwei Spiegeln S^ und »S2, werden dort zurückgeworfen und treffen wieder die halbdurch- lässige Glasplatte P^ die sie nochmals teilt und je einen halben Strahl in das Beobachtungsfernrohr F schickt. Sind die beiden Weglängen PS^ und PS^ genau gleich, so kommen die beiden Teilstrahlen im Fernrohr mit derselben Schwingungsphase an und setzen sich wieder zum ursprüngHchen Lichte zusammen ; verlängert man aber durch Verschieben des Spiegels S^ den Weg des ersten Teilstrahls, so fallen bei der Vereinigung der Strahlen in F die Wellenzüge nicht mehr mit Berg auf Berg, Tal auf Tal aufeinander, sondern sind gegeneinander ver- schoben und schwächen sich mehr oder weniger. Wenn man den Spiegel S^ langsam bewegt, sieht man also im Fernrohr F abwechselnd Helligkeiten und Dunkelheiten; der Abstand der Stellungen von S^ für zwei aufeinan- der folgende Dunkelheiten ist genau gleich der Wellenlänge des Lichtes. Michelson hat auf diese Weise Messungen der Wellenlänge gemacht, die an Genauigkeit fast alle anderen physikalischen Messungen übertreffen. Das gelingt dadurch, daß man die Wechsel der Helligkeiten und Dunkel- heiten bei einer beträchtlichen Verschiebung des Spiegels S^ zählt, welche viele tausend Wellenlängen umfaßt; der Beobachtungsfehler einer einzelnen Wellenlänge wird dann um ebensoviel tausendmal kleiner. Es ist hier der Ort, einige Zahlenangaben zu machen ; man findet auf dem geschilderten Wege, daß die Wellenlänge des gelben Lichtes, das von einer mit Kochsalz (Natriumchlorid) gelb gefärbten Bunsenflamme ausgeht und dessen Quelle die Natriumatome sind, im Vakuum etwa Q mm = 6 • io~"^cm ist; alles sichtbare Licht liegt in dem kleinen Wellenlängenbereiche von etwa 4 • io~^ (Violett) bis 8 • 10:;^ cm (Rot). Dieser umfaßt also in der Sprache der Akustik eine Oktave, d. h. den Bereich von einer Welle bis zur doppelt so langen. Aus der Formel (35) folgt dann für die Schwingungszahl des gelben Natriumlichtes der unge- heure Betrag von v = 10 .— 5 5 • 10^'^ oder 500 Billionen X 6 • IG" Schwingungen pro sec. Die raschesten Schallschwingungen, die noch hörbar sind, schwingen nur etwa 50 000 mal in der Sekunde. Polarisation und Transversalität der Lichtwellen. 8l Auf der bei interferometrischen Messungen angewandten Multiplikation der einzelnen Wellenlänge beruht die erstaunliche Genauigkeit der opti- schen Meßmethoden. Man kann damit z. B. feststellen, daß die Licht- geschwindigkeit in einem Gase bei einer winzigen Druck- oder Tempe- raturänderung (etwa bei Berühren des Apparates mit der Hand) ebenfalls variiert; dazu bringt man das Gas in einem Rohre zwischen die Glas- platte P und den Spiegel S^^ dann sieht man schon bei den kleinsten Druckerhöhungen die Interferenzen sich ändern, Helligkeiten mit Dunkel- heiten sich ablösen. Übrigens müssen wir noch anmerken, daß man in dem Interferometer gewöhnlich nicht einfach ein helles oder dunkles Gesichtsfeld sieht, son- dern ein System heller und dunkler Ringe. Das kommt daher, daß die beiden Strahlen nicht genau parallel, die Wellen nicht genau eben sind; die einzelnen Teile der beiden Strahlen haben also etwas verschieden lange Wege zurückzulegen. Wir wollen aber auf die geometrischen Einzel- heiten nicht eingehen, sondern erwähnen diesen Umstand nur, weil man von Interferenzstreifen oder -fransen zu sprechen pflegt. Wir werden dem Michelsonschen Interferometer wieder begegnen, wenn es sich um die Entscheidung der Frage handeln wird, ob die Erd- bewegung die Lichtgeschwindigkeit beeinflußt. 5. Polarisation und Transversalität der Lichtwellen. Obwohl die Interferenzerscheinungen kaum eine andere Deutung als die der Wellentheorie zulassen, so standen deren allgemeiner Anerkennung noch zwei Schwierigkeiten im Wege, die, wie wir oben sahen, von Newton als entscheidend angesehen wurden: Erstens die in der Hauptsache (d. h. bis auf die geringfügigen Beugungserscheinungen) geradlinige Ausbreitung des Lichtes, zweitens die Erklärung der Polarisationserscheinungen. Der erste Punkt erledigte sich bei der genaueren Ausarbeitung der Wellen- lehre von selbst; es zeigte sich nämlich, daß Wellen zwar »um die Ecke« gehen, aber nur in Bereichen, die von der Größenordnung der Wellen- länge sind. Da diese sehr klein ist, so entsteht für die rohe Betrach- tung der Anschein scharfer Schatten und geradlinig begrenzter Strahlen; erst feinere Beobachtung kann die Interferenzfransen des gebeugten Lichtes längs der Schattengrenze bemerken. Um die Ausgestaltung der Beugungs- theorie haben sich Fresnel, später Kirchhoff (1882) und in neuerer Zeit Sommerfeld (1895) große Verdienste erworben; sie haben die feinen Beugungserscheinungen rechnerisch abgeleitet und die Grenzen festgelegt, innerhalb deren man mit dem Begriffe des Lichtstrahls operieren darf. Die zweite Schwierigkeit betraf die Erscheinungen der Polarisation des Lichtes. Wenn man damals von Wellen sprach, so dachte man immer an longitudinale Schwingungen, wie sie beim Schall bekannt waren; eine Schallwelle besteht ja in rhythmischen Verdichtungen und Verdünnungen, Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. ß 82 Die Grundgesetze der Optik. wobei das einzelne Luftteilchen in der Richtung der Fortpflanzung der Welle hin und her pendelt. Transversale Schwingungen kannte man allerdings auch, z. B. die Oberflächenwellen auf einem Wasserspiegel, oder die Schwingungen einer gespannten Saite, wobei die Teilchen senkrecht zur Fortpflanzungsrichtung der Welle pendeln. Aber hierbei handelt es sich nicht um Wellen, die im Innern einer Substanz fortschreiten, sondern teils um Erscheinungen an der Oberfläche (Wasserwellen), teils um Be- wegungen des ganzen Gebildes (Saitenschwingungen). Beobachtungen oder Theorien über die Fortpflanzung von Wellen in elastischen, festen Körpern waren damals noch nicht vorhanden; dies erklärt die uns merkwürdig erscheinende Tatsache, daß es so lange gedauert hat, bis die optischen Wellen als transversale Schwingungen erkannt wurden. Ja, es trat der sonder- bare Fall ein, daß der Anstoß zur Entwicklung der Mechanik der grobsinn- lichen, elastischen Festkörper durch Erfahrungen und Begriff'sbildungen über die Dynamik des unwägbaren, unfaßbaren Äthers gegeben wurde. Wir haben oben (S. 71) erklärt, worin das Wesen der Polarisation be- steht; die beiden, aus einem doppelt brechenden Kalkspatstück austreten- den Strahlen verhalten sich beim Durchgang durch einen zweiten solchen Kristall nicht wie gewöhnliches Licht, sie zerfallen nicht wieder in je zwei gleich starke Strahlen, sondern in un- gleiche, von denen der eine unter Umständen ganz verschwinden kann. Abb. 62. Abb. 63. Bei gewöhnlichem, »natürlichem« Licht sind die verschiedenen Richtungen innerhalb einer Wellenebene gleichwertig (Abb. 62); bei polarisiertem Licht ist das offenbar nicht mehr der Fall. Malus entdeckte (1808), daß die Polarisation nicht eine Eigentümlichkeit des durch doppelt brechende Kri- stalle gegangenen Lichtes ist, sondern auch durch einfache Spiegelung erzeugt werden kann; er zeigte, daß Licht, welches von einem Spiegel unter einem bestimmten Winkel reflektiert worden ist, von einem zweiten Spiegel verschieden stark reflektiert wird, wenn man diesen um den auf- treffenden Strahl herumdreht (Abb. d^)- Man nennt die auf der Spiegel- fläche senkrechte Ebene, die den einfallenden und reflektierten Strahl enthält, die Einfallsebene; man sagt dann, der reflektierte Strahl sei in Polarisation und Transversalität der Lichtwellen. 83 der Einfallsebene polarisiert, womit man nichts anderes meint, als daß er sich gegenüber einer zweiten Spiegelung verschieden verhält, je nachdem die zweite Einfallsebene zur ersten liegt. Stehen beide aufeinander senk- recht, so findet überhaupt keine Reflexion am zweiten Spiegel statt. Die beiden aus einem Kalkspatstück austretenden Strahlen sind senk- recht zueinander polarisiert; läßt man sie beide unter geeignetem Winkel auf einen Spiegel fallen, so wird der eine gerade bei derjenigen Stellung des Spiegels ausgelöscht, wo der andere in vollem Betrage reflektiert wird. Den entscheidenden Versuch machten Fresnel und Arago (1816), indem sie zwei solche, senkrecht aufeinander polarisierte Strahlen zur Interferenz zu bringen versuchten. Es gelang ihnen nicht, Interferenzen zu erzeugen, und Fresnel wie auch Young zogen nun die Konsequenz (181 7), daß die Lichtschwingungen transversal sein müßten. Dadurch wird in der Tat das eigentümliche Verhalten polarisierten Lichtes sogleich verständlich. Die Schwingungen eines Ätherteilchens finden nicht in der Fortpflanzungsrichtung, sondern senkrecht dazu, also in der Wellenebene statt (Abb. 62). Jede Bewegung eines Punktes in einer Ebene kann man aber auffassen als zusammengesetzt aus zwei Bewe- gungen in zwei zueinander senkrechten Richtungen; wir haben ja bei der Besprechung der Kinematik eines Punktes gesehen, daß die Bewegung des- selben durch Angabe der mit der Zeit sich ändernden rechtwinkligen Koordinaten eindeutig bestimmt ist. Ein doppelt brechender Kristall hat nun offenbar die Eigenschaft, daß sich in ihm die Schwingungen des Lichts in zwei zueinander senkrechten Richtungen verschieden schnell fortpflanzen; sie werden daher — nach dem Huygensschen Prinzipe — beim Eindringen in den Kristall verschieden stark abgelenkt oder ge- brochen und daher räumlich getrennt. Jeder der beiden austretenden Abb. 64. Abb. 65. Strahlen besteht dann nur aus Schwingungen, die in je einer bestimmten, durch die Strahlrichtung gehenden Ebene stattfinden, und die zu den beiden Strahlen gehörigen Ebenen stehen aufeinander senkrecht (Abb. 64); zwei solche Schwingungen können sich offenbar nicht beeinflussen, sie können nicht miteinander interferieren. Tritt nun ein polarisierter Strahl in einen zweiten Kristall, so wird er nur dann ohne Schwächung durch- gelassen, wenn seine Schwingungsrichtung gerade die richtige Lage zu 6* 84. Die Grundgesetze der Optik. dem Kristall hat, in der sich eben diese Schwingungsrichtung fortpflanzen kann; in allen anderen Stellungen wird der Strahl geschwächt, in der senkrechten oder gekreuzten Stellung überhaupt nicht durchgelassen. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Spiegelung; geschieht diese unter dem geeigneten Winkel, so wird von den beiden Schwingungen parallel und senkrecht zur Einfallsebene nur die eine reflektiert, die andere dringt in den Spiegel ein und wird darin verschluckt (Abb. 65). Ob die reflek- tierte Schwingung diejenige ist, die in der Einfallsebene, oder die, die senkrecht zu ihr pendelt, das läßt sich natürlich nicht feststellen. (In der Abb. 65 ist letzteres angenommen.) Aber diese Frage nach der Lage der Schwingung zur Einfallsebene oder Polarisationsrichtung hat Anlaß zu um- fangreichen Untersuchungen, Theorien und Diskussionen gegeben, wie wir sogleich sehen werden. 6. Der Äther als elastischer Festkörper. Nachdem so die Transversalität der Lichtwellen erkannt und durch zahlreiche Versuche erwiesen war, erstand vor Fresnels geistigem Auge das Bild einer zukünftigen dynamischen Lichttheorie, die die optischen Er- scheinungen nach dem Vorbilde der Mechanik aus den Eigenschaften des Äthers und der in ihm wirkenden Kräfte abzuleiten hätte. Der Äther mußte also eine Art elastischer, fester Körper sein; denn nur in diesen können mechanische Transversalwellen vorkommen. Aber zu Fresnels Zeit war die mathematische Theorie der Elastizität fester Körper noch nicht entwickelt; auch mochte wohl Fresnel glauben, daß man die Analogie des Äthers mit materiellen Substanzen nicht von vornherein zu weit treiben dürfe. Jedenfalls zog er es vor, die Gesetze der Lichtausbreitung empirisch zu erforschen und mit der Vorstellung der Transversalwellen zu deuten. Vor allem mußte von den optischen Vorgängen in Kristallen Aufklärung über das Verhalten des Lichtäthers erwartet werden. Fresnels Arbeiten auf diesem Gebiete gehören zu den schönsten Leistungen physikalischer Methodik, sowohl in experimenteller als auch in theoretischer Richtung; aber wir dürfen uns hier nicht in Einzelheiten verlieren und müssen immer unser Problem im Auge behalten: Wie ist der Lichtäther beschafien? Fresnels Ergebnisse schienen die Analogie der Lichtwellen mit elastischen Wellen zu bestätigen; dadurch erfuhr die schon von Nävi er (182 1) und Cauchy (1822) begonnene systematische Bearbeitung der Elastizitäts- theorie, der auch Poisson (1828) seine Kraft widmete, eine starke An- regung. Cauchy wandte nun auch sogleich die soeben gewonnenen Ge- setze der elastischen Wellen auf die Optik an (1829). Wir wollen von dem Gedankeninhalt dieser Äthertheorie eine Vorstellung zu geben versuchen. Die Schwierigkeit dabei ist, daß das adäquate Mittel zur Beschreibung von Veränderungen in kontinuierlichen, deformierbaren Körpern die Methode der Differentialgleichungen ist; da wir diese nicht als bekannt voraussetzen wollen, so bleibt nichts übrig, als sie an einem einfachen Beispiele zu umschreiben und am Schlüsse hinzuzufügen: So ähnlich, nur etwas kom- Der Äther als elastischer Festkörper. 85 plizierter, verhält es sich im allgemeinen Falle. Der mathematisch nicht geschulte Leser kann dann vielleicht zu einem rohen Begriff von der Sache kommen; was er aber schwerlich gewinnen wird, ist eine Anschauung von der Kraft und Leistungsfähigkeit der physikalischen Bilder und der ihnen angepaßten mathematischen Methoden. Wir sind uns also der Unmöglich- keit bewußt, den Nicht-Mathematiker völlig zu befriedigen, aber wir können einen Versuch zur Erläuterung der Mechanik der Kontinua nicht unterlassen, weil alle folgenden Theorien, nicht nur die des elastischen Äthers, sondern auch die Elektrodynamik in allen ihren Wandlungen und vor allem die Einsteinsche Gravitationstheorie auf diesen Begriffsbildungen aufgebaut sind. Eine sehr dünne, gespannte Saite ist gewissermaßen ein eindimensio- nales, elastisches Gebilde; an diesem wollen wir die Begriffe der Elasti- zitätstheorie entwickeln. Um an die gewöhnliche Mechanik, die nur einzelne, starre Körper kennt, anknüpfen zu können, denken wir uns die Saite nicht kontinuierlich, sondern gewissermaßen atomistisch kon- stituiert. Sie bestehe aus einer Reihe von gleichen, kleinen Körperchen, die auf einer geraden Linie nebeneinander in gleichen Abständen ange- ordnet sind (Abb. 66). Die Teilchen sollen träge Masse haben und jedes soll auf seine beiden Nachbarn Kräfte ausüben; diese sollen so beschaffen sein, daß sie sich sowohl einer Vergrößerung als einer Verkleinerung des Abstandes widersetzen. Will man ein anschauliches Bild für solche ^ ^ ^ ^ ^ ^ G — e — e — e — e — e — e — e — o Kräfte haben, so denke man an kleine Spiralfedern, die zwischen den ^^^* ^^• Körperchen angebracht sind; diese widerstreben sowohl einer Zusammendrückung wie einer Dehnung. Aber ein solches Bild darf man nicht wörtlich nehmen ; Kräfte der geschilderten Art sind eben das Urphänomen der Elastizität. Wenn jetzt das erste Teilchen in der Längs- oder der Querrichtung ein wenig verschoben wird, so wirkt es sogleich auf das zweite ein; dieses aber gibt die Wirkung auf das nächste weiter, usw. Die Störung des Gleichgewichts des ersten Teilchens läuft also durch die ganze Reihe hin- durch, wie eine kurze Welle, und erreicht schließlich auch das letzte Teilchen. Dieser Vorgang geht aber nicht unendlich schnell, sondern bei jedem Teilchen tritt ein kleiner Zeitverlust ein, weil es wegen seiner Träg- heit dem Anstoß nicht sogleich folgt ; denn die Kraft erzeugt ja nicht mo- mentane Verrückung, sondern Beschleunigung, d. h. eine Geschwindigkeits- änderung während einer kleinen Zeit, und die Geschwindigkeitsänderung führt erst wieder mit der Zeit zu einer Verrückung. Erst wenn diese im vollen Betrage da ist, erreicht die Kraft auf das nächste Teilchen ihren vollen Betrag, und von da wiederholt sich der Vorgang jedesmal mit einem von der' Masse der Teilchen abhängigen Zeitverluste. Würde die Kraft, die vom ersten Teilchen bei seiner Verrückung ausgeht, direkt das letzte Teilchen der Reihe beeinflussen, so würde die Wirkung momentan erfolgen. Dies soll nach der Newtonschen Gravitationstheorie bei der gegenseitigen 86 Die Grundgesetze der Optik. Anziehung der Himmelskörper der Fall sein; die Kraft, die einer auf den andern ausübt, ist immer nach dem momentanen Ort des ersten hin ge- richtet und durch die momentane Entfernung der Größe nach bestimmt. Man sagt, die Newtonsche Gravitation ist eine Fernwirkung'^ denn sie wirkt ohne Vermittelung des dazwischenliegenden Mediums in die Ferne. Im Gegensatze dazu ist unsere Reihe äquidistanter Körperchen das einfachste Modell für eine Nahwirkting\ denn die vom ersten auf den letzten Punkt ausgeübte Wirkung wird durch die dazwischenliegenden Massen vermittelt und tritt daher nicht momentan, sondern mit einer Verzögerung ein. Die von einem Teilchen auf seine Nachbarn ausgeübte Kraft ist dabei allerdings noch als Fernwirkung gedacht, wenn auch nur über eine kurze Entfernung; man kann aber nun die Abstände der Teil- chen immer kleiner und kleiner vorstellen, ihre Zahl dafür in entsprechen- dem Maße immer größer und größer, aber so, daß ihre gesamte Masse dieselbe bleibt. Dann geht die Kette von Massenteilchen in den Grenz- begriff eines materiellen Kontinuums über; die Kräfte wirken zwischen un- endlich benachbarten Teilchen und die Bewegungsgesetze nehmen die Gestalt von Differentialgleichungen an. Diese sind der mathematische Ausdruck für den physikalischen Begriff der Nahwirkung. Wir wollen diesen Grenzprozeß an den Bewegungsgesetzen unserer Kette von Massenteilchen etwas näher verfolgen. Wir betrachten etwa rein trans- versale Verrückungen (Abb. 67). In der Elastizitätstheorie wird angenommen, daß ein Teilchen P von einem seiner Nachbarn Q um so stärker zurückge- zerrt wird, je mehr es über Q hin- aus transversal verschoben ist; ist u der Überschuß der transversalen Ver- schiebung von P über die von Q und a der ursprüngliche Abstand der Teilchen auf der Geraden, so soll die zurückziehende Kraft proportional 11 dem Verhältnisse — = d sein, das man Deformation nennt. Wir setzen a u K=p '— =pd, a wo / eine konstante Zahl ist, die offenbar gleich der Kraft ist, wenn die Deformation ^=1 gewählt wird. Man bezeichnet / als Elastizitäts- konstante. Dasselbe Teilchen erfährt nun von seinem andern Nachbarn R eben- falls eine solche Kraft K* = p — =^pd'. Aber außer in dem singulären a Falle, daß der Ausschlag von P gerade ein Maximum ist, wird das Teilchen R stärker verschoben sein, als P, also dieses nicht zurück- zuziehen, sondern seine Verschiebung zu vergrößern suchen. K' wird also K entgegenwirken. ^ Q ^ P ^ R ^ Abb. 67. Der Äther als elastischer Festkörper. gy Die resultierende Kraft auf das Teilchen P ist die Differenz dieser Kräfte K— K' =p(d—d'). Diese bestimmt nun die Bewegung von F nach der dynamischen Grund- formel Masse mal Beschleunigung gleich Kraft: mb = K—K' =zp(d—d'). Nun denke man sich die Anzahl der Teilchen immer mehr vermehrt, ihre Masse aber im selben Verhältnis verkleinert, so daß die Masse pro Längen- einheit immer denselben Wert behält. Gehen auf die Längeneinheit n Teilchen, so ist ;z • ^ = i, also ;z = — . Die Masse pro Längeneinheit 'in ist mn = — ; man nennt diese Größe (lineare) Massendichte und be- zeichnet sie mit q. Indem man nun obige Gleichung durch a dividiert, bekommt man 7n ^ , K—K' d—d' --b = Qb = =/ — — , a a a und hier hat man nun ganz ähnliche Bildungen vor sich, wie sie bei der Definition der Begriffe Geschwindigkeit und Beschleunigung auftraten. Wie nämlich die Geschwindigkeit das Verhältnis des Weges x zur Zeit /, X V =^ — , war, wobei für eine beschleunigte Bewegung die Zeitdauer / als u ganz kurz zu denken ist, so haben wir hier die Deformation d = — , a das Verhältnis von relativer Verschiebung zu ursprünglicher Entfernung, wobei diese als äußerst klein zu denken ist. Genau wie früher die Be- schleunigung als Änderung der Geschwindigkeit im Verhältnis zur Zeit, W V — v b = — = definiert wurde , so haben wir hier die Größe d—d' . . . . .. / = , die m ganz analoger Weise die Änderung der Deformation von Stelle zu 'Stelle mißt. Genau wie Geschwindigkeit v und Beschleunigung b für beliebig ab- nehmende Zeitstufen t ihren Sinn und endlichen Wert beibehalten, so behalten die Größen d und / bei beliebig abnehmender Distanz a ihren Sinn und endlichen Wert; all das sind sogenannte Differentialquotienten, oc u und zwar v •= — ebenso wie d= — solche erster Ordnung, und z a v — v'^ . d—d' 0 = — - — ebenso wie / = solche zweiter Ordnung. t a ^ Die Bewegungsgleichung wird also eine Differentialgleichung zweiter Ordnung: (36) Qb=-pf und zwar sowohl bezüglich der zeitlichen, als auch der örtlichen Änderung 88 Die Grundgesetze der Optik. des Vorganges. Von diesem Typus sind alle Nahwirküngsgesetze der theoretischen Physik. Handelt es sich z. B. um nach allen Richtungen ausgedehnte, elastische Körper, so kommen noch ganz analog gebaute Glieder für die beiden andern Raumdimensionen hinzu. Aber auch in der Theorie der elektrischen und magnetischen Vorgänge gelten ganz ähn- liche Gesetze; schließlich ist auch die Gravitationstheorie durch Einstein auf eine solche Gestalt gebracht worden. Wir müssen hier noch anmerken, daß man Fern Wirkungsgesetze formell als Nahwirkungsformeln schreiben kann. Streichen wir z. B. in unserer Gleichung (36) das Glied qb^ nehmen also an, daß die Massendichte unendlich klein sei, so wird eine Verrückung des ersten Teilchens im selben Augenblick eine Kraft auf das letzte Teilchen hervorrufen, weil die Trägheit der übermittelnden Glieder in Fortfall gekommen ist. Wir haben also eigentlich die Ausbreitung einer Kraft mit unendlicher Geschwindig- keit, eine richtige Fern Wirkung; trotzdem erscheint das Gesetz pf = o in der Form einer Differentialgleichung, einer Nahwirkung. Solchen Pseudo-Nahwirkungsgesetzen werden wir in der Theorie der Elektrizität und des Magnetismus begegnen, wo sie den eigentlichen Nahwirkungs- gesetzen den Weg gebahnt haben. Das Wesentliche an letzteren ist das Trägheitsglied, das die endliche Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Gleich- gewichtsstörungen, also das Zustandekommen von Wellen, bewirkt. In dem Gesetze (36) kommen zwei Größen vor, die den physikalischen Charakter der Substanz bestimmen, die Masse pro Einheit des Volumens P oder Dichte ^ und die Elastizitätskonstante /. Schreibt man 3 = — /, so sieht man, daß bei gegebener Deformation, also gegebenem /, die Be- schleunigung um so größer wird, je größer / und je kleiner q ist; / ist eben ein Maß für die elastische Steifigkeit der Substanz, q für die Massen- trägheit, und es ist klar, daß eine Vergrößerung der Steifigkeit die Be- wegung beschleunigt, eine Vermehrung der Trägheit sie verlangsamt. Die Geschwindigkeit c einer Welle wird daher auch nur von dem Verhältnisse ^^ abhängen; denn je schneller die Welle läuft, um so größer sind die Beschleunigungen der einzelnen Teilchen der Substanz. Das genaue Ge- setz für diesen Zusammenhang findet man durch folgende Überlegung: Jeder einzelne Massenpunkt vollführt eine einfache^ periodische Be- wegung von der Art, wie wir sie früher (II, 11, S. 30) untersucht haben. Dort haben wir gezeigt, daß dabei die Beschleunigung mit dem Aus- schlage X nach der Formel (11) b = [27tvYx zusammenhängt, wo v die Anzahl der Schwingungen in der Sekunde ist; führt man statt dessen die Schwingungsdauer nach der Formel (34), S. 76, 2^= — ein, so wird Der Äther als elastischer Festkörper. 89 m- Dieselbe Überlegung die hier für das zeitliche Nacheinander angestellt worden ist, kann man auch auf das räumliche Nebeneinander anwenden und muß dabei zu ganz entsprechenden Beziehungen gelangen; man hat einfach die Beschleunigung b (den zweiten, zeitlichen DifFerentialquotienten) durch die Größe / (den zweiten, örtlichen DifFerentialquotienten) und die Schwingungsdauer T (die zeitUche Periode) durch die Wellenlänge X (die örtliche Periode) zu ersetzen. So gelangt man zu der Formel / -m X Dividiert man die beiden Ausdrücke für b und / durcheinander, so hebt sich der Faktor (2 n'^x fort und es bleibt b___l^ Nun ist einerseits nach der Formel (35), S. 77. T == c, andrerseits nach (36), S. 87, -— = dso folgt (37) c^ = "^ oder '=V P t Q ' Q Diese Beziehung gilt für alle Körper, mögen sie gasförmig, flüssig oder fest sein. Nur besteht folgender Unterschied: In Flüssigkeiten tmd Gasen gibt es keinen elastischen Widerstand gegen seitliche Verschiebung der Teilchen, sondern nur gegen Volumänderung; daher können* sich in solchen Sub- stanzen nur longitudinale Wellen fortpflanzen, deren Geschwindig- keit durch die für Volumände- rungen maßgebende Elastizitäts- konstante/ nach der Formel (37) bestimmt wird. Dagegen können sich m festen Körpern wegen der elastischen Steifigkeit gegen seitliche Ver- rückungen in jeder Richtung drei Wellen mit verschiedenen Geschwindigkeiten fortpflanzen, eine longitudinale und zwei trans- versale; das kommt daher, weil für die Verdichtungen und Verdünnungen der longitudinalen Wellen eine andere Elastizitätskonstante / maßgebend ist, als für die seitlichen Verzerrungen der transversalen Schwingungen. Tra/is versfl's,, Longitudir^ "ichwinguni i FortpflanzuTigsz richtung Abb. 68. go Die Grundgesetze der Optik. In nicht-kristallinischen Körpern haben übrigens die beiden transversalen Wellen zwar verschiedene, aufeinander senkrechte Schwingungsrichtungen, aber die gleiche Geschwindigkeit Ct\ die longitudinale Welle hat eine andere Geschwindigkeit ci (Abb. 68). Alle diese Tatsachen lassen sich durch das Experiment an Schallwellen in festen Körpern bestätigen. Wir kommen nun auf den Ausgangspunkt dieser Betrachtungen zurück, nämlich auf die elastische Lichttheorie. Diese besteht darin, daß man den Äther als Träger der Licht- schwingungen identifiziert mit einem festen, elastischen Körper; die Lichtwellen sollen dann also gewissermaßen Schallwellen in diesem hypo- thetischen Medium sein. Welche Eigenschaften muß man nun diesem elastischen Äther zu- schreiben? Zunächst fordert die ungeheure Ausbreitungsgeschwindigkeit <:, daß entweder die elastische Steifigkeit / sehr groß oder die Massendichte q sehr klein ist, oder daß beides zugleich gilt. Da aber die Licht- geschwindigkeit in verschiedenen Substanzen verschieden ist, so muß der Äther innerhalb eines materiellen Körpers entweder verdichtet oder seine Elastizität muß verändert sein, oder auch beides zugleich. Man sieht, daß sich hier verschiedene Wege eröffnen. Die Anzahl der Möglichkeiten wird noch dadurch vermehrt, daß, wie wir sahen (IV, 5, S. 84), durch die Experimente nicht entschieden werden kann, ob die Schwingungen des polarisierten Lichtes parallel oder senkrecht zur Polarisationsebene (der Einfallsebene des polarisierenden Spiegels) stattfinden. Entsprechend dieser Unbestimmtheit des Problems finden wir auch historisch eine unübersehbare Zahl verschiedener Theorien des elastischen Äthers. Wir haben die Namen der wichtigsten Autoren schon genannt; neben den französischen Mathematikern Poisson, Fresnel, Cauchy und dem Engländer Green tritt hier zum ersten Male ein bedeutender deut- scher Physiker auf, Franz Neumann, der der Lehrer der großen, deut- schen Physiker- Generation Helmholtz, Kirchhoff, Clausius wurde. Es nimmt uns heute wunder, wie viel Scharfsinn und Mühe auf das Problem gewandt worden ist, die optischen Erscheinungen in ihrer Gesamt- heit aufzufassen als Bewegungen eines elastischen Äthers von denselben Eigenschaften, wie sie die materiellen elastischen Festkörper haben. Es scheint uns, als läge eine Überspannung des Prinzips vor, das da besagt: Erklären heißt, Unbekanntes auf Bekanntes zurückführen. Denn wir wissen heute, daß das Wesen des elastischen Festkörpers gar nicht etwas Einfaches und erst recht nicht etwas Bekanntes ist; die Physik des Äthers hat sich als einfacher und durchsichtiger erwiesen, als die Physik der Materie, und die moderne Forschung ist bestrebt, die Konstitution der Materie als sekundäres Phänomen auf die Eigenschaften der Kraftfelder zurückzuführen, die vom Äther der älteren Physik übriggeblieben sind. Aber diese Wandlung des wissenschaftlichen Programms beruht nicht zum Der Äther als elastischer Festkörper. g i wenigsten auf den Mißerfolgen der Bemühungen, eine konsequente Theorie des elastischen Äthers durchzuführen. Ein gewichtig erscheinender Einwand gegen diese Lehre ist der, daß ein den Weltenraum erfüllender Äther von der großen Steifigkeit, die er als Träger der raschen Lichtschwingungen haben muß, der Bewegung der Himmels- körper, besonders der Planeten, einen Widerstand entgegensetzen müßte. Die Astronomie hat aber niemals Abweichungen von den Newtonschen Bewegungsgesetzen gefunden, die auf einen solchen Widerstand hindeuten könnten. Stokes (1845) hat diesen Einwand einigermaßen entkräftet durch die Bemerkung, daß auch der Begriff der Festigkeit eines Körpers durchaus etwas Relatives ist und von dem zeitlichen Verlaufe der defor- mierenden Kräfte abhängt. Ein Stück Pech — Siegellack und Glas ver- halten sich ähnlich — springt bei einem Hammerschlag mit scharfem, glattem Bruche; belastet man es aber mit einem Gewichte, so sinkt dieses, wenn auch langsam, allmählich in das Pech ein, als wäre es eine zähe Flüssigkeit. Nun verhalten sich die bei den Lichtschwingungen auftretenden ungeheuer schnell wechselnden Kräfte (600 Billionen mal in der Sekunde) zu den relativ langsamen Vorgängen bei der Planetenbewegung in ihrem zeitlichen Ablaufe noch viel extremer, wie der Hammerschlag zur Gewichts- belastung. Daher kann der Äther für das Licht wohl als fester, elastischer Körper fungieren, gegen die Bewegung der Planeten aber vollkommen nachgiebig sein. Wenn man sich nun auch mit diesem pecherfüllten Weltenraume be- ruhigen will, so ergeben sich ernstere Schwierigkeiten aus den Gesetzen der Lichtfortpflanzung selbst. Vor allem tritt bei elastischen Festkörpern neben zwei transversalen Wellen immer auch eine longitudinale auf; wenn man die Brechung einer Welle an der Grenze zweier Medien verfolgt und annimmt, daß die Welle im ersten Medium rein transversal schwingt, so entsteht im zweiten Medium notwendig zugleich eine longitudinale Schwin- gung. Alle Versuche, dieser Konsequenz der Theorie durch mehr oder weniger willkürliche Abänderungen zu entgehen, sind fehlgeschlagen. Man kam sogar auf so sonderbare Hypothesen wie die, daß der Äther gegen Kompression einen unendlich kleinen oder einen unendlich großen Wider- stand habe verglichen mit der Steifigkeit gegen transversale Verzerrung; im ersteren Falle würden die longitudinalen Wellen unendlich langsam, im zweiten unendlich schnell laufen, jedenfalls aber nicht als Licht in Er- scheinung treten. Ein Physiker Mac Cullagh (1839) ging so weit, einen Äther zu konstruieren, der sich ganz und gar von dem Vorbilde der ela- stischen Körper entfernte; während diese nämlich jeder Entfernungs- änderung ihrer Partikel einen Widerstand entgegensetzen, bloßen Drehungen aber ohne Widerstand folgen, soll der Mac Cullaghsche Äther sich gerade umgekehrt verhalten. Wir können hier auf diese Theorie nicht näher eingehen; so merkwürdig sie anmutet, ist sie doch bedeutungsvoll als Vorläufer der elektromagnetischen Lichttheorie. Sie führt zu fast denselben Formeln wie diese und ist tatsächlich imstande, die optischen Vorgänge Q2 Die Grundgesetze der Optik. in ziemlichem Umfange richtig darzustellen; aber ihre Schwäche besteht darin, daß sie keinen Zusammenhang der optischen Vorgänge mit anderen physikalischen Erscheinungen aufdeckte. Es ist klar, daß man durch willkürliche Konstruktionen Äthermodelle finden kann, durch die sich ein bestimmtes Erscheinungsgebiet darstellen läßt; einen Erkenntniswert bekommen solche Erfindungen aber erst dann, wenn sie zu einer Ver- schmelzung zweier bis dahin unverbundener physikalischer Gebiete führen. Darin liegt der große Fortschritt, den Maxwell durch die Einordnung der Optik in die Reihe der elektromagnetischen Phänomene erzielt hat. 7. Die Optik bewegter Körper. Ehe wir diese Entwicklung weiter verfolgen, wollen wir haltmachen und die Frage stellen, wie sich die Lehre vom elastischen Äther zum Raum- Zeit-Problem und zur Relativität verhält. Während wir bisher bei den optischen Untersuchungen die Bewegungen der Licht aussendenden, Licht empfangenden und vom Lichte durchstrahlten Körper nicht beachtet haben, werden wir jetzt gerade diese Bewegungen ins Auge fassen. Der Raum der Mechanik überall dort, wo keine materiellen Körper sind, wird als leer betrachtet; der Raum der Optik ist mit Äther erfüllt. Der Äther aber gilt uns hier durchaus als eine Art Materie, der eine bestimmte Massendichte und Elastizität zukommt. Man kann daher die Newtonsche Mechanik mit ihrer Lehre von Raum und Zeit ohne weiteres auf die mit Äther gefüllte Welt übertragen. Diese besteht dann nicht mehr aus vereinzelten Massen, die durch leere Räume getrennt sind, sondern ist ganz und gar von der dünnen Masse des Äthers erfüllt, in der die groben Massen der Materie schwimmen; Äther und Materie wirken mit mechanischen Kräften aufeinander und bewegen sich nach den Newton- Gesetzen. Der Newtonsche Standpunkt ist also gedanklich auf die Optik anwendbar; es fragt sich nur, ob die Beobachtungen damit im Einklänge sind. Diese Frage kann man nun aber nicht einfach durch eindeutige Ex- perimente entscheiden; denn der Bewegungszustand des Äthers außerhalb und innerhalb der Materie ist ja nicht bekannt und es steht frei, Hypo- thesen darüber auszudenken. Man muß also die Frage so stellen: Lassen sich solche Annahmen über die Wechselwirkung der Bewegungen des Äthers und der Materie machen, daß die optischen Erscheinungen in ihrer Gesamtheit dadurch erklärt werden? Wir erinnern uns nun an die Lehre vom klassischen Relativitätsprinzip. Danach existiert der absolute Raum nur in eingeschränktem Sinne; denn sämtliche Inertialsysteme, die sich geradlinig und gleichförmig gegenein- ander bewegen, können mit gleichem Rechte als ruhend im Räume be- trachtet werden. Die erste Hypothese über den Lichtäther, die sich auf- drängt, wird nun die sein: Der Äther im Weltenraume weit außerhalb der materiellen Körper ruht in einem Inertialsysteme. Die Optik bewegter Körper. 93 Denn wäre das nicht der Fall, so würden Teile des Äthers beschleu- nigt sein, es würden Fliehkräfte in ihm auftreten und als deren Folge Änderungen der Dichte und Elastizität, und es wäre zu erwarten, daß man davon durch das Licht der Gestirne Kenntnis bekommen hätte. Diese Hypothese genügt der Form nach dem klassischen Relativitäts- prinzip; wenn der Äther zu den materiellen Körpern gerechnet wird, so sind Translationsbewegungen der Körper gegen den Äther ebensogut relative Bewegungen wie die zweier Körper gegeneinander, und eine ge- meinsame Translationsbewegung des Äthers und aller Materie würde \yeder mechanisch noch optisch nachweisbar sein. Aber die Physik der materiellen Körper allein^ ohne den Äther^ braucht nun nicht mehr dem Relativitätsprinzipe zu genügen; eine gemeinsame Translation aller Materie ohne Teilnahme des Äthers, also eine Relativ- bewegung gegen diesen, könnte sich sehr wohl durch optische Experi- mente feststellen lassen. Dann würde der Äther praktisch ein absolut ruhendes Bezugsystem definieren. Die Frage, auf die es im folgenden vor allem ankommt, ist nun die, ob die beobachtbaren optischen Er- scheinungen nur von den relativen Bewegungen der materiellen Körper abhängen, oder ob die Bewegung im Äthermeer sich bemerkbar macht. Eine Lichtwelle wird durch 3 Merkmale gekennzeichnet: 1. die Schwingungszahl oder Frequenz, 2. die Geschwindigkeit, 3. die Fortpflanzungsrichtung. Wir werden nun systematisch untersuchen, welchen Einfluß relative Bewegungen der Licht aussendenden und Licht empfangenden Körper gegeneinander und gegen das über- tragende Medium, sei es der Äther im freien Weltenraume, sei es eine durchsichtige Substanz, auf diese drei Merkmale der Lichtwelle haben. Die Methode, die wir dabei an- wenden, ist diese: Wir betrachten einen Wellenzug, der zur Zeit / = o den Nullpunkt O in irgend- -einer Richtung verläßt, und zählen die einzelnen Wellen, die einen beliebigen Punkt -P bis zur Zeit t überstreichen. Diese Anzahl ist ofifenbar völlig unabhängig davon, •in welchem Bezugsysteme die Koordinaten von P gemessen werden, mag •dieses ruhen oder bewegt sein. Man bestimmt sie folgendermaßen: Die erste Welle, die den Nullpunkt im Augenblicke / = o verläßt, «nuß eine gewisse Strecke s fortschreiten (Abb. 69), bis sie den Punkt P Abb. 69. 04 Die Grundgesetze der Optik. erreicht, und braucht dazu die Zeit — . Von diesem Moment an zählen c wir die über P hinweg gehenden Wellen^ bis zum Moment /, also wäh- rend der Dauer t . Da nun das Licht in i Sekunde v Schwingungen ausführt und jeder vorbeiziehenden Welle gerade eine Schwingung ent- spricht, so ziehen in i sec v Wellen, also in t sec v \t j Wellen am Punkte P vorbei. ^ \ ^ I Die Wellenzahl v U J ist also nur davon abhängig, wie die beiden Punkte O und P zueinander und zu dem Wellenzuge liegen und wie groß der Zeitunterschied t zwischen dem Abgange der ersten Welle in O und der Ankunft der letzten in P ist. Mit dem Bezugsystem hat diese Zahl nichts zu tun; sie ist also eine Invariante in dem Sinne, den wir diesem Worte oben gegeben haben. Man macht sich das am besten klar, wenn man die Ausdrucksweise Minkowskis benützt. Danach ist der Abgang der ersten Welle zur Zeit / = o vom Nullpunkt ein Ereignis, ein Weltpunkt, die Ankunft der letzten Welle zur Zeit t am Punkte P ein anderes Ereignis, ein zweiter Weltpunkt. Weltpunkte aber sind da ohne Bezug auf bestimmte Koor- dinatensysteme; und da die Wellen zahl v[t ) nur durch die beiden Weltpunkte bestimmt ist, so ist sie unabhängig vom Bezugsysteme, in- variant. Daraus folgen dann leicht, entweder durch anschauliche Überlegung oder durch Anwendung der Galilei-Transformationen, alle Sätze über das Verhalten der 3 Merkmale der Welle, der Frequenz, Richtung und Ge- schwindigkeit, bei einem Wechsel des Bezugsystems. Wir werden diese Sätze der Reihe nach ableiten und mit der Erfahrung vergleichen. 8. Der Dopplers che Effekt. Daß die beobachtete Frequenz einer Welle von der Bewegung sowohl der Lichtquelle, als auch des Beobachters gegen das übertragende Medium abhängt, hat Christian Doppler (1842) entdeckt. Die Erscheinung läßt sich bei Schallwellen leicht beobachten; der Pfiff einer Lokomotive erscheint höher, wenn diese sich dem Beobachter annähert, und wird im Augenblicke des Vorbeifahrens tiefer. Die sich annähernde Schallquelle trägt die Impulse vorwärts, so daß sie schneller aufeinander folgen. Einen ähnlichen Effekt hat die Bewegung des Beobachters dem Schall entgegen; er empfängt dann die Wellen in rascherer Aufeinanderfolge. Dasselbe muß nun auch beim Licht der Fall sein. Die Frequenz des Lichtes bestimmt aber seine Farbe, und zwar entsprechen die schnellen Schwingungen dem violetten, die langsamen dem roten Ende des Spektrums. Daher wird bei einer Der Dopplersche Effekt, qc Annäherung der Lichtquelle und des Beobachters die Farbe des Lichtes ein wenig nach Violett, bei Entfernung nach Rot verschoben. Diese Erscheinung ist nun tatsächlich beobachtet worden. Das von leuchtenden Gasen kommende Licht besteht nicht aus allen möglichen Schwingungen, sondern aus einer Anzahl getrennter Frequenzen; das Spektrum, das ein Prisma oder ein auf Interferenz beruhender Spek- tralapparat davon entwirft, zeigt kein kontinuierliches Farbenband wie der Regenbogen, sondern einzelne, scharfe, bunte Linien. Die Frequenz dieser Spektrallinien ist für die chemischen Elemente charakteristisch, die in der Flamme leuchten (Spektralanalyse von Bunsen und Kirchhoff 1859). Auch die Gestirne haben solche Linienspektren, deren Linien zum größten Teile mit denen irdischer Elemente zusammenfallen; woraus zu schließen ist, daß die Materie in den fernsten Weltenräumen aus denselben Ur- bestandteilen zusammengesetzt ist. Aber die Sternlinien stimmen nicht genau mit den entsprechenden irdischen überein, sondern zeigen kleine Verschiebungen, in einem Halbjahr nach der einen, im zweiten nach der anderen Seite. Diese Frequenzänderungen sind die Wirkungen des Doppler- effekts der Erdbewegung um die Sonne; während des einen Halbjahrs läuft die Erde auf einen bestimmten Fixstern zu, daher wird die Frequenz aller von diesem kommenden Lichtwellen vergrößert und die Spektral- linien des Sterns erscheinen nach der Seite der schnellen Schwingungen (Violett) verschoben, während des zweiten Halbjahrs entfernt sich die Erde von dem Sterne, die Verschiebung der Spektrallinien erfolgt also nach der anderen Seite (Rot). Diese wunderbare Abbildung der Erdbewegung im Spektrum der Sterne tritt allerdings nicht rein in die Erscheinung; denn es ist klar, daß sich ihr der Dopplersche Effekt bei der Aussendung des Lichtes von einer bewegten Lichtquelle überlagern wird. Wenn nun die Fix- sterne nicht sämtlich im Äther ruhen, so muß ihre Bewegung sich wieder als Verschiebung der Spektrallinien bemerklich machen; diese tritt zu der von der Erdbewegung erzeugten hinzu, zeigt aber nicht den jährlichen Wechsel und läßt sich daher von ihr abtrennen. Astronomisch ist diese Erscheinung noch viel wichtiger, denn sie gibt Aufschluß über die Ge- schwindigkeiten auch der fernsten Gestirne, soweit bei der Bewegung eine Annäherung oder Entfernung von der Erde stattfindet. Doch ist es nicht unsere Aufgabe, näher auf diese Untersuchungen einzugehen. Uns interessiert vor allem die Frage: Was geschieht, wenn sich Beobachter und Lichtquelle in gleicher Richtung und mit gleicher Geschwindigkeit bewegen? Verschwindet dann der Dopplersche Efifekt, hängt er nur von der relativen Bewegung der materiellen Körper ab, oder verschwindet er nicht und verrät dadurch die Bewegung der Körper durch den Äther? Im ersteren Falle würde das Relativitätsprinzip für die optischen Vorgänge zwischen materiellen Körpern erfüllt sein. Die Äthertheorie gibt auf diese Frage folgende Antwort: 96 Die Grundgesetze der Optik. Der Dopplersche Effekt hängt nicht nur von der relativen Bewegung der Lichtquelle und des Beobachters ab, sondern auch ein wenig von den Bewegungen beider gegen den Äther; aber dieser Einfluß ist so klein, daß er sich der Beobachtung entzieht, überdies ist er in dem Falle einer gemeinsamen Translation der Lichtquelle und des Beobachters streng gleich Null. Das letztere ist anschaulich so klar, daß es kaum betont zu werden braucht; man hat sich nur zu überlegen, daß die Wellen in irgend zwei relativ zueinander ruhenden Punkten in demselben Rhythmus vorüber- ziehen, gleichgültig, ob die beiden Punkte im Äther ruhen oder sich ge- meinsam bewegen. Trotzdem gilt das Relativitätsprinzip für den Licht aussendenden und den Licht empfangenden Körper nicht strenge sondern nur angenähert. Wir wollen das beweisen. Dazu verwenden wir den oben abgeleiteten Satz von der Invarianz der Wellenzahl. Wir lassen vom Nullpunkt des im Äther ruhenden Systems S einen Wellenzug in der ^-Richtung abgehen und zählen die Wellen, die bis zur Zeit / einen beliebigen Punkt P überstreichen (Abb. 70). Der Weg, den die Wellen dabei zurückzulegen haben, ist gleich der :x:-Koordinate des Punktes P\ es ist also s ■= X zw setzen, und die Wellenzahl p X V / X beträgt '('-t) Abb. 70. Dann ist dieselbe Wellenzahl in dem Systeme S' gleich Nun betrachten wir ein in der ^-Richtung mit der Geschwindigkeit v bewegtes System *S', in dem der Beobachter an einer Stelle mit der Koordinate x ruhen möge; zur Zeit / = o sollen S und S' zusammen- fallen, und zur Zeit t soll der Beobachter gerade den Punkt F erreicht haben. '■(-7). wo V und / die vom bewegten Beobachter gemessene Frequenz und Geschwindigkeit sind. Es gilt also (38) ''('-t) = '''('-z)' wobei die Koordinaten durch die Galileische Transformation (29), S. 59, x' = X — vf oder x = x -\- vt verknüpft sind. Setzt man das ein, so erhält man Der Dopplersche Effekt. gy (39) / x' + vt\ ,1 x'\ und das muß natürlich für alle Werte von x' und f gelten. Wählt man speziell / = i, x = o, so folgt (40) v\^i-^j = v\ Das ist das gesuchte Gesetz; es drückt aus, das ein in derselben Rich- tung wie die Lichtwellen bewegter Beobachter eine Frequenz v' mißt, die im Verhältnis ( i 1 : i verkleinert ist. (-t) Wir betrachten jetzt umgekehrt eine Lichtquelle, die mit der Fre- quenz Vq schwingt und sich in der Richtung der ^jc-Achse mit der Ge- schwindigkeit v^ bewegt; ein im Äther ruhender Beobachter messe die Frequenz v. Dieser Fall ist sofort auf den vorigen zurückführbar; denn, ob Lichtquelle oder Beobachter, ist für die Betrachtung ganz gleichgültig, es kommt nur darauf an, mit welchem Rhythmus die Wellen einen be- wegten Punkt treffen. Jetzt ist der bewegte Punkt die Lichtquelle; wir erhalten also die Formel für diesen Fall aus der früheren, wenn wir darin V durch v^ und v' durch r^ ersetzen: .{.-^)=.„; hier ist aber v^ als Frequenz der Lichtquelle gegeben, r als beobachtete Frequenz gesucht. Also muß man nach r auflösen und erhält (41) v = —^ Die beobachtete Frequenz erscheint also, da der Nenner kleiner als i ist, vergrößert, im Verhältnis i ^ ( i ^) • Man sieht nun sogleich, daß es nicht gleichgültig ist, ob sich der Beobachter in der einen oder die Lichtquelle in der entgegengesetzten Richtung mit derselben Geschwindigkeit bewegen. Denn setzt man in der Formel (41) v^=^ —v, so wird sie V = ^+7 und dies ist von (40) verschieden. Allerdings ist der Unterschied in allen praktischen Fällen sehr gering. Wir haben früher (IV, 3, S. 74) gesehen, daß das Verhältnis der Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne zu der des Lichtes ß= — = 1:10000 ist, und ähnliche kleine c Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. denn wenn man ß^ = = io~^ neben i vernachlässigt, so lOOOOOOOO gg Die Grundgesetze der Optik. Werte von ß gelten für alle kosmischen Bewegungen. Dann ist aber mit großer Näherung I 300 00< ist {i-^ß)(i^ß) = i-ß^=l. 1) Diese Vernachlässigung des Quadrates von ß =■ — wird im folgen- den eine große Rolle spielen. Sie ist fast immer erlaubt, weil so winzige Größen wie /^^ = io~^ nur in wenigen Fällen der Beobachtung zugäng- lich sind. Man klassifiziert nun überhaupt die Erscheinungen der Optik (und Elektrodynamik) bewegter Körper danach, ob sie von der Größen- ordnung ß oder ß^ sind, und nennt die ersteren Größen i. Ordnung^ die letzteren Größen 2. Ordnung bezüglich ß. In diesem Sinne können wir sagen: Der Dopplersche Effekt hängt nur von der relativen Bewegung der Lichtquelle und des Beobachters ab, wenn man Größen 2. Ordnung ver- nachlässigt. Man sieht das auch, wenn man eine gleichzeitige Bewegung von Licht- quelle (Geschwindigkeit z^o) und Beobachter (Geschwindigkeit z;) annimmt; dann erhält man offenbar die beobachtete Frequenz v' ^ wenn man v aus (41) in (40) einsetzt: V I — V ■ V ' c Haben Lichtquelle und Beobachter die gleiche Geschwindigkeit, v^ = v, so hebt sich der Bruch ganz fort, und es folgt v' = r^'^ der Beobachter bemerkt also nichts von einer gemeinsamen Bewegung mit der Licht- quelle gegen den Äther. Aber sobald v von z/^ verschieden ist, entsteht ein Dopplerscher Effekt, dessen Größe nicht nur von der Differenz der Geschwindigkeiten v — v^ abhängt ; dadurch ließe sich die Bewegung gegen den Äther feststellen, wenn der Unterschied nicht 2. Ordnung, also viel zu klein wäre, um beobachtet werden zu können. Wir sehen, daß der Dopplersche Effekt kein praktisch brauchbares Mittel ist, um Bewegungen gegen den Äther im Weltenraume zu kon- statieren. Wir wollen noch hinzufügen, daß es gelungen ist, den Dopplerschen Effekt mit irdischen Lichtquellen aufzufinden. Dazu muß man äußert rasch bewegte Lichtquellen haben, damit das Verhältnis ß = — emen merk- lichen Wert bekommt. J. Stark (1906) verwandte dazu die sogenannten Kanalstrahlen. Bringt man in einer evakuierten, mit stark verdünntem Wasserstoff gefüllten Röhre zwei Elektroden an, von denen die eine K Die Mitführung des Lichtes durch die Materie. gg durchbohrt ist, und macht man diese zum negativen Pol (Kathode) einer elektrischen Entladung (Abb. 71), so entstehen einmal die bekannten Ka- thodenstrahlen, sodann aber dringt, wie Goldstein (1886) entdeckt hat, durch das Loch der Kathode ein rötliches Leuchten, das von rasch be- wegten, positiv geladenen Wasserstoffatomen oder -molekeln herrührt. Die Geschwindigkeit dieser Kanalstrahlen ist von der Größenordnung z; = I o ^ cm pro sec, also hat ß die ge- genüber den astronomischen Werten be- /^ VZ ^ trächthche Größe t-r-^r-3_^^-^^^ |t" + ^ = _^ = ^. V J ^ '^ 3- 10" 300 f Stark untersuchte das Spektrum der Abb. 71. Kanalstrahlen und fand, daß die hellen Linien des Wasserstoffs die zu erwartende, auf dem Dopplerschen Effekte beruhende Verschiebung zeigen. Diese Entdeckung hat für die physika- lische Atomistik eine große Bedeutung gewonnen; doch gehört das nicht zu unserm Thema. Zuletzt müssen wir noch erwähnen, daß durch Belopolski (1895), Galizin (1907) eine Art Dopplerscher Effekt mit Hilfe irdischer Licht- quellen und bewegter Spiegel nachgewiesen worden ist. 9. Die Mitführung des Lichtes durch die Materie. Wir gelangen nun zur Untersuchung des zweiten Merkmals einer Licht- welle, nämlich ihrer Geschwindigkeit. Nach der Äthertheorie ist die Ge- schwindigkeit des Lichtes eine durch die Massendichte und die Elastizität des Äthers bestimmte Größe; sie hat also im Äther des Weltenraumes einen festen Wert, in jedem materiellen Körper einen andern, der davon abhängen wird, wie die Materie den Äther in ihrem Innern beeinflußt und bei ihrer Bewegung mitführt. Behandeln wir zunächst die Lichtgeschwindigkeit im Weltenraume, so müssen wir schließen , daß ein gegen den Äther bewegter Beobachter eine andere Geschwindigkeit messen wird als ein ruhender; denn hier gelten offenbar die elementaren Gesetze der Relativbewegung. Wenn der Beobachter in derselben Richtung sich bewegt wie das Licht, so wird dessen Geschwindigkeit um den Betrag der Geschwindigkeit v des Beob- achters gegen den Äther verkleinert erscheinen; Ja, man könnte sich Wesen denken, die das Licht überholen. Dasselbe ergeben auch die oben abgeleiteten Formeln, die die allgemeinen Beziehungen zwischen den Eigenschaften des Lichtes ausdrücken, wie sie zwei in relativer Trans- lation befindliche Beobachter feststellen. Setzt man in der Formel (39) / = o, .t' = I, so erhält man V V y 7' lOO D^^ Grundgesetze der Optik. und wenn man hier den Ausdruck für v' aus (40) einsetzt: V V l v\ — = — I , c c \ c I oder, da v sich forthebt: (42) c' = c li ) ^^ ^ — ^• Das bedeutet, die Lichtgeschwindigkeit im bewegten System bestimmt sich nach den Regeln der relativen Bewegung. Man kann dies auch so auffassen, daß ein durch den Äther bewegter Beobachter von einem Ätherwind umspült wird, der die Lichtwellen ver- weht, gerade wie über ein schnell fahrendes Automobil die Luft streicht und den Schall mit sich trägt. Damit ist nun aber ein Mittel gegeben, die Bewegung etwa der Erde oder des Sonnensystems gegen den Äther festzustellen. Wir haben zwei wesentlich verschiedene Methoden, die Lichtgeschwindigkeit zu messen, eine astronomische und eine terrestrische; die erste, das alte Verfahren Römers, benutzt die Verfinsterungen der Trabanten des Jupiter, mißt also die Geschwindigkeit des durch den Weltenraum vom Jupiter zur Erde eilenden Lichtes, bei der andern nehmen Lichtquelle und Beob- achter an der Erdbewegung teil. Geben nun beide Methoden genau das- selbe Resultat, oder sind Abweichungen vorhanden, die eine Bewegung gegen den Weltäther verraten? Maxwell (1879) hat darauf aufmerksam gemacht, daß durch die Beob- achtung der Verfinsterungen der Jupitermonde eine Bewegung des ganzen Sonnensystems gegen den Welt- äther feststellbar sein müßte. Man denke sich den Planeten Jupiter in dem Punkte A (Abb. 72) seiner Bahn, der der Bahn der Sonne bei der Bewegung des Sonnensystems in der Richtung dieser Bewegung am nächsten liegt. (In der Ab- bildung ist angenommen, daß die Jupiterbahn die Bahn des Sonnensystems in A triö"t.) Abb. 72. Während eines Jahres entfernt sich Jupiter nur wenig von A^ da seine Umlaufszeit etwa 1 2 Jahre beträgt. In einem Jahre durchläuft die Erde einmal ihre Bahn, und durch Beobachtung der Verfinsterungen läßt sich die Zeit finden, die das Licht braucht, um den Durchmesser der Erdbahn zu durchlaufen. Da sich nun das ganze Sonnensystem in der Richtung von der Sonne nach A bewegt, so läuft das Licht vom Jupiter nach der Erde dieser Bewegung entgegen, seine Geschwindigkeit er- Die Mitführung des Lichtes durch die Materie. lOI scheint vergrößert. Nun wartet man 6 Jahre, bis der Jupiter im ent- gegengesetzten Punkte B seiner Bahn steht; jetzt läuft das Licht in derselben Richtung wie das Sonnensystem, braucht also zum Durcheilen der Erdbahn längere Zeit, seine Geschwindigkeit erscheint kleiner. Wenn sich der Jupiter bei A befindet, müssen sich die Verfinsterungen eines seiner Satelliten während eines halben Erdjahres um die Zeit / = verzögern, wobei / den Durchmesser der Erdbahn bedeutet; "- c-\-v l wenn der Jupiter bei B steht, beträgt die Verzögerung 4 = ' Wäre das Sonnensystem ruhend im Äther, so würden beide Verzöge- rungen einander gleich, nämlich /q = — sein; ihre tatsächliche Differenz (I I \ 2lv 2lv für die man bei Vernachlässigung von ß^ neben i auch schreiben kann, gestattet eine Bestimmung von ß und damit der Ge- schwindigkeit V = ßc des Sonnensystems gegen den Äther. Nun braucht das Licht von der Sonne zur Erde etwa 8 Minuten, also ist /^ = 1 6 Minuten oder rund t^ = looo sec; man würde also aus einer Zeitdifferenz - ^ I , . 300 000 , , L — 4 = 1 sec auf ß = oder v = ßc = =150 km/sec 2000 2000 schließen müssen. Die Relativgeschwindigkeiten der Fixsterne gegen das Sonnensystem, die sich aus dem Dopplerschen Effekt ableiten lassen, liegen meist in der Größenordnung 20 km/sec; es kommen aber bei gewissen Sternhaufen und Spiralnebeln Geschwindigkeiten bis 300 km/sec vor. Die Genauig- keit der astronomischen Zeitbestimmungen hat bisher nicht ausgereicht, um eine Verzögerung der Verfinsterungen eines Jupitertrabanten um i sec oder weniger während eines halben Jahres festzustellen; doch ist es nicht ausgeschlossen, daß es durch Verfeinerung der Beobachtungskunst erreich- bar sein wird. Auch ein auf der Sonne befindlicher Beobachter, dem der Wert der Lichtgeschwindigkeit im ruhenden Äther bekannt ist, könnte mit Hilfe der Verfinsterungen der Jupitertrabanten die Bewegung des Sonnensystems durch den Äther feststellen; er müßte dazu die Verzögerung der Ver- finsterungen während eines halben Umlaufs des Jupiters messen. Dafür gilt dieselbe Formel 4 — /, = 2^/?, nur bedeutet jetzt 4 die Zeit, die das Licht zum Durchlaufen des Halbmessers der Jupiterbahn braucht. Dieser Wert /^ ist (etwa 2,5 mal) größer als der oben gebrauchte von 16 Minuten für die Erdbahn, und im selben Verhältnis wird die Ver- I02 Die Grundgesetze der Optik. zögerung t^ — /^ größer; aber dafür ist die Dauer des Jupiterumlaufs, während dessen die Verfinsterungen fortlaufend verfolgt werden müssen, viel (etwa 12 mal) größer als das Erdjahr, so daß diese Methode, die auch von einem irdischen Beobachter angewandt werden könnte, keinen Vorteil zu versprechen scheint. ■Jedenfalls ist durch die Tatsache, daß man mit der heute erreich- baren Genauigkeit von einigen Sekunden keine Verzögerung gefunden hat, der Beweis erbracht, daß die Geschwindigkeit des Sonnensystems gegen den Äther nicht beträchtlich größer ist als die höchsten, bekannten Re- lativgeschwindigkeiten der Gestirne gegeneinander. Wir wenden uns jetzt zu den terrestrischen Methoden der Messung der Lichtgeschwindigkeit. Hier ist leicht einzusehen, warum diese keine Schlüsse auf die Bewegung der Erde durch den Äther erlauben; wir haben auf den Grund schon oben hingewiesen, als wir diese Methoden zum ersten Male erwähnten (IV, 3, S. 75). Das Licht läuft nämlich dabei ein und denselben Weg hin und zurück ; gemessen wird nur eine mittlere Ge- schwindigkeit auf dem Hin- und Hergange, die Abweichung dieser von der Lichtgeschwindigkeit c im Äther ist aber eine Größe 2. Ordnung be- züglich ß und entzieht sich der Beobachtung. Ist nämlich / die Weg- länge, so ist die Zeit, die das Licht zum Hinwege in der Richtung der / Erdbewegung braucht, gleich , die Zeit für den Rückweg ebenso c — v l . also die ganze Zeit 2lc 2lc \c -\- V c — v] [c ~\- v) [c — v) c"" — v'^ Die mittlere Geschwindigkeit ist 2/ dividiert durch diese Zeit, also gleich unterscheidet sich demnach von c nur um Größen 2. Ordnung. Außer der direkten Messung der Lichtgeschwindigkeit gibt es zahl- lose, andere Experimente, bei denen die Lichtgeschwindigkeit ins Spiel kommt. Sämtliche Interferenz- und Beugungsphänomene beruhen darauf, daß Lichtwellen auf verschiedenen Wegen zum selben Orte gelangen und dort sich überlagern; die Brechung an der Grenze zweier Körper ent- steht durch die Verschiedenheit der Lichtgeschwindigkeit in ihnen, somit geht diese in die Wirkung aller optischen Apparate ein, die Linsen, Prismen oder dgl. enthalten. Kann man nicht Anordnungen ausdenken bei denen die Bewegung der Erde und der dadurch erzeugte »Äther- wind« sich bemerkbar machen? Es sind sehr viele Versuche zur Entdeckung dieser Bewegung er- sonnen und ausgeführt worden. Eine allgemeine Erfahrung lehrt, daß Die Mitführung des Lichtes durch die Materie. I03 bei Experimenten mit irdischen Lichtquellen niemals der geringste Ein- fluß des Ätherwindes merkbar ist; es sind auch besondere Versuche an- gestellt worden, die dasselbe beweisen. Allerdings handelt es sich dabei bis in die neueste Zeit um Versuchsanordnungen, die nur Größen erster Ordnung in ß zu messen erlauben. Daß diese immer ein negatives Re- sultat ergeben müssen, folgt aber leicht daraus, daß dabei niemals die wirkliche Zeitdauer der Lichtbewegung von einer Stelle zur andern, son- dern nur Unterschiede solcher Zeiten für denselben Lichtweg oder ihre Summen für Hin- und Rückweg gemessen werden; dabei heben sich aus dem oben erörterten Grunde immer die Größen i. Ordnung fort. Man könnte aber ein positives Resultat erwarten, wenn man nicht eine irdische, sondern eine astronomische Lichtquelle nimmt. Wenn man ein Fernrohr auf einen Stern richtet, auf den die momentane Geschwindig- keit V der Erde gerade hinweist (Abb. 73), so wird die Geschwindigkeit des Lichtes in den Linsen des Fernrohrs relativ zur Substanz des Glases um v größer sein, als wenn die Erde ruhte, und wenn man denselben Stern nach einem halben Jahre durch das Fernrohr betrachtet, so wird die Lichtgeschwindigkeit in den Linsen um V kleiner sein. Da nun die Größe der Brechung in einer Linse durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmt wird, so könnte man erwarten, daß der Brennpunkt der Linse in beiden Fällen eine verschiedene Lage hat. Abb. 73. Das wäre ein Effekt erster Ordnung; denn der Unterschied der Lichtgeschwindigkeit in beiden Fällen wäre 2 Vy und sein Verhältnis zur Geschwindigkeit im ruhenden Äther — = 28. c Arago hat diesen Versuch tatsächlich ausgeführt, aber keinerlei Unterschied der Lage des Brennpunkts gefunden. Wie ist das zu er- klären? Wir haben oben offenbar die Voraussetzung gemacht, daß die Licht- geschwindigkeit in einem Körper, der gegen den Äther dem Strahl ent- gegen mit der Geschwindigkeit v bewegt wird, genau um diesen Betrag größer ist, als wenn der Körper im Äther ruhte. Mit andern Worten: Wir haben angenommen, daß der materielle Körper durch den Äther hindurchstreicht, ohne ihn im geringsten mitzunehmen, wie ein Netz, das vom Fischerboot durch das Meerwasser geschleppt wird. Das Versuchsergebnis lehrt, daß das offenbar nicht der Fall ist. Viel- mehr muß der Äther an der Bewegung der Materie teilnehmen; es fragt sich nur, wieviel. Fresnel stellte fest, daß zur Erklärung der Aragoschen Beobachtung und aller andern Effekte i. Ordnung genügt, daß der Äther nur zum Teile von der Materie mitgeführt wird. Wir werden diese Theorie, die später I04 Die Grundgesetze der Optik. experimentell aufs glänzendste bestätigt wurde, sogleich eingehend be- sprechen. Den radikaleren Standpunkt, daß der Äther innerhalb der Materie voll- ständig an deren Bewegung teilnimmt, hat später vor allem Stokes (1845) vertreten. Er nahm an, daß die Erde den Äther in ihrem Innern mit sich führt und daß diese Ätherbewegung allmählich nach außen abnimmt, bis zur Ruhe des Weltäthers. Es ist klar, daß dann alle Lichterscheinungen auf der Erde genau so ablaufen, als wenn diese ruht; damit aber das von den Gestirnen kommende Licht nicht in der Übergangsschicht zwischen dem Weltäther und dem mitgeführten Äther der Erde Ablenkungen und Änderungen seiner Geschwindigkeit erfahre, muß man besondere Hypo- thesen über die Bewegungen des Äthers machen. Stokes fand eine solche, die allen optischen Bedingungen genügte; aber später wurde nachgewiesen, daß sie mit den Gesetzen der Mechanik nicht im Einklänge sei. Zahl- reiche Versuche, die Stokessche Theorie zu retten, haben zu keinem Ziele geführt, und sie wäre an inneren Schwierigkeiten gescheitert, auch wenn die Fresnelsche Theorie nicht durch Fizeaus Versuch (s. unten S. 105) be- stätigt worden wäre. Der Fresnelsche Gedanke der teilweisen Mitführung läßt sich aus dem Aragoschen Versuche nicht leicht ableiten, weil die Brechung in Linsen ein verwickelter Vorgang ist, der nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Richtung der Wellen betrifft. Es gibt aber ein völlig gleich- wertiges Experiment, das von Hoek später (1868) ausgeführt wurde und viel durchsichtiger ist. Es läuft im Prinzip auf folgende Interferometer- Anordnung heraus (Abb. 74). Von der Lichtquelle Q fällt das Licht auf eine gegen die Strahlrichtung unter 45° geneigte, halbdurchlässig versil- berte Glasplatte P, an der es geteilt wird; der reflektierte Strahl (Strahl i) Abb. 74. trifft der Reihe nach die Spiegel S^ , »Sg, ^'3, die mit /'ein Rechteck bilden, und wird bei der Rückkehr nach P zum Teil in das Beobachtungsfernrohr F reflektiert, der durchgehende Strahl (Strahl 2) durchläuft denselben Weg in umgekehrtem Sinne und gelangt im »Gesichtsfelde mit dem ersten zur Interferenz. Zwischen S^ und S^ wird nun ein durchsichtiger Körper, etwa ein mit Wasser gefülltes Rohr W eingeschaltet, und der ganze Apparat wird so montiert, daß die Richtung von S^ nach S^ abwechselnd parallel und entgegen der Erdbewegung um die Sonne gestellt werden kann. Die Geschwindigkeit des Lichtes in ruhendem Wasser sei c^\ dieser Wert ist etwas kleiner als die Geschwindigkeit im Vakuum, und das Ver- c hältnis beider — = « heißt Brechungsindex. Die Geschwindigkeit in Die Mitführung des Lichtes durch die Materie. 105 Luft ist von c nur unmerklich verschieden, der Brechungsindex der Luft also fast genau gleich i. Nun wird das Wasser von der Erde auf ihrer Bahn mitgeführt. Würde der Äther im Wasser an dieser Bewegung gar nicht teilnehmen, so wäre die Lichtgeschwindigkeit im Wasser relativ zum Weltäther unverändert c^ , also für einen in der Richtung der Erdbewegung laufenden Strahl relativ zur Erde c^ — v\ würde der Äther vom Wasser vollkommen mitgenommen, wäre die Lichtgeschwindigkeit relativ zum Weltäther c^ -\- v, relativ zur Erde c^ . Wir wollen keins von beiden von vornherein annehmen, sondern den Betrag der Mitführung unbestimmt lassen; es sei die Lichtgeschwindigkeit im bewegten Wasser relativ zum Weltäther etwas größer als ^j, etwa c^ + (jp, also relativ zur Erde c^ + (jP — v. Wir wollen die unbekannte Mitführungszahl cp aus dem Experimente finden ; ist sie Null", so findet gar keine, ist sie v^ so findet vollständige Mitführung statt, ihr wirklicher Wert muß zwischen diesen Grenzen liegen. Eines aber wollen wir annehmen: daß die Mitführung in Luft gegen die in Wasser zu vernachlässigen ist. Nun sei / die Länge des Wasserrohres; dann braucht der Strahl i zum / . . Durchlaufen des Rohres die Zeit , wenn die Erde sich in der c^-\-(p — v Richtung von S^ nach S^ bewegt; derselbe Strahl braucht zur Durch- laufung der entsprechenden Luftstrecke zwischen S^ und P die Zeit / . — — - — ; im ganzen ist also die Zeit , die der Strahl i zur Durchlaufung der beiden gleichen Wege in Wasser und Luft braucht: c^ -\- cp — V c -{- V Der Strahl 2 läuft umgekehrt herum; er durchläuft erst die Luftstrecke in der Zeit , dann die Wasserstrecke in der Zeit , im ganzen also braucht er auf den gleich langen Wegen in Luft und Wasser die Zeit: C — V c^ — (p -\-v Nun zeigt das Experiment, daß die Interferenzen sich nicht im ge- ringsten ändern, wenn der Apparat in die entgegengesetzte oder in irgend eine andere Richtung zur Erdgeschwindigkeit gedreht wird. Daraus folgt, daß die Strahlen i und 2 unabhängig von der Orientierung des Apparates gegen die Erdbahn gleiche Zeiten brauchen, daß also ^i + ^ — "^ c -\ry c — V c^ — (p-\-v ist. Aus dieser Gleichung kann man (p berechnen; wir unterdrücken die Io6 Die Grundgesetze der Optik. etwas umständliche Ausrechnung ^) und teilen nur das Resultat mit, das bei Vernachlässigung von Größen zweiter und höherer Ordnung lautet: (43) ,;> = (i-^)z.. Das ist die berühmte Mitführungsformel Fresnels, der sie allerdings auf anderm, mehr spekulativem Wege gefunden hat. Ehe wir seinen Ansatz mitteilen, stellen wir fest, was die Formel eigentlich aussagt. Die Mitführung ist danach um so größer, je mehr der Brechungsexponent den Wert I, den er im Vakuum hat, übertrifft. Für Luft ist c^ nahezu gleich ^, n nahezu gleich i, also cp fast genau Null, wie wir es oben vorausgesetzt haben. Je größer das Lichtbrechungsvermögen, um so vollständiger ist die Mitführung des Lichtes. Die Geschwindigkeit des Lichtes in einem bewegten Körper ist nun, gemessen relativ zum Weltäther und relativ zu dem bewegten Körper — 2; = c^ -{- li — ^jv — V = c^ — . . . - . v + ^P - . -. - . ■ ^ • n ! X\ H f 1- An diese letzte Formel knüpfen wir die Deutung Fresnels an. Dieser nahm an, daß die Dichte des Äthers ^^''1 in einem materiellen Körper verschieden sei / I • • • •• — T j von der Dichte im freien Äther; erstere sei o,. ^ j/ letztere q. v^ / Wir stellen uns nun den Körper etwa in Abb. 75. der Form eines Balkens vor, dessen Längs- richtung mit der Geschwindigkeit parallel ist; seine Grundfläche sei gleich der Flächeneinheit. Bei der Bewegung des Balkens durch den Äther rückt die vordere Fläche in der Zeiteinheit um die Strecke v vor (Abb. 75), überstreicht also ein Volumen v (Grundfläche I mal Höhez^); in diesem ist die Äthermenge qv enthalten, diese tritt i) Man schließt der Reihe nach: [c -\- v) ■\- [ci -\- cfi — v) __ [ci — q)-\-v)-\-(c — v) {ci-\-cp — V] [c -^v) [c — v) [cx — ff -^v) ' [c-\-c^-\r- cp) [c — v)[c^ — cp-\rv\ = {c -\- Ci — cp) [c ■i-v){cx + cp — v), qp2 _ qp ! _ ^2 _ ^2 V und angenähert: Die Mitführung des Lichtes durch die Materie. IO7 also durch die Vorderfläche in den Körper ein. Dort nimmt sie eine andere Dichte an, wird sich also mit einer anderen Geschwindigkeit v^ gegen den Körper weiterbewegen; aus denselben Gründen wie oben muß nämlich ihre Masse auch gleich q^v^ sein, und es gilt oder Q v^ = — V . Das ist gewissermaßen die Stärke des Ätherwindes in dem mit der Ge- schwindigkeit V bewegten Balken. Das Licht, das gegen den verdichteten Äther die Geschwindigkeit c^ hat, hat gegen den Körper die Geschwin- digkeit Q c,—v, ■= c^——v. Nun haben wir aber gesehen, daß nach dem Ergebnisse des Hoekschen Versuches die Lichtgeschwindigkeit gegen den bewegten Körper I 71 beträgt. Folglich muß Q ^ ± ^ fi sein; die Verdichtung —^ ist also gleich dem Quadrate des Brechungs- index. Hier kann man weiter schließen, daß die Elastizität des Äthers in allen Körpern die gleiche sein muß; denn die Formel (37) (S. 89) lehrt, p daß in jedem elastischen Medium c^ = -~ ist. Also gilt im Äther p = c^Q^ in der Materie p^ = c^q^; diese beiden Ausdrücke sind aber nach obigem Resultate über die Verdichtung einander gleich. Diese mechanische Deutung der Mitführungszahl durch Fresnel hat auf den Ausbau der elastischen Lichttheorie großen Einfluß ausgeübt. Wir dürfen aber nicht verhehlen, daß man gewichtige Einwände gegen sie erheben kann. Bekanntlich hat Licht von verschiedener Farbe (Schwingungszahl) verschiedene Brechbarkeit n, also verschiedene Ge- schwindigkeit. Daraus folgt, daß die Mitführungszahl für jede Farbe einen andern Wert hat. Das ist aber mit der Fresnelschen Deutung un- vereinbar, denn dann müßte der Äther je nach der Farbe mit anderer Geschwindigkeit im Körper strömen; es gäbe also so viele Äther, wie Farben, und das ist doch unmöglich. Ganz ohne Rücksicht auf die mechanische Deutung ist aber die Mit- führungsformel (43) auf die Ergebnisse von Versuchen begründet. Wir werden sehen, daß sie in der elektromagnetischen Lichttheorie aus Vor- io8 Die Grundgesetze der Optik. \r Abb. 76. Stellungen über die atomistische Struktur der Materie und der Elektrizität abgeleitet wird. Durch irdische Experimente die Fresnelsche Formel zu prüfen, ist sehr schwierig, weil dazu durchsichtige Substanzen sehr schnell bewegt werden , müssen. Der Versuch ist Fizeau (1851) mit Hilfe einer empfind- S^y \ ' I \ .?, liehen Interferometer -Anordnung gelungen. Der von ihm benutzte Apparat ist ganz ähnlich dem von Hoek, nur sind dezde Lichtwege 5^ S^ und S^P mit Röhren versehen, '^n durch die Wasser strömen kann, und zwar so, daß der Strahl i ganz mit dem Wasser, der Strahl 2 /" ganz gegen das Wasser läuft (Abb. 76). Fizeau prüfte, ob das Wasser das Licht mit sich führt, indem er beobachtete, ob sich die Inter- ferenzen verschoben, wenn das Wasser in rasche Bewegung gesetzt wird. Das war in der Tat der Fall, aber lange nicht in dem Maße, das voll- ständiger Mitführung entspricht; die genaue Messung ergab vorzügliche Übereinstimmung mit der Fresnelschen Mitführungsformel (43). 10. Die Aberration. Wir diskutieren jetzt den, Einfluß der Bewegung der Körper auf die J^üA- tung der Lichtstrahlen, insbesondere die Frage, ob sich durch Beobachtungen von Richtungsänderungen die Bewegung der Erde durch den Äther feststellen läßt. Dabei ist wiederum zu unter- ^^ scheiden, ob es sich um eine astrono- mische oder eine irdische Lichtquelle handelt. Die scheinbare Ablenkung des von den Fixsternen zur Erde gelangenden Lichtes ist die Aberration^ die wir schon vom Standpunkte der Emis- sionstheorie diskutiert haben (IV, 3, S. 72). So einfach die dort gegebene . Erklärung ist, so verwickelt ist die ^ Sache vom Standpunkte der Wellen- "^^ ^ theorie. Denn man sieht leicht ein, Abb. 77. daß eine Ablenkung der Wellenebenen überhaupt nicht stattfindet. Am deut- lichsten erkennt man das, wenn die Strahlen senkrecht zur Bewegung des Beobachters einfallen; dann sind die Wellenebenen dieser Bewegung parallel P (^ Die Aberration. lOQ und werden von dem bewegten Beobachter ebenso wahrgenommen (Abb. 77). Dasselbe lehrt aber auch die Rechnung. Wir legen ein ruhendes Koordinaten- system S und ein bewegtes S' so, daß die x- bzw. ^Jc'-Achse in die Be- wegungsrichtung fällt, und zählen die Wellen, die vom Moment / = o an bis zum Moment / einen beliebigen Punkt F überstrichen haben; diese Anzahl ist, wie wir wissen, v U j , wo s der von den Wellen zurück- gelegte Weg ist. Offenbar ist im Falle senkrecht auftreffender Wellen s =y. Die Invarianz der Wellenzahl erfordert, daß .(,_z) =.(,_/) ist, wenn die Koordinaten mit der Galilei-Transformation umgerechnet werden. Bei dieser bleibt aber die ^y-Koordinate ungeändert, daher muß , V v' , p = v' und — = -y- also c = c c c sein. Der bewegte Beobachter sieht also eine Welle von genau derselben Frequenz, Geschwindigkeit und Richtung; denn wäre diese verändert, so müßte die Wellenzahl in S' außer von • / auch von x abhängen. Es scheint also, daß die Wellentheorie nicht imstande ist, die einfache und seit fast 200 Jahren bekannte Erscheinung der Aberration zu er- klären. Aber so schlimm liegt die Sache nicht. Der Grund für den Miß- erfolg der eben angestellten Überlegung ist der, daß die optischen Instrumente, mit denen die Beobachtungen gemacht werden und zu denen auch das unbewaffnete Auge gehört, gar nicht die Lage der ankommenden Wellenfront feststellen, sondern eine ganz andere Leistung vollbringen. Man bezeichnet die Funktion des Auges oder des Fernrohrs als optische Abbildung^ und sie besteht darin, daß die von einem leuchtenden Objekte ausgehenden Strahlen zu einem Bilde vereinigt werden. Dabei wird die Schwingungsenergie der Teilchen des Objekts von den Lichtwellen nach den entsprechenden Teilchen des Bildes transportiert. Die Wege dieses .Energietransportes sind nun tatsächlich die physikalischen Strahlen. Energie aber ist eine Größe, die nach dem Erhaltungssatze wie eine Substanz wandern und sich umformen, aber nicht entstehen und verschwinden kann. Daher ist es plausibel, daß man auf ihre Bewegung die Gesetze der Emis- sionstheorie anwenden kann. Tatsächlich ist die einfache, früher (S. 73) gegebene Ableitung der Aberrationsformel ganz richtig, wenn man die Lichtstrahlen als die Energiebahnen der Lichtwellen definiert und auf diese die Gesetze der Relativbewegung anwendet, als wären sie Ströme geschleuderter Partikel. Man kann aber auch ohne Anwendung dieses Begriffes der Strahlen als Energiebahnen die Aberrationsformel gewinnen, indem man die Brechung I I O Die Grundgesetze der Optik. der Wellen an den Linsen oder Prismen des optischen Instruments im einzelnen verfolgt. Dazu muß eine bestimmte Mitführungstheorie zugrunde gelegt werden. Die Stokessche Theorie der vollständigen Mitführung kann die Aberration nur durch Annahmen über die Ätherbewegung erklären, die mechanisch nicht zulässig sind; wir haben auf diese Schwierigkeiten schon oben aufmerksam gemacht. Die Fresnelsche Theorie liefert ein Brechungsgesetz der Lichtwellen an der Oberfläche bewegter Körper, aus dem genau die Aberrationsformel hervorgeht. Die Substanz der Körper, durch die das Licht hindurchgeht, beeinflußt das Resultat nicht, obwohl doch die Größe der Mitführungszahl in jeder Substanz eine andere ist. Um dies direkt zu prüfen, füllte Airy (187 1) ein Fernrohr mit Wasser und stellte fest, daß dabei die Aberration ihre normale Größe hatte. Die Aberration als Eff"ekt i. Ordnung verschwindet natürlich, wenn die Lichtwelle und der Beobachter keine Relativbewegung gegeneinander haben. Daraus folgt auch, daß bei allen optischen Versuchen mit irdischen Lichtquellen keine Ablenkung der Strahlen durch den Ätherwind eintritt. Die Fresnelsche Theorie ist imstande, diese Tatsachen im Einklänge mit der Erfahrung darzustellen. Es erübrigt sich, darauf ausführlich einzugehen. Wir brechen nun unsere Erörterungen über den Lichtäther ab und werfen einen Blick auf die gewonnenen Einsichten. II. Rückblick und Ausblick. Wir haben den Lichtäther als Substanz behandelt, die den Gesetzen der Mechanik gehorcht. Er genügt also dem Trägheitsgesetze und wird daher dort, wo keine Materie ist, im Weltenraume, in einem geeigneten Inertialsysteme ruhen. Beziehen wir nun alle Erscheinungen auf ein anderes Inertialsystem, so gelten genau die gleichen Gesetze für die Bewegungen der Körper und des Äthers, also auch für die Lichtfortpflanzung, aber natürlich nur soweit sie Beschleunigungen und wechselseitige Kraftwirkungen betreffen. Wir wissen, daß die Geschwindigkeit und die Richtung einer Bewegung durchaus verschieden sind bezüglich verschiedener Inertial- systeme; kann man doch jeden in gradlinig gleichförmiger Bewegung be- findlichen Körper als ruhend auffassen durch bloße Wahl eines geeigneten, nämlich mitbewegten Bezugsystems. In diesem, fast trivialen Sinne muß also für den als mechanische Substanz gedachten Äther das klassische Relativitätsprinzip gelten. Daraus folgt aber, daß die Geschwindigkeit 'und Richtung der Licht- strahlen in jedem Inertialsystem anders erscheinen müssen. Es wäre also zu erwarten, daß durch Beobachtungen der irdischen optischen Erschei- nungen, die hauptsächlich durch die Geschwindigkeit und Richtung des Lichtes bedingt sind, die Geschwindigkeit der Erde oder des Sonnensystems festgestellt werden könnte. Aber sämtliche, zu diesem Zwecke angestellten Versuche ergaben ein negatives Resultat. Es stellt sich also heraus, daß die. Geschwindigkeit und Richtung der Lichtstrahlen ganz unabhängig sind Rückblick und Ausblick. 1 1 1 von der Bewegung des Weltkörpers, auf dem die Beobachtungen angestellt werden. Oder anders ausgedrückt: die optischen Erscheinungen hängen nur von den relativen Bewegungen der materiellen Körper ab. Das ist ein Relativitätsprinzip, welches ganz ähnlich klingt wie das klassische der Mechanik, aber doch einen anderen Sinn hat; denn es be- zieht sich auf Geschwindigkeiten und Richtungen von Bewegungsvorgängen, und diese sind in der Mechanik nicht von der Bewegung des Bezugsystems unabhängig. Es sind nun zwei Standpunkte möglich. Der eine geht davon aus, daß durch die optischen Erfahrungen tatsächlich etwas prinzipiell Neues gegeben ist, nämlich daß Licht sich nach Richtung und Geschwindigkeit anders verhält wie materielle Körper. Sobald man die optischen Er- fahrungen für zwingend hält, wird man diesen Standpunkt dann vertreten, wenn man sich von jeder Spekulation über das Wesen des Lichtes fern- halten will. Wir werden sehen, daß Einstein schließlich diesen Weg be- schritten hat. Dazu aber gehört eine erhabene Freiheit von den Konven- tionen der überkommenen Theorie, die erst dann möglich ist, wenn der gordische Knoten von Konstruktionen und Hypothesen so verwickelt ge- worden ist, daß das Durchhauen die einzige Lösung bleibt. Hier aber stehen wir noch in der Blütezeit der mechanischen Äther- theorie, und diese nahm natürlich den anderen Standpunkt ein. Sie mußte das optische Relativitätsprinzip als sekundäre, gewissermaßen halb zufällige Erscheinung auffassen, hervorgerufen durch die Kompensation von gegen einander wirkenden Ursachen. Daß so etwas bis zu einem gewissen Grade möglich ist, liegt daran, daß es ja noch freisteht, Hypothesen darüber zu machen, wie sich der Äther bewegt, wie er von den bewegten Körpern in seiner Bewegung beeinflußt wird. Es ist nun eine große Leistung der Fresnelschen Mitfiihrungshypothese, daß sie tatsächlich das optische Re- lativitätsprinzip erklärt, soweit Größen i. Ordnung in Betracht kommen. Solange die Genauigkeit der optischen Messungen nicht die gewaltige Steigerung erfuhr, die nötig ist, um Größen 2. Ordnung zu messen, war mit dieser Theorie allen Forderungen der Erfahrung Genüge getan, bis auf eine mögliche Ausnahme, die merkwürdigerweise meist wenig beachtet wird. Wenn nämlich erhöhte astronomische Messungsgenauigkeit zu dem Ergebnis kommen würde, daß durch die Beobachtung der Verfinsterungen der Jupitertrabanten nach der alten Methode von Römer (s. S. 100) ein Einfluß der Bewegung des Sonnensystems auf die Lichtgeschwindigkeit nicht nachweisbar ist, so wäre damit allerdings die Äthertheorie vor eine kaum lösbare Aufgabe gestellt; denn es ist klar, daß dieser Effekt i. Ord- nung durch keine Hypothese über die Mitführung des Äthers wegdisputiert werden könnte. Man erkennt nun die Wichtigkeit der experimentellen Aufgabe, die Abhängigkeit der optischen Vorgänge von der Erdbewegung bis auf Größen zweiter Ordnung zu messen. Erst die Lösung dieses Problems kann die Entscheidung bringen, ob das optische Relativitätsprinzip in Strenge gilt j j 2 Die Grundgesetze der Optik. oder nur angenähert. Im ersteren Falle würde die Fresnelsche Äther- theorie versagen; man stände dann vor einer neuen Lage. Historisch ist diese erst etwa loo Jahre nach Fresnel eingetreten. Dazwischen liegt eine Entwicklung der Äthertheorie in anderer Richtung. Es gab nämlich zu Anfang nicht nur einen Äther, sondern eine ganze Menge: einen optischen, einen thermischen, einen elektrischen, einen magnetischen, und vielleicht noch einige mehr. Zu jeder Erscheinung, die im Räume vor sich geht, wurde als Träger ein besonderer Äther er- funden. Alle diese Äther hatten zunächst nichts miteinander zu tun, sondern existierten im selben Räume unabhängig neben- oder besser ineinander. Dieser Zustand der Physik konnte natürlich nicht dauern. Man fand bald Zusammenhänge zwischen den Erscheinungen der ver- schiedenen, zuerst getrennten Gebiete, und so ergab sich schließlich ein Äther als Träger aller physikalischen Erscheinungen, die den von Materie freien Raum überbrücken. Insbesondere erwies sich das Licht als ein elektromagnetischer Schwingungsvorgang, dessen Träger identisch ist mit dem Medium, das die elektrischen und magnetischen Kräfte übermittelt. Durch diese Entdeckungen fand zunächst die Äthervorstellung eine starke Stütze. Schließlich kam es sogar dazu, daß der Äther mit dem Newton- schen Räume identifiziert wurde; er sollte in absoluter Ruhe verharren und nicht nur die elektromagnetischen Wirkungen vermitteln, sondern mittelbar auch die Newtonschen Trägheits- und Fliehkräfte erzeugen. Wir werden jetzt diese Entwicklung der Theorie darstellen. Es ist wie eine spannende Gerichtsverhandlung; der Äther soll an allem schuld sein, Beweis wird auf Beweis gehäuft, bis schließlich der zwingende Nach- weis des Alibi der Sache ein Ende macht: Michelsons Experiment über die Größen 2. Ordnung und seine Deutung durch Einstein. V. Die Grundgesetze der Elektrodynamik. I. Die Elektro- und Magneto- Statik. Daß ein gewisses Erz, der Magneteisenstein, Eisen anzieht, daß an geriebenem Bernstein (griechisch Elektron) kleine, leichte Körperchen hängen bleiben, war schon im Altertum bekannt. Aber die Wissenschaften vom Magnetismus und der Elektrizität sind doch erst Kinder der Neuzeit, die in der Schule Galileis und Newtons gelernt hatte, vernünftige Fragen an die Natur zu stellen und die Antwort im Experiment zu verstehen. Die Grundtatsachen der elektrischen Erscheinungen wurden etwa vom Jahre 1600 an festgestellt; wir wollen sie kurz aufzählen. Als Mittel zur Erzeugung elektrischer Wirkungen diente damals ausschließlich die Reibung. Gray entdeckte (1729), daß Metalle durch Berührung mit Körpern, die durch Reibung elektrisiert sind, ähnliche Eigenschaften bekommen; er zeigte, daß die elektrischen Wirkungen in den Metallen fortgeleitet werden können. Damit war die Einteilung der Substanzen in Leiter (Konduktoren) und Nichtleiter (Isolatoren) gewonnen. Daß die elektrische Wirkung nicht immer Anziehung ist, sondern auch Abstoßung sein kann, wurde durch du Fay (1730) entdeckt; er deutete diese Tatsache durch die Annahme zweier Fluida, die wir heute positive und negative Elektrizität nennen, und er stellte fest, daß gleichnamig geladene Körper sich abstoßen, un- gleichnamig geladene sich anziehen. Wir wollen hier sogleich den Begriff der elektrischen Ladung quanti- tativ definieren; dabei halten wir uns nicht streng an die oft recht krausen Gedankengänge, die historisch zur Aufstellung der Begriffe und Gesetze geführt haben, sondern wählen eine Ordnung der Definitionen und Ex- perimente, bei der der logische Zusammenhang möglichst klar zum Vor- schein kommt. Wir denken uns einen irgendwie durch Reibung elektrisierten Körper M\ dieser wirkt nun anziehend oder abstoßend auf andere elektrisierte Körper. Wir wollen zum Studium dieser Wirkung kleine Probekörperchen nehmen, etwa Kugeln, deren Durchmesser sehr klein sind gegen den nächsten Ab- stand vom Körper M^ wo wir die Kraft noch untersuchen wollen. Bringen wir einen solchen Probekörper P in die Nähe des Körpers M^ dessen Wirkung wir studieren wollen, so erfährt P eine statische Kraft von bestimmter Größe und Richtung, die man mit den Methoden der Mechanik messen kann, etwa durch Ausbalanzierung gegen ein Gewicht mit Hilfe von Hebeln oder Fäden. Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. 8 1 1 4 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. Nun nehmen wir zwei solche, in verschiedener Weise geriebene Probe- körperchen P^ und P^ , bringen sie der Reihe nach an dieselbe Stelle in der Nähe von M und messen beidemal die Kräfte K^ und K^ nach Größe und Richtung. Dabei wollen wir die Verabredung treffen, daß von jetzt an entgegengesetzte Kräfte als gleichgerichtet gelten, aber ihre Größen mit umgekehrten Vorzeichen gerechnet werden sollen. Der Versuch ergibt, daß die beiden Kräfte gleiche Richtung haben ; aber ihre Größe kann verschieden sein und verschiedenes Vorzeichen haben. Nun bringen wir die beiden Probekörper an eine andere Stelle in der Nähe von M und messen wieder die Kräfte K\ und K'^ nach Größe und Richtung; wieder haben beide dieselbe Richtung, aber im allgemeinen verschiedene Größen und verschiedenes Vorzeichen. Bildet man nun das Verhältnis K^ : K^ der Kräfte an der ersten Stelle, dann das Verhältnis K\ : K\ an der zweiten Stelle, so zeigt es sich, daß beide den gleichen Wert haben, der positiv oder negativ sein kann: Ä = ^. Aus diesem Resultat wird man schließen: 1. Die Richtung der von einem elektrisierten Körper M auf einen kleinen Probekörper P ausgeübten Kraft hängt gar nicht von der Natur und Elektrisierung des Probekörpers ab, sondern nur von den Eigenschaften des Körpers M. 2. Das Verhältnis der Kräfte auf zwei nacheinander an dieselbe Stelle gebrachten Probekörper ist ganz unabhängig von der Wahl der Stelle, also von der Lage, Natur und Elektrisierung des Körpers J/". Es hängt nur von den Eigenschaften der Probekörper ab. Man wählt nun einen bestimmten, in bestimmter Weise elektrisierten Probekörper als Einheitskörper und schreibt ihm die Ladung oder Elek- trizitätsmenge + 1 zu. Mit diesem mißt man überall die Kraft aus^ die der Körper M ausübt; sie sei mit E bezeichnet. Dann bestimmt diese auch die Richtung der auf irgendeinen anderen Probekörper P aus- geübten Kraft K. Das Größenverhältnis K : E aber hängt nur von dem Probekörper P ab und wird seine elektrische Ladung e genannt; diese kann positiv oder negativ sein, je nachdem K und E im engeren Sinne gleichgerichtet oder entgegengerichtet sind. Es gilt also K (44) -—•=. e oder K = eE. E Die Kraft E auf die Ladung i heißt auch elektrische Feldstärke des Körpers M\ sie ist bei fixierter Ladungseinheit nur Von der elektrischen Natur des Körpers M abhängig, sie bestimmt dessen elektrische Wirkung im umgebendem Räume oder, w^ie man sagt, sein -» elektrisches Feld<^, Was nun die Wahl der Einheitsladung angeht, so wäre es praktisch unmöglich, diese durch eine Vorschrift über die Elektrisierung eines be- Die Elektro- und Magneto-Statik. 1 1 5 Stimmten Probekörpers festzulegen; vielmehr wird man eine mechanische Definition für sie suchen. Das gelingt so: Man kann zunächst zwei Probekörper gleich stark laden; das Kriterium gleicher Ladung ist, daß sie von dem dritten Körper M an derselben Stelle dieselbe Kraft erfahren. Dann werden die beiden Probekörper sich gegenseitig mit der gleichen Kraft abstoßen ; wir sagen nun, ihre Ladung sei I, wenn diese Abstoßung gleich der Krafteinheit wird, sobald die Entfernung der beiden Probekörper gleich der Längeneinheit gewählt wird. Dabei ist über die Abhängigkeit der Kraft von der Entfernung nicht das geringste vorausgesetzt. Durch diese Definitionen ist die Elektrizitätsmenge oder elektrische Ladung ebensogut eine meßbare Größe, wie Längen, Massen oder Kräfte. Das wichtigste Gesetz über die Elektrizitätsmengen, das (1747) un- abhängig von Watson und Franklin ausgesprochen wurde, ist der Satz, daß bei jedem elektrisierenden Vorgange immer gleiche Mengen positiver und negativer Elektrizität entstehen. Reibt man z. B. einen Glasstab mit einem seidenen Tuche, so wird der Glasstab positiv elektrisch; genau die gleiche negative Ladung findet sich dann auf dem Tuche. Diese Erfahrungstatsache läßt sich so deuten, daß die beiden Elektri- zitätsarten durch die Reibung nicht erzeugt^ sondern nur getrennt werden. Man stellt sie als zwei Fluida vor, die in allen Körpern in gleichen Mengen vorhanden sind. In nicht elektrisierten, »neutralen« Körpern sind sie überall in gleicher Menge, so daß sich ihre Wirkung nach außen aufhebt. In elektrisierten Körpern aber sind sie getrennt; ein Teil der positiven Elektrizität ist etwa von einem Körper auf den andern über- geflossen, ebensoviel negative in umgekehrter Richtung. Es genügt aber offenbar, nur ein Fluidum anzunehmen, das unabhängig von der Materie fließen kann ; dann muß man der Materie, die von diesem Fluidum frei ist, eine bestimmte Ladung, etwa die positive, zuschreiben, dem Fluidum die entgegengesetzte, negative. Die Elektrisierung besteht darin, daß das negative Fluidum von einem Körper zum andern über- fließt; der erste wird dann positiv sein, weil die positive Ladung der Materie nicht mehr ganz kompensiert ist, der andere wird negativ, weil er einen Überschuß des negativen Fluidums hat. Der Streit zwischen den Anhängern der beiden Hypothesen, der Ein- und Zw ei- Fluidum- Theorie^ dauerte lange Zeit und blieb natürlich solange unfruchtbar und zwecklos, bis er durch die Entdeckung neuer Tatsachen entschieden wurde. Wir gehen auf diese Diskussionen nicht näher ein, sondern berichten nur kurz, daß man schließlich charakteristische Unter- schiede im Verhalten der beiden Elektrizitäten fand, die darauf hindeute- ten, daß die positive Elektrizität tatsächlich fest an der Materie haftet, die negative aber frei beweglich ist. Diese Lehre gilt noch heute; wir kommen darauf weiter unten bei der Besprechung der Elektronentheorie zurück. Ein anderer Streit drehte sich um die Frage, wie die elektrischen Anziehungs- und Abstoßungskräfte durch den Raum übertragen werden. 8* Il6 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. Die ersten Jahrzehnte elektrischer Forschung standen noch nicht unter dem Einflüsse der Newtonschen Attraktionstheorie; eine Wirkung in die Ferne erschien undenkbar, es galten metaphysische Sätze wie der, daß Materie nur da wirken kann, wo sie ist, und so wurden ver- schiedene Hypothesen zur Erklärung der elektrischen Kräfte ersonnen: Emanationen, die den geladenen Körpern entströmen und beim Auftreffen Druck ausüben, und ähnliche Annahmen. Nachdem aber Newtons Gravitationstheorie ihren Siegeszug angetreten hatte, wurde die Vorstellung einer unmittelbar in die Ferne wirkenden Kraft allmählich Gewohnheit. Denn es ist tatsächlich nichts als Denkgewohnheit, wenn irgendeine Vor- stellung sich so den Gehirnen einprägt, daß sie als letztes Erklärungs- prinzip gebraucht wird. Zwar dauert es. dann nicht lange, bis die meta- physische Spekulation, oft im Gewände kritischer Philosophie, den Beweis erbringt, daß das geltende Erklärungsprinzip denknotwendig, sein Gegen- teil unvorstellbar sei; aber die fortschreitende, empirische Wissenschaft pflegt sich glücklicherweise darum nicht zu kümmern und greift zuweilen, wenn neue Tatsachen es fordern, zu den verurteilten Vorstellungen zurück. Die Entwicklung der Lehre von den elektrischen und magnetischen Kräften ist ein Beispiel eines solchen Kreislaufs der Theorien; am Beginne steht eine, auf metaphysische Gründe gestützte Nahwirkungstheorie, sie wird von einer Fernwirkungstheorie nach Newtonschem Muster abgelöst, am Schlüsse verwandelt diese sich, durch neu entdeckte Tatsachen gezwungen, in eine allgemeine Nahwirkungstheorie zurück. Dieses Schwanken ist aber kein Zeichen von Schwäche; denn die Bilder, die sich an die Theorien knüpfen, sind nicht das Wesentliche, sondern die empirischen Tatsachen und ihre begrifflichen Zusammenhänge. Wenn man aber diese verfolgt, so sieht man kein Schwanken, sondern eine stetige Entwicklung voll innerer, logischer Kraft. Die ersten theoretischen Versuche der vornewtonischen Zeit kann man mit Fug aus der Reihe fortlassen, weil die Tatsachen zu lückenhaft bekannt waren, um irgendwie zwingende Anhaltspunkte für die Theorie zu liefern. Daß dann aber die Fernwirkungstheorie nach dem Muster der Newtonschen Mechanik entstand, liegt durchaus im Wesen der elektrischen Tatsachen begründet. Eine Forschung, der die experimentellen Hilfsmittel des i8. Jahrhunderts zur Verfügung standen, mußte auf Grund der zurzeit möglichen Beobachtungen zu der Entscheidung kommen, daß die elektrischen und magnetischen Kräfte in derselben Weise wie die Gravita- tion in die Ferne wirken. Auch heute noch, vom Standpunkte der hoch entwickelten Nahwirkungstheorie Faradays und Maxwells, ist die Dar- stellung der Elektro- und Magnetostatik mit Hilfe von Fernkräften durchaus erlaubt und führt bei verständigem Gebrauche immer zu richtigen Resultaten. Der Gedanke, daß die elektrischen Kräfte wie die Gravitation in die Ferne wirken, ist von Äpinus (1759) zuerst gefaßt worden; er ging sogar so weit, Gravitation und Elektrizität als Wirkungen desselben Fluidums aufzu- fassen. Er stellte sich im Sinne der Ein-Fluidum-Theorie vor, daß Materie ohne elektrisches Fluidum andere Materie abstoßen würde, daß aber immer Die Elektro- und Magneto-Statik. 1 1 7 ein kleiner Überschuß des Fluidums da sei, der die Gravitationsanziehung bewirke. Die Aufstellung des richtigen Gesetzes für die Abhängigkeit der elektrischen Wirkungen von der Entfernung gelang ihm merkwürdiger- weise nicht; aber er konnte qualitativ die Erscheinung der Influenz er- klären. Diese besteht darin, daß ein geladener Körper nicht nur auf /T~+ ~I^ andere geladene Körper, sondern ( "*" "^ -~-~y l ^ auch auf ungeladene, besonders auf z_i^ leitende Körper anziehend wirkt; Abb. 78. die gleichnamige Ladung wird nämlich auf die dem wirkenden Körper zugewandte, die ungleichnamige auf die abgewandte Seite des influenzierten Körpers getrieben (Abb. 78), daher überwiegt die Anziehung über die Abstoßung. Das wahre Gesetz wurde wohl zuerst von Priestley, dem Entdecker des Sauerstoffs, (1767) gefunden, und zwar auf einem geistreichen, in- direkten Wege, dessen Beweiskraft im Grunde größer ist, als die der direkten Messung. Unabhängig von ihm hat Cavendish (1771) das Gesetz auf dieselbe Weise abgeleitet. Seinen Namen aber trägt es nach dem Forscher, der es zuerst durch direkte Messungen der Kräfte bewiesen hat, Coulomb (1785). Jene Überlegung von Priestley und Cavendish läuft etwa auf fol- gendes heraus: Wenn man einem Leiter (Metall) elektrische Ladung zuführt, so kann diese nicht im Innern der leitenden Substanz im Gleichgewicht bleiben, da sich ja gleichnamige Ladungsteilchen abstoßen; sie muß vielmehr an die Oberfläche drängen, wo sie in einer gewissen Verteilung ins Gleichgewicht kommt. Die Erfahrung lehrt nun mit großer Schärfe, daß innerhalb eines rings von metallischen Wänden umgebenen Raumes kein elektrisches Feld be- steht, mag die Hülle noch so stark geladen sein. Die an der Oberfläche des Hohlraums befindlichen Ladungen müssen sich also so verteilen, daß die Kraftwirkung auf jeden Punkt im Innern verschwindet. Hat der Hohlraum nun insbesondere die Gestalt einer Kugel, so kann aus Sym- metriegründen die Ladung nur gleichförmig auf der Oberfläche verteilt sein; wenn q die Ladung auf der Flächeneinheit (Ladungsdichte) ist, so befinden sich auf zwei Flächenstücken /^ und /^ die Elektrizitätsmengen (»/j und q/^. Die Kraft, die ein solches kleines Flächenstück /j auf einen im Innern der Kugel befindlichen Probekörper F von der Ladung e ausübt, wird dann J^^ = e qf^ R^ sein, wo R^^ die Kraft zwischen zwei in P und /i angebrachten Ladungseinheiten bedeutet und irgendwie von der Entfernung r, zwischen i^und/^ abhängt. Zu jedem Flächenstück /^ gibt es nun ein gegenüberliegendes /j, welches man dadurch erhält, daß man die Punkte des Randes von /^ mit F verbindet und diese Linien über F hinaus bis zum Schnitt mit der Kugel verlängert; die beiden Flächen- stücke /j und /j werden also durch denselben Doppelkegel, mit der Spitze F aus der Kugel ausgeschnitten (Abb. 79), und die Winkel zwischen 1 1 8 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. ihnen und der Achse des Doppelkegels sind gleich. Die Größen von /^ und /a verhalten sich daher wie die Quadrate der Abstände von P : ^ = -^ fr r\ ' Von der auf f^ befindlichen Ladung gf^ wird die Kraft K^^=e Qf^ R^ auf P ausgeübt, wo R^ irgendwie von r^ abhängt; K^ ist natürlich K^ entgegen gerichtet. Es liegt nahe anzunehmen, daß sämtliche auf P wirkende Kräfte sich nur dann aufheben können, wenn sich die von je zwei gegenüberliegenden Flächenstücken herrührenden Kräfte das Gleichgewicht halten, wenn also K^ = K^ ist. Man kann diese Annahme beweisen, doch würde uns das hier zu weit führen. Lassen wir sie gelten, so folgt aus ihr f^R^ =f^R^ oder Es ist demnach ^i^i = R^r\ = ^, wo c eine von der Entfernung r unabhängige Größe ist. Damit ist R^ und R^ bestimmt, nämlich Abb. 79. ^ = _^ ^ = _L . ' -' -'•'•I 2 J -'•'■2 o ' 1 '2 Allgemein muß daher die Kraft R zwischen zwei im Abstände r befind- lichen Ladungseinheiten den Wert haben: r Gemäß unserer Verfügung über die Einheit der elektrischen Ladung müssen wir c = 1 setzen; denn die Kraft zwischen zwei Ladungseinheiten im Abstände i soll gleich i sein. Mit dieser Festsetzung wird die Kraft, die zwei Körper mit den Ladungen e^ und e^ im Abstände r aufeinander ausüben (45) ^-='4- r Das ist das Coulo7nbsche Gesetz. Bei seiner Formulierung ist als selbst- verständhch vorausgesetzt, daß die größten Durchmesser der geladenen Körper klein sind gegen ihren Abstand. Diese Einschränkung drückt aus, daß das Gesetz, ebenso wie das der Gravitation, ein idealisiertes Elementar- gesetz ist; um daraus auf die Wirkung von Körpern endlicher Ausdeh- nung zu schließen, muß man die auf ihnen verteilte Elektrizität in kleine Teile zerlegt denken und die Wirkungen aller Teilchen des einen Körpers auf alle des anderen paarweise berechnen und summieren. Durch die Formel (45) ist die Dimension der Elektrizitätsmenge fest- gelegt; denn für die Abstoßung zweier gleicher Ladungen gilt — = ^, also e ^= rV K ^ daher ist Die Elektro- und Magneto-Statik. 1 1 q Damit ist auch die Einheit der Ladung im cm-g-sec-System bestimmt; man ^ . cm|/gcm , ., muß sie schreiben. sec Die elektrische Feldstärke E^ definiert durch K = eE^ hat die Dimension und ihre Einheit ist — 1/ sec ' cm Von der Aufstellung des Coulombschen Gesetzes an wurde die Elektro- statik eine mathematische Wissenschaft. Das wichtigste Problem ist, bei gegebener gesamter Elektrizitätsmenge auf leitenden Körpern die Ver- teilung der Ladungen auf diesen unter der Wirkung der gegenseitigen Influenz und die daraus entspringenden Kräfte zu berechnen. Die Ent- wicklung dieser mathematischen Aufgabe ist darum interessant, weil sie sehr schnell von der ursprünglichen Formulierung als Fernwirkungstheorie in eine Pseudo-Nahwirkungstheorie verwandelt wurde, d. h. an die Stelle der Summationen der Coulombschen Kräfte traten Differentialgleichungen, worin als Unbekannte die Feldstärke E^ oder eine damit zusammen- hängende Größe, das Potential^ auftrat. Wir können aber auf diese rein mathematischen Fragen, um die sich Laplace (1782), Poisson (1813), Green (1828) und Gauß (1840) große Verdienste erworben haben, hier nicht näher eingehen. Nur einen Punkt wollen wir hervorheben: Es han- delt sich bei dieser Behandlung der Elektrostatik, die man gewöhnlich Potentialtheorie nennt, um keine eigentliche Nahwirkungstheorie in dem Sinne, den wir dem Worte oben (IV, 6, S. 86) gegeben haben; denn die Differentialgleichungen beziehen sich auf die örtliche Änderung der Feld- stärke von Stelle zu Stelle, aber sie enthalten kein Glied, das eine zeit- liche Änderung ausdrückt. Daher bedingen sie keine Ausbreitung der elektrischen Kraft mit endlicher Geschwindigkeit, sondern stellen trotz der differentiellen Form eine momentane Wirkung in die Ferne dar. Die Lehre vom Magnetismus entwickelte sich in ähnlicher Weise wie die Elektrostatik. Wir können uns daher kurz fassen. Der wesentlichste Unterschied zwischen beiden Erscheinungsgebieten ist der, daß es Körper gibt, die Elektrizität leiten, während der Magnetismus immer an die Materie gebunden und nur mit dieser beweglich ist. Ein langgestreckter, magnetisierter Körper, eine Magnetnadel^ hat zwei Pole^ d. h. Stellen, von denen die magnetische Kraft auszugehen scheint, und zwar gilt das Gesetz, daß gleichnamige Pole sich abstoßen, ungleich- namige sich anziehen. Zerbricht man den Magneten, so werden dadurch seine beiden Teile nicht entgegengesetzt magnetisch, sondern jeder Teil J20 ^^^ Grundgesetze der Elektrodynamik. bekommt an der Bruchstelle einen neuen Pol und stellt wieder einen voll- ständigen Magneten mit zwei gleichen Polen dar. Und das gilt, in wie kleine Stücke man den Magneten auch zerteilen mag. Man hat daraus geschlossen, daß es zwar zwei Arten von Magnetis- mus gibt, wie bei der Elektrizität, daß diese aber sich nicht frei be- wegen können, sondern in den kleinsten Teilen der Materie, den Molekeln, je in gleicher Menge, aber getrennt vorhanden sind. Jede Molekel ist also selbst ein kleiner Magnet mit Nord- und Südpol (Abb. 80); die Magnetisierung eines endlichen Körpers aber besteht darin, daß alle die Elementarmagnetchen, die ursprünglich in völliger Unordnung lagen, parallel gerichtet werden. Dann heben O X , ^ ^ V ^ ^ ^ vA sich die Wirkungen der ab- ^^.:—) vi — ) vi ) vi — V v^JUy \ wechselnd aufeinanderfolgenden G3 £3 £3 di) GZ3 I Nord(-l-)- und Süd(— )-Pole auf, bis auf die der beiden End- .e3 di) ezi) G) e3/ flächen, von denen also alle Abb. 80. Wirkung auszugehen scheint. Indem man eine sehr lange, dünne Magnetnadel benutzt, kann man es erreichen, daß in der Nähe des einen Pols die Kraft des anderen schon unmerklich ist. Daher kann man auch hier mit Probekörperchen operieren, nämlich den Polen sehr langer, dünner Magnetstäbe; mit diesen lassen sich nun alle Messungen ausführen, die wir bei der Elektrizität besprochen haben. Man gelangt zur Definition der magnetischen Menge oder Polstärke p und der magneti- schen Feldstärke H. Die magnetische Kraft , die ein Pol p im Felde H erfährt, ist (46) K^pH. Die Einheit des Poles wird dabei so gewählt, daß zwei Einheitspole im Abstände i aufeinander die abstoßende Kraft i ausüben. Das Gesetz, wonach sich die Kraft zweier Pole p^ und p^ mit der Entfernung ändert, hat ebenfalls Coulomb durch direkte Messung gefunden; es lautet wieder wie das Newtonsche Attraktionsgesetz: (47) K=f^. Offenbar sind die Dimensionen der magnetischen Größen mit denen der entsprechenden elektrischen gleich, und ihre Einheiten haben im cm-g-sec-System dieselben Zeichen. Die mathematische Theorie des Magnetismus läuft der der Elektrizität ziemlich parallel; der wesentlichste Unterschied ist der, daß die wahren magnetischen Mengen an den Molekeln haften und die meßbaren An- häufungen, die das Auftreten der Pole bei endlichen Magneten bedingen, nur durch Summation der Wirkungen parallel gerichteter Molekeln ent- stehen. Galvanismus und Elektrolyse. i 2 1 \ / - ■ — = — — > 2. Galvanismus und Elektrolyse. Die Geschichte der Entdeckung der sogenannten Kontaktelektrizität durch Galvani (1780) und Volta (1792) ist so bekannt, daß wir sie hier übergehen können; denn so interessant Galvanis Froschschenkelver- suche und die sich daran knüpfende Diskussion über den Ursprung der elektrischen Ladungen sind, so liegt uns mehr an der klaren Fassung der Begriffe und Gesetze. Wir stellen daher nur die Tatsachen fest. Taucht man zwei verschiedene Metalle in eine Lösung (Abb. 81), etwa Kupfer und Zink in verdünnte Schwefelsäure, so zeigen die Metalle elek- trische Ladungen, die genau dieselbe Wirkung ausüben, wie die Reibungs- elektrizität. Nach dem Grundgesetz der Elektrizität treten die Ladungen beider Vorzeichen an den Metallen (Polen) in gleicher Menge auf; das aus Lösung und Metallen bestehende -|- — System, auch galvanisches Element oder Zelle genannt, besitzt also die Fähigkeit, die Elektrizitäten zu scheiden. Das merkwürdige ist nun, daß diese Fähigkeit anschei- nend unerschöpflich ist; denn wenn man die Pole durch einen Draht verbindet, so daß ihre Ladungen abfließen und sich ausgleichen, so sind, sobald der Draht wieder entfernt wird, die Pole immer noch geladen. Das Element liefert also fortwährend Elektrizität nach, so- lange die Drahtverbindung besteht; in dem Drahte muß also ein dauerndes Strömen der Elektrizität statt- Abb. 81. finden. Wie man sich das im einzelnen vorstellen will, hängt davon ab, ob man der Ein- oder der Zwei-Fluidum-Theorie anhängt; im ersteren Falle ist nur ein Strom vorhanden, im letzteren fließen zwei entgegengesetzte Ströme der beiden Fluida. Der elektrische Strom beweist nun seine Existenz durch sehr deutliche Wirkungen. Vor allem erhitzt er den Verbindungsdraht. Jeder kennt diese Tatsache von den Metallfäden unserer elektrischen Glühbirnen. Der Strom erzeugt also dauernd Wärmeenergie. Woher hat das galvanische Element die Fähigkeit, fortwährend Elektrizität zu erzeugen und dadurch indirekt Wärme zu entwickeln.^ Nach dem Satze von der Erhaltung der Energie muß überall da, wo eine Energiesorte bei einem Prozesse zum Vor schein kommt, eine andere Energiesorte im gleichen Betrage verschwinden. Die Energiequelle ist der chemische Vorgang in der Zelle. Das eine Metall löst sich auf, solange der Strom fließt, auf dem anderen schlägt sich ein Bestandteil der Lösung nieder; in der Lösung selbst können verwickelte chemische Prozesse ablaufen. Wir haben mit diesen nichts zu tun, sondern begnügen uns mit der Tatsache, daß die galvanischen Zellen ein Mittel sind, um Elektrizität in schier unbegrenzten Mengen zu erzeugen und beträchtliche elektrische Ströme herzustellen. Wir werden nun aber den umgekehrten Prozeß zu betrachten haben, bei dem der elektrische Strom eine chemische Zersetzung herbeiführt. 122 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. Läßt man z. B. den Strom zwischen zwei unzersetzbaren Zuführungs- drähten (Elektroden), etwa aus Platin, durch angesäuertes Wasser fließen, so zersetzt sich dieses in seine Bestandteile, Wasserstoff und Sauerstoff; der Wasserstoff entwickelt sich an der negativen Elektrode (Kathode), der Sauerstoff an der positiven (Anode). Die quantitativen Gesetze dieser von Nicholson und Carlisle (1800) entdeckten y> Elektrolyse '^ hat Faraday (1832) gefunden. Die ungeheure Tragweite der Faradayschen Untersuchungen für die Erkenntnis des Aufbaues der Materie, für die theoretische und technische Chemie sind bekannt; aber nicht diese ver- anlassen uns, hier darauf einzugehen, sondern der Umstand, daß die Faradayschen Gesetze das Mittel zur exakten Messung von elektrischen Strömen liefern und dadurch den Weiterbau des elektromagnetischen Be- griffsystems ermöglichen. Den Zersetzungsversuch kann man ebensogut, wie mit einem gal- vanischen Strom, auch mit einem Entladungsstrom machen, der entsteht, wenn man zwei entgegengesetzt geladene Metallkörper durch einen Draht verbindet. Allerdings muß man dabei dafür Sorge tragen, daß die zur Entladung kommenden Elektrizitätsmengen groß genug sind; man hat Aufspeicherungsapparate für Elektrizität, sogenannte Kondensatoren^ deren Wirksamkeit auf dem Influenzprinzip beruht und die so starke Entladungen geben, daß meßbare Mengen in der elektrolytischen Zelle zersetzt werden. Die Größe der Ladung, die durch die Zelle abfließt, läßt sich mit den oben erörterten Methoden der Elektrostatik messen. Faraday hat nun den Satz gefunden, daß die doppelte Ladung auch die doppelte Zer- setzung hervorruft, die dreifache Ladung die dreifache Zersetzung, kurz daß die Menge m des zersetzten Stoffes (oder eines der beiden Zersetzungs- produkte) der hindurchgeflossenen Elektrizitätsmenge e proportional ist: Cm = e. Die Konstante C hängt noch von der Art der Stoffe und des chemi- schen Prozesses ab. Ein zweites Gesetz von Faraday regelt diese Abhängigkeit. Bekannt- lich treten die chemischen Grundstoffe (Elemente) in ganz bestimmten Gewichtsverhältnissen zu Verbindungen zusammen. Man bezeichnet die Menge eines Elementes, die sich mit i g des leichtesten Elementes Wasserstoff verbindet, als sein Äquivalentgewicht. So sind z. B. in Wasser [H^O) 8 g Sauerstoff [O] mit i g Wasserstoff [H) verbunden, daher hat Sauerstoff das Äquivalentgewicht 8. Der Satz von Faraday besagt nun, daß dieselbe Elektrizitätsmenge, die i g Wasserstoff zur Abscheidung bringt, von jedem anderen Element genau ein Äquivalentgewicht abzu- scheiden vermag, also z. B. von Sauerstoff 8 g. Die Konstante C braucht daher nur für Wasserstoff bekannt zu sein, dann erhält man sie für jeden anderen Stoff durch Division mit dem Äquivalentgewicht. Denn es ist für i g Wasserstoff c; • I = ^, Widerstand und Stromwärme. 123 für einen anderen Stoff vom Äquivalentgewicht f.i C^i = "=[^] Nun wissen wir aber, daß elektrische Ladung e und magnetische Pol- stärke p von gleicher Dimension sind, weil das Coulombsche Gesetz für elektrische und magnetische Kräfte ganz gleich lautet. Daher erhalten wir: M = [7]. d. h. die Konstante c hat die Dimension einer Geschwindigkeit. Ihre erste, exakte Messung ist von Weber und Kohlrausch (1856) ausgeführt worden. Diese Versuche gehören zu den denkwürdigsten Leistungen physikalischer Präzisionsarbeit, nicht nur wegen ihrer Schwie- rigkeit, sondern wegen der Tragweite ihres Resultats. Es ergab sich nämlich für c der Wert 3-10^° cm/sec, der genau mit der Lichtgeschwindig- keit übereinstimmt. Diese Übereinstimmung konnte nicht zufällig sein ; zahlreiche Denker, vor allem Weber selbst, sodann die Mathematiker Gauß und Riemann, die Physiker Neumann, Kirchhoff, Clausius spürten den tiefen Zu- sammenhang, den die Zahl ^ = 3- io^° cm/sec zwischen zwei gewaltigen Wissensgebieten herstellte, und sie suchten nach der Brücke, die vom Elektromagnetismus nach der Optik führen mußte. Riemann kam der Lösung des Problems sehr nahe; erreicht wurde sie aber erst von Maxwell, nachdem Faradays wunderbare Experimentierkunst neue Tat- sachen und neue Auffassungen gelehrt hatte. Wir wollen jetzt diese Entwicklung verfolgen. 5. Faradays Kraftlinien. Farad ay kam nicht aus einer gelehrten Schule, sein Geist war nicht mit überlieferten Vorstellungen und Theorien beschwert. Sein abenteuer- licher Aufstieg vom Buchbinderlehrling zum weltberühmten Physiker der 128 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. / -- — . \ — — Petroleum Abb. 85. Royal Institution ist bekannt. Ebenso frei vom konventionellen Schema wie sein Leben war auch die Welt seiner Gedanken, die unmittelbar und ausschließlich aus der Fülle seiner experimentellen Erfahrungen entsprangen. Wir haben oben seine Untersuchungen über die elektrolytische Zersetzung besprochen. Seine Methode," alle er- denklichen Abänderungen der Ver- suchsbedingungen vorzunehmen, führte ihn (1837) dazu, zwischen die beiden Metallplatten (Elektroden) der elektro- lytischen Zelle an Stelle einer leitenden Flüssigkeit (Säure, Salzlösung) eine nichtleitende wie Petroleum, Terpen- tin, zu bringen. Diese zersetzen sich nicht, aber sie sind doch nicht ohne Galvanisches Element Einfluß auf den elektrischen Vorgang. Es zeigt sich nämlich, daß die beiden Metallplatten, wenn sie durch eine bestimmte galvanische Batterie mit bestimmter Spannung geladen werden, ganz verschiedene Ladungen aufnehmen, je nach der Substanz, die zwi- schen ihnen ist (Abb. 85). Die nichtleitende Substanz beeinflußt also die Aufnahmefähigkeit oder Kapazität des aus den beiden Platten bestehenden Leitersystems, das man einen Kondensator nennt. Diese Entdeckung machte auf Faraday solchen Eindruck, daß er von nun an die üblichen Vorstellungen der Elektrostatik von einer unmittel- baren Fernwirkung der elektrischen Ladungen aufgab und eine neue, eigenartige Deutung der elektrischen und magnetischen Erscheinungen entwickelte, die als Nahwirkungstheorie zu -bezeichnen ist. Was er aus dem eben geschilderten Experiment lernte, ist die Tatsache, daß die Ladungen der beiden Metallplatten nicht einfach durch den dazwischenliegenden .Raum aufeinander wirken, sondern, daß das im Zwischenraum befindliche Medium eine wesentliche Rolle dabei spielt. Daraus schloß er, daß sich die Wirkung durch dieses Medium von Stelle zu Stelle fortpflanzt, daß es also eine Nahwirkung ist. Wir kennen die Nahwirkung der elasti- schen Kräfte in deformierten Festkörpern. Faraday, der sich immer an empirische Tat- sachen hielt, verglich die elektrische Nahwir- kung in Nichtleitern zwar mit elastischen Spannungen, aber er hielt sich davon fern, die Gesetze dieser auf die elektrischen Erscheinungen zu übertragen. Er gebraucht das Bild der -»Kraftlinien^^ die in der Richtung der elektrischen Feldstärke von den positiven Ladungen durch den Isolator zu den negativen ziehen; im Falle eines Plattenkondensators sind die Kraftlinien gerade Linien senkrecht zu •den Plattenebenen (Abb. ^d), Faraday betrachtet die Kraftlinien als das Abb. 86. Faradays Kraftlinien. 129 eigentliche Substrat der elektrischen Vorgänge, sie sind für ihn geradezu materielle Gebilde, die sich bewegen und deformieren und dadurch die elektrischen Effekte zustande bringen. Die Ladungen spielen bei Faraday eine ganz untergeordnete Rolle, als die Stellen, wo Kraftlinien ausgehen oder enden. In dieser Auffassung wurde er durch jene Experimente bestärkt, die beweisen, daß auf Leitern die gesamte elektrische Ladung an der Oberfläche sitzt, das Innere vollkommen frei bleibt. Um das recht drastisch zu zeigen, baute er einen großen, mit Metall ringsum belegten Kasten, in den er sich mit empfindlichen elektrischen Meßinstrumenten herein- begab; dann ließ er den Kasten aufs stärkste laden und stellte fest, daß im Innern nicht der geringste Einfluß der Ladungen wahrzunehmen sei. Wir haben oben (V, i, S. 117) gerade diese Tatsache zur Ableitung des Coulombschen Fernwirkungsgesetzes benützt. Faraday aber schloß daraus, daß die Ladung nicht das Primäre der elektrischen Vorgänge sei und daß man sie nicht als Fluidum vorstellen dürfe, das mit Fernkräften ausgestattet ist. Sondern das Primäre ist der Spannungszustand des elektrischen Feldes in den Nichtleitern, der durch das Bild der Kraftlinien dargestellt wird; die Leiter sind gewissermaßen Löcher im elektrischen Felde und die Ladungen auf ihnen nur fiktive Begriffe, ersonnen, um die durch die Spannungen des Feldes erzeugten Druck- und Zugkräfte als Femwirkungen zu erklären. Unter den Nichtleitern oder dielektrischen Substanzen ist auch das Vakuum^ der Ather^ der hier wieder in neuem Gewände uns entgegentritt. Diese fremdartige Auffassung Faradays fand bei den Physikern und Mathematikern seiner Zeit zunächst keinen Eingang. Man hielt an der Fern Wirkungsauffassung fest, und das ließ sich durchführen auch bei Be- rücksichtigung der von Faraday entdeckten »dielektrischen« Wirkung der Nichtleiter. Man brauchte nur das Coulombsche Gesetz etwas abzuändern; jedem Nichtleiter kommt eine eigentümliche Konstante €, seine > Di- elektrizitätskonstante ^ ^ A ^^ )H Abb. 93. Abb. 94. tritt; übrigens sagt man, da hier das Verschiebungsbild schlecht paßt, statt Verschiebung gewöhnlich »magnetische Induktion«. Durch irgend- eine geschlossene Fläche werden immer ebenso viele Kraftlinien ein- wie austreten; oder, die gesamte »Divergenz« des Magnetismus durch eine beliebisre sreschlossene Fläche ist Null: (59) div u H = o. Das ist die Maxwellsche Nahwirkungsformel des Magnetismus. Wir kommen jetzt zum Biot-Savartschen Gesetze des Elektromagnetismus. Um dieses in ein Nahwirkungsgesetz zu verwandeln, denken wir uns den elektrischen Strom nicht in einem dünnen Drahte, sondern gleichförmig / mit der Dichte i über einen kreisförmigen Querschnitt q verteilt und fragen nach der magnetischen Feldstärke H am Rande des Quer- schnitts (Abb. 94). Dann ist diese nach Biot und Savart überall in der Richtung der Tangente an den Kreis und hat nach Formel (55), S. 126, Der Verschiebungsstrom, 137 den Betrag Zr= ^^, wo r der Radius des Kreises, / die Länge des Stromelements ist. Nun ist der Querschnitt, die Kreisfläche, gleich Trr^, YJ' T* TT also kann man die Formel (55) schreiben — y = -^^ = ^z=z und ^^^' 7il Ttr q ' das gilt für beliebig kleinen Querschnitt und für beliebig kleine Länge /. Links steht also eine gewisse Differentialgröße des Magnetfeldes, und das Gesetz besagt, daß diese der Stromdichte proportional ist. Die genaue mathematische Untersuchung dieser Differentialbildung können wir hier nicht durchführen; sie muß nicht nur die Größe, sondern auch die Rich- tung des Magnetfeldes berücksichtigen, und da dieses sich rotatorisch um die Stromrichtung herumwindet, heißt die Differentialoperation > Rotation« des Feldes H (rot ZT). Daher schreiben wir symbolisch (60) c TOtH = i und fassen diese Formel wieder nur als Gedächtnishilfe auf für den Zu- sammenhang von Richtung und Größe des Magnetfeldes H mit der Stromdichte i. Für den Mathematiker aber ist es eine Differentialgleichung von ähnlicher Art, wie das Gesetz (58). Ganz genau dasselbe gilt nun für die Magnetinduktion, nur wollen wir das entgegengesetzte Vorzeichen schreiben, um den umgekehrten Dreh- sinn anzudeuten: (61) ^rot^ = — j , Die vier symbolischen Formeln (58) bis (61) haben eine wunderbare Symmetrie. Eine solche formale Schönheit ist keineswegs gleichgültig; sie enthüllt die Einfachheit des Naturgeschehens, das durch die Begrenztheit unserer Sinne der direkten Anschauung verborgen bleibt und sich nur dem zergliedernden Verstände offenbart. 8. Der Verschiebungsstrom. Diese Symmetrie ist aber noch nicht vollkommen; denn i bedeutet die Dichte des elektrischen Leitungsstromes, also einen Transport elek- trischer Ladungen über endliche Entfernungen, / aber ist die zeitliche Änderung des Magnetfeldes und läßt sich nur auf Grund der recht künst- lichen Hypothese der Ätherdipole als Verschiebungsstrom deuten. Maxwell bemerkte nun (1864), daß, was dem magnetischen Felde recht, dem elektrischen billig sei. Die Vorstellung der Dipole zwingt dazu, auch einen dielektrischen Verschiebungsstrom anzunehmen, der in Nichtleitern fließt, wenn das elektrische Feld E sich ändert; ist e die Änderung von E in der Zeit /, so ist die Dichte des dielektrischen Ver- t Schiebungsstroms gleich e — zu setzen. Diese Maxwellsche Theorie, die in unserer Darstellung fast trivial an- mutet, ist von größter Bedeutung, denn sie wurde der Schlüssel zur 138 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. elektromagnetischen Lichttheorie. Wir wollen uns ihren Sinn an einem konkreten Falle klar machen. Die Pole einer galvanischen Zelle seien durch zwei Drähte mit den Platten eines Kondensators verbunden; in einer der beiden Drahtverbindungen sei ein Stromschlüssel (Abb. 95). Schließt man diesen, so fließt ein kurzer Strom, der die beiden Konden- satorplatten auflädt; dabei entsteht zwischen diesen ein elektrisches Feld E. Vor Maxwell faßte man diesen Vorgang als »offenen Strom« auf; Maxwell aber sagt, daß während des Anwachsens des Feldes E zwischen den Kondensatorplatten ein Verschiebungsstrom fließt, der den Leitungsstrom zu einem ge- schlossenen ergänzt. Sobald die Kondensatorplatten aufgeladen sind, hören beide Ströme, Lei- tungs- und Verschiebungsstrom, auf. Das wesentliche ist nun, daß Maxwell behauptet, der Verschie- bungsstrom erzeuge genau so, wie der Leitungsstrom, ein Magnetfeld nach dem Biot-Savartschen Gesetze. Daß das wirklich so ist, haben nicht nur die Erfolge der Maxwellschen Theorie durch richtige Vorhersage zahlreicher Erschei- nungen bewiesen, sondern es ist später auch direkt experimentell be- stätigt worden. In einem Halbleiter werden Leitungs- und Verschiebungsstrom zugleich vorhanden sein. Für den ersteren gilt das Ohmsche Gesetz (53), S. 125, £ C i=öE^ für den letzteren das Maxwellsche i = — ; wenn beide zu- Abb. 95. gleich, da sind, wird also i £ h oE sein. Für den Magnetismus gibt es aber keinen Leitungsstrom, es ist immer / = f,i ^ Setzt man das in unsere symbolischen Gleichungen (58) bis (61) ein, so lauten sie: {62) a) div £ E = Q, c) cxotH — e — = G E^ b) divi-iH = Oj d) crotE-\-!,L Das sind die Maocwellschen Gesetze^ die die Grundlage aller elektroma- gnetischen und optischen Theorien bis auf unsere Zeit geblieben sind. Für den Mathematiker sind sie ganz bestimmte Differentialgleichungen. Uns sind sie kurze Gedächtnisregeln, die besagen: Die elektromagnetische Lichttheorie. I^Q a) Wo elektrische Ladung auftritt, entsteht ein elektrisches Feld von solcher Art, daß in jedem Volumen die Ladung durch die Ver- schiebung gerade kompensiert wird. b) Durch jede geschlossene Fläche tritt ebensoviel magnetische Ver- schiebung ein wie aus. c) Um einen elektrischen Strom, sei es Leitungs- oder Verschiebungs- strom, windet sich ein magnetisches Feld. d) Um einen magnetischen Verschiebungsstrom windet sich ein elek- trisches Feld im umgekehrten Sinne. Die Maxwellschen -» Feldgleichungen* ^ wie man sie nennt, sind eine echte Nah Wirkungstheorie; denn sie liefern, wie wir sogleich sehen wer- den, eine endliche Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Kräfte. Zur Zeit, da sie aufgestellt wurden, war aber der Glaube an unmittel- bare Fernwirkung nach dem Schema der Newtonschen Attraktion noch so eingewurzelt, daß es eine beträchtliche Zeit dauerte, bis sie sich durch- setzen konnten. Denn auch die Fernwirkungstheorie hatte es verstanden, die Induktionserscheinungen mit Formeln zu meistern. Dazu mußte man annehmen, daß bewegte Ladungen außer der Coulombschen Anziehung noch besondere Fernwirkungen ausüben, die von der Größe und Richtung der Geschwindigkeit abhängen. Die ersten Ansätze dieser Art stammen von Neumann (1845). Besonders berühmt ist das Gesetz, das Wil- helm Weber (1846) aufgestellt hat; ähnliche Formeln haben Riemann (1858) und Clausius (1877) angegeben. Alle diese Theorien haben gemeinsam, daß sämtliche elektrischen und magnetischen Wirkungen durch Kräfte zwischen elektrischen Elementarladungen oder, wie man heute sagt, »Elektronen« erklärt werden sollen; es handelt sich also um Vor- läufer der heutigen Elektronentheorie, wobei allerdings ein wesentlicher Umstand noch fehlt: die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Kräfte. Diese Fernwirkungstheorien der Elektrodynamik lieferten eine vollständige Erklärung der bei geschlossenen Leitungsströmen auftretenden bewegenden Kräfte und Induktionsströme. Aber bei »offenen« Leitungen, d. h. Kon- densatorladungen und -entladungen, mußten sie versagen; denn dabei kommt der Verschiebungsstrom ins Spiel, von dem die Fernwirkungs- theorien nichts wissen. He Im hol tz hat sich besonders darum verdient gemacht, durch geeignete Versuchsanordnungen eine Entscheidung zwischen der Fern- und der Nahwirkungstheorie herbeizuführen. Das ist ihm auch bis zu einem gewissen Grade gelungen, und er selber wurde einer der eifrigsten Vorkämpfer der Maxwellschen Theorie. Aber erst sein Schüler Hertz verhalf ihr durch die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen zum Siege. 9. Die elektromagnetische Lichttheorie. Wir haben schon oben (V, 4, S. 127) von dem Eindruck gesprochen, den die von Weber und Kohlrausch festgestellte Übereinstimmung der elektro- IAO I^i^ Grundgesetze der Elektrodynamik. magnetischen Konstanten c mit der Lichtgeschwindigkeit auf die Forscher jener Zeit machte. Es gab aber noch andere Hinweise dafür, daß eine enge Beziehung zwischen dem Licht und den elektromagnetischen Vorgängen bestehen müsse. Am eindringlichsten zeigt das die Entdeckung Fara- days (1834), daß ein polarisierter Lichtstrahl, der einen magnetisierten Körper passiert, von diesem beeinflußt wird; wenn der Strahl parallel zu den magnetischen Kraftlinien verläuft, wird seine Polarisationsebene gedreht. Faraday selbst schloß daraus, daß der Lichtäther und der Träger der elektromagnetischen Kraftlinien identisch sein müßten. Ob- wohl er nicht Mathematiker genug war, um seine Vorstellungen in quan- titative Gesetze und Formeln umzusetzen, so war doch seine Gedanken- welt von der abstraktesten Art und nicht im geringsten an die engen Schranken der trivialen Anschauung gebunden, die das Gewohnte für das Bekannte nimmt. Faradays Äther war kein elastisches Medium, er bekam seine Eigenschaften nicht aus Analogien der scheinbar bekannten mate- riellen Welt, sondern aus exakten Experimenten und den daraus ent- springenden, wirklich bekannten Zusammenhängen. Maxwell hat Faradays Werk fortgesetzt; seine Begabung war der Faradays ähnlich, dazu kam aber eine vollkommene Beherrschung der mathematischen Hilfsmittel seiner Zeit. Wir wollen uns jetzt klar machen, daß aus Maxwells Feldgesetzen {62) die Fortpflanzung elektromagnetischer Kräfte mit endlicher Geschwindig- keit hervorgeht. Dabei beschränken wir uns auf Vorgänge im Vakuum oder Äther; dieser hat keine Leitfähigkeit, a = o, keine wahren Ladungen, ^ = o, und seine Dielektrizitätskonstante und Permeabilität sind gleich i, € = I, ^ == I. Dann besagen die beiden ersten Feldgleichungen (62) {6'^ divjE=o, divZr=o, daß alle Kraftlinien geschlossen sind oder ins Unendliche verlaufen. Wir wollen, um ein wenn auch rohes Bild der Vorgänge zu erhalten, uns einzelne, geschlossene Kraftlinien vorstellen. Die beiden andern Feldgleichungen lauten dann: e \\ (64) — = ^ rot ZT, — = — ^ rot ^ . Nun nehmen wir an, daß irgendwo in einem begrenzten Räume ein elek- trisches Feld E herrscht, das sich in der kleinen Zeit / um e ändert; c . .. dann ist — seine Änderungsgeschwindigkeit. Nach der ersten Gleichung schlingt sich um dieses Feld sogleich ein Magnetfeld, das der Änderungs- e geschwindigkeit — proportional ist; auch dieses wird sich zeitlich ändern, während eines folgenden kleinen Zeitabschnittes i um 1^. Seine Änderungs- geschwmdigkeit — induziert sogleich nach der zweiten Gleichung em um- Die elektromagnetische Lichttheorie. iai schlingendes elektrisches Feld. Im nächsten kleinen Zeitabschnitt erzeugt dieses wieder nach der ersten Gleichung ein umschlingendes Magnetfeld, und so setzt sich der Prozeß kettenartig mit endlicher Ge- £ ^-<^ ^— «C ^-<:£ schwindigkeit fort (Abb. 96). Natürlich ist das nur eine sehr rohe Beschreibung des in Wirklichkeit kontinuierlichen, Abb. 96. nach allen Seiten sich aus- breitenden Vorganges; wir werden nachher ein besseres Bild entwerfen. Was uns hier besonders interessiert ist dies: Wir wissen aus der Mechanik, daß das Zustandekommen einer endlichen Fortpflanzungs- geschwindigkeit elastischer Wellen auf den Verzögerungen beruht, die infolge der Massenträgheit bei der Weitergabe der Kräfte von Punkt zu Punkt des Körpers eintreten. Die Massenträgheit aber wird durch die Beschleunigung bestimmt, und diese ist die Änderungsgeschwindigkeit der w . - . . Geschwindigkeit; es ist d = — , wo w die Änderung der Geschwindig- X ... keit V = — in der kleinen Zeit / ist. Die Verzögerung beruht also durchaus auf der zweifachen Differentiation. Genau dasselbe ist nun hier der Fall; zunächst bestimmt die Ände- rungsgeschwindigkeit des elektrischen Feldes — das Magnetfeld H^ dann . . . fi dessen Anderungsgeschwindigkeit — das elektrische Feld E an einer Nach- barstelle. Das Fortschreiten des elektrischen Feldes für sich von Stelle zu Stelle wird somit durch zwei zeitliche Differentiationen bedingt, also durch eine der Beschleunigung ganz analoge Bildung. Hierauf allein beruht die Existenz elektromagnetischer Wellen. Würde eine der beiden Teil- wirkungen zeitlos verlaufen, so würde keine wellenartige Ausbreitung der elektrischen Kraft zustande kommen. Hier sieht man die Wichtigkeit des Maxwellschen Verschiebungsstroms, denn dieser ist gerade die Ände- e rungsgeschwindigkeit — des elektrischen Feldes. Wir geben nun noch ein Bild der Fortpflanzung einer elektromagne- tischen Welle, das der Wirklichkeit etwas näher kommt. Zwei Metall- kugeln mögen starke, entgegengesetzt gleiche Ladungen -\- e und — e tragen, so daß ein starkes elektrisches Feld zwischen ihnen besteht. Nun möge ein Funke zwischen den Kugeln überschlagen; dann gleichen sich die Ladungen aus, das Feld bricht zusammen mit großer Änderungs- e geschwmdigkeit y • Die Figur zeigt, wie sich dann abwechselnd magne- tische und elektrische Kraftlinien umeinander schlingen (Abb. 97); dabei 142 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. sind die magnetischen Kraftlinien nur in der Mittelebene zwischen den Kugeln, die elektrischen in der darauf senkrechten Papierebene gezeichnet; die ganze Figur ist natürlich rotationssymmetrisch um die Verbindungslinie der Kugeln zu denken. Jede folgende Kraftlinienschlinge ist schwächer als die vorhergehende, weil sie weiter nach außen liegt und einen größeren Umfang hat ; daher hebt der innere Teil einer Schlinge elektrischer Kraft den äußeren Teil der vorhergehenden nicht ganz auf, zumal er etwas verspätet in Wirksamkeit tritt. Verfolgt man den Vorgang Abb. 97. längs einer Geraden, die auf der Verbindungslinie der Kugelmit- ten senkrecht steht, etwa längs der :v- Achse, so sieht man, daß auf dieser die elektrischen und magnetischen Kräfte immer senkrecht stehen; überdies stehen sie aufeinander senkrecht. Dasselbe gilt übrigens für jede Fortpflanzungsrichtung. Die elektromagnetische Welle ist also streng transversal; ferner ist sie polarisiert, doch hat man noch die Wahl, ob man die elektrische oder die magnetische Feldstärke als maßgebend für die Schwingung ansehen will. Daß die Geschwindigkeit der Fortpflanzung gerade gleich der in den Formeln vorkommenden Konstanten c wird, können wir hier nicht be- weisen; es ist aber wohl an sich plausibel, denn wir wissen, daß c die Dimension einer Geschwindigkeit hat. Da ferner nach Weber und Kohlrausch die Größe von c gleich der Lichtgeschwindigkeit ist, so durfte Maxwell schließen, daß die Lichtwellen nichts seien als elektromagnetische Wellen. Von den Folgerungen, die Maxwell zog, wurde eine bald in gewissem Umfange experimentell bestätigt. Er berechnete nämlich die Lichtge- schwindigkeit c^ in einem nicht merklich magnetisierbaren Nichtleiter (|tt = I, (T = o); diese kann dann außer von c nur noch von der Di- elektrizitätskonstante E abhängen, denn diese ist für ^t == i, c == o die einzige in den Formeln (62) vorkommende Konstante. Maxwell fand c . . c I— c^ = — — ; daraus ergibt sich für den Brechungsindex n = — = yg. Vs ^i Man müßte also die Brechbarkeit des Lichtes durch die aus rein elektrischen Messungen bekannte Dielektrizitätskonstante bestimmen können. Für einige Gase, z. B. Wasserstoff, Kohlenoxyd, Luft, ist das auch tat- sächlich der Fall, wie L. Boltzmann (1874) gezeigt hat; für andere Substanzen ist die Maxwellsche Relation n == Ve nicht richtig, dann ist aber jedesmal der Brechungsindex nicht konstant, sondern von der Die elektromagnetische Lichttheorie. 14^2 Farbe (Schwingungszahl) des Lichtes abhängig. Hier tritt also die Farben- zerstreuung oder Dispersion des Lichtes störend dazwischen; wir werden auf diese nachher vom Standpunkte der Elektronentheorie zurückkommen. Jedenfalls ist klar, daß die statisch gemessene Dielektrizitätskonstante um so besser mit dem Quadrate des Brechungsindex stimmen wird, je lang- samer die Schwingungen, oder je länger die Wellen des benutzten Lichtes sind; unendlich langsame Schwingungen sind ja mit einem statischen Zustande identisch. Die neuere Erforschung des langwelligsten Gebietes der Licht- und Wärmestrahlen durch Rubens hat eine vollständige Be- stätigung der Maxwellschen Formel gebracht. Was nun die mehr geometrischen Gesetze der Optik anbelangt, Re- flexion und Brechung, Doppelbrechung und Polarisation in Kristallen usw., so verschwinden in der elektromagnetischen Lichttheorie alle die Schwierig- keiten, die für die Theorien vom elastischen Äther schier unüberwindlich waren. Dort war es vor allem die Existenz longitudinaler Wellen, die beim Durchgang des Lichtes durch die Grenzfläche zwischen zwei Medien zum Vorschein kamen und nur durch ganz unwahrscheinliche Hypothesen über die Konstitution des Äthers beseitigt werden konnten. Die elektro- magnetischen Wellen sind immer streng transversal. Damit fällt diese Schwierigkeit fort. Formal ist die Maxwellsche Theorie mit der Äther- theorie von Mac CuUagh nahezu identisch, die wir oben (IV, 6, S. 91) erwähnt haben; man kann ohne neue Rechnung die meisten Folgerungen übertragen. Wir können auf die weitere Entwicklung der Elektrodynamik nicht näher eingehen. Das Band zwischen Licht und Elektromagnetismus wurde immer enger. Immer mehr Erscheinungen wurden entdeckt, die einen Einfluß elektrischer und magnetischer Felder auf das Licht anzeigten. Alles fügte sich den Maxwellschen Gesetzen, deren Sicherheit ständig wuchs. Aber den schlagenden Beweis für die Einheit der Optik mit der Elektrodynamik erbrachte Heinrich Hertz (1888), indem er die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Kraft nachwies und elektromagnetische Wellen wirklich herstellte. Er ließ zwischen zwei ge- ladenen Kugeln Funken überspringen und erzeugte dadurch Wellen, wie sie unsere Abbildung (Abb. 97) darstellt. Wenn sie auf einen kreisförmigen Draht trafen, der eine kleine Lücke hatte, so riefen sie in diesem Ströme hervor, die durch kleine Fünkchen an der Lücke beobachtet werden konnten. Es gelang Hertz diese Wellen zu spiegeln und zur Interferenz zu bringen; dadurch konnte er ihre Wellenlänge messen und ihre Ge- schwindigkeit berechnen, die sich genau gleich der des Lichtes c ergab. Damit war Maxwells Hypothese unmittelbar bestätigt. Heute laufen die Hertzschen Wellen der großen Stationen für drahtlose Telegraphie ständig über die Erde und legen Zeugnis ab für die beiden großen Forscher Maxwell und Hertz, von denen der eine ihre Existenz vorhergesagt, der andere sie wirklich hergestellt hat. 144 ^^^ Grundgesetze der Elektrodynamik. 10. Der elektromagnetische Äther. Von nun an gibt es nur noch einen Äther als Träger der Gesamtheit aller elektrischen, magnetischen, optischen Erscheinungen. Wir kennen seine Gesetze, Maxwells Feldgleichungen, aber wir wissen wenig über seine Konstitution. Was ist es eigentlich, worin die elektromagnetischen Felder bestehen und was in den Lichtwellen Schwingungen ausführt? Wir erinnern uns, daß Maxwell den Begriff der Verschiebung seinen Betrachtungen zugrunde gelegt hat, und wir haben diesen anschaulich so gedeutet, daß in den kleinsten Teilen oder Molekeln des Äthers gerade so wie in den Molekeln der Materie eine wirkliche Verschiebung und Scheidung der elektrischen (oder magnetischen) Fluida eintritt. Diese Vorstellung ist, soweit sie den Vorgang der elektrischen Polarisation der Materie anbetrifft, sehr gut begründet und wird auch von der neueren Ausgestaltung der Maxwellschen Lehre, der Elektronentheorie, über- nommen; denn daß die Materie molekular konstituiert ist, und daß jede Molekel verschiebbare Ladungen trägt, ist durch zahllose Erfahrungen sichergestellt. Aber für den freien Äther ist das keineswegs so; hier ist der Maxvvellsche Begriff der Verschiebung rein hypothetisch und hat nur den Wert, die abstrakten Gesetze des Feldes zu veranschaulichen. Diese Gesetze besagen, daß mit jeder zeitlich veränderlichen Ver- schiebung die Entstehung eines elektromagnetischen Kraftfeldes rings- umher verknüpft ist. Kann man sich von diesem Zusammenhange ein mechanisches Bild machen? Maxwell selbst hat mechanische Modelle für die Konstitution des Äthers angegeben und sie heuristisch erfolgreich verwendet. Besonders erfinderisch in dieser Richtung war William Thomson (Lord Kelvin), der unablässig bemüht war, die elektromagnetischen Erscheinungen als Wirkungen verborgener mechanischer Bewegungen und Kräfte zu ver- stehen. Der rotatorische Charakter des Zusammenhanges zwischen elektrischem Strom und magnetischem Felde und umgekehrt legt es nahe, den elek- trischen Zustand des Äthers als lineare Verschiebung, den magnetischen als Drehung um eine Achse aufzufassen, oder umgekehrt. Man kommt so auf Vorstellungen, die Mac CuUaghs Äthertheorie ver- wandt sind; bei dieser sollte der Äther nicht elastische Widerstände gegen Verzerrungen im gewöhnlichen Sinne entwickeln, sondern Widerstände gegen die absolute Rotation seiner Volumenelemente. Es würde uns viel zu weit führen, die zahlreichen, oft sehr phantastischen Hypothesen über die Konstitution des Äthers aufzuzählen. Wollte man sie wörtlich nehmen, so wäre der Äther eine fürchter- liche Maschinerie von unsichtbaren Zahnrädern, Kreiseln und Getrieben, die in der verwickeltsten Weise ineinandergreifen, und von all dem Wust wäre nichts zu merken als einige relativ einfache Kräfte, die als elektro- magnetisches Feld in Erscheinung treten. Der elektromagnetische Äther. iac Es gibt auch feinere, oft sehr geistreiche Theorien, bei denen der Äther eine Flüssigkeit ist, deren Strömungsgeschwindigkeit etwa das elektrische, deren Wirbel das magnetische Feld darstellen. Bjerknes hat eine Theorie entworfen, bei der die elektrischen Ladungen als pulsierende Kugeln in der Ätherflüssigkeit vorgestellt werden, und er hat gezeigt, daß solche Kugeln Kräfte aufeinander ausüben, die mit den elektromagne- tischen eine beträchtliche Ähnlichkeit zeigen. Fragen wir nun nach dem Sinn und Wert solcher Theorien, so ist zu ihren Gunsten anzuführen, daß sie, wenn auch selten genug, zu neuen Experimenten und zur Entdeckung neuer Erscheinungen angeregt haben. Noch öfters allerdings sind große und mühevolle Experimentalforschungen angestellt worden, um zwischen zwei Äthertheorien zu entscheiden, die beide gleich unwahrscheinlich und phantastisch waren; auf diese Weise ist viel Arbeit sinnlos aufgewendet worden. Auch heute noch gibt es einige Leute, die die mechanische Erklärung des elektromagnetischen Äthers für eine Forderung der Vernunft ansehen; immer wieder tauchen solche Theorien auf, die naturgemäß immer abstruser werden, da die Fülle der zu erklärenden Tatsachen und damit die Schwierigkeit der Auf- gabe dauernd wächst. Heinrich Hertz hat sich von allen mechanistischen Spekulationen bewußt abgewandt. Wir zitieren seine Worte: »Das Innere aller Körper, den freien Äther eingeschlossen, kann von der Ruhe aus Störungen er- fahren, welche wir als elektrische, und andere Störungen, welche wir als magnetische bezeichnen. Das Wesen dieser Zustandsänderungen kennen wir nicht, sondern nur die Erscheinungen, welche ihr Vorhandensein her- vorruft.« Dieser klare Verzicht auf mechanische Erklärung ist methodisch von größter Wichtigkeit. Er öffnet den Weg für die großen Fortschritte, die durch Einsteins Arbeiten erreicht worden sind. Die mechanischen Eigenschaften fester und flüssiger Körper sind uns aus Erfahrung be- kannt; aber diese Erfahrur.g betrifft nur ihr Verhalten im Groben. Es kann wohl sein und wird durch die neuere Molekularforschung bekräftigt, daß diese sichtbaren, groben Eigenschaften eine Art Schein sind, vor- getäuscht durch die Plumpheit der Beobachtungsmethoden, während die tatsächlichen Vorgänge zwischen den kleinsten Bausteinen, den Atomen, Molekeln und Elektronen, nach ganz andern Gesetzen vor sich gehen. Darum ist es ein naives Vorurteil, jedes kontinuierliche Medium wie der Äther müßte sich verhalten, wie die scheinbar kontinuierlichen Flüssig- keiten und Festkörper der uns mit den groben Sinnen zugänglichen Welt. Die Eigenschaften des Äthers müssen durch das Studium der in ihm ablaufenden Vorgänge unabhängig von allen sonstigen Erfahrungen fest- gestellt werden. Das Resultat dieser Forschungen kann man so aus- sprechen: Der Zustand des Äthers läßt sich durch zwei gerichtete Größen beschreiben, die die Namen elektrische und magnetische Feldstärke, E und Ilj führen und deren räumliche und zeitliche Änderungen durch die Maxwellschen Gleichungen verknüpft sind; unter gewissen Umständen sind Rorn, Relativitätstheorie. 3. Aufl. lO j^5 I^i^ Grundgesetze der Elektrodynamik. durch den Ätherzustand mechanische, thermische, chemische Wirkungen auf die Materie bedingt, die zur Beobachtung gelangen können. Alles, was über diese Aussagen hinausgeht, ist überflüssige Hypothese, Phantasie. Man kann einwenden, daß eine solche abstrakte Auffassung die Erfindungskraft des Forschers unterbindet, die durch anschauliche Bilder und Analogien angeregt wird. Aber das Beispiel von Hertz selbst widerlegt diese Meinung, denn selten war einem Physiker eine solche experimentelle Gestaltungskraft eigen wie ihm, der als Theoretiker nur die reinste Abstraktion gelten ließ. II. Hertz' Theorie der bewegten Körper. Wichtiger als das Scheinproblem der mechanischen Deutung der Äther- vorgänge ist die Frage nach dem Einflüsse der Bewegungen der Körper, zu denen auch der Äther außerhalb der Materie zu rechnen ist, auf die elektromagnetischen Erscheinungen. Wir kommen damit von einem allgemeineren Standpunkte zu den Untersuchungen zurück, die wir früher (IV, 7 — ii) über die Optik bewegter Körper angestellt haben. Die Optik ist jetzt ein Teilgebiet der Elektrodynamik, der Lichtäther mit dem elektromagnetischen Äther identisch. Alle Schlüsse, die wir dort aus den optischen Beobachtungen auf das Verhalten des Lichtäthers gezogen haben, müssen ihre Geltung behalten, da sie offenbar von dem Mechanismus der Lichtschwingungen ganz unabhängig sind; unsere Untersuchung betraf ja nur die geometrischen Merkmale einer Lichtwelle: Schwingungszahl (Dopplerscher Effekt), Geschwindigkeit (Mitführung) und Fortpflanzungs- richtung (Aberration). Wir haben gesehen, daß bis zur Zeit der Entwicklung der elektro- V magnetischen Lichttheorie nur Größen i. Ordnung bezüghch p = — der Messung zugänglich waren. Und das Resultat dieser Beobachtungen ließ sich kurz als das »optische Relativitätsprinzip« so aussprechen: Die optischen Vorgänge hängen nur von den relativen Bewegungen der be- teiligten, Licht aussendenden, übermittelnden, empfangenden materiellen Körper ab; in einem translatorisch bewegten Bezugsysteme laufen alle inneren optischen Vorgänge so ab, als wenn es im Äther ruhte. Zur Erklärung dieser Tatsache lagen zwei Theorien vor; die eine von Stokes nahm an, daß der Äther innerhalb der Materie von dieser voll- ständig mitgeführt werde, die zweite von Fresnel dagegen begnügte sich mit einer teilweisen Mitführung, deren Betrag sie aus den Experimenten ableiten konnte. Wir haben gesehen, daß die Stokessche Theorie bei konsequenter Durchführung in Schwierigkeiten gerät, die Fresnelsche aber alle Erscheinungen befriedigend darstellt. In der elektromagnetischen Theorie sind genau dieselben beiden Stand- punkte möglich: entweder vollständige Mitführung nach Stokes, oder teil- Hertz' Theorie der bewegten Körper. 147 weise nach Fresnel. Es fragt sich, ob sich aus rein elektromagnetischen Beobachtungen eine Entscheidung zwischen beiden Hypothesen gewinnen läßt. Die Hypothese der vollständigen Mitführung hat zuerst Hertz systema- tisch auf die Maxwellschen Feldgleichungen übertragen. Er war sich dabei völlig bewußt, daß ein solches Vorgehen nur provisorisch sein konnte, weil bei der Anwendung auf die optischen Vorgänge dieselben Schwierig- keiten auftreten mußten, an denen die Stokessche Theorie scheitert; aber die Einfachheit einer Theorie, bei der zwischen Bewegung des Äthers und der Materie nicht unterschieden zu werden brauchte, veranlaßte ihn, sie ausführlich zu entwickeln und zu diskutieren. Dabei zeigte es sich, daß die Induktionserscheinungen in bewegten Leitern^ die für die experimentelle Physik und die Technik bei weitem die größte Bedeutung haben, von der Hertzschen Theorie richtig wiedergegeben werden; Wider- sprüche mit der Erfahrung treten erst bei feineren Experimenten auf, bei denen die Verschiebungen in Nichtleitern eine Rolle spielen. Wir wollen alle Möglichkeiten der Reihe nach untersuchen: i) Bewegter Leiter a) im elektrischen Felde, b) im magnetischen Felde. 2) Bewegter Isolator a) im elektrischen Felde, b) im magnetischen Felde. la) Ein Leiter bekommt im elektrischen Felde Oberflächenladungen. Wird er bewegt, so nimmt er diese mit; bewegte Ladungen müssen aber einem Strome äquivalent sein und daher nach dem Biot-Savartschen Gesetze ein umschlingendes Magnetfeld erzeugen. Um eine anschauliche Vor- stellung zu haben, denken wir uns einen Plattenkondensator, dessen Platten der ^2-Ebene parallel sind (Abb. 98). Sie seien entgegengesetzt geladen, und zwar sei auf der Flächeneinheit einer Platte die Elektrizitätsmenge e. Nun werde die eine Platte gegen die andere in der ;c-Richtung mit der Geschwindigkeit v bewegt; dann ensteht ein Mitführungs- oder Konvektions Strom. Die bewegte Platte verschiebt sich in der Zeiteinheit um die Länge v\ ist ihr Querschnitt senkrecht zur ;c- Achse gleich ^, so tritt durch eine zur j^-Ebene parallele Ebene in der Zeiteinheit die Elektrizitätsmenge eqv^ also ein Strom von der Dichte ev. Dieser muß genau dieselbe magnetische Wirkung ausüberl wie ein durch die ruhende Platte fließender Leitungs- strom der Dichte i = ev. Das ist im Laboratorium von Helmholtz durch H. A. Rowland (1875) und später genauer von A. Eichenwald (1903) experimentell bestätigt Abb. 98. 10" 148 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. worden. Statt der geradlinig bewegten Platte wurde dabei eine rotierende Metallscheibe benützt. ib) Wenn Leiter im magnetischen Felde bewegt werden, so entstehen in ihnen elektrische Felder und dadurch Ströme. Das ist die schon von Faraday entdeckte und quantitativ erforschte Erscheinung der Induktion durch Bewegung. Der einfachste Fall ist dieser: Das Magnetfeld ZT, etwa durch einen Hufeisenmagneten erzeugt, sei parallel der 2;-Achse (Abb. 99); parallel zur j/-Achse sei ein gerades Drahtstück der Länge i, und dieses werde in der ^-Richtung mit der Geschwindigkeit v bewegt. Dann ergibt die Hertzsche Theorie, daß in diesem Drahte ein elektrisches Feld parallel der negativen jj;- Richtung induziert wird; schließt man den Draht durch einen an der Bewegung unbeteiligten Bügel, wie in der Figur angedeutet, zur geschlossenen Leitung, so fließt in dieser ein Induktionsstrom. Man beweist das am einfachsten, indem man das Faradaysche Induktions- gesetz so ausspricht: der in einem geschlossenen Drahte induzierte Strom Iz H' Abb. 99. >t/ Abb. 100. ist proportional der sekundlichen Änderung der Kraftlinienzahl oder der magnetischen Verschiebung (t^ZT, die von dem Drahte umschlossen wird. Durch die Bewegung des Drahtes nimmt diese Zahl offenbar um ^xHv V pro sec zu; daher ist die mduzierte elektrische Feldstärke gleich i^iH Dieses Gesetz ist die Grundlage aller Maschinen und Apparate der Physik und Elektrotechnik, bei denen durch Induktion Bewegungsenergie in elektromagnetische Energie verwandelt wird; dazu gehören z. B. das Telephon, die Dynamomaschinen aller Arten. Das Gesetz kann daher als durch unzählige Erfahrungen völlig sichergestellt gelten. 2 a) Die Bewegung eines Nichtleiters in einem elektrischen Felde denken wir uns so realisiert: Zwischen die beiden Platten des Kondensators der Abb. 98 werde eine bewegliche Scheibe aus dem Material des Nichtleiters gebracht (Abb. 100). Wird nun der Kondensator aufgeladen, so entsteht in der Scheibe ein elektrisches Feld E und eine Verschiebung ^E senk- recht zur Plattenebene, also parallel der j)/-Richtung; dadurch laden sich Hertz' Theorie der bewegten Körper. I^g die beiden Grenzflächen der isolierenden Scheibe entgegengesetzt gleich wie die gegenüberstehende Metallplatte auf. Über die Größe dieser Ladung wissen wir folgendes: Auf S. 135 hatten wir gesehen, daß das Coulombsche Gesetz nach Maxwells Auffassung die Größe der Verschiebung um eine geladene Kugel mit deren Ladung e in Zusammenhang bringt; es ist nämlich für eine Kugel vom Radius r E ^= — ^ oder eE = ~^- er r' Nun hat aber diese Kugel die Oberfläche 4/^^', also ist die Ladung pro Einheit der Fläche e eE /^Ttr^ 47t Übertragen wir das auf den Fall des Kondensators, so wird die Ober- flächendichte auf den Grenzebenen der isolierenden Platte ebensogroß sein wie auf den Metallplatten und mit dem elektrischen Felde E in der Beziehung __sE stehen. Wenn jetzt die isolierende Schicht mit der Geschwindigkeit v in der ^-Richtung bewegt wird, so soll nach Hertz der Äther in der Schicht vollkommen mitgenommen werden; also werden auch das Feld E und eE die von diesem auf den Grenzebenen erzeugten Ladungen e = — mit- geführt. Die bewegte Ladung einer Grenzfläche stellt also wieder einen Strom eE von der Dichte — v dar und muß nach dem Biot-Savartschen Gesetze 47r ein Magnetfeld erzeugen. Daß das der Fall ist, hat W. C. Röntgen (1885) experimentell nach- gewiesen; aber die Ablenkung der Magnetnadel, die er beobachtete, war viel kleiner, als sie nach der Hertzschen Theorie sein sollte. Es verhält sich nach seinen Messungen so, als wenn nicht der ganze Äther von der Scheibe mitgenommen würde, sondern nur ein Teil. Ein anderer Teil aber bleibt in Ruhe. Bestände die Scheibe aus reinem Äther, so wäre £ == I und die influenzierte Ladung gleich — ; Röntgens Versuche zeigen, f. rp Tf daß nur der Überschuß der Laduno^ über diesen Betras:, also ° "=" 47r 47r = — (e — i), an der Bewegung der Materie teilnimmt. Dieses Resultat 4 7t werden wir nachher in einfacher Weise deuten. Hier stellen wir nur fest, daß, wie nach den bekannten Tatsachen der Optik zu erwarten war, die I50 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. Hertzsche Theorie der vollständigen Mitführung auch bei rein elektro- magnetischen Vorgängen versagt. Eichenwald hat (1903) das Röntgensche Resultat dadurch sehr ein- drucksvoll bestätigt, daß er die geladenen Metallplatten an der Bewegung teilnehmen ließ. Diese liefern einen Konvektionsstrom von der Stärke ev^ die isolierende Schicht müßte wegen der entgegengesetzt gleichen Ladungen nach Hertz diesen genau kompensieren. Eichenwald aber fand, daß das nicht der Fall ist; vielmehr erhielt er einen von dem Material des Iso- lators gänzlich unabhängigen Strom. Genau das ist nach Röntgens Resultat der teilweisen Mitführung zu erwarten; denn der vom Isolator herrührende Strom ist das erste Glied desselben wird von dem Kon- 4^/ E vektionsstrom ev kompensiert, und es bleibt der Strom — v übrig, der 4 ^ von der Dielektrizitätskonstante £ unabhängig ist. 2 b) Wir denken uns ein zur 2-Achse paralleles Magnetfeld, etwa durch einen Hufeisenmagneten rea- ''7 lisiert, und eine Scheibe aus nichtleitendem Material durch das Feld in der ^-Richtung bewegt (Abb. i o i ). Da es keine Nichtleiter gibt, die merklich magnetisierbar sind, wollen wir ^t = I annehmen. Die beiden, zur J^'- Achse senk- rechten Grenzflächen der Scheibe seien mit Metall be- legt; die Belegungen mögen durch Gleitkontakte mit einem daß man die auf ihnen ent- Abb. loi. Elektrometer in Verbindung stehen, so stehende Ladung messen kann. Dieser Versuch entspricht genau dem unter i b) erörterten Induktions- versuche, nur tritt an die Stelle des bewegten Leiters ein bewegtes Di- elektrikum. Das Induktionsgesetz läßt sich in derselben Weise anwenden, es fordert die Existenz eines in der negativen j^-Richtung wirkenden elek- trischen Feldes E = vH^ wenn die Dicke der Scheibe gleich i ist. Daher müssen nach der Hertzschen Theorie die beiden Belegungen ent- F F £ 1) H gegengesetzte Ladungen von der Flächendichte - — = zeigen, die einen Ausschlag des Elektrometers veranlassen. Der Versuch ist (1905) von H.A. Wilson (mit rotierendem Dielektrikum) angestellt worden und bestätigte zwar die Existenz der Aufladung, aber wiederum in geringerem vH Betrage, nämlich entsprechend einer Flächendichte (e — i) — — • Es ver- hält sich wieder so, als nähme nicht der ganze Äther an der Bewegung Die Elektronentheorie von Lorentz. I 5 I der Materie teil, sondern nur so viel, wie diese stärker dielektrisch ist als das Vakuum. Auch hier versagt die Hertzsche Theorie. Bei allen diesen vier typischen Erscheinungen kommt es offenbar nur auf die relative Bewegung der felderzeugenden Körper gegen den unter- suchten Leiter oder Isolator an. Anstatt diesen in der ^-Richtung zu bewegen, wie wir es getan haben, könnte man ihn festhalten und die übrigen Teile des Apparates in der negativen :r-Richtung bewegen; das Ergebnis müßte das gleiche sein. Die Hertzsche Theorie kennt eben nur relative Bewegungen der Körper, wobei der Äther ebenfalls als Körper gilt. In einem translatorisch bewegten Systeme laufen alle Vorgänge nach Hertz genau so ab, als wenn es ruhte; es gilt also das klassische Rela- tivitätsprinzip. Aber die Hertzsche Theorie ist mit den Tatsachen unvereinbar und mußte bald einer anderen Platz machen, die hinsichtlich der Relativität genau den entgegengesetzten Standpunkt einnahm. 12. Die Elektronentheorie von Lorentz. Das ist die Theorie von H. A. Lorentz (1892), die den Höhepunkt und Abschluß der Physik des substantiellen Äthers bedeutete. Sie ist eine atomistisch weiterentwickelte Ein-Fluidum-Theorie der Elektrizität; hierdurch ist auch, wie wir sogleich sehen werden, die Rolle bestimmt, die sie dem Äther zuweist. Daß die elektrischen Ladungen atomistische Struktur haben, in kleinsten, unteilbaren Mengen auftreten, hat Helmholtz (188 1) zuerst ausgesprochen, um die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse (S. 121) verständlich zu machen. In der Tat braucht man nur anzunehmen, daß jedes Atom in elektrolytischer Lösung eine Art chemischer Verbindung mit einem Elek- trizitätsatom oder Elektron eingeht, um zu verstehen, daß eine bestimmte Elektrizitätsmenge immer äquivalente Substanzmengen zur Abscheidung bringt. Die Atomistik der Elektrizität bewährte sich besonders zur Erklärung der Erscheinungen, die man beim Durchgang des elektrischen Stroms durch ein verdünntes Gas beobachtet. Hier entdeckte man zuerst, daß die y--^ ^ — — ->. positive und die negative Elektrizität FEi^£-I££f£^zii^^J i sich durchaus verschieden verhalten. ^-— — _T^ _J Wenn man in ein Glasrohr zwei Metall- 4 elektroden einführt und einen Strom zwi- ^^q 102. sehen ihnen übergehen läßt (Abb. 102), so erhält man sehr komplizierte Erscheinungen, solange noch Gas von merklichem Drucke in dem Rohre ist; entfernt man das Gas aber mehr und mehr, so wird das Bild immer einfacher. Bei sehr hohem Vakuum geht von der negativen Elektrode, der Kathode K^ ein Strahl bläulichen Lichtes geradlinig aus, ohne sich darum zu kümmern, wo der positive Pol, die 152 ^^^ Grandgesetze der Elektrodynamik. Anode ^, sich befindet. Diese Kathodenstrahlen ^ die Plücker (1858) entdeckte, wurden von manchen für Lichtwellen gehalten, denn sie warfen, wie Hittorf (1869) zeigte, Schatten von festen Körpern, die man in ihren Weg stellte; andere hielten sie für eine materielle Emanation, die von der Kathode ausgeschleudert wird. Crookes, der diesen Stand- punkt vertrat (1879), nannte die Strahlen den >vierten Aggregatzustand« der Materie. Für die materielle Natur der Strahlen sprach vor allem der Umstand, daß sie durch einen Magneten abgelenkt werden, und zwar gerade so, wie ein Strom negativer Elektrizität. Den größten Anteil an der Erforschung der Natur der Kathodenstrahlen haben J. J. Thomson und Ph. Lenard. Es gelang, die negative Ladung der Strahlen durch direktes Auffangen nachzuweisen; auch werden sie von einem quer zu ihrer Bahn angebrachten elektrischen Felde abgelenkt, und zwar entgegen der Feldrichtung, was wieder die negative Ladung beweist. Die Überzeugung von der korpuskularen Natur der Kathodenstrahlen brach sich Bahn, als es gelang, quantitative Schlüsse auf ihre Geschwin- digkeit und Ladung zu ziehen. Stellen wir uns den Kathodenstrahl als einen Strom kleiner Teilchen von der Masse w vor, so wird er offenbar von einem bestimmten elektrischen oder magnetischen Felde um so weniger abgelenkt, je größer seine Ge- schwindigkeit ist; geradeso, wie eine Gewehrkugel um so »rasanter« fliegt, je schneller sie ist. Man kann nun sehr stark ablenkbare, also ganz langsame Kathodenstrahlen herstellen; diese kann man künstlich so stark beschleunigen, daß ihre Anfangsgeschwindigkeit neben der Endgeschwin- digkeit vernachlässigt werden kann. Dazu bringt man vor der Kathode K ein Drahtnetz A^an (Abb. 103) und ladet dieses stark positiv; dann wer- den die negativen Katho:lenstrahl- Abb. 103. teilchen in dem Felde zwischen Ka- thode und Drahtnetz sehr stark beschleunigt und treten durch die Maschen des Net^xs mit einer Geschwin- digkeit, die wesentlich nur von dieser Beschleunigung herrührt. Diese kann man aber berechnen nach der Grundgleichung der Mechanik mb =^ K = e Ej wenn e die Ladung, E die Feldstärke ist; man hat offenbar eine »Fall- bewegung« , bei der die Beschleunigung nicht gleich der Schwerebe- e e schleunigung g. sondern gleich — E ist. Wäre das Verhältnis ^ bekannt, m m ^ so könnte man die Geschwindigkeit v aus den Fallgesetzen finden. Man e hat aber zwei Unbekannte, — und v. und braucht daher noch eine Messun«: m zu ihrer Bestimmung. Diese gewinnt man durch Anbringung eines seit- lichen magnetischen Feldes. Wir haben bei der Besprechung der Hertzschen Die Elektronentheorie von Lorentz. I c a Theorie (V, ii, i b, S. 148) gesehen, daß ein Magnetfeld ^ in einem senk- V recht zu H bewegten Körper eine elektrische Feldstärke E = H hervor- ruft, die sowohl auf ZT als auf Z' senkrecht steht. Daher wird auch auf jedes V Kathodenstrahlteilchen eine ablenkende Kraft e E = e — H angreifen, so c daß senkrecht zur ursprünglichen Bewegung eine Beschleunigung b ■=^ H m c entsteht. Diese läßt sich durch Messung der seitlichen Ablenkung des Strahles finden; also hat man eine zweite Gleichung zur Bestimmung der beiden Unbekannten — und v. m Die nach dieser oder einer ähnlichen Methode ausgeführten Be- stimmungen haben nun ergeben, daß für nicht zu große Geschwindig- € keiten — tatsächlich einen bestimmten, konstanten Wert hat, und zwar: m (65) i^^'^''^°'' elektrostatische Ladungseinheiten pro Gramm. Andererseits haben wir bei der Besprechung der Elektrolyse [V, 3, Formel (48), S. 123] angegeben, daß I g Wasserstoff die Elektrizitätsmenge Q = 2,90 •10^'^ transportiert. M.icht man nun die naheliegende Annahme, daß die Ladung einer Par- tikel beidemal dieselbe, nämlich ein Elektrizitätsatom oder Elektron ist, so muß man schließen, . daß die Masse des Kathodenstrahlteilchens m sich zu der des Wasserstoffatoms mh verhält wie: ,... m e e 2,90 • lo^'^ i (66) . _ . _ _ fiiH niH m 5,31 • IG ^ 1830 Die Kathodenstrahlteilchen sind also etwa 2 000 mal leichter als die Wasserstoffatome, die ihrerseits die leichtesten aller Atome sind. Dieses Ergebnis legt den Schluß nahe, daß man in den Kathodenstrahlen einen Strom von reinen Elektrizitätsatomen vor sich hat. Diese Auffassung hat sich nun bei unzähligen Untersuchungen durch- aus bewährt. Die negative Elektrizität besteht aus den frei beweglichen Elektronen, die positive aber ist an die Materie gebunden und tritt nie- mals ohne diese auf. Die neuere Experimentalforschung hat damit die Hypothese der alten Ein-Fluidumtheorie bestätigt und präzisiert. Es ist auch gelungen, die Größe der Ladung e des einzelnen Elektrons zu be- stimmen. Die ersten Versuche dieser Art sind von J. J. Thomson (1898) unternommen worden. Der Grundgedanke ist der: Kleine Tröpfchen aus Ol, Wasser oder Kügelchen aus Metall von mikroskopischen oder sub- mikroskopischen Dimensionen, die durch Kondensation von Dampf oder Zerstäuben in Luft hergestellt werden, fallen mit konstanter Geschwindig- 154 ^^^ Grundgesetze der Elektrodynamik. keit, indem die Luftreibung die Entstehung von Beschleunigungen ver- hindert. Durch Messung der Fallgeschwindigkeit kann man die Größe der Teilchen bestimmen und durch Multiplikation mit der Dichte ihre Masse M. Das Gewicht eines solchen Teilchens ist dann Mg, wo ^ := 981 cm/sec"^ die Erdbeschleunigung ist. Nun kann man solche Teilchen elektrisch laden, indem man die Luft der Einwirkung von Röntgenstrahlen oder Strahlen radioaktiver Substanzen aussetzt. Bringt man dann ein vertikal aufwärts gerichtetes elektrisches Feld ^ an, so wird ein Kügelchen von der Ladung e von diesem nach oben gezogen, und wenn die elektrische Kraft e E gleich dem Gewichte Mg ist, wird es schweben. Aus der Gleichung e E = Mg kann man nun die La- dung e berechnen. Millikan (1910), der die schärfsten Versuche dieser Art gemacht hat, hat gefunden, daß die Ladung kleiner Tröpfchen immer ein ganzzahliges Multiplum einer bestimmten kleinsten Ladung ist; diese wird man also als das elektrische Elementar quantum ansprechen. Seine Größe ist: (67) oder p e = c — v x-ß- II * jÖA I-^i^ Grundgesetze der Elektrodynamik. Für den Rückweg braucht das Licht ebensolange; denn dabei ver- schiebt sich die Erde um dieselbe Strecke, wobei der Ausgangspunkt A von A' nach A" gelangt. Für den Hin- und Rückweg braucht das Licht also die Zeit: 2/ I Der Unterschied der Durchlau fungszeit für dieselbe Strecke parallel und senkrecht zur Erdbewegung ist also: _ _ 2// I I \ Nun kann man (ähnlich wie auf S. 98 ausgeführt) bei Vernachläs- sigung von Gliedern von höherer als 2. Ordnung in ß näherungsweise durch 1 -\- ß"^ und —=^ durch 1 -\- \ß^ ersetzen'). Daher kann man mit ausreichender Näherung schreiben: Die Verzögerung der einen Lichtwelle gegen die andere ist also eine Größe 2. Ordnung. Die Messung dieser Verzögerung läßt sich mit Hilfe des Michelson- schen Interferometers ausführen (Abb. 109). Bei diesem wird (vgl. S. 80) das von der Lichtquelle Q kommende Licht an der halbdurchlässigen Platte F in zwei Strahlen geteilt, die senkrecht zueinander bis zu den Spiegeln S^ und S^ laufen, dort zurückreflektiert werden und wieder zur Platte F gelangen; von hier treten sie vereinigt in das Beobachtungs- fernrohr F^ wo sie interferieren. Sind die Abstände S^ P und S^ F gleich, i) Denn wenn x eine kleine Zahl ist, deren Quadrat vernachlässigt werden kann, so wird (i + ^) (l — x) =■ I — x"^ näherungs weise = l , mithin ferner \ -\- x^= I — x mithin (i-^)(i+|^)^ = (i-x)(i+x + ix^) näherungsweise = (i — x][\ -\- x) =^ l — x'' näherungsweise = i. :i+l^) I — X y I — X Ersetzt man in den beiden gewonnenen Näherungsformeln x durch /5^j so bekommt man die im Text benutzten Annäherungen Das Experiment von Michelson. 165 und bringt man den einen Arm des Apparates in die Richtung der Erd- bewegung, so hat man genau den eben erörterten Fall realisiert; die beiden Strahlen kommen also im Gesichtsfeld mit einer gegenseitigen Verzögerung von — /J^ an. Die Interferenzstreifen liegen also nicht genau da, wo sie bei ruhender Erde liegen müßten. Dreht man nun aber den Apparat um 90° herum, bis der andere Arm der Erdbewegung parallel ist, so werden jetzt die Interferenzstreifen um den gleichen Betrag nach der andern Seite verschoben sein. S, So Beobachtet man also die Lage der Interferenzstreifen während der Drehung selbst, so muß dabei eine Verschiebung sichtbar werden, die der doppelten Verzögerung, 2 — /9^, entspricht. Ist T die Periode der Schwin- gung des benutzten Lichtes, so ist das Verhältnis der Verzögerung zur 2 / Periode —zz^ß"^, und da nach der Formel (35), S. 77, die Wellenlänge X = c 7 ist , so kann man dieses Verhältnis 2 -r- ß^ schreiben. Die beiden interferierenden Wellenzüge erfahren daher bei der Dre- hung des Apparates eine Verschiebung gegeneinander, deren Verhältnis 2lß'- F IT Abb. 109. zur Wellenlänge durch ge- geben ist (Abb. 110). Die Inter- ferenzstreifen selber entstehen da- durch, daß die in etwas verschie- denen Richtungen von der Licht- quelle ausgehenden Strahlen etwas verschiedene Wege zurückzulegen haben; der Streifenabstand entspricht einem Wegunterschiede von einer Wellenlänge, daher ist die beobachtbare Verschiebung der Streifen der Abb. HO. Bruchteil 2lß' der Streifenbreite. Michelson hat nun bei einer gemeinsam mit Morley(i887) in größerem Maßstabe ausgeführten Wiederholung des Versuches die Länge des Lichtweges durch mehrfache Hin- und Herreflexion auf 11 m = 1,1 • 10^ cm gebracht; die Wellenlänge des benutzten Lichtes betrug etwa Z = 5,9 • io~^ cm. Wir wissen, daß ß ungefähr gleich lo^"*, also /5* = io~^ ist; daher wird l66 ^is Grundgesetze der Elektrodynamik. 2lß'' 2 -1,1 • lo^- io~^^ ~r= 5,9-0- =°'"' d. h. die Interferenzstreifen müssen sich bei der Drehung des Apparates um mehr als '/g ihres Abstandes verschieben. Michelson war sicher, daß der loo. Teil dieser Verschiebung noch wahrnehmbar sein müsse. Als der Versuch aber ausgeführt wurde, zeigte sich nicht die ge- ringste Spur der erwarteten Verschiebung, und auch spätere Wieder- holungen mit noch raffinierteren Hilfsmitteln gaben kein anderes Resultat. Daraus muß geschlossen werden: Der Ätherwind ist nicht vorhanden. Die Lichtgeschwindigkeit wird auch in Größen 2. Ordnung von der Be- wegung der Erde durch den Äther nicht beeinflußt, 15. Die Kontraktionshypothese. Michelson selbst schloß aus seinem Versuche, daß der Äther von der bewegten Erde vollständig mitgeführt werde, wie es die elastische Theorie von Stokes und die elektromagnetische von Hertz behaupten. Aber das widerspricht den zahlreichen Experimenten, die partielle Mitführung be- weisen. Michelson untersuchte nun, ob sich ein Unterschied der Licht- geschwindigkeit in verschiedenen Höhen über dem Erdboden feststellen lasse, aber ohne positives Ergebnis; er folgerte daraus, daß sich die Be- wegung des von der Erde mitgenommenen Äthers in sehr große Höhen über der Erdoberfläche erstrecken müsse. Dann würde also der Äther von einem bewegten Körper auf beträchtliche Entfernungen beeinflußt; aber das ist tatsächlich nicht der Fall, denn Oliver Lodge zeigte (1892), daß die Lichtgeschwindigkeit in der Nähe von rasch bewegten Körpern nicht im geringsten beeinflußt wird, selbst dann nicht, wenn das Licht in einem von dem Körper mitgeführten, starken elektrischen oder magnetischen Felde verläuft. Aber alle diese Bemühungen erscheinen fast überflüssig; denn hätten sie selbst zu einer einwandfreien Erklärung des Michelsonschen Versuches geführt, so bliebe die ganze übrige Elektrodynamik und Optik bewegter Körper unerklärt, die durchweg für teilweise Mitführung spricht. Ein naheliegender Erklärungsversuch, der aber systematisch erst viel später von Ritz (1908) entwickelt worden ist, besteht in der Hypothese, daß die Lichtgeschwindigkeit von der Geschwindigkeit der Lichtquelle abhängt. Doch steht diese Annahme so ziemlich mit allen theoretischen und experimentellen Ergebnissen der Forschung im Widerspruch. Zu- nächst würde damit der Charakter der elektromagnetischen Vorgänge als Nahwirkung aufgegeben; denn eine solche besteht eben darin, daß die Fortpflanzung einer Wirkung von einer Stelle zur andern nur von den Vorgängen in der unmittelbaren Nachbarschaft dieser Stelle beeinflußt wird, nicht aber von der Geschwindigkeit einer weit entfernten Lichtquelle. Ritz hat daher auch offen seine Theorie als eine Art Emissionstheorie bezeichnet; aber das Emittierte sollen natürlich keine materiellen, den mechanischen Gesetzen gehorchende Teilchen sein, sondern ein Agens, Die Kontraktionshypothese. 167 das beim Eindringen in Materie auf die Elektronen gerichtete, trans- versale Kräfte ausübt und diese zum Schwingen bringt. Lichtschwin- gungen sind dann also nur in der Materie, nicht im Äther vorhanden. Der Einwand, daß für eine Emissionstheorie die Interferenz unerklärlich bleibt, ist offenbar bei dieser Auffassung unberechtigt. Aber es ist Ritz nicht gelungen, seine Theorie mit den optischen und elektromagnetischen Erfahrungen in Einklang zu bringen; überall, wo man mit relativen Bewegungen von Lichtquelle und Beobachter zu tun hat, zeigen sich zwar Einflüsse auf die Schwingungszahl (Dopplerscher Effekt) und auf die Richtung (Aberration), aber nicht auf die Geschwin- digkeit des Lichtes (Experimente von Arago, S. 103, und Hoek, S. 104). Neuerdings hat de Sitter (191 3) durch eine ausführliche Untersuchung bewiesen, daß die Geschwindigkeit des von den Fixsternen kommenden Lichtes von der Bewegung dieser Gestirne unabhängig ist. Wir haben diese Theorie trotz ihres Mißerfolges erwähnt, weil ein Gedanke, den sie betont, auch für das Verständnis der Relativitätstheorie wichtig ist; nämlich die Tatsache, daß alle beobachtbaren Vorgänge immer an die Materie gebunden sind. Das »Feld im Äther« ist eine Fiktion, ersonnen, um die räumlichen und zeitlichen Abhängigkeiten der Vorgänge in den Körpern möglichst einfach zu beschreiben. Wir werden nachher auf diese Auffassung zurückkommen. Wir wenden uns jetzt zur Elektronentheorie von Lorentz zurück, die durch das Michelsonsche Experiment offenbar in eine recht schwierige Lage geraten mußte. Die Lehre vom ruhenden Äther scheint unabweislich die Existenz des Ätherwindes auf der Erde zu fordern und steht daher im schärfsten Widerspruch zu Michelsons Versuchsergebnisse. Daß sie daran nicht sogleich zugrunde ging, zeigt ihre Stärke, die auf der Ein- heitlichkeit und Geschlossenheit ihres physikalischen Weltbildes beruht. Schließlich wurde sie auch dieser Schwierigkeit bis zu einem gewissen Grade Herr, allerdings durch eine höchst sonderbare Hypothese, mit der Fitz- Gerald (1892) hervortrat und die Lorentz sogleich annahm und ausbaute. Erinnern wir uns an die Überlegungen, die die Grundlage des Michelson- schen Versuches bilden. Wir fanden, daß die Zeit, die ein Lichtstrahl zum Hin- und Hergange längs einer Strecke / braucht, verschieden ist, je nachdem diese der Erdbewegung parallel oder auf ihr senkrecht 2/ I 7" T^ß'- ist; und zwar beträgt sie im ersten Falle /^ = j^, im zweiten K = 2/ I Angenommen nun, der parallel zur Erdbewegung gerichtete Arm des Interferometers würde im Verhältnis Vi — ß"^'.!. verkürzt, so würde die Zeit /j im selben Verhältnisse kleiner werden, nämlich ^2iyx — ß^ _ 2^ I - T(i-r^f"-TVr-:^^' l68 I^iß Grundgesetze der Elektrodynamik. Also wäre t^ == 4- Die durch ihre Grobheit und Kühnheit überraschende Hypothese lautet nun einfach so: Jeder Körper^ der gegen den Äther die Geschivmdigkeit v hat^ zieht sich in der Beivegungsrichtung um den Bruchteil vi-ß'^Yi zusammen. In der Tat muß dann der Michelsonsche Versuch ein negatives Resultat ergeben, denn für beide Stellungen des Interferometers ist dann t^ =4- Ferner, und das ist die Hauptsache, wäre eine solche Kontraktion durch kein Mittel auf der Erde feststellbar; denn jeder irdische Maßstab würde sich ebenso kontrahieren. Ein Beobachter, der außerhalb der Erde im Äther ruhte, würde allerdings die Kontraktion bemerken; die ganze Erde würde in der Bevvegungsrichtung abgeplattet sein, und alle Dinge darauf ebenso. Die Kontraktionshypothese erscheint darum so merkwürdig, fast absurd, weil die Verkürzung nicht als eine Folge irgendwelcher Kräfte, sondern als einfacher Begleitumstand der Tatsache der Bewegung erscheint. Aber Lorentz ließ sich durch diesen Einwand nicht abschrecken, sie seiner Theorie einzuverleiben, zumal neue Erfahrungen bestätigten, daß auch in zweiter Ordnung keine Wirkung der Erdbewegung durch den Äther be- obachtet werden kann. Wir können alle diese Experimente hier weder beschreiben, noch gar im einzelnen diskutieren. Sie sind teils optisch und betreffen die Vorgänge bei der Spiegelung und Brechung, der Doppelbrechung, der Drehung der Polarisationsebene usw., teils sind sie elektromagnetisch und betreffen die Induktionserscheinungen, die Stromverteilung in Drähten usw. Die physi- kalische Technik gestattet heute festzustellen, ob bei diesen Vorgängen ein Einfluß zweiter Ordnung der Erdbewegung vorhanden ist oder nicht. Besonders beachtenswert ist ein Versuch von Trouton und Noble (1903) zur Auffindung einer Drehkraft, die an einem aufgehängten Plattenkonden- sator infolge des Ätherwindes auftreten sollte. Diese Experimente fielen ausnahmslos negativ aus. Man durfte nicht mehr daran zweifeln, daß eine Translationsbewegung durch den Äther vom mitbewegten Beobachter nicht wahrgenommen werden kann. Das Relativitätsprinzip, das für die Mechanik gilt, erstreckt also seine Gültig- keit auf die Gesamtheit aller elektromagnetischen Vorgänge. Nun ging Lorentz daran, diese Tatsache mit seiner Äthertheorie in Einklang zu bringen; und dazu schien kein anderer Weg vorhanden als die Annahme der Kontraktionshypothese und ihre Verarbeitung mit den Gesetzen der Elektronentheorie zu einem widerspruchslosen, einheitlichen Ganzen. Zunächst bemerkte er, daß ein System elektrischer Ladungen, die sich allein unter der Wirkung ihrer elektrostatischen Kräfte im Gleich- gewichte halten, sich von selbst kontrahiert, sobald es in Bewegung gesetzt wird; genauer gesagt, die bei der gleichförmigen Bewegung des Systems Die Kontraktionshypothese. lÖQ auftretenden elektromagnetischen Kräfte verändern die Gleichgewichts- konfiguration so, daß jede Länge in der Bewegungsrichtung um den Faktor Vi — ß^ verkürzt wird. Dieser mathematische Satz führt nun zu einer Erklärung der Kontraktion, wenn man annimmt, daß alle physikalischen Kräfte im Grunde elektrischen Ursprungs sind oder wenigstens dieselben Gesetze des Gleichgewichts in gleichförmig bewegten Systemen befolgen. Die Schwierigkeit, alle Kräfte als elektrische anzusehen, beruht darauf, daß diese nach altbekannten Sätzen, die schon von Gauß stammen, zwar zu Gleichgewichten, aber niemals zu stabilen Gleichgewichten von Ladungen führen. Die Kräfte, die die Atome zu Molekeln und diese zu festen Körpern verbinden, können daher nicht einfach elektrisch sein. Am klarsten tritt die Notwendigkeit der Annahme von nichtelektrischen Kräften hervor, wenn man nach der dynamischen Konstitution des einzelnen Elektrons selbst fragt. Dieses soll eine Anhäufung negativer Ladung sein; man muß dieser eine endliche Ausdehnung zuschreiben, denn wie wir (S. i6o) gesehen haben, ist die Energie einer kugelförmigen Ladung vom Radius a gleich \ — und wird a unendlich groß, wenn a gleich Null gesetzt wird. Die einzelnen Teile des Elektrons streben aber auseinander, da gleichnamige Ladungen sich abstoßen. Folglich muß eine fremde Kraft da sein, die sie zusammenhält. In der Abrahamschen Theorie des Elektrons wird angenommen, daß dieses eine starre Kugel sei; d. h. die nichtelektrischen Kräfte sollen so groß sein, daß sie überhaupt keine Deformation zulassen. Man kann aber natürlich auch andere Annahmen machen. Für Lorentz lag nun die Hypothese nahe, daß auch das Elektron die Kontraktion Vi — ß^ erfährt; wir haben bereits oben (S. 162) gesagt, daß sich dann eine viel einfachere Formel für die Masse des Elektrons ergibt, als nach der Abrahamschen Hypothese. Das Lorentzsche Elektron hat aber außer der elektromagnetischen Energie noch eine Deformations- energie fremden Ursprungs, die bei dem starren Elektron von Abraham fehlt. Lorentz untersuchte nun die Frage, ob die Kontraktionshypothese zur Ableitung der Relativität genügt. In schwierigen Rechnungen stellte er fest, daß das nicht der Fall sei; aber er fand auch (1899), welche An- nahme noch hinzukommen muß, damit alle elektromagnetischen Vorgänge in bewegten Systemen ebenso ablaufen wie im Äther. Sein Resultat ist zum mindesten ebenso merkwürdig, wie die Kontraktionshypothese; es lautet : Man muß in einem gleichförmig bewegten Systeme ein anderes Zeitmaß verwenden. Er nannte dieses von System zu System verschiedene Zeit- maß •» Ortszeit <■. Die Kontraktionshypothese kann man offenbar so aus- sprechen, daß das Längenmaß in bewegten Systemen anders ist als im Äther. Beide Hypothesen zusammen besagen nun, daß Raum und Zeit in bewegten Systemen anders gemessen werden müssen als im Äther. Lorentz gab die Gesetze an, nach denen die Maßgrößen in verschieden bewegten Systemen aufeinander umgerechnet werden können, und bewies. lyo Die Grundgesetze der Elektrodynamik. daß bei diesen Transformationen die Feldgleichungen der Elektronen- theorie unverändert bleiben. Das ist der mathematische Gehalt seiner Entdeckung; zu ähnlichen Ergebnissen gelangten fast zur gleichen Zeit^) der englische Physiker Larmor (1900) und der französische Mathematiker Poincard (1905). Wir werden diese Zusammenhänge sogleich von Ein- steins Standpunkte in viel durchsichtigerer Form kennenlernen und gehen daher hier nicht darauf ein. Aber wir wollen uns klarmachen, welche Folgen die neue Wendung der Lorentzschen Theorie für die Vorstellung vom Äther hat. In der neuen Theorie von Lorentz gilt in Übereinstimmung mit der Erfahrung das Relativitätsprinzip für alle elektrodynamischen Vorgänge; ein Beobachter nimmt also in seinem System dieselben Vorgänge wahr, mag dieses im Äther ruhen oder in geradlinig, gleichförmiger Bewegung begriffen sein. Er besitzt also überhaupt kein Mittel, das eine vom andern zu unterscheiden; denn auch die Beobachtung von andern Körpern in der Welt, die sich unabhängig von ihm bewegen, lehrt ihn immer nur die Relativbewegung gegen diese kennen, niemals die absolute Bewegung gegen den Äther. Er kann also behaupten, daß er selber im Äther ruhe, ohne daß jemand ihn widerlegen kann. Allerdings kann ein zweiter Be- obachter auf einem andern, relativ zum ersten bewegten Körper mit dem- selben Rechte dasselbe behaupten. Es gibt kein empirisches oder theo- retisches Mittel, zu entscheiden, ob einer von beiden und welcher recht hat. Wir gelangen hier also in dieselbe Lage gegenüber dem Äther, in die uns das klassische Relativitätsprinzip der Mechanik gegenüber dem abso- luten Räume Newtons brachte (III. 6, S. 56). Dort müßten wir zugeben, daß es sinnlos sei, einen bestimmten Ort im absoluten Räume als etwas Wirkliches im Sinne der Physik anzuerkennen; denn es gibt kein mecha- nisches Mittel einen Ort im absoluten Räume zu fixieren oder wiederzu- finden. Genau so muß man jetzt zugestehen, daß eine bestimmte Stelle im Äther nichts physikalisch Wirkliches ist; damit verliert aber der Äther selbst vollkommen den Charakter einer Substanz. Ja, man darf sogar sagen: Wenn von zwei relativ zueinander bewegten Beobachtern jeder das gleiche Recht hat zu behaupten, er ruhe im Äther, so kann es gar keinen Äther geben. Die Äthertheorie führt also in ihrer höchsten Entwicklung zur Auf- hebung ihres Grundbegriffes. Aber man hat sich nur schwer dazu ent- schließen können, die Leerheit der Äther Vorstellung zuzugeben; selbst Lorentz, dessen geistvolle Gedanken und mühevolle Arbeit die Äther- theorie bis zu dieser Kjrisis geführt haben, hat sich längere Zeit vor diesem Schritte gescheut. Der Grund dafür ist der: Man hat den Äther eigens dafür erdacht, damit ein Träger der Lichtschwingungen oder allgemeiner der I) Es ist historisch interessant, daß die heute als Lorentz-Transformation [s. VI, 2, S. 180, Formel (72)] bezeichneten Formeln für die Umrechnung auf ein bewegtes System schon 1887 von Voigt in einer Abhandlung aufgestellt worden sind, die noch auf dem Boden der elastischen Lichttheorie steht. Die Kontraktionshypothese. i y i elektromagnetischen Kräfte im leeren Räume vorhanden ist. Schwingungen ohne etwas, was schwingt, sind in der Tat undenkbar. Wir haben aber schon oben, bei Besprechung der Ritzschen Theorie, darauf hingewiesen, daß die Behauptung, auch im leeren Räume seien feststellbare Schwingungen vorhanden, über jede mögliche Erfahrung hinausgeht. Licht oder elektro- magnetische Kräfte sind immer nur an der Materie nachweisbar; der leere, von der Materie völlig freie Raum ist überhaupt kein Gegenstand der Beobachtung. Feststellbar ist nur: Von diesem materiellen Körper geht eine Wirkung aus und trifft an jenem materiellen Körper einige Zeit später ein. Was dazwischen geschieht, ist rein hypothetisch, oder, schärfer ausgedrückt, willkürlich; das bedeutet, die Theorie darf das Vakuum mit Zustandsgrößen, Feldern oder dergleichen nach freiem Ermessen ausstatten, mit der einzigen Einschränkung, daß dadurch die an materiellen Körpern beobachteten Veränderungen in einen straffen, durchsichtigen Zusammen- hang gebracht werden. Diese Auffassung ist ein neuer Schritt in der Richtung nach höherer Abstraktion, nach Loslösung von gewohnten Anschauungen, die scheinbar notwendige Bestandteile der Vorstellungswelt sind. Zugleich ist sie aber eine Annäherung an das Ideal, nur das durch die Erfahrung direkt Ge- gebene als Baustein der physikalischen Welt gelten zu lassen, unter Aus- merzung aller überflüssigen Bilder und Analogien, die einem Zustande primitiverer und roherer Erfahrung entstammen. Der substantielle Äther verschwindet von jetzt an aus der Theorie. An seine Stelle tritt das abstrakte »elektromagnetische Feld« als bloßes mathematisches Hilfsmittel zur bequemeren Beschreibung der Vorgänge in der Materie und ihrer gesetzmäßigen Zusammenhänge^). Wer vor einer solchen formalen Auffassung zurückschreckt, denke an folgende, ganz analoge Abstraktion, an die er sich längst gewöhnt hat: Zur Ortsbestimmung auf dem Erdboden werden auf Kirchtürmen, Bergspitzen und anderen, sichtbaren Punkten trigonometrische Zeichen angebracht, auf denen die geographische Länge und Breite verzeichnet sind. Auf dem Meere aber ist nichts davon vorhanden; dort sind die Längen- und Breitenkreise nur gedacht, oder, wie man auch sagt, virtuell. Wenn ein Schiff seinen Ort feststellen will, so verwandelt es einen Schnitt- punkt dieser gedachten Linien durch astronomische Beobachtungen in Wirklichkeit, den virtuellen Ort in einen reellen. Ganz ähnlich ist das elektromagnetische Feld aufzufassen. Der feste Erdboden entspricht der Materie, die trigonometrischen Marken den feststellbaren physikalischen Veränderungen. Das Meer aber entspricht dem Vakuum, die Längen- I) Einstein hat neuerdings vorgeschlagen, den leeren, mit Gravitations- und elektro- magnetischen Feldern ausgestattet gedachten Raum >Äther^ zu nennen, wobei aber dieses Wort keine Substanz mit deren traditionellen Attributen bezeichnen soll; so gibt es in diesem >Äther« keine fixierbaren Punkte und es ist sinnlos von Bewegung relativ zum »Äther« zu sprechen. Ein solcher Gebrauch des Wortes Äther ist natür- lich zulässig und, wenn einmal eingebürgert, wohl auch bequem. in 2 Die Grundgesetze der Elektrodynamik. und Breitenkreise dem gedachten elektromagnetischen Felde. Dieses ist virtuell, bis ein Probekörper hereingebracht wird und es durch seine reellen Veränderungen sichtbar macht; geradeso wie das Schiff den vir- tuellen geographischen Ort realisiert. Nur wer diese Betrachtungsweise sich wirklich angeeignet hat, wird die weitere Entwicklung der Lehre von Raum und Zeit verstehen. Ver- schiedene Menschen sind der fortschreitenden Abstraktion, Objektivierung und Relativierung verschieden zugänglich. Die alten Kulturvölker des europäischen Kontinents, Deutsche, Holländer, Skandinavier, Franzosen und Italiener, nehmen sie am leichtesten auf und sind am lebhaftesten am Weiterbau des Systems beteiligt. Die Engländer, die zu konkreten Vorstellungen neigen, sind schon schwerer zugänglich. Der Amerikaner hält sich gern an mechanische Bilder und Modelle; selbst Michelson, dessen experimentelle Arbeiten den größten Anteil an der Zerstörung der Äthertheorie haben, lehnt eine ätherlose Lichttheorie als undenkbar ab. Aber die junge Generation wird überall schon im Sinne der neuen Auf- fassungen erzogen und nimmt das als Selbstverständlichkeiten hin, was den Älteren als unerhörte Neuerung gilt. Überblicken wir die Entwicklung, so sehen wir die Äthertheorie mit dem Relativitätsprinzip abschließen und durch dieses ihr Ende finden. Der substantielle Äther verschwindet als überflüssige Hypothese, das Rela- tivitätsprinzip tritt um so klarer als Grundgesetz der Physik hervor. Daher entsteht die Aufgabe, von dieser sicheren Grundlage aus das Ge- bäude der physikalischen Welt neu aufzubauen. Wir kommen damit end- lich zu Einsteins Arbeiten. VI. Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. I. Der Begriff der Gleichzeitigkeit. Die logischen Schwierigl^eiten, die bei der Durchführung des Rela- tivitätsprinzips auf die elektrodynamischen Vorgänge zu überwinden waren, beruhen darauf, daß folgende zwei Sätze in Einklang zu bringen sind: 1. Nach der klassischen Mechanik hat die Geschwindigkeit irgend- einer Bewegung verschiedene Werte für zwei relativ zueinander bewegte Beobachter. 2. Die Erfahrung aber lehrt, daß die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von dem Bewegungszustande des Beobachters immer denselben Wert c hat. Die ältere Äthertheorie versuchte, den Widerspruch der beiden Sätze dadurch fortzuschaffen, daß die Lichtgeschwindigkeit in zwei Summanden geteilt wurde, die Geschwindigkeit des Lichtäthers und die Geschwindig- keit des Lichtes gegen den Äther, wobei der erste Anteil noch durch Mit- führungshypothesen geeignet bestimmt werden konnte. Hierdurch gelingt aber die Aufhebung des Widerspruchs nur bezüglich Größen i. Ordnung. Die Lorentzsche Theorie mußte, um den Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit streng aufrecht zu erhalten, für jedes bewegte System ein besonderes Längen- und Zeitmaß einführen; der Satz kommt dann also durch eine Art »physikalischer Täuschung« zustande. Einstein erkannte (1905), daß es sich bei der Lorentzschen Längen- kontraktion und Ortszeit nicht um einen mathematischen Kunstgriff und eine physikalische Täuschung handelt, sondern um die Grundlagen der Begriffe von Raum und Zeit überhaupt. Von den beiden Sätzen i. und 2. ist der erste rein theoretischer, begrifflicher Art, der zweite empirisch begründet. Da nun der zweite, der Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindig- keit, als experimentell ganz sicher gelten muß, so bleibt nichts übrig als den ersten Satz fallen zu lassen und damit die Prinzipien der Raum- und Zeitbestimmung, wie sie bisher immer gehandhabt worden sind. Es muß also in diesen ein Fehler stecken, zum mindesten ein Vorurteil, eine Ver- wechslung von Gewohntem mit Denknotwendigem, jenem bekannten Hindernisse jeglichen Fortschrittes. Dieses Vorurteil nun steckt in dem Begriffe der Gleichzeitigkeit. Es gilt als selbstverständlich, daß der Satz einen Sinn hat: Ein Er- eignis an der Stelle A^ etwa auf der Erde, und ein Ereignis an der 174 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. Stelle B^ etwa auf der Sonne, sind gleichzeitig. Man setzt dabei vor- aus, daß Begrififen wie Zeitmoment, Gleichzeitigkeit, früher, später usw. eine Bedeutung an sich, a priori, gültig für das Weltganze, zukommt. Auf diesem Standpunkte war auch Newton, als er die Existenz einer absoluten Zeit oder Dauer postulierte (III, i, S. 45), die »gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand« verfließen soll. Aber für den messenden Physiker ist jedenfalls eine solche Zeit nicht vorhanden. Für ihn hat der Satz, ein Ereignis bei A und ein Ereignis bei B seien gleichzeitig, schlechthin keinen Sinn; denn er besitzt kein Mittel, um über die Richtigkeit oder Falschheit der Behauptung zu ent- scheiden. Um nämlich die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse, die an verschiedenen Orten stattfinden, beurteilen zu können, muß man an jedem Orte Uhren haben, von denen man sicher ist, daß sie gleich gehen oder »synchron« sind. Die Frage läuft also auf die heraus: Kann man ein Mittel an- geben, um den gleichen Gang zweier an verschiedenen Orten befindlicher Uhren zu prüfen? Wir denken uns die beiden Uhren im festen Abstände / bei A und B in einem Bezugsysteme *S ruhend. Man kann nun die Uhren auf zwei Weisen auf gleichen Gang bringen: 1. Man trägt sie an dieselbe Stelle, reguliert sie dort, bis sie richtig gehen, und bringt sie dann nach A und B zurück. 2. Man benutzt Zeitsignale zur Uhrvergleichung. Beide Verfahren werden in der Praxis verwandt; ein Seeschiff führt einen gutgehenden Chronometer mit, der nach der Normaluhr im Heimat- hafen reguliert ist, außerdem aber bekommt es Zeitsignale mit drahtloser Telegraphie. Daß man letztere für nötig hält, beweist das Mißtrauen, welches man gegen die »mitgenommene« Zeit hat. Die praktische Schwäche des Ver- fahrens der transportabeln Uhr besteht darin, daß der kleinste Fehler im Gange sich dauernd vergrößert. Aber auch wenn man die Annahme macht, daß es ideale, fehlerfreie Uhren gibt (wie sie der Physiker in den Atomschwingungen bei der Lichtaussendung zu besitzen überzeugt ist), so ist es logisch unzulässig, die Zeitdefinition in relativ zueinander be- wegten Systemen auf diese zu stützen. Denn direkt, d. h. ohne Ver- mittelung von Signalen, prüfbar ist doch der gleiche Gang zweier Uhren, seien sie noch so gut, nur, wenn sie relativ zueinander ruhen; daß sie auch bei relativer Bewegung den gleichen Gang behalten, ist (ohne Si- gnale) nicht feststellbar; es wäre eine reine Hypothese, die wir nach den Prinzipien physikalischer Forschung zu vermeiden suchen müssen. Da- durch wird man dazu gedrängt, das Verfahren der Zeitsignale für die Definition der Zeit in relativ bewegten Systemen zu bevorzugen; wenn man damit zu einem widerspruchsfreien System der Zeitmessung gelangt, wird man nachträglich zu untersuchen haben, wie eine ideale Uhr be- Der Begriff der Gleichzeitigkeit. 175 schaffen sein muß, damit sie in beliebig bewegten Systemen immer die »richtige« Zeit anzeigt (s. VI, 5, S. 189). Stellen wir uns einen Schleppzug auf See vor, bestehend aus einem Schleppdampfer A und einigen an gespannter Trosse geschleppten Fracht- kähnen B^ C, D. Es sei Windstille und so dichter Nebel, daß ein Schiff vom andern nicht sichtbar ist; sollen nun die Uhren auf den Schiffen verglichen werden, so wird man Schallsignale benutzen. Der Schlepper A wird etwa um 12 Uhr einen Schuß lösen, und wenn der Knall auf den Kähnen hörbar ist, so werden diese ihre Uhren auf 12 Uhr stellen. Hierbei begehen sie aber offenbar einen kleinen Fehler, da ja der Schall eine gewisse Zeit braucht, um von A nach B^ C . . . zu gelangen. Wenn die Schallgeschwindigkeit c bekannt ist, so kann man diesen Fehler be- seitigen, c ist etwa gleich 340 m/sec; wenn der Kahn B um /= 170 m / 170 hinter A ist. so braucht der Schall / = — = = ~ sec von A nach c 340 B^ die Uhr bei B muß daher bei Eintreffen des Schalles auf \ sec nach 12 Uhr gestellt werden. Aber auch die Korrektion ist nur richtig, wenn der Schleppzug still liegt; sobald er fährt, braucht offenbar der Schall von A nach B kürzere Zeit, weil der Kahn B der Schallwelle entgegenkommt. Wenn man jetzt die genaue Korrektion anbringen will, so muß man die absolute Geschwindigkeit der Schiffe gegen die Luft kennen. Ist diese unbekannt, so ist auch eine absolute Zeitvergleichung mit Hilfe des Schalles unmöglich. Bei sichtigem Wetter kann man das Licht statt des Schalles benutzen; da dieses ungeheuer viel schneller läuft, ist der Fehler jedenfalls sehr klein, aber bei einer prinzipiellen Betrachtung kommt es auf die absolute Größe natürlich gar nicht an. Denken wir uns statt des Schleppzuges auf See einen Weltkörper im Äthermeer, statt des Schall- signals ein Lichtsignal, so bleiben doch alle Überlegungen ungeändert bestehen. Einen schnelleren Boten als das Licht aber gibt es im Welten- raume nicht. Wir sehen, daß die Theorie vom absolut ruhenden Äther zu dem Schlüsse führt: eine absolute Zeitvergleichung in bewegten Systemen ist nur ausführbar, wenn man die Bewegung gegen den Äther kennt. Aber das Resultat aller experimentellen Forschungen war, daß eine Bewegung gegen den Äther durch keine physikalische Beobachtung fest- stellbar ist. Daraus folgt, daß absolute Gleichzeitigkeit ebenfalls auf keine Weise festgestellt werden kann. Das Paradoxe dieses Satzes verschwindet, wenn man sich klar macht, daß man zur Zeitvergleichung mit Lichtsignalen den genauen Wert der Lichtgeschwindigkeit schon kennen muß, daß aber die Messung dieser wiederum auf die Bestimmung einer Zeitdauer herausläuft. Hier liegt offenbar ein logischer Zirkel vor. Kann man nun auch keine absolute Gleichzeitigkeit erreichen, so läßt sich doch, wie Einstein bemerkt hat, eine relative Gleichzeitigkeit für alle in relativer Ruhe zueinander befindlichen Uhren definieren, wobei der Wert der Signalgeschwindigkeit nicht bekannt zu sein braucht. 1^5 Das spezielle Emsteinsche Relativitätsprinzip. Wir wollen dies zunächst an unserm Schleppzuge zeigen. Wenn dieser ruht, so wird der gleiche Gang der auf den Schiffen A und B befind- lichen Uhren (Abb. in) folgendermaßen erreicht werden können: man bringt ein Boot C genau in die Mitte der Schleppleine zwischen A und B und läßt dort einen Schuß abgeben; dann muß der Knall bei A und B gleichzeitig gehört werden. Wenn nun der Schleppzug S fährt, so kann man offenbar genau dasselbe Verfahren anwenden; wenn die Schiffer nicht daran denken, daß sie relativ zur Luft in Bewegung sind, so werden sie überzeugt sein, daß die Uhren in A und B gleich gehen. Ein zweiter Schleppzug S\ dessen Schiffe A' , B' ^ C in genau den- selben Abständen voneinander liegen wie die entsprechenden des ersten S^ möge seine Uhren auf dieselbe Art vergleichen. Wenn jetzt der eine Zug den andern überholt, mag dieser nun ruhen oder selber fahren, so werden in einem Augenblicke die Schiffe A an A\ B an B' vorüber- gleiten, und die Schiffer können prüfen, / ob ihre Uhren übereinstimmen. Natürlich / ^ ^ H y:^ H werden sie finden, daß das nicht der Fall .,, ist; wenn etwa A und Ä zufällig syn- Abb. III. ' . , , . , chron sind, so smd es B und B nicht. Dadurch wird der Fehler zutage kommen; bei Fahrt braucht offenbar das Signal vom Mittelpunkte C nach dem vorderen Schiffe A längere, nach dem hinteren Schiffe B kürzere Zeit als in Ruhe, weil A vor der Schallwelle flieht, B ihr entgegenkommt; und dieser Unterschied ist verschieden, wenn die Geschwindigkeiten der beiden Züge ver- schieden sind. Im Falle des Schalles hat nun ein System die richtige Zeit, nämhch das relativ zur Luft ruhende. Im Falle des Lichtes aber besteht keine Möglichkeit, das zu behaupten, weil absolute Bewegung gegen den Licht- äther ein Begriff ist, der nach allen Erfahrungen keine physikalische Realität hat. Das am Beispiel des Schalles erörterte Verfahren zur Uhr- regulierung ist natürlich auch mit Licht möglich ; die in A und B be- findlichen Uhren werden so gestellt, daß jeder vom Mitelpunkt C der Strecke AB ausgehende Lichtblitz die Uhren in A und B bei gleicher Stellung ihrer Zeiger erreicht. Auf diese Weise kann jedes System S den Synchronismus seiner Uhren herstellen; wenn sich aber zwei solche, gleichförmig und geradlinig gegeneinander bewegte Systeme begegnen und etwa die Uhren A^ Ä übereinstimmen, so werden die Uhren B, B' ver- schiedene Zeigerstellungen haben. Beide Systeme können mit gleichem Rechte beanspruchen, die richtige Zeit zu haben; denn jedes kann be- haupten, daß es ruht, weil alle Naturgesetze in beiden gleichlauten. Wenn aber zwei mit gleichem Rechte denselben Anspruch erheben, der seinem Sinne nach nur einem zukommen kann, so muß man schließen, daß der Anspruch überhaupt sinnlos ist: Es gibt keine absolute Gleichzeitigkeit, Der Begriff der Gleichzeitigkeit. 177 Wer das einmal begriffen hat, dem ist es schwer verständlich, daß viele Jahrhunderte exakter Forschung vergehen mußten, bis diese einfache Tatsache erkannt wurde. Es ist die alte Geschichte vom Ei des Co- lumbus. Die nächste Frage ist die, ob die Methode der Uhrvergleichung, die wir eingeführt haben, zu einem widerspruchslosen relativen Zeitbegriffe führt. Das ist tatsächlich der Fall. Wir wollen, um das einzusehen, die Min- kowskische Darstellung der Ereignisse oder Weltpunkte in einer xt-Ehene be- nützen, wobei wir uns auf Bewegungen in der ^-Richtung beschränken und da- her y und z fortlassen (Abb. 112). Die auf der jc- Achse ruhenden Punkte A, B, C werden in dem xt- Koordinatensystem S als 3 Parallele zur /-Achse dargestellt. Der Punkt C liege in der Mitte zwischen A und B. Von ihm soll zur Zeit / = o ein Licht- signal nach beiden Richtungen aus- gesandt werden. Wir nehmen an, daß das System 5 >ruhe«, d. h. daß die Lichtge- schwindigkeit nach beiden Richtungen gleich sei; dann werden die nach rechts und links eilenden Lichtsignale durch Gerade dargestellt, die gegen die A:-Achse gleich geneigt sind und die wir > Lichtlinien*- nennen. Die Neigung wollen wir gleich 45° annehmen, was offenbar darauf her- ausläuft, daß dieselbe Strecke, die in der Figur die Längeneinheit i cm auf der :jf- Achse darstellt, auf der /-Achse die sehr kleine Zeit j/ — sec bedeutet, die das Licht c zum Durchlaufen von i cm Weg braucht. Die Schnittpunkte A^^ B^ der Lichtlinien mit den Weltlinien der Punkte A^ B geben durch ihre /-Werte die Momente des Ein- treffens der beiden Lichtsignale an. Man sieht, daß A^ und B^ auf einer Parallelen zur ;c-Achse liegen, also gleichzeitig sind. Jetzt sollen die 3 Punkte A^ B^ C gleichförmig mit gleicher Ge- schwindigkeit bewegt sein ; ihre Weltlinien sind dann wieder parallel, aber geneigt gegen die :c- Achse (Abb. 113). Die Lichtsignale werden durch dieselben von C ausgehenden Lichtlinien wie oben dargestellt; aber ihre Schnittpunkte ^j , B\ mit den Weltlinien A^ B liegen jetzt nicht auf Born, Relativitätstheorie, 3. Aufl. 12 lyg I^^s spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. einer Parallelen zur :c- Achse, sie sind also im :5c /-Koordinatensysteme nicht gleichzeitig, sondern B\ ist später als A\. Dagegen wird ein mit- bevvegter Beobachter mit gleichem Rechte behaupten, daß Ä^^ B\ gleich- zeitige Ereignisse (Weltpunkte) sind ; er wird ein ^ /-Koordinatensystem S' gebrauchen, bei dem die Punkte ^j, B\ auf einer Parallelen zur ^-Achse liegen. Die Weltlinien der Punkte A^ B^ C selbst sind natürlich der /-Achse parallel, weil A^ B^ C im Systeme S' ruhen, ihre ^'-Koordinaten für alle / denselben Wert haben. Daraus ergibt sich, daß das mitbewegte System *S" in der :x: /-Ebene durch ein schiefwinkliges Koordinatensystem x' t^ dargestellt wird, bei dem beide Achsen gegen die ursprünglichen geneigt sind. Wir erinnern uns nun daran, daß in der gewöhnlichen Mechanik die Inertialsysteme in der ä^ /-Ebene ebenfalls durch schiefwinklige Koordinaten mit beliebig gerichteter /-Achse dargestellt werden, wobei aber die a:- Achse immer dieselbe bleibt (III, 7, S. 60). Wir haben schon dort dar- auf hingewiesen, daß dies vom mathematischen Standpunkte ein Schön- heitsfehler ist, der durch die Relativitätstheorie aufgehoben wird. Jetzt sieht man klar, wie das durch die neue Definition der Gleichzeitigkeit zustande kommt. Zugleich gewinnt man durch den Anblick der Figur auch ohne Rechnung die Überzeugung, daß diese Definition in sich wider- spruchslos möglich sein muß; denn sie bedeutet ja nichts anderes als den Gebrauch schiefwinkliger ^/-Koordinaten statt rechtwinkliger. Die Einheiten der Länge und der Zeit in dem schiefwinkligen System werden durch die Konstruktion noch nicht bestimmt; bei dieser ist nur die Tatsache benützt, daß das Licht sich nach allen Richtungen in einem System S gleich schnell ausbreitet, aber noch nicht der Satz, daß die Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen denselben Wert c hat. Zieht man diesen noch heran, so gewinnt man die vollständige Kinematik Einsteins. 2. Die Einsteinsche Kinematik und die Lorentz- Transformationen. Wir wiederholen noch einmal die Voraussetzungen der Einsteinschen Kinematik : 1. Das Relativitätsprinzip: Es gibt unendlich viele, relativ gleich- förmig und geradlinig bewegte Bezugsysteme (Inertialsysteme), in denen alle Naturgesetze ihre einfachste (ursprünglich für den ab- soluten Raum oder ruhenden Äther abgeleitete) Gestalt annehmen. 2. Das Prinzip von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: In allen Inertialsystemen hat die Lichtgeschwindigkeit, mit physikalisch gleichartigen Maßstäben und Uhren gemessen, denselben Wert. Die Aufgabe ist, daraus die Beziehungen zwischen Längen und Zeiten in den verschiedenen Inertialsystemen abzuleiten. Dabei beschränken wir uns wieder auf Bewegungen parallel zu einer festen Raumrichtung, der ^v-Richtung. Die Einsteinsche Kinematik und die Lorentz-Transformationen. lyg Wir betrachten zwei Inertialsysteme S und S'j die die relative Ge- schwindigkeit V haben. Der Nullpunkt des Systems S' hat also bezüglich des Systems S zur Zeit / die Koordinate x =^ vt\ seine Weltlinie ist im Systeme S' durch die- Bedingung x' = o gekennzeichnet. Die beiden Glei- chungen müssen dasselbe bedeuten , es muß daher x — vi mit x pro- portional sein; wir setzen: ax ^:= X — Vf. Nach dem Relativitätsprinzip sind aber beide Systeme völlig gleich- berechtigt; man kann also dieselbe Überlegung auf die Bewegung des Nullpunkts von S relativ zu S' anwenden, wobei nur die relative Ge- schwindigkeit V das umgekehrte Vorzeichen hat. Es muß daher auch x' -\-vt' mit X proportional sein, und zwar wegen der Gleichwertigkeit der beiden Systeme mit demselben Proportionalitätsfaktor a: ax = x' -\- vt' , Aus dieser Gleichung läßt sich nun mit Hilfe der ersten t' durch x und / ausdrücken; man findet also vt' = ax — jc' = ax = — {{a^ — i) ^ + z'^l » a a ' at = X -\- t . Diese Gleichung zusammen mit der ersten erlaubt x und / zu be- rechnen, wenn x und / bekannt sind. Dabei ist aber noch der Propor- tionalitätsfaktor a unbestimmt; dieser muß so gewählt werden, daß das Prinzip von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gewahrt wird. Die Geschwindigkeit einer gleichförmigen Bewegung wird im System S X X durch « = — , im System *S' durch u' = —r dargestellt. Dividiert man die beiden Gleichungen, welche x und t' durch x und / auszudrücken gestatten, ineinander, so hebt sich der Faktor a fort und man findet r U f a' V dividiert man hier Zähler und Nenner der rechten Seite durch / und führt w = — em, so erhalt man . , u — V (70) u a' — I u-\- \ V Handelt es sich insbesondere um die gleichförmige Bewegung eines Lichtstrahls längs der :^-Achse, so muß nach dem Prinzip von der Kon- stanz der Lichtgeschwindigkeit u = tc sein; ihr gemeinsamer Wert ist 12* l8o -D^s spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip, eben die Lichtgeschwindigkeit c. Setzen wir demnach in unserer Formel u = c und zugleich u' = c ^ so muß c — V , a — ^ c^-^c- a — 1 V V sein ; daraus folgt -ß' oder a^-\-ß' = I . Damit ist der Proportionalitätsfaktor a gefunden, i [lämlich (71) « = Vi — ß' Die Transformationsformeln lauten nun: ax' X — z'/, at' z - V Wir schreiben sie noch einmal ganz ausführlich an, wobei wir die zur Bewegungsrichtung senkrechten Koordinaten y^ z, die sich nicht ändern, hinzufügen: V _ ^ ^^ (72) x= — , y=y, z=z, t y^-T^ y^ Man nennt diese Regeln, nach denen Ort und Zeit eines Weltpunktes im System S' berechnet werden können, wenn sie im System S gegeben sind, eine Lorentz-Transformation. Es sind tatsächlich dieselben Formeln, die Lorentz durch schwierige Überlegungen über die Invarianz der Max- wellschen Feldgleichungen gefunden hat (s. V, i5_, S. 169). Will man x^y^z^t durch x ^ y\ z\ t' ausdrücken, so muß man die Gleichungen auflösen; man kann ohne Rechnung aus der Gleichwertigkeit der beiden Systeme S und S' schließen, daß die Auflösungsformeln genau dieselbe Gestalt haben müssen, wobei nur v m — v verwandelt ist. In der Tat ergibt auch die Ausrechnung: X -\-vt , , c ^^ , — => y=y', z;" c^ Von besonderem Interesse ist der Grenzfall, daß die Geschwindig- keit V der beiden Systeme im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit c sehr klein ist; dann kommt man gerade auf die Galilei-Transformation [Formel Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik. l8l (29), S. 59] zurück. Denn wenn — neben i vernachlässigt werden kann, erhält man aus (72) x=x — vt^ y ^=^ y 1 z^=^z^ /=/. v Man versteht so, daß wegen des kleinen Wertes, den — in den meisten praktischen Fällen hat, die Galileische Kinematik jahrhunderte- lang allen Bedürfnissen genügte. 3. Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik. Ehe wir den Inhalt dieser Formeln zu deuten suchen, wollen wir die durch sie dargestellten Beziehungen zwischen zwei Inertialsystemen nach der von Minkowski eingeführten Weise in der vierdimensionalen Welt xyzt geometrisch deuten. Dabei können wir die ungeändert bleibenden Ko- ordinaten^, z unbeachtet lassen und uns auf die Betrachtung der A:/-Ebene beschränken. Alle kinematischen Gesetze erscheinen dann als geometrische Tatsachen in der ^ /-Ebene. Dem Leser ist aber dringend zu empfehlen, die in geometrischer Form gewonnenen Beziehungen fortlaufend in die gewöhnliche Sprache der Kinematik zurück zu übersetzen. Er soll also unter einer Weltlinie wirklich die Bewegung eines Punktes verstehen, unter dem Schnitte zweier Weltlinien die Begegnung zweier bewegter Punkte usw. Man kann sich die Vorstellung der durch die Figuren dar- gestellten Vorgänge sehr erleichtern, indem man ein Lineal zur Hand nimmt, dieses parallel zur A:-Achse an der /-Achse entlang führt und die Schnittpunkte der Linealkante mit den Weltlinien ins Auge faßt; diese Punkte bewegen sich dann an der Kante hin und her und geben ein Bild des räumlichen Bewegungsablaufs. Jedes Inertialsystem S wird, wie wir gesehen haben (VI, i, S. 177), durch ein schiefwinkliges Achsenkreuz in der :v /-Ebene dargestellt; daß eines darunter rechtwinklig ist, muß als zufälliger Umstand betrachtet werden und spielt weiter keine Rolle. Jeder Raumpunkt kann Ausgangspunkt einer Lichtwelle sein, die sich als Kugel gleichförmig nach allen Seiten ausbreitet. Längs der hier allein betrachteten :x:-Richtung sind von dieser Kugelwelle nur zwei Lichtsignale vorhanden, von denen das eine nach links, das andere nach rechts läuft. Diese werden also in der :r/-Ebene durch zwei sich kreuzende Gerade dargestellt, die natürlich von der Wahl des Bezugsystems völlig unabhängig sind, da sie wirkliche Ereignisse, Weltpunkte, miteinander verknüpfen, nämlich die nacheinander von dem Lichtsignal getroffenen Raumstellen. Wir zeichnen diese Lichtlinien für einen Weltpunkt, der zugleich der Nullpunkt aller betrachteten rsc: /-Koordinatensysteme sein soll, und zwar als zwei aufeinander senkrechte Geraden; diese wählen wir als Achsen eines ^/^-Koordinatensystems (Abb. 114). l82 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. Damit haben wir eines der Hauptmerkmale der Einsteinschen Theorie vor Augen: Das ^ly-System ist eindeutig bestimmt und in der »Welt« fest, obwohl seine Achsen nicht räumliche Gerade sind, sondern von den Weltpunkten gebildet werden, die ein vom Nullpunkt ausgehendes Licht- signal erreicht. Dieses invariante oder »absolute« Koordinatensystem ist also höchst abstrakter Art. Man muß sich daran gewöhnen, daß solche Abstraktionen in der modernen Theorie die konkrete Äthervorstellung ersetzen; ihre Stärke ist, daß sie nichts enthalten, was über die zur Deutung der Erfahrungen nötigen Begriffe hinausgeht. Mit diesem absoluten Bezug- systeme ^r^ müssen nun die £ü/i' kurven fest verbunden werden, die auf den Achsen eines beliebigen Inertialsystems xt die Einheiten der Länge und Zeit abschneiden. Diese Eichkurven müssen durch ein in- variantes Gesetz dargestellt sein, und es handelt sich darum, ein solches zu finden. Die Lichtlinien selbst sind in- variant. Die ^-Achse [iq = o) wird in einem Bezugsystem S durch die Formel x = et dargestellt, in einem andern Bezugsystem S' durch die Formel x = et' \ denn diese drücken aus, daß die Lichtgeschwindigkeit in beiden Systemen denselben Wert hat. Wir wollen nun die Differenz x' — et\ die für die Punkte der i^-Achse gleich Null ist, mit der Lorentz- Transformation (72) auf die Koordinaten x^ t umrechnen; dann folgt X — et' = — \[x — vt a Abb. 114. 1+/^ « [x — et) et = o Hieraus sieht man, daß, wenn x — et = o ist, auch x wird. Für die ^y-Achse (^ = 0) ist ;c = — et und x = — et'\ machen wir die entsprechende Umrechnung von x' + et' in x^ /, so haben wir oben nur e in — <;, also auch ß in — /? zu verwandeln (während a = Vi — ß"" unverändert bleibt) und erhalten: x' -\- et' = ^^" (x -\-et). Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik. 183 Aus diesen beiden Formeln aber liest man leicht eine invariante Bil- dung ab; es ist nämlich {i -\- ß) {1 — ß) = i — ß^ == a'^ daher wird, wenn man die beiden Gleichungen miteinander multipliziert, der Faktor den Wert i bekommen und man findet {x' — et') [x + et') = {x — et) {x + et) oder :^'^- c't'' = x''—e''r: d. h. der Ausdruek (73) G = x'-e'e ist eine Invariante. Wegen ihres fundamentalen Charakters nennen wir sie die Grundinvariante. Sie dient uns zunächt zur Bestimmung der Längen- und Zeiteinheit in einem beliebigen Bezugsysteme S. Dazu fragen wir nach allen Weltpunkten, für die G den Wert + i oder — I hat. Offenbar ist G = 1 für den Weltpunkt x ■== 1^ / = o; das ist aber der Endpunkt eines vom Nullpunkte des Bezugsystems S aufgetragenen Einheitsmaßstabes im Augenblick / = o. Da das für alle Bezugsysteme S in gleicher Weise gilt, so erkennen wir, daß die Weltpunkte, für die G = i ist, die ruhende Längeneinheit für ein beliebiges Bezugsystem definieren, wie wir sogleich näher ausführen werden. Ebenso ist G = — i für den Weltpunkt x = o^ t = — ; dieser Welt- punkt hängt also in entsprechender Weise mit der Zeiteinheit der im System S ruhenden Uhr zusammen. Man kann nun die Punkte G = -\- i oder G == — i sehr leicht geometrisch konstruieren, indem man von dem invarianten Koordinaten- system §)] ausgeht. Die ^- Achse wird von den Punkten gebildet, für die rj = o ist; andererseits sind dieselben Weltpunkte in einem beliebigen Inertialsystem S dadurch gekennzeichnet, daß x = et ist. Daher muß 7] mit X — et proportional sein; indem wir die Einheit von rj geeignet wählen, können wir j] = X — et setzen. Ganz ebenso findet man durch Betrachtung der r] -Achse, daß man § = X -\- et setzen kann. Es ist dann ^r] = {x — et) {x H- et) = x^ — e^'f = G. G = ^iq bedeutet offenbar den Inhalt eines Rechtecks mit den Seiten J und ry; will man einen Weltpunkt finden, für den G = §7] = i ist, so hat man nur darauf zu achten, daß das aus den Koordinaten 5, Yj gebildete Rechteck den Flächeninhalt i hat. Alle diese Rechtecke lassen sich übersehen; unter ihnen ist das Quadrat mit der Seite i, i84 Das spezielle Einstemsche Relativitätsprinzip. die übrigen sind um so höher, je schmäler sie sind, und um so nied- riger, je breiter sie sind, entsprechend der Bedingung r^ =^ (Abb. 115). Die Punkte f, rj bilden offenbar eine Kurve, die sich der §- und der rj- Achse immer mehr und mehr nähert ; man nennt diese Kurve eine gleich- seitige Hyperbel. Wenn ^ und v] beide negativ sind, so ist % - r\ positiv; daher liefert die Konstruktion einen zweiten, zum ersten spiegelbildlichen Hyperbelast im gegenüberliegenden Quadranten. Für G ■= — I gilt dieselbe Konstruktion in den beiden übrigen Quadranten, wo die Koordinaten J und iq verschiedenes Vorzeichen haben. Die vier Hyperbeln bilden nun die gesuchten Eichkurven., durch die die Einheiten für Längen und Zeiten für alle Bezugsysteme xt festgelegt werden. Die :*;-Achse treffe die Hyperbeläste (9 = + i in den Punkten P und /^; die /-Achse die Hyperbeläste 6^ = — i in Q und Q (Abb. 116). Abb. 115. Abb. 116. Wir ziehen durch P eine Parallele zur /-Achse und behaupten, daß diese den rechten Eichkurvenast 6^ = -f- i nicht noch in einem zweiten Punkte schneidet, sondern gerade in P berührt. Mit andern Worten, wir sagen, daß kein einziger Punkt dieses Eichkurvenastes links von der Geraden liegt, sondern daß der ganze Ast rechts von ihr verläuft, alle seine Punkte also jc- Koordinaten haben, die größer sind als die Strecke OP. Das ist in der Tat der Fall. Denn für jeden Punkt der Eichkurve G =^ x"^ — c'^f = \ ist a;^ = I + c^f\ also ist für den Punkt P der Eichkurve, der zugleich auf der :^-Achse /= o liegt, :v^ = i, für jeden andern Eichkurvenpunkt aber ist x"^ um den positiven Betrag c'^f größer als I. Mithin ist 0P= i und für jeden Punkt des rechten Eichkurven- astes ist X größer als i. Ganz ebenso folgt, daß die durch P' gezogene Parallele zur /-Achse den linken Hyperbelast 6^ = i m P' berührt, und daß die durch Q Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik. 185 und Q' zur A:-Achse gezogenen Parallelen die Hyperbeläste G = — i in Q und Q' berühren. Dabei wird offenbar die Strecke 0Q = — ; denn der Punkt Q liegt auf der Eichkurve G = x^ — c^^t"^ ^= — i und auf der ^-Achse ^ = o, also ist für ihn c^t^ = 1 / = — . ' c Die beiden Parallelen zur /-Achse durch F und P' treffen die Licht- linien ^, rj in den Punkten R und R' \ durch dieselben Punkte gehen aber auch die Parallelen zur :i--Achse durch Q und Q' . Denn es gilt z. B. für den Punkt R x = ci^ weil er auf der ^- Achse liegt, und X = \^ weil er auf der Parallelen zur /-Achse durch P liegt; daraus folgt / = — , d. h. er liegt auf der Parallelen zur ::c-Achse durch Q, Nun sieht man, daß diese Konstruktion der A:-Achse mit der vorher (S- 177) gegebenen der gleichzeitigen Weltpunkte übereinstimmt. Denn die /-Achse O Q und die beiden Parallelen PR und P' R' sind die Welt- linien dreier Punkte, deren einer O in der Mitte der beiden andern P^ P' liegt; läßt man nun von O ein Lichtsignal nach beiden Seiten laufen, so wird dieses durch die Lichtlinien ^^ rj dargestellt, es trifft also die beiden äußeren Weltlinien in R und R'. Folglich sind diese beiden Weltpunkte gleichzeitig, ihre Verbindungslinie der ^r-Achse parallel, genau, wie es unsere neue Konstruktion ergeben hat. Wir fassen nun das Resultat dieser Überlegung kurz zusammen: Du Achsen x und t eines Beziigsystems S liegen so zueinander ^ daß jede von ihnen derjenigen Geraden parallel ist^ die die Eichkurve im Durch- Stoßungspunkte mit der andern Achse berührt. Die Längeneinheit wird durch die Strecke OP dargestellt; die Zeit- einheit wird durch die Strecke OQ bestimmt, die allerdings nicht i sec, sondern — sec bedeutet. c Jede Weltlinie, die die Eichkurvenäste G = i trifft, kann als A:-Achse genommen werden; dann ist die /-Achse als Parallele zu der in P be- rührenden Geraden festgelegt. Ebenso kann auch die /-Achse als eine beliebige, die Eichkurvenäste (9 = — i treffende Weltlinie gewählt wer- den; die zugehörige ;\f-Achse ist durch die analoge Konstruktion ein- deutig bestimmt. Diese Regeln treten an die Stelle der Sätze der klassischen Kinematik; dort war die :r-Achse für alle Inertialsysteme dieselbe, die Längeneinheit auf ihr fest gegeben und die Zeiteinheit gleich dem Abschnitte auf der im allgemeinen schiefen /-Achse, den eine bestimmte, zur :\:-Achse paral- lele Gerade auf ihr abschneidet (s. S. 60, Abb. 41). Wie kommt es nun, daß diese anscheinend so verschiedenen Kon- struktionen tatsächlich kaum unterscheidbar sind? Das liegt an dem ungeheuer großen Werte der Lichtgeschwindigkeit ^, wenn man diesen in cm und sec mißt. Will man nämlich in der Figur i sec i86 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. und I cm durch Strecken derselben Länge darstellen, so muß man offenbar die Zeichnung in der /-Richtung zusammendrücken, so daß sich alle der /-Achse parallelen Strecken im Verhältnisse i : c zusammendrängen. Wäre <;= IG, so würde sich ein Bild ergeben, wie es die Abb. 117 dar- stellt; die beiden Lichtlinien würden einen ganz spitzen Winkel bilden, der den Spielraum der :<;-Achsen darstellt, dafür würde der Winkelraum der /-Achsen sehr groß; je größer c ist, um so mehr würde die quanti- tative Verschiedenheit der Veränderlichkeit der x- und /-Richtung hervor- treten. Für den wirk- lichen Wert von ^, näm- lich c ■= 3 • io^° cm/sec, könnte man die Zeich- nung auf dem Papier über- haupt nicht mehr aus- führen; die beiden Lichtlinien würden praktisch zusammenfallen, die x- Richtung, die immer zwischen ihnen liegt, also konstant sein. Das ist gerade die Annahme der gewöhnlichen Kinematik; man sieht also, daß diese ein Spezialfall oder besser ein Grenzfall der Einsteinschen Kine- matik ist, nämlich der Grenzfall unendlich großer Lichtgeschwindigkeit. Abb. 117. 4. Bewegte Maßstäbe und Uhren. Wir wollen jetzt die einfachsten kinematischen Fragen beantworten, die die Beurteilung der Länge ein und desselben Maßstabes und ein und derselben Zeitdauer von verschiedenen ßezugsystemen aus betreffen. Ein Stab von der Länge i werde vom Nullpunkt des Systems S aus längs der :*:- Achse hingelegt; wir fragen nach seiner Länge im System *S'. Daß diese nicht ebenfalls gleich i sein wird, ist ohne weiteres klar; denn die mit S mitbewegten Beobachter werden natürlich die Lagen der End- punkte des Stabes gleichzeitig messen, d. h. gleichzeitig im Bezugsystem S' . Das ist aber nicht gleichzeitig im Bezugsystem S\ wenn also auch die Lage des einen Stabendes in S und S' gleichzeitig abgelesen wird, so wird die des andern Stabendes bezüglich der »S-Zeit von den Beobachtern der Systeme S und S' nicht gleichzeitig abgelesen; in der Zwischenzeit hat aber das System S sich fortbewegt, die Ablesung der »S'-Leute betrifft also eine verschobene Lage des zweiten Stabendes. Diese Sache erscheint auf den ersten Blick hoffnungslos verwickelt. Es gibt Gegner des Relativitätsprinzips, simple Geister, die nach Anhören dieser Schv/ierigkeit, eine Stablänge festzustellen, empört ausrufen: »Ja, i mit gefälschten Uhren kann man natürlich alles ableiten; hier sieht man, zu welchen Absurditäten der blinde Glaube an die Zauberkraft mathe- Bewegte Maßstäbe und Uhren. 187 matischer Formeln führt«, worauf sie die Relativitätstheorie in Bausch und Bogen verdammen. Die Leser unserer Darstellung werden hoffentlich begriffen haben, daß die Formeln keineswegs das Wesentliche sind, son- dern daß es sich um rein begriffliche Zusammenhänge handelt, die man auch ohne Mathematik recht gut verstehen kann; ja, man könnte im Grunde nicht nur auf die Formeln, sondern sogar auf die geometrischen Figuren verzichten und alles in den Worten der gewöhnlichen Sprache vortragen, nur würde das Buch dann so weitschweifig und unübersichtlich werden, daß kein Verleger es drucken, kein Leser es studieren würde. Wir benutzen nun zunächst unsere Figur in der ^ /-Ebene, um die Frage nach der Längen- bestimmung des Stabes in den beiden Systemen S und S' zu lösen (Abb. 118). Der Stab soll im System 6" (xy t) ruhen; daher ist die Weltlinie seines Anfangspunktes die /-Achse, die seines End- punktes die dazu parallele Ge- rade im Abstände i ; diese be- rührt die Eichkurve im Punkte P. Der ganze Stab wird also für alle Zeiten durch den Streifen zwischen diesen beiden Geraden dargestellt. Nun soll seine Länge im Systeme 6" [x\ t') bestimmt werden, welches gegen S bewegt ist; seine /'-Achse ist also gegen die /-Achse geneigt. Wir finden die zugehörige :x;'-Achse, indem wir im Durchstoßungspunkte Q der /-Achse mit der Eichkurve die Tansjente und zu dieser durch O die Parallele OP' ziehen. Die Strecke OP" ist die Längeneinheit auf der :t:'-Achse. Die Länge des im System S ruhenden Einheitsstabes ge- messen im System *S' aber wird bestimmt durch die Strecke OR' ^ die der den Stab darstellende Parallelstreifen aus der :x:'-Achse ausschneidet; diese ist offenbar kürzer als O P' ^ also ist O R' kleiner als i: Der Stab erscheint im bewegten Systeme S' verkürzt. Das ist genau die von Fitz-Gerald und Lorentz zur Erklärung des Michelsonschen Versuches ersonnene Kontraktion, die hier als natürliche Folge der Einsteinschen Kinematik erscheint. Wenn umgekehrt ein im System S' ruhender Maßstab vom System S aus gemessen wird, erscheint er natürlich ebenfalls verkürzt, nicht etwa verlängert; denn ein solcher Stab wird durch den Streifen dargestellt, der durch die /-Achse und die zu ihr parallele Weltlinie durch den Punkt P' begrenzt ist, die letztere trifft aber die Einheitsstrecke O P des Systems 5 in einem innern Punkte i?, so daß OR kleiner als i ist. Abb. 118. i88 Das spezielle Emsteinsche Relativitätsprinzip. Die Kontraktion ist also durchaus wechselseitig, wie es das Relativitäts- prinzip verlangt. Die Größe der Kontraktion finden wir am besten mit Hilfe der Lorentztransformation (72). 4 sei die Länge des Stabes in dem Bezugsystem 5', in dem er ruht; man nennt 4 auch Ruhlänge oder Eigenlänge des Stabes. Soll nun die Länge des Stabes, wie sie vom System »S aus beurteilt wird, festgestellt werden, so hat man / = o zu setzen, was die Gleichzeitigkeit der Ablesung der Lage beider Stabenden bezüglich S ausdrückt. Dann folgt aus der ersten Gleichung der Lorentztransformation (72) X X v~ Nun ist für den Anfangspunkt des Stabes x = o, also auch x' = o ; für seinen Endpunkt ist x' = /^^ und wenn x =^ l die Stablänge, ge- messen im System »S, bedeutet, so erhält man (74) • /=4Ki-p- Dies besagt, daß die Stab- länge im System S im Ver- hältnisse Vi — ß^:i ver- kürzt erscheint, genau in Übereinstimmung mit der Kontraktionshypothese von Fitz-Gerald und Lorentz (V, 15, S. 168). Dieselben Überlegungen gelten für die Bestimmung einer Zeitdauer in zwei ver- schiedenen Systemen S und S'. Wir denken uns in allen Raumpunkten des Systems S •119- gleichgehende Uhren ange- bracht. Diese haben gleichzeitig bezüglich S eine bestimmte Zeigerstel- lung; die Stellung t = o wird durch die Weltpunkte der ^-Achse, die Stellung t = — durch die Weltpunkte der zur ^-Achse parallelen, durch c den Punkt Q gehenden Geraden dargestellt (Abb. 119). Im Nullpunkt des Systems S' sei eine Uhr angebracht, die für / = o auch /' = o zeigt; fragen wir nun, welche Stellung der Zeiger einer Uhr des Systems S hat, die sich an der Stelle befindet, wo die in S' ruhende Uhr gerade die Zeit / = — anzeigt. Der gesuchte Wert von t wird ofifen- Schein und Wirklichkeit. 189 bar durch den Schnittpunkt Q' der /'-Achse mit der Eichkurve G = — i bestimmt; dagegen wird die Zeigerstellung / = — der in S ruhenden Uhren durch die Punkte der Geraden dargestellt, die durch Q zur jjc-Achse parallel gelegt ist. Diese Gerade trifft die /'-Achse in einem Punkte R' ^ und die Figur zeigt, das Q^ außerhalb der Strecke QR' liegt; das bedeutet aber, die Zeiteinheit des System-S S' erscheint im System S verlängert. Um den Betrag der Verlängerung festzustellen, setzen wir in der Lorentz- Transformation für die im Nullpunkt von S' befindliche Uhr x = o, also X = v^\ dann wird V y v' Ein Zeitintervall f^ im System S\ /' = 4 > wird demnach im System S als (75) t - *° r. V gemessen, erscheint also verlängert. Die Zeitdilatation ist zur Längen- kontraktion reziprok. Natürlich erscheint auch umgekehrt die Zeiteinheit einer im Systeme S ruhenden Uhr im Systeme S' vergrößert. Man kann auch sagen, daß von irgend einem System aus beurteilt, die Uhren jedes dagegen bewegten Systems nachzugehen scheinen. Die zeitlichen Abläufe in dem relativ bewegten System sind langsamer, alle Vorgänge in diesem System bleiben hinter den entsprechenden des als ruhend betrachteten Systems zurück. Wir kommen nachher auf die hieraus entspringenden, häufig als paradox bezeichneten Umstände zurück. Man nennt die Zeitangabe einer Uhr in dem Bezugsystem, in dem sie ruht, die Eigenzeit des Systems. Diese ist identisch mit der »Ortszeit« von Lorentz; der Fortschritt der Einsteinschen Theorie "betrifft nicht die formalen Gesetze, als vielmehr ihre prinzipielle Auffassung. Bei Lorentz erschien die Ortszeit als mathematische Hilfsgröße im Gegensatz zu der wahren, absoluten Zeit. Einstein stellte fest, daß es kein Mittel gibt, diese absolute Zeit zu bestimmen, sie aus den unendlich vielen, gleich- berechtigten Ortszeiten der verschieden bewegten Bezugsysteme heraus- zufinden. Das bedeutet aber, daß die absolute Zeit keine physikalische Realität hat; Zeitangaben haben nur Sinn relativ zu bestimmten Bezug- systemen. Damit ist die Relativierung des Zeitbegriffes durchgeführt. 5. Schein und Wirklichkeit. Nachdem wir die Gesetze der Einsteinschen Kinematik in der doppelten Gestalt von Figuren und Formeln kennen gelernt haben, müssen wir sie vom Standpunkte der Erkenntnistheorie kurz beleuchten. I Qo Das spezielle Einstemsche Relativitätsprinzip. Man könnte nämlich zu der Meinung gelangen, daß es sich in der Einsteinschen Theorie gar nicht um neue Erkenntnisse über die Dinge der physikalischen Welt handle, sondern nur um Definitionen konven- tioneller Art, die zwar den Forderungen der Empirie angepaßt sind, aber ebensogut durch andere Bestimmungen ersetzt werden könnten. Dieser Gedanke liegt nahe, wenn wir an den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, das Beispiel des Schleppzuges, denken, wobei das Konventionelle, Will- kürliche der Einsteinschen Definition der Gleichzeitigkeit ins Auge springt. Tatsächlich ließe sich die ganze Einsteinsche Kinematik für Schiffe, die sich durch windstille Luft bewegen, vollkommen durchführen, wenn man Schallsignale zur Uhrregulieiung benützt; die Größe c würde dann in allen Formeln die Schallgeschwindigkeit bedeuten. Jedes fahrende Schiflf würde je nach seiner Geschwindigkeit seine eigenen Einheiten für Längen und Zeiten haben und zwischen den Maßsystemen verschiedener Schiffe würden die Lorentz-Transformationen gelten; man hätte eine widerspruchslose Ein- steinsche Welt im > Kleinen«. Aber diese Widerspruchslosigkeit besteht nur so lange, als wir zulassen, daß die Einheiten für Längen und Zeiten durch keine andere Forderung eingeschränkt sein sollen, als daß die beiden Prinzipien der Relativität und der Konstanz der Schall- bzw. Lichtgeschwindigkeit gelten. Ist das die Meinung der Einsteinschen Theorie? Sicherlich nicht. Vielmehr wird selbstverständlich vorausgesetzt, daß ein Stab, der in zwei Bezugsystemen S und S' relativ zu diesen unter genau die- selben physikalischen Bedingungen gebracht, etwa der Einwirkung aller Kräfte möglichst entzogen wird, beidemal dieselbe Länge vorstellt. Ein ruhender, fester Maßstab im System S von der Länge i soll natürlich auch im System S' die Länge i haben, wenn er dort ruht und wenn Vorsorge getroffen ist, daß die übrigen physikalischen Verhältnisse (Schwerkraft, Lagerung, Tem- peratur, elektrische und magnetische Felder usw.) in S' möglichst dieselben sind wie in S. Genau das entsprechende wird man für die Uhren verlangen. Man könnte diese stillschweigend gemachte Voraussetzung der Einstein- schen Theorie das »Prinzip von der physikalischen Identität der Maß- einheiten« nennen. Sobald man sich dieses Prinzips bewußt ist, sieht man, daß mit ihm die Übertragung der Einsteinschen Kinematik auf den Fall der Schiffe und der Uhrenvergleichung mit Schallsignalen im Widerspruche steht. Denn die nach Einsteins Vorschrift mit Hilfe der Schallgeschwindigkeit bestimmten Längen- und Zeiteinheiten werden natürlich keineswegs gleich den mit festen Maßstäben und gewöhnlichen Uhren gemessenen Längen- und Zeiteinheiten sein; die ersten sind nicht nur auf jedem fahrenden Schiffe andere, je nach dessen Geschwindigkeit, sondern es ist außerdem die Längeneinheit querschiffs von der längsschiffs verschieden. Die Ein- steinsche Kinematik wäre also zwar eine mögliche Definition, aber in diesem Falle nicht einmal eine nützliche; die gewöhnlichen Maßstäbe und Uhren wären ihr zweifellos überlegen. Schein und Wirklichkeit. igj Aus demselben Grunde ist es auch nur schwer möglich, die Einsteinsche Kinematik durch Modelle zu veranschaulichen. Diese geben wohl die- Beziehungen zwischen Längen und Zeiten in verschiedenen Systemen richtig wieder, stehen aber mit dem Prinzip der Identität der Maßein- heiten im Widerspruche; die Längenskala muß eben in zwei relativ zu- einander bewegten Systemen S und S' des Modells verschieden ge- wählt werden. Ganz anders soll es nun nach Einstein in der wirklichen Welt sein; dort soll die neue Kinematik gerade gelten, wenn man denselben Stab, dieselbe Uhr erst im System 6", dann im System S' zur Festlegung der Längen und Zeiten benutzt. Damit aber erhebt sich die Einsteinsche Theorie über den Standpunkt einer bloßen Konvention zur Behauptung bestimmter Eigenschaften der wirklichen Körper; dadurch erst gewinnt sie die funda- mentale Bedeutung für die ganze Naturauffassung. Sehr klar tritt dieser wichtige Umstand hervor, wenn man die Römersche Methode zur Messung der Lichtgeschwindigkeit mit Hilfe der Jupitermonde ins Auge faßt. Das ganze Sonnensystem bewegt sich relativ zu den Fix- sternen; denken wir uns mit diesen ein Bezugsystem S fest verbunden, so definiert die Sonne mit ihren Planeten ein anderes System S' . Der Jupiter mit seinen Satelliten ist eine (ideal gute) Uhr mit ihren Zeigern; diese wird im Kreise herumbewegt, so daß sie bald in die Richtung der relativen Bewegung von S' gegen S^ bald in die entgegengesetzte gelangt. Man kann den Gang der Jupiter-Uhr in diesen Stellungen keineswegs durch Konvention willkürlich bestimmen, derart daß die Zeit, die das Licht zum Durchlaufen des Durchmessers der Erdbahn braucht, in allen Richtungen gleich ist; sondern das ist ganz von selbst so, dank der Ein- richtung der Jupiter-Uhr. Diese zeigt eben die Eigenzeit des Sonnen- systems S' an, nicht irgendeint absolute Zeit oder die fremde Zeit des Fixsternsystems S\ mit andern Worten, die Umlaufszeit der Jupitermonde ist relativ zum Sonnensystem konstant (wobei von der Geschwindigkeit des Jupiter selbst relativ zum Sonnensystem abgesehen wird). Nun behaupten manche, daß diese Anschauung einen Verstoß gegen das Kausalgesetz bedeute. Wenn nämlich ein und derselbe Maßstab vom System S aus beurteilt eine verschiedene Länge hat, je nachdem er in 5 ruht oder sich relativ zu S bewegt, so muß, sagen diese, eine Ursache für diese Veränderung vorhanden sein. Aber die Einsteinsche Theorie gibt keine Ursache an, behauptet vielmehr, daß die Kontraktion von selbst, als Begleitumstand der Tatsache der Bewegung, einträte. Dieser Einwand ist aber nicht berechtigt; er beruht auf einer zu engen Fassung des Begriffes »Veränderung«. An sich hat ja solch ein Begriff gar keinen Sinn, er bedeutet nichts Absolutes, ebensowenig wie Größen- oder Zeit- angaben absolute Bedeutung haben. Man ist doch nicht geneigt, zu sagen, ein gegen ein Inertialsystem S gleichförmig und geradlinig bewegter Körper »erleidet eine Veränderung«, obwohl er doch seinen 6^r/ gegen das System 5 verändert. Welche »Veränderungen« die Physik als Wirkungen zählt, 192 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. für die Ursachen zu suchen sind, ist durchaus nicht a priori klar, sondern wird erst durch die empirische Forschung selbst bestimmt. Die Auffassung der Einsteinschen Theorie über das Wesen der Kon- traktion ist diese: Ein materieller Stab ist physikalisch nicht ein räumliches Ding, sondern durchaus ein raum-zeitliches Gebilde; jeder Punkt des Stabes ist jetzt, und jetzt, und jetzt immer noch, zu jeder Zeit. Das adäquate Bild des (räumlich eindimensional) gedachten Stabes ist also nicht eine Strecke der A:-Achse, sondern ein Streifen der ::c/-Ebene (Abb. 120). Derselbe Stab, in verschieden bewegten Systemen S und S' ruhend, wird durch ver- schiedene Streifen dargestellt. Es gibt a priori ^eme Regel, wie diese 2-dimensionalen Gebilde der ^ /-Ebene zu zeichnen sind, damit sie das physikalische Verhalten ein und desselben Stabes bei verschiedenen Ge- schwindigkeiten richtig darstellen. Dazu muß erst eine Eichkurve in der :;<: /-Ebene festgelegt werden. Die klassische Kinematik zeichnet diese anders wie die Einsteinsche; welche recht hat, ist a priori nicht fest- zustellen. In der klassischen Theorie haben die beiden Streifen dieselbe Breite gemessen parallel zu einer festen :x:-Achse; in der Einsteinschen Theorie haben sie dieselbe Breite gemessen in den verschiedenen x- Richtungen der relativ bewegten Bezugsysteme mit verschiedenen, aber bestimmten Einheiten. Die »Kontraktion« betrifft gar nicht den Streifen, sondern die von einer x- Achse ausgeschnittene Strecke; aber nur der Streifen als Mannigfaltigkeit von Weltpunkten, Ereignissen, hat physikalische Realität, nicht der Querschnitt. Die Kontraktion ist also nur eine Folge der Betrachtungs- weise, keine Veränderung einer physikalischen Realität; also fällt sie nicht unter die Begriffe von Ursache und Wirkung. Durch diese Auffassung wird auch jene berüchtigte Streitfrage er- ledigt, ob die Kontraktion »wirklich« oder nur »scheinbar« ist. Wenn ich mir von einer Wurst eine Scheibe abschneide, so wird diese größer oder kleiner, je nachdem ich mehr oder weniger schief schneide. Es ist sinnlos, die verschiedenen Größen der Wurstscheiben als »scheinbar« zu bezeichnen und etwa die kleinste, die bei senkrechtem Schnitt entsteht, als die »wirkliche« Größe. Genau so hat ein Stab in der Einsteinschen Theorie verschiedene Längen, je nach dem Standpunkte des Beobachters; von diesen ist eine die größte, die Ruhlänge, aber darum ist sie nicht wirklicher als die andern. Die Anwendung der Disjunktion von »scheinbar« und »wirklich«] in diesem naiven Sinne ist nicht klüger, als wenn man fragt, welches di< Abb. 120. Schein und Wirklichkeit. 193 wirkliche ^-Koordinate eines Punktes xy sei, ohne daß man angibt, welches ^^-Koordinatensystem gemeint sei. Ganz entsprechendes gilt von der Relativität der Zeit. Eine ideale Uhr hat in dem Bezugsystem, in dem sie ruht, immer ein und denselben Gang; sie zeigt die »Eigenzeit« des Bezugsystems an. Von einem andern System aus beurteilt aber geht sie langsamer; ein bestimmter Abschnitt der Eigenzeit erscheint dort als länger. Auch hier ist wieder die Frage sinnlos, welches die »wirkliche« Dauer eines Vorganges sei. Bei richtiger Auffassung enthält die Einsteinsche Kinematik keinerlei Dunkelheiten oder gar innere Widersprüche. Wohl aber stehen viele ihrer Ergebnisse im Gegensatz zu gewohnten Denkformen oder zu Lehren der klassischen Physik. Wo diese Gegensätze besonders kraß sind, werden sie häufig als unerträglich, als paradox empfunden. Wir werden im fol- genden zahlreiche Schlüsse aus der Einsteinschen Theorie ziehen, die zuerst starken Widerspruch fanden, bis es gelang, sie experimentell zu bestätigen. Hier aber wollen wir eine Überlegung mitteilen, die zu be- sonders merkwürdigen Ergebnissen führt, ohne daß es möglich erscheint, diese durch das Experiment zu prüfen; es handelt sich um das sogenannte »Uhren- Paradoxon «. Man denke sich einen Beobachter A im Nullpunkt O des Inertial- systems S ruhend; ein zweiter Beobachter B soll sich zunächst am selben Orte O in Ruhe befinden, dann mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf gerader Linie, etwa der :!c-Achse, forteilen, bis er einen Punkt C erreicht dort soll er umkehren und wieder mit derselben Geschwindigkeit gerad- linig nach O zurückkehren. Beide Beobachter haben ideale Uhren bei sich, die ihre Eigenzeit anzeigen. Die Zeitabschnitte der Beschleunigung bei der Abreise, der Umkehr und der Ankunft von B kann man im Verhältnis zu der Dauer der ganzen Reise so kurz machen wie man will, indem man die Zeit- dauer der gleichförmigen Bewegungen hin und zurück hinreichend groß macht; wenn etwa der Gang der Uhren durch die Beschleunigung beein- flußt werden sollte, so wird diese Wirkung bei genügend langer Reise- dauer verhältnismäßig beliebig klein bleiben, so daß man sie vernach- lässigen kann. Dann muß aber die Uhr des Beobachters B nach seiner Rückkehr nach O gegen die Uhr von A nachgehen; denn wir wissen (VI, 4, S. 189), daß während der Perioden gleichförmiger Bewegung von Bj die für das Resultat maßgebend sind, die Eigenzeit hinter der Zeit irgend eines andern Inertialsystems zurückbleibt. Man sieht dies beson- ders anschaulich an dem geometrischen Bilde in der jc/- Ebene (Abb. 121). In diesem haben wir der Bequemlichkeit halber die Achsen des A:/-Systems aufeinander senkrecht gezeichnet. Die Weltlinie des Punktes A ist die /-Achse; die Weltlinie des Punktes B ist die geknickte (punktiert ge- zeichnete) Linie OUR^ deren Knickpunkt 6^ auf der zur /-Achse parallelen Weltlinie des Umkehrpunktes C liegt. Durch U legen wir die aus der Eichkurve (9 = — i durch ent- Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. I^ IQ4 Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. sprechende Vergrößerung hervorgehende Hyperbel; diese treffe die /-Achse in Q. Dann ist offenbar die Eigenzeitstrecke O Q für den Beobachter A genau gleich der Eigenzeitstrecke O U für den Beobachter B. Die Eigen- zeitdauer für A bis zum Rückkehrpunkte R ist aber, wie die Figur lehrt, mehr als doppelt so groß wie OQ^ während sie für ^ genau doppelt so groß ist wie OU. Daher hat die Uhr von A im Augenblicke der Rück- kehr einen Vorsprung vor der Uhr von B. Die Größe des Vorsprungs berechnet sich leicht aus der Formel (75), worin t^ die Eigenzeit von A^ t die Zeit gemessen im System B be- deutet. Beschränken wir uns auf kleine Geschwindigkeiten von B und sehen ß =- als kleine Zahl an, so können wir statt (75) näherungsweise c (s. Anmerkung auf S. 164) schreiben: ^ = ^o(i-+-fr); daher ist der Vorsprung der Uhr von A über die von B (76) i — L = ß' "O J Abb. 121. und das gilt in jedem Augen- blick der Bewegung, da Hin- und Rückreise mit derselben Geschwindigkeit erfolgen; es gilt also insbesondere auch für den Augenblick der Rückkehr, wobei dann t^ die gesamte Reisedauer nach der Eigenzeit von A^ t die Reisedauer nach der Eigenzeit von B bedeutet. Dc\s Paradoxe dieses Ergebnisses liegt darin, daß jeder innere Vor- gang im System B langsamer ablaufen muß als derselbe Vorgang im System A. Alle Atomschwingungen, ja der Lebenslauf selbst müssen sich gerade so verhalten wie die Uhren ; wenn also A und B Zwillingsbrüder sind, so muß B nach der Rückkehr von der Reise jünger sein als der Bruder A. In der Tat, ein wunderlicher Schluß, der aber durch keine Deutelei zu beseitigen ist. Man muß sich damit abfinden, wie man sich vor einigen Jahrhunderten mit den auf dem Kopfe stehenden Antipoden abfinden mußte; da es sich, wie die Formel (76) zeigt, um einen Effekt zweiter Ordnung handelt, werden sich schwerlich praktische Konsequenzen daraus ergeben. Wenn man sich gegen dieses Ergebnis zur Wehr setzt und es als paradox bezeichnet, so meint man mit diesem Worte nichts als > unge- wohnt«, »sonderbar«; darüber hilft die Zeit hinweg. Aber es gibt auch Gegner der Relativitcätstheorie, die aus dieser Überlegung einen Ein- Schein und Wirklichkeit. ig^ wand gegen die logische Folgerichtigkeit der Theorie ableiten wollen. Diese argumentieren so: Nach der Relativitätstheorie sind zwei gegen- einander bewegte Systeme gleichberechtigt. Man kann also auch B als ruhend auffassen; dann vollführt A eine Reise in genau derselben Weise wie vorher B^ nur in der entgegengesetzten Richtung. Man muß daher schließen, daß die Uhr von B bei der Rückkehr von A einen Vorsprung vor der Uhr von A hat. Aber vorher waren wir genau zu dem entgegen- gesetzten Ergebnis gekommen. Da nun nicht die Uhr von A vor der Uhr von B vorgehen und zugleich die Uhr von B vor der Uhr von A vorgehen kann, so enthüllt diese Überlegung einen inneren Widerspruch der Theorie — so meinen die Oberflächlichen. Der Fehler dieser Über- legung liegt auf der Hand; das Relativitätsprinzip betrifft nur gleich- förmig und geradlinig gegeneinander bewegte Systeme ; auf beschleunigte Systeme ist es in der bisher allein entwickelten Form nicht anwendbar. Aber das System B ist beschleunigt; es ist also nicht mit A gleich- wertig. A ist ein Inertialsystem, B ist es nicht. Später werden wir allerdings sehen, daß die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins auch gegeneinander beschleunigte Systeme als gleichwertig betrachtet, doch in einem Sinne, der genauer Erörterung bedarf; wir werden von diesem aligemeinen Standpunkte noch einmal auf das »Uhrenparadoxon« zurück- kommen und zeigen, daß auch da bei sorgfältiger Überlegung keinerlei Schwierigkeiten vorliegen. Wir haben nämlich oben die Annahme ge- macht, daß bei hinreichend langer Reisedauer die kurzen Beschleunigungs- zeiten auf den Gang der Uhren keinen Einfluß haben; aber das gilt nur für die Betrachtung von dem Inertialsystem A aus, nicht für die Zeit- messung in dem beschleunigten System B. In diesem treten nach den Prinzipien der allgemeinen Relativitätstheorie Gravitationsfelder auf, die den Gang der Uhren beeinflussen; wenn diese Wirkung berücksichtigt wird, so ergibt sich, daß unter allen Umständen die Uhr von B gegen- über der von A vorgeht, und damit verschwindet der scheinbare Wider- spruch (s. VII, 10, S. 257). Die Relativierung der Begriff"e von Länge und Zeitdauer erscheint vielen schwierig; doch wohl nur darum, weil sie ungewohnt ist. Die Relativierung der Begriff'e »unten« und >oben« durch die Entdeckung der Kugelgestalt der Erde hat den Zeitgenossen sicherlich nicht geringere Schwierigkeiten bereitet. Auch hier widersprach das Ergebnis der Forschung einer aus dem unmittelbaren Erlebnis geschöpften Anschauung. Ähnlich scheint Einsteins Relativierung der Zeit mit dem Zeiterlebnisse des einzelnen nicht in Übereinstimmung zu sein; denn das Gefühl des »Jetzt« erstreckt sich schrankenlos über die Welt, alles Sein eindeutig mit dem Ich verknüpfend. Daß dasselbe, was das Ich als »zugleich« empfindet, ein anderer als »nacheinander« bezeichnen soll, das läßt sich in der Tat durch das Zeiterlebnis nicht begreifen. Aber die exakte Wissenschaft hat andere Kriterien der Wahrheit; da das absolute »Zugleich* nicht feststellbar ist, muß sie diesen Begriff aus ihrem System ausmerzen. . 13* igö Das spezielle Eiusteinsche Relativitätsprinzip. 6. Die Addition der Geschwindigkeiten. Wir wollen jetzt tiefer in die Gesetze der Einsteinschen Kinematik eindringen. Dabei beschränken wir uns zumeist auf die Betrachtung der a:/- Ebene; die Verallgemeinerung der gewonnenen Sätze auf den vier- dimensionalen xyz t-Raum bringt keine wesentlichen Schwierigkeiten mit sich und soll darum nur gelegentlich gestreift werden. Die Lichtlinien, die durch G = x^ — c^t^ = o gekennzeichnet sind, teilen die :r/-Ebene in vier Quadranten (Abb. 122); in jedem Quadranten behält offenbar G dasselbe Vorzeichen, und zwar ist (?^o in den beiden gegenüberliegenden Quadranten, die die Hyperbeläste G = -\- i enthalten, und es ist G raumartige« und »zeitartige«. In irgend einem Inertialsystem trennt die :r-Achse die Weltpunkte der »Vergangenheit« (/ <^ o) von denen der »Zukunft« (/ ^ o). Aber für jedes Inertialsystem ist diese Scheidung eine andere; denn für eine andere Lage der Jir-Achse fallen Weltpunkte, die vorher oberhalb der :3ic-Achse, also in der »Zu- kunft«, lagen, nun unterhalb der A:-Achse, also in die Vergangenheit, und umgekehrt. Nur die durch Weltpunkte innerhalb der Quadran- ten G-^, d. h. in jedem zulässigen Bezugsystem ist der Zeitabstand der beiden Ereig- Abb. 122. nisse O und /^größer als die Zeit, die das Licht braucht, um von einem Orte zum andern zu laufen. Man kann dann immer ein solches Inertialsystem S einführen, dessen /-Achse durch P geht, in dem P also ein am räumlichen Nullpunkte stattfindendes Ereignis darstellt; von einem andern Inertialsystem aus beurteilt, wird sich dieses System S geradlinig und gleichförmig so bewegen, daß sein Nullpunkt gerade mit den Er- eignissen O und P koinzidiert. Dann ist offenbar für das Ereignis P im System S x = Oj also G = — c^t^ vor« oder »hinter« dem räumlichen Nullpunkte auf der A:-Achse statt- findende Ereignisse entsprechen. Aber für ein anderes Inertialsystem mit anderer /-Achse ist diese Scheidung offenbar eine andere; nur für die innerhalb der Quadranten G ^ o gelegenen Weltpunkte ist es ein- deutig bestimmt, ob sie »vor« oder »hinter« dem räumlichen Nullpunkte liegen. Für einen solchen Punkt /* ist / / = o, also G = x^ "^ o. Daraus geht hervor, daß die Invariante G für jeden Weltpunkt F eine meßbare Größe von anschaulicher Bedeutung ist; entweder läßt sich P mit O »auf gleichen Ort transformieren«, dann ist G = — c'^t^, wo / der Zeitunterschied des Ereignisses F gegen das an derselben Raumstelle des Systems S stattfindende Ereignis O ist, oder F läßt sich mit O »auf Gleichzeitigkeit« transformieren, dann ist G = x^^ wo ^ der räumliche Abstand der beiden im System S gleichzeitigen Ereignisse ist. Die Lichtlinien G = o stellen in jedem Koordinatensystem Bewegungen mit Lichtgeschwindigkeit dar. Daher entspricht jeder zeitartigen Welt- linie eine Bewegung mit kleinerer Geschwindigkeit; jede Bewegung mit Unterlichtgeschwindigkeit kann »auf Ruhe transformiert« werden, weil zu ihr eine zeitartige Weltlinie gehört. Was gilt nun aber für Bewegungen mit Überlichtgeschwindigkeit? Es ist nach dem Vorangehenden wohl klar, daß die Einsteinsche Relativitätstheorie solche für physikalisch unmöglich erklären muß. Denn die neue Kinematik verhert allen Sinn, wenn es Signale gäbe, die die Gleichzeitigkeit von Uhren mit Überlichtgeschwindigkeit zu kontrollieren erlaubten. Hier scheint sich eine Schwierigkeit zu erheben. Angenommen, ein System S' hätte die Geschwindigkeit v gegen ein anderes 5; ein bewegter Körper K bewege sich relativ zu 6" mit der Geschwindigkeit u. Nach der gewöhnlichen Kinematik ist dann die relative Geschwindigkeit des Körpers K gegen S Wenn nun sowohl v^ als auch u die Hälfte der Lichtgeschwindigkeit übertreffen, so ist u = v -{- u größer als c^ was nach der Relativitäts- theorie unmöglich sein soll. Natürlich beruht dieser Widerspruch darauf, daß man in der Kinematik des Relativitätsprinzips, wo jedes Bezugsystem eigene Längen- und Zeit- einheiten hat, Geschwindigkeiten nicht einfach addieren darf. Man sieht das schon daraus , daß in irgend zwei gegeneinander be- wegten Bezugsystemen die Lichtgeschwindigkeit immer denselben Wert X X — vt V f , V ' t' *-'7^ ig3 Das spezielle Einstemsclie Relativitätsprinzip. hat; gerade diese Tatsache haben wir früher zur Ableitung der Lorentz- Transformation benützt (VI, 2, S. 178), und die dort aufgestellte Formel (7c), S. 179, liefert das richtige Gesetz für die Zusammensetzung der Geschwin- digkeiten, wenn man darin «^ — i =-ß^ = — ^ einführt. Wir ziehen es vor, diese Regel nochmals aus der Lorentz-Transformation (72), S. 180, abzuleiten; dazu dividieren wir die Ausdrücke für x' und y (oder z'] durch den für /': V t ^x c Wenn wir hier rechter Hand durch t kürzen, treten die Quotienten X V up= — ^ Us = auf, welche offenbar die im System S gemessenen Pro- jektionen oder Komponenten der Geschwindigkeit des Körpers K par- allel (longitudinal) und senkrecht (transversal) zur Richtung der Bewegung X y des Systems S' gegen S sind; die Quotienten w^= — , u's = -r haben r i dieselbe Bedeutung bezüglich des Systems S' . Man erhält daher das Einsteinsche Additionstheorem der Geschwindigkeiten: (77) ^>^— ^;^' ''^- das an die Stelle der einfachen Formeln Up ^=^ Up — V ^ Us = Us der alten Kinematik tritt. Handelt es sich insbesondere um einen in der Bewegungsrichtung des Systems S' gegen S laufenden Lichtstrahl, so ist «^ = o, up = c\ dann liefert die Formel (77) das selbstverständliche Resultat c — 'v Ufi= — = C , Us = O . V I c das den Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ausdrückt. Über- dies aber sieht man, daß für irgendeinen longitudinal bewegten Körper Up <^ c bleibt, solange up <^ c ist; denn ersetzt man in der ersten Formel (77) up durch den größeren Wert c^ so vergrößert man den Zähler und verkleinert den Nenner, so daß der Bruch sicher größer wird und man erhält Up =~-Si4^;,, K.- "-'■ (V-^l v.-i Der Zusammenhang zwischen Kraft und erzeugter Beschleunigung ist also ein anderer, je nachdem die Kraft in der Richtung der schon vor- handenen Beschleunigung oder senkrecht dazu wirkt. Man pflegt diese Formeln auf eine Gestalt zu bringen, in der sie dem Grundgesetz der klassischen Dynamik fll, 10, Formel (10), S. 29] mög- lichst ähnlich sehen. Dazu setzt man (90) nip = - — ,^3 , m. (K-?) V.-? und bezeichnet diese Größen als longitudinale und transversale Masse\ die letztere ist mit der vorher als relativistische Masse schlechtweg bezeich- neten Größe w, Formel (87), identisch. Dann kann man statt (89) schreiben: (91) Kp=^mpbp^ Ks = msbs^ in formaler Übereinstimmung mit dem klassischen Grundgesetz. Man sieht hier, wie notwendig es ist, den Massenbegriff von Anfang an ausschließlich durch den Trägheitswiderstand zu definieren; sonst wäre es nicht möglich ihn in der relativistischen Mechanik anzuwenden, denn für Hiervon sind die ursprünglichen Impulse abzuziehen und man erhält für die Impulsänderungen was mit den Formeln des Textes übereinstimmt. 2o6 Das spezielle Eiusteinsche Relativitätsprinzip. den mitgeführten Impuls, für longitudinale und transversale Kräfte kommt jedesmal ein anderer Ausdruck »Masse« in Betracht, und diese Massen sind überdies- nicht charakteristische Konstanten des Körpers, sondern hängen von seiner Geschwindigkeit ab. Der Massenbegriff der Einstein- schen Dynamik entfernt sich also sehr weit von dem Sprachgebrauch, wo Masse irgendwie Quantität der Materie bedeutet. Ein Maß dafür ist in gewissem Sinne die Ruhmasse m^'^ aber diese ist wiederum nicht, wie die Masse der gewöhnlichen Mechanik, in einem beliebigen Bezugsystem gleich dem Verhältnis von Impuls zu Geschwindigkeit oder von Kraft zu Beschleunigung. Ein Blick auf die Massenformeln (87) und (90) lehrt, daß die Werte der relativistischen Masse m (bzw. mp und m^ um so größer werden, je mehr sich die Geschwindigkeit v des bewegten Körpers der Lichtge- schwindigkeit nähert. Für v = c wird die Masse unendlich groß. Daraus folgt, daß es unmöglich ist, mit endlichen Kräften einen Körper auf Überlichtgeschwindigkeit zu bringen; sein Trägh ei ts wider- stand wächst ins Unendliche an und verhindert die Erreichung der Licht- geschwindigkeit. Hier sieht man, wie die Einsteinsche Theorie sich harmonisch zu einem einheitlichen Ganzen abrundet; die fast paradox erscheinende An- nahme einer unüberschreitbaren Grenzgeschwindigkeit wird durch die Naturgesetze in der neuen Form selbst gefordert. Die Formel (87) für die Abhängigkeit der Masse von der Geschwindig- keit ist dieselbe, die schon Lorentz durch elektrodynamische Rechnungen für sein abgeplattetes Elektron gefunden hatte; dabei drückte sich m^ durch die elektrostatische Energie U des ruhenden Elektrons ebenso aus, wie in der Abrahamschen Theorie [V, 13, S. 160, Formel (69)], nämlich 4 ^ ^0 = 37.- Wir sehen jetzt, daß der Lorentzschen Massenformel eine viel allgemeinere Bedeutung zukommt. Sie muß für jede Art von Masse gelten, gleich- gültig, ob diese elektrodynamischen Ursprungs ist oder nicht. Die neueren Untersuchungen über die Ablenkung der Kathodenstrahlen scheinen dafür zu sprechen, daß die Lorentzsche Formel besser stimmt als die Abrahamsche. Eine überraschende Bestätigung der relativistischen Massenformel aber ist auf einem Gebiete gewonnen worden, das der Relativitätstheorie ganz fernzuliegen scheint, nämlich die Spektroskopie der Licht- und Röntgenstrahlen. Wir können diese wunderbaren Zusammenhänge nur mit wenigen Worten streifen. Das Leuchten der Atome kommt dadurch zustande, daß Elektronen innerhalb des Atomverbandes schwingende Bewegungen ausführen und elektromagnetische Wellen erzeugen, die sich nach allen Seiten fortpflanzen. Die ältere Theorie berechnete diese Vorgänge mit Hilfe der Maxwellschen Feldgleichungen; neuerdings sah man sich aber Die Trägheit der Energie. 207 gezwungen, die strenge Gültigkeit dieser im Atominnern aufzugeben und andere Gesetzmäßigkeiten anzunehmen, die zum ersten Male von Max Planck (1900) in der Theorie der Wärmestrahlung eingeführt worden sind. Das ist die sogenannte Quantentheorie. Niels Bohr hat diese (1913) zur Erklärung der Spektren herangezogen und große Erfolge erzielt. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, bemerken wir nur, daß bei schnellen Bewegungen der Elektronen die Masse nach der Einsteinschen Relativitätstheorie ver- größert sein muß, und das wird einen Einfluß auf die Spektren haben. Tatsächlich hat Sommerfeld (191 5) zeigen können, daß infolge der Massenveränderlichkeit die Spektrallinien eine verwickelte Struktur haben; jede Linie besteht in Wahrheit aus einem ganzen System stärkerer und feinerer Linien. Bei den sichtbaren Spektren, die von den äußeren Elektronen des Atoms ausgesandt werden, ist diese Liniengruppe sehr eng, es handelt sich um eine »Feinstruktur«; bei den Röntgenspektren, die aus dem Atominnern stammen, aber ist es eine Grobstruktur von millionen- mal größerer Aufspaltung. Die von Sommerfeld berechnete Feinstruktur der Linien des Wasserstoff- und Heliumspektrums ist von Paschen (191 6) beobachtet worden; auch bei den Röntgenspektren haben sich diese An- sätze gut bewährt. Sie stimmen so genau, daß der Unterschied der Massenformeln von Abraham und Lorentz, der eine Größe 2. Ordnung in ß ist, dafür in Betracht kommt; Sommerfelds Schüler Glitscher hat (191 7) zeigen können, daß die Abrahamsche Formel mit den Beobach- tungen am Heliumspektrum nicht vereinbar ist, wohl aber die Lorentzsche. Man kann daher von einer spektroskopischen Bestätigung der Einsteinschen Relativitätstheorie sprechen. Da jede Masse nach der Formel {87) von der Geschwindigkeit ab- hängt, so wird der Beweis für die elektromagnetische Natur der Masse des Elektrons hinfällig, damit zugleich auch der Zusammenhang zwischen Ruhmasse und elektrostatischer Energie. Die Lorentzsche Theorie des ruhenden Äthers konnte den Versuch machen, die mechanische Massen- trägheit auf das eigenartige Beharrungsvermögen des elektromagnetischen Feldes zurückzuführen; wenn die Einsteinsche Relativitätstheorie diesen großen Plan aufgeben müßte, so würde ihr das jeder, dem die Einheit der Natur am Herzen liegt, zum Nachteil anrechnen. Aber die neue Dynamik hat auch hier nicht versagt, sondern die tiefste Aufklärung über das Wesen der trägen Masse gebracht. 8. Die Trägheit der Energie. Für alle praktischen Zwecke, auch für die schnellsten Elektronen, ge- nügt es, die Massenformel {87) bis auf Glieder von höherer als 2. Ordnung anzuschreiben. Nun ist, wie wir früher gesehen haben (S. 164, Anmer- kung), mit dieser Annäherung 2o8 I^^s spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. Daher wird In der .gewöhnlichen Mechanik ist die kinetische Energie (II, 14, S. 39) definiert durch 7 = w_ — ; aus unserer Formel folgt dafür der Ausdruck 2 T =■ c^ [m — Wq) . Man kann zeigen, daß diese Definition der kinetischen Energie streng gültig ist, auch wenn man die Glieder von höherer als 2. Ordnung nicht vernachlässigt. Der Energiesatz [II, 14, Formel (16), S. 39] verlangt, daß die zeitliche Änderung der Energie E = T-{- U während der Bewegung dauernd Null ist. Dabei muß man hier statt des klassischen Wertes 7= — v^ den 2 relativistischen einsetzen; bildet man davon die zeitliche Änderung, so erhält man nach einer ähnlichen Rechnung wie oben (S. 204, Anmerkung) für longitudi- nale Beschleunigung ^) : tn vb-6 (93) Zeitliche Änderung von T = - — ;^— — ^3 = KpV^ [V'-i wo die longitudinale Kraftkomponente nach (89), S. 205 eingeführt ist. Die rechte Seite ist aber die negative zeitliche Änderung der potentiellen Energie U. Denn während eines hinreichend kleinen Zeitintervalles t kann man die Kraft als näherungsweise konstant ansehen und so verfahren, I) Dort wurde gezeigt, daß, wenn man die Geschwindigkeit v durch die geänderte u mit den Komponenten up = v -\- wp , us = ivs ersetzt, der Ausdruck I I 2/2 I übergeht in seine Änderung ist also V-i " y und daraus folgt sofort die Formel des Textes. I vwp I Die Trägheit der Energie. 2OQ als ob es sich um die Schwerkraft handelte, deren potentielle Energie [II, 14, Formel (15), S. 37] gleich Gx war; dabei war die Richtung x der Schwere entgegen angenommen, so daß (9 = — Kp gesetzt werden muß. Die zeitliche Änderung der potentiellen Energie wird dann Mithin drückt die Gleichung (93) tatsächlich aus, daß die Größe E = T-\- U zeitlich konstant ist, wobei T den Ausdruck (92) bedeutet. Schreibt man die Formel (92) so sagt sie aus, daß die Masse sich von ihrem Werte bei Ruhe gerade um so viel unterscheidet, als die durch das Quadrat der Lichtgeschwindig- keit geteilte kinetische Energie beträgt. Diese Formulierung legt den Gedanken nahe, daß die Ruhmasse m^ in derselben Weise mit dem Energieinhalte des ruhenden Körpers zu- sammenhängt, daß also überhaupt zwischen jeder Masse und Energie die universelle Beziehung (94) ^ "^ 7^ besteht. Einstein hat dieses Gesetz von der Trägheit der Energie als das wichtigste Ergebnis der Relativitätstheorie bezeichnet; bedeutet es doch die Identität der beiden fundamentalen Begriffe von Masse und Energie und eröffnet dadurch die tiefsten Einblicke in die Struktur der Materie. Ehe wir hiervon berichten, teilen wir den einfachen, von Einstein ge- gebenen Beweis der Formel (94) mit. Dieser stützt sich auf die Tatsache der Existenz des Strahlungs- druckes. Daß eine Lichtwelle, die auf einen absorbierenden Körper auf- trifft, auf diesen einen Druck ausübt, folgt aus den Maxwellschen Feld- gleichungen mit Hilfe eines von Poynting (1884) zuerst abgeleiteten Satzes; und zwar ergibt sich, daß der Impuls, der von einem kurzen Lichtblitz oder Lichtstoß von der Energie E auf die absorbierende Fläche ausgeübt wird, gleich — ist. Dieses Resultat ist experimentell von Lebedew (1890) und später mit größerer Genauigkeit von Nichols und Hüll (1901) be- stätigt worden. Genau denselben Druck erfährt ein Körper, der Licht aussendet, ebenso wie ein Geschütz beim Abschuß einen Rückstoß be- kommt. Wir denken uns nun einen Hohlkörper, etwa ein langes Rohr, und in diesem an den Enden zwei gleich große Körper A^ B aus gleichem Material, die also nach den gewöhnlichen Vorstellungen die gleiche Masse haben (Abb. 123). Der Körper A soll aber einen Energieüberschuß E über B Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. y± 2 1 o Das spezielle Einsteinsclie Relativitätsprinzip. haben, etwa in der Form von Wärme, und es soll eine Einrichtung (Hohl- spiegel oder dergleichen) vorhanden sein, um diese Energie E in der Form von Strahlung nach B zu senden. Die räumliche Ausdehnung dieses Lichtblitzes sei klein gegen die Länge / des Rohres. Dann erfährt A den Rückstoß -^; also bekommt das ganze Rohr, c dessen gesamte Masse M sei, eine nach rückwärts gerichtete Geschwindig- keit 27, die sich aus der Impulsgleichung E Ä B% Mv = Abb. 123. bestimmt. Diese Bewegung hält an, bis der Lichtblitz bei B angekommen und dort absorbiert ist; dabei erfährt B denselben Stoß nach vorn, das ganze System kommt daher zur Ruhe. Die Verrückung, die es während der Laufzeit / des Lichtblitzes erfahren hat, ist x = vt^ wo v aus obiger Gleichung zu entnehmen ist, also Et X Mc Die Laufzeit ist aber (bis auf einen kleinen Fehler höherer Ordnung) durch l ■= et bestimmt; daher wird die Verrückung El X Mc' Nun kann raan die Körper A^B miteinander vertauschen, und zwar ohne Anwendung äußerer Einwirkungen; man stelle sich etwa vor, daß zwei im Rohre befindliche Männer A an die Stelle von B^ B an die Stelle von A bringen und dann selbst an ihren ursprünglichen Platz zurückkehren. Nach der gewöhnlichen Mechanik müßte dabei das ganze Rohr keine Verschiebung erfahren; denn dauernde Ortsveränderungen können nur durch äußere Kräfte bewirkt werden. Ist diese Vertauschung ausgeführt, so wäre im Inneren des Rohres alles wie zu Anfang, die Energie E wieder an derselben Stelle wie vorher, die Massenverteilung genau die gleiche. Aber das ganze Rohr wäre gegen seine Ausgangslage durch den Lichtstoß um die Strecke.:;»: verrückt. Das widerspricht natürlich allen Grundsätzen der Mechanik. Man könnte ja den Prozeß wiederholen und dadurch dem System ohne Anwendung äußerer Kräfte eine beliebige Ortsveränderung erteilen. Das ist unmöglich. Der einzige Ausweg ist die Annahme, daß bei der Vertauschung von A und B diese beiden Körper nicht mechanisch gleichwertig sind, sondern daß B infolge seines um E höheren Energiegehaltes eine um m größere Masse als A habe. Dann bleibt bei der Vertauschung nicht alles symmetrisch, sondern es wird die Masse m von rechts nach links um die Strecke / ver- schoben. Dabei verschiebt sich das ganze Rohr um eine Strecken in der umgekehrten Richtung; sie bestimmt sich daraus, daß der Vorgang ohne Die Trägheit der Energie. ' 211 äußere Kraftwirkung vor sich geht. Der Gesamtimpuls, bestehend aus X i dem des Rohres M — und dem der transportierten Masse — m — , ist also Null: Mx — ml = o\ daraus folgt: ml Diese Verrückung muß nun die durch den Lichtstoß erzeugte gerade aufheben; also muß ml El sein. Hieraus kann man m berechnen und findet E m = —^ • c Das ist der Betrag an träger Masse, den man der Energie E zu- schreiben muß, damit der Grundsatz der Mechanik gültig bleibt, daß ohne Wirkung äußerer Kräfte keine Ortsveränderungen eintreten können. Da schließlich jede Energie auf Umwegen in Strahlung verwandelbar ist, muß der Satz universelle Gültigkeit haben. Masse ist danach nichts als eine Erscheinungsform der Energie\ die Materie selber verliert ihren primären Charakter als unzerstörbare Substanz, sie ist nichts als eine Zu- sammenballung von Energie. Wo elektrische und magnetische Felder oder andere Wirkungen zu starken Energieanhäufungen führen, da kommt die Erscheinung der Massenträgkeit zustande. Das Elektron und die Atome sind solche Stellen ungeheurer Energiekonzentration. Wir können von den zahlreichen und wichtigen Folgerungen dieses Satzes nur wenige kurz berühren. Was zunächst die Masse des Elektrons betrifft, so zeigt die Formel (69), S. 160, für die Ruhmasse ;«o = I —^ , daß die elektrostatische Energie U nicht die gesamte Energie E des ruhenden Elektrons sein kann; es muß noch ein anderer Energieanteil V vorhanden sein, E^=U-\- F, derart, daß m^ ^^ U ^E __ U-\- V ~^ ^ c^'~ c^ ~ c"" wird. Daraus folgt V = \U — U ^= \U ^= \E\ die gesamte Energie ist also zu drei Vierteln elektrostatisch, zu einem Viertel von anderer Art. Dieser Anteil muß von den Kohäsionskräften herrühren, die das % Elektron gegen die elektrostatische Anziehung zusammenhalten. Hierüber ^ sind bereits sehr tief eindringende Theorien von Mie, Hilbert und ^ i'£^'V),>^ 14* 212 I^^s spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. Einstein entwickelt worden, doch sind die Ergebnisse noch zu unbe- friedigend, als daß hier darüber berichtet werden könnte. Am aussichts- reichsten erscheinen die Ansätze Einsteins, auf die wir bei der Besprechung der allgemeinen Relativitätstheorie noch einmal kurz zurückkommen werden. Dagegen ist der Satz von der Trägheit der Energie bereits jetzt von größter Wichtigkeit für das Problem des Aufbaus der materiellen Atome. Wir haben oben (S. 154) berichtet, daß jedes Atom aus einem posi- tiven Anteil besteht, der mit der trägen Masse untrennbar verbunden ist, und aus einer Anzahl negativer Elektronen. Durch Versuche von Rutherford (1913) und seinen Schülern über die Zerstreuung der von radioaktiven Substanzen emittierten positiven Strahlen, den sogenannten a-Strahlen, wurde der Beweis erbracht, daß die positiven Bestandteile der Atome, die man heute •»Kerne'!- nennt, außerordentlich klein sind, viel kleiner sogar als das Elektron, dessen Radius wir (S. 161) auf etwa 2«io~^^cm geschätzt haben. Wenn nun die Masse des Kerns, wie die des Elektrons, in der Hauptsache (zu drei Vierteln) elektromagnetischer Natur wäre, so müßte zwischen ihr und dem Radius a eine Formel ähnlich wie die früher (S. 160) auf das Elektron angewandte w^ = | — ^be- stehen, nur vielleicht mit etwas anderem Zahlenfaktor. Die Massen wären also den Radien umgekehrt proportional: Radius des Elektrons Masse des Kerns Radius des Kerns Masse des Elektrons Nun wissen wir, daß das Wasserstoffatom etwa 2000 mal träger ist als das Elektron; daraus folgt, daß der Radius des Wasserstoff kerns etwa 2 000 mal kleiner ist als der des Elektrons, in guter Übereinstimmung mit den experimentellen Ergebnissen. Man kann also den Satz von der Trägheit der Energie mit Erfolg auf die Massen der Atome oder Kerne anwenden. Die radioaktiven Atome zerfallen bekanntlich unter Aussendung von drei Arten von Strahlen: i. «-Strahlen, das sind positiv geladene Teilchen, die sich als Heliumkerne erwiesen haben; 2. /^-Strahlen, das sind Elek- tronen; 3. /-Strahlen, das sind elektromagnetische Wellen von der Natur der Röntgenstrahlen. Bei dieser Emission verliert das Atom nicht nur direkt Masse, sondern außerdem Energie von beträchtlicher Größe; aber mit dem Energieverlust ist nach dem Satze von der Trägheit der Energie wiederum eine Massenabnahme verknüpft. Leider ist diese so klein, daß es vorläufig noch nicht gelungen ist, sie experimentell zu bestimmen. Prinzipiell ist aber die Erkenntnis von großer Bedeutung, daß bei dem Zerfall eines Atoms die Massen der Bestandteile zusammengezählt nicht gleich der Masse des ursprünglichen Atoms sind. Denn es ist ein altes Ziel der Forschung, alle Atome in einfachere Urbestandteile zu zerlegen. Pr out (18 15) hat die Hypothese aufgestellt, daß diese Urbestandteile die Optik bewegter Körper. 213 Wasserstoffatome sind; er begründet diese Idee durch den Hinweis, daß die Gewichte vieler Atome ganzzahlige Vielfache des Gewichts des Wasser- stoffatoms sind. Die genaue Messung der Atomgewicht'2 hat aber diese Behauptung nicht bestätigt, wodurch die Proutsche Hypothese in Miß- kredit kam. Heute aber wird sie mit Erfolg wieder aufgenommen; denn nach dem Satze von der Trägheit der Energie wird die Masse eines aus n Wasserstoff kernen gebildeten Atomkerns nicht einfach gleich «mal der Masse des Wasserstoff kern es sein, sondern um den bei der Vereinigung um- gesetzten Energiebetrag anders. Neuerdings hat nun diese Auffassung eine große Stütze gefunden durch die Entdeckung Rutherfords (191 9), daß man von Stickstoffatomen Wasserstoff kerne durch ein Bombardement mit a-Strahlen abspalten kann. Allerdings kann der Satz von der Trägheit der Energie nur kleine Abweichungen der Ganzzahligkeit des Verhält- nisses der Atomgewichte zu dem des Wasserstoffs erklären; aber es gibt noch eine andere Ursache, die die groben Differenzen hervorruft, die Tatsache der Isotopen. Viele Elemente sind Gemische von Atomen mit gleichgeladenen Kernen und gleicher Anordnung der Elektronen, aber verschiedener Kernmasse ; diese lassen sich chemisch nicht trennen, wohl aber physikalisch. Die Existenz der Isotopen wurde zuerst bei radio- aktiven Substanzen und neuerdings durch Aston (1920) bei vielen anderen Elementen erwiesen. Doch können wir hier auf dieses interessante Thema nicht eingehen. Dieser Ausblick auf die Probleme der modernen Atomistik zeigt aufs eindringlichste, daß die Einsteinsche Relativitätstheorie keine Ausgeburt phantastischer Spekulation, sondern ein Wegweiser im wichtigsten For- schungsgebiete der Physik ist. Die Entschleierung des Geheimnisses der Welt der Atome bedeutet ein Ziel für die geistige Entwicklung der Menschheit, das an Großartigkeit und Folgenschwere alle anderen Auf- gaben der Naturwissenschaft übertrifft, vielleicht sogar die Erkenntnis vom Bau des Weltalls. Denn jeder Schritt zu diesem Ziele gibt uns nicht nur neue Waffen im Kampfe ums Dasein, sondern bringt uns Wissen von den tiefsten Zusammenhängen der natürlichen Welt und lehrt uns schei- den zwischen dem Trug der Sinne und der Wahrheit der ewigen Ge- setze des Alls. 9. Optik bewegter Körper. Nachdem wir die wichtigsten Folgerungen aus der abgeänderten Mecha- nik gezogen haben, ist es an der Zeit, auf diejenigen Probleme zurück- zukommen, aus denen die Einsteinsche Relativitätstheorie hervorgegangen ist, die Elektrodynamik und Optik bewegter Körper. Die Grundgesetze dieser Gebiete sind in den Maxwellschen Feldgleichungen zusammen- gefaßt, und schon Lorentz hatte erkannt, daß diese für den leeren Raum (e = I, (.L = ij 0 = 0) bei den Lorentz-Transformationen invariant sind. Die exakten, invarianten Feldgleichungen für bewegte Körper hat Min- kowski (1907) aufgestellt; sie unterscheiden sich von den Lorentzschen 214 ^^^ spezielle Einstemsche Relativitätsprinzip. Formeln der Elektronentheorie nur in nebensächlichen Gliedern, die nicht durch Beobachtungen geprüft werden können, haben aber mit diesen die partielle Mitführung der dielektrischen Polarisation gemein und erklären daher alle elektromagnetischen und optischen Vorgänge an bewegten Körpern in voller Übereinstimmung mit den Beobachtungen; wir erinnern insbesondere an die Versuche von Röntgen, Eichenwald und Wilson (V, ii, S. 146), doch wollen wir nicht darauf eingehen, weil dazu ausführliche mathematische Ableitungen nötig sind. Die Optik bewegter Körper aber läßt sich ganz elementar behandeln, und wir wollen sie als eine der schönsten Anwendungen der Einsteinschen Theorie hier darstellen. In dieser gibt es keinen Äther, sondern nur relativ zueinander be- wegte Körper. Daß alle optischen Vorgänge, bei denen Lichtquelle, durchstrahlte Substanzen und Beobachter in ein und demselben Inertial- systeme ruhen, dieselben sind für alle Inertialsyteme, ist nach der Einstein- schen Relativitätstheorie selbstverständlich; diese erklärt also auch den Michelsonschen Versuch, aus dem sie ja hervorgegangen ist. Es handelt sich also jetzt nur darum, ob die bei relativen Bewegungen von Licht- quelle, durchstrahltem Medium und Beobachter auftretenden Erscheinungen von der Theorie richtig wiedergegeben werden. Wir denken uns eine Lichtwelle in einem materiellen Körper, der c im Bezugsysteme S ruht; ihre Geschwindigkeit sei c^ = — (n ist der n Brechungsindex), ihre Schwingungszahl sei v^ ihre Richtung relativ zum System *S fest gegeben. Wir fragen, wie diese drei Merkmale der Welle von einem Beobachter beurteilt werden, der in einem Bezugsystem .S* ruht, das sich mit der Geschwindigkeit v parallel der :^-Richtung des Systems »S bewegt. Wir behandeln diese Frage nach derselben Methode, die wir früher (IV, 7, S. 94) darauf angewandt haben, nur daß wir statt der Galilei- Transformationen die Lorentz -Transformationen zugrunde legen. Wir haben dort gezeigt, daß die Wellenzahl '('-t) eine Invariante ist; denn sie bedeutet die Anzahl der Wellen, die vom Momente / = o an den Nullpunkt verlassen und bis zum Momente / den Punkt P erreichen, wobei sie um die Strecke s fortschreiten (Abb. 69, S. 93). Diese Invarianz gilt natürlich jetzt für Lorentz-Transformationen. Wir betrachten nun zunächst Wellen, die parallel zur .;c-Richtung fort- schreiten; dann ist für s die ;c-Koordinate des Punktes P zu setzen, und man hat ('-ä-4-a WO r, V und c^^ c\ die Frequenzen und Geschwindigkeiten der Welle relativ zu den Systemen S und S' sind. Setzt man hier rechts die durch Optik bewegter Körper. 2 I 5 die Lorentz-Transformation (72), S. 180, gegebenen Ausdrücke für x und / 1: (^\ vi V X — vt\ ein, so erhält man: wo a = Vi — i5'= \ I ä ist. Setzt man hier erst x=^ \^ / = o, dann / = i , ^ = o so erhält man : 95 , , , Dividiert man die zweite Gleichung durch die erste, so erhält man: c\ + v 4+^ c c. ~-V'- löst man umgekehrt nach c\ auf, so erhält man die strenge Mitführungs- formel: c, — V c, = .1 Diese stimmt genau mit dem Einsteinschen Additionstheorem der Geschwindigkeiten bei longitudinaler Bewegung [erste Formel (77), S. 198]; überein, wenn man darin up durch ^j, ti'p durch c\ ersetzt. Dieselbe Regel, die für die Umrechnung der Geschwindigkeiten materieller Körper relativ zu verschiedenen Bezugsystemen gilt, ist also auch auf die Licht- geschwindigkeit anwendbar. Dieses Gesetz ist aber, wenn man Glieder von höherer als 2. Ord- nung m /j = — vernachlässigt, mit der Fresnelschen Mitführungsformel (43), S. 106 identisch. Denn mit dieser Annäherung kann man schreiben: I I , ß V vc^ () n nc c n also (-^'('^-~) VC^ V nc nc 2 1 6 1^3-s spezielle Einsteinsclie Relativitätsprinzip. C I und wenn man wieder das letzte Glied 2. Ordnung fortläßt und — ^ = — c n setzt: (-i) Das ist genau die Fresnelsche Mitführungsformel. Die zweite der Formeln (95) stellt das Dopplersche Prinzip dar; dieses wendet man gewöhnlich auf das Vakuum an, setzt also Cj_ = c^ dann folgt aus dem Additionstheorem der Geschwindigkeiten bekanntlich (S. 198) auch c'^ = c. Sodann gibt die zweite der Formeln (95) V I -i- ß I -4 € nun ist i — ß^ = {i — ß) (i -{- ß), daher kann man schreiben ^,_^i^'-«(i + /?)_.. i/'-/^ 'el für den Dopplersch symmetrische Gestalt i-\-ß ^ i-\- ß Die strenge Formel für den Doppler sehen Effekt bekommt also die /|/: + ^ = .-)/x-^, die die Gleichwertigkeit der Bezugsysteme S und S' in Evidenz setzt. Vernachlässigt man nun Glieder von höherer als 2. Ordnung, so ist Vi + /^ durch i+iA Vi — ß durch i — \ß zu ersetzen; man erhält daher V = V ^ + \? nun ist mit derselben Genauigkeit r—, = 1 — | /?, also V ^v {1 -\ßY^v{i - ß-\-\ß^) und bei Vernachlässigung von ß^\ "'="('-■7)' in vollständiger Übereinstimmung mit der Formel (40), (S. 97). Um mit derselben Methode die Aberration des Lichtes abzuleiten, müssen wir einen Wellenzug betrachten, der sich senkrecht zur Bewegungs- richtung X der Systeme S und S' gegeneinander fortpflanzt; dabei müssen wir aber hinzufügen, ob die senkrechte Richtung bezüglich S oder S ge- meint ist, denn wenn der Strahl relativ zu S senkrecht auf der :*:-Achse Optik bewegter Körper. 217 ist, ist er es nicht relativ zu S'. Wir wollen annehmen, die Fortpflanzungs- richtung sei die ^'- Achse des Systems S'] dann ist / = y' zu setzen und es gilt für das Vakuum (c^ = c^' = c): '('-7) = '-('-9 Setzt man hier die durch die Lorentz-Transformation (72), S. 180, gegebenen Werte ein, so erhält man: \ daraus folgt zunächst für x = o, y ==^ o, s = Oj t = i: V (-f) X a sodann für t = o: V vx V -f V also s =: ay -\- ßx. Wäre die Wellenebene relativ zum Bezugsysteme S senkrecht zur y-Achse, so wäre s = y\ da das nicht der Fall ist, muß sie abgelenkt sein (Abb. 124). x, y sind die Koor- dinaten irgendeines Punktes P der Wellenebene. Wählen wir für F ins- besondere den Schnittpunkt A mit der :t:-Achse, so ist x = a, y = o zw setzen, also s = ß a\ ebenso ist für den Schnittpunkt B der Wellenebene mit der y- Achse x ^= o^ y =^ b zu setzen, also s = ab. Daher erhält man s ■= ß a = ab oder — = a £ a Abb. 124' Dieses Verhältnis — ist offenbar ein Maß für die Ablenkung der Wellen- front. Man sieht leicht, daß es mit der elementaren Definition der Aber- rationskonstante nach der Emissionstheorie {IV, 3, S. 74) übereinstimmt. Denn das vom Nullpunkt auf die Wellenebene gefällte Lot OC ist die Fortpflanzungsrichtung; ist Z> die Projektion von Cauf die :^- Achse, so ist. OB = d die Verschiebung, die man einem zur ^y-Achse parallelen Fern- rohr von der Länge D C =^ l während der vom Licht zum Durchlaufen des Rohres gebrauchten Zeit erteilen muß, damit ein bei C die Mitte 2l8 I^^ spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. des Objektivs treffender Lichtstrahl gerade bei O die Mitte des Okulars d erreicht. Also ist — die Aberrationskonstante. Aus der Ähnlichkeit der Dreiecke O CD und B OA ergibt sich aber die Proportion l ~ a~ a "" j/i _ ^«* Das ist die exakte Aberrationsformel. Vernachlässigt man ^^ neben i, so geht sie in die elementare Formel d V T = '* = T Über. Dieses Resultat ist besonders bemerkenswert, weil sämtliche Äther- theorien bei der Erklärung der Aberration beträchtliche Schwierigkeiten zu überwinden haben. Mit Hilfe der Galilei-Transformation erhält man gar keine Ablenkung der Wellenebene und Wellenrichtung (IV, lo, S. 109), und man muß, um die Aberration zu erklären, den Begriff des > Strahles* einführen, der in bewegten Systemen nicht mit der Fortpflanzungsrichtung übereinzustimmen braucht. In der Einsteinschen Theorie ist das nicht nötig; in jedem Inertialsysteme S fällt die Richtung des Strahles, d. h. des Energietransportes, mit der Senkrechten auf den Wellenebenen zu- sammen, trotzdem ergibt sich die Aberration in derselben einfachen Weise wie der Dopplersche Efifekt und die Fresnelsche Mitführungszahl aus dem Begriffe der Welle mit Hilfe der Lorentz-Transformation. Diese Ableitung der Grundgesetze der Optik bewegter Körper zeigt die Überlegenheit der Einsteinschen Relativitätstheorie gegenüber allen anderen Theorien auf das schlagendste. 10. Minkowskis absolute Welt. Das Wesen der neuen Kinematik besteht in der Untrennbarkeit von Raum und Zeit. Die Welt ist eine vierdimensionale Mannigfaltigkeit, ihr Element ist der Weltpunkt; Raum und Zeit sind Formen der Anordnung der Weltpunkte, und diese Ordnung ist bis zu gewissem Grade mit Willkür be- haftet. Minkowski hat diese Anschauung in die Worte gefaßt: »Von Stund an sollen Raum und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren.« Und er hat diesen Gedanken konsequent durchgeführt, indem er die Kinematik als vierdimensionale Geometrie entwickelte. Wir haben uns seiner Dar- stellung durchweg bedient, wobei wir nur zur Vereinfachung die y- und 2-Achsen fortließen und in der :x: /-Ebene operierten. Werfen wir nun noch einen Blick vom mathematischen Standpunkte auf die Geometrie in der x /-Ebene, so erkennen wir, daß es sich nicht um die gewöhnliche Euklidische Geometrie handelt. Denn bei dieser sind alle vom Null- Minkowskis absolute Welt. 219 Abb. 125. punkt ausgehenden Geraden gleichberechtigt, die Längeneinheit auf ihnen ist dieselbe, die Eichkurve also ein Kreis (Abb. 125). In der xt-Ehene aber sind die raumartigen und zeitartigen Geraden nicht gleichwertig, auf jeder gilt eine andere Längeneinheit, die Eichkurve besteht aus den Hyperbeln G = x^— ^V' = ± I. In der Euklidischen Ebene kann man unendlich viele rechtwinklige Koordinatensysteme mit demselben Nullpunkte O konstruieren, die durch Drehung auseinander hervorgehen. In der a: /-Ebene gibt es ebenfalls un- endlich viele gleichberechtigte Koor- dinatensysteme, bei denen die eine Achse innerhalb eines VVinkelgebietes willkürlich gewählt werden kann. In der Euklidischen Geometrie ist die Entfernung ^ eines Punktes F mit den Koordinaten x^y vom Nullpunkte eine Invariante gegenüber den Dre- hungen des Koordinatensystems [s. III, 7, Formel (28), S. 59]; nach dem Pythagoräischen Lehrsatze (Abb. 125) ist nämlich im A:>'-System s = X -}-y , und in irgendeinem .Vv'-System gilt ebenso s* ^^ x" -\-y'^. Die Eich- kurve, der Kreis mit dem Radius i, ist durch s = i dargestellt; daher wird man j, oder auch 5', als Grundinvariante der Euklidischen Geome- trie ansehen. In der jjc /-Ebene ist die Grundinvariante G = x'' — c''t% die Eichkurve ist 6^ = =h i. Minkowski bemerkte nun, daß hier eine Parallelität zum Vorschein kommt, die auf die mathematische Struktur der vierdimensionalen Welt (bzw. der ^ /-Ebene) ein helles Licht wirft. Setzt man nämlich — ^^/^ = w', so wird offenbar G=- x^'\-u^ = s"" und läßt sich als Grundinvariante 5" einer Euklidischen Geometrie mit den rechtwinkligen Koordinaten x^ u auffassen. Allerdings kann man aus der negativen Größe — c^t^ nicht die Quadratwurzel ziehen, u selbst läßt sich nicht aus der Zeit / berechnen. Aber die Mathematik ist längst gewohnt, solche Schwierigkeiten mit kühnem Schwünge zu überwinden. Die »imaginäre« Größe V — i =/ hat seit Gauß Bürgerrecht im mathematischen Reiche. Wir können hier auf die strenge Begründung der Lehre von den imaginären Zahlen nicht eingehen; sie sind im Grunde nicht »imaginärer«, als eine gebrochene 2 20 D^s spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. Zahl wie f, denn Zahlen, »mit denen man zählt«, sind doch eigentlich nur die natürlichen, ganzen Zahlen i, 2, 3, 4 ... . 2 läßt sich nicht durch 3 teilen; | ist also ebensogut eine nicht ausführbare Operation wie V — I . Die Brüche wie | bedeuten eine Erweiterung des natür- lichen Zahlbegriffs, die durch die Schule und die Gewohnheit jedem geläufig und unanstößig ist. Eine ähnliche Erweiterung des Zahlbegriflfs sind die imaginären Zahlen, jedem Mathematiker ebenso gewohnt und geläufig, wie die Bruchrechnung. Alle Formeln, die imaginäre Zahlen enthalten, besitzen eine ebenso scharfe Bedeutung, wie die aus gewöhn- lichen, »reellen« Zahlen gebildeten, und die aus ihnen gezogenen Folge- rungen sind ebenso zwingend. Bedienen wir uns hier des Symbols V — i = /, so können wir schreiben : u = zcf. Die nicht-euklidische Geometrie der :r /-Ebene ist also formal mit der euklidischen Geometrie in der ^^^-Ebene identisch, wobei nur reellen Zeiten / imaginäre u-Werte entsprechen. Dieser Satz ist nun für die mathematische Behandlung der Relativitäts- theorie von unschätzbarem Vorteile. Denn bei zahlreichen Operationen und Rechnungen kommt es nicht auf die Realität der betrachteten Größen an, sondern nur auf die zwischen ihnen bestehenden algebraischen Be- ziehungen, die für imaginäre Zahlen ebenso gelterf wie für reelle. Man kann daher die aus der euklidischen Geometrie bekannten Gesetze auf die vierdimensionale Welt übertragen. Minkowski ersetzt X y z ict durch X y z u und operiert dann mit diesen 4 Koordinaten in völlig symmetrischer Weise. Die Grundinvariante wird dann offenbar Die Sonderstellung der Zeit verschwindet dadurch aus allen Formeln, was die Bequemlichkeit und Übersichtlichkeit der Rechnungen sehr erhöht. Im Schlußresultat muß man dann wieder u durch ict ersetzen, wobei nur solche Gleichungen physikalischen Sinn behalten, die ausschließlich mit reellen Zahlen gebildet sind. Der Nichtmathematiker wird sich unter diesen Ausführungen nicht viel denken können; er wird vielleicht, empört über die von Minkowski selbst halb im Scherz formulierte »mystische Gleichung« 3« io^°cm = V — I sec, den Kritikern der Relativitätstheorie beipflichten, denen die Gleichwertigkeit der Zeit mit den räumlichen Dimensionen als reiner Un- sinn erscheint. Wir hoffen, daß unsere Darstellungsweise, bei der die formale Me- thode Minkowskis erst am Schlüsse erscheint, solchen Einwänden stand- halten kann. In der ::i?/-Ebenp ist doch offenbar die Zeit t mit der Längen- Minkowskis absolute Welt. 221 dimension x keineswegs vertauschbar; die Lichtlinien J und tj scheiden als unüberwindbare Schranken die zeitartigen von den raumartigen Welt- linien. Minkowskis Transformation u =. ict ist also nur als mathe- matischer Kunstgriff zu werten, der gewisse formale Analogien zwischen den Raumkoordinaten und der Zeit ins rechte Licht setzt, ohne doch eine Verwechslung zwischen ihnen zuzulassen. Aber dieser Kunstgriff hat wichtige Erkenntnisse gebracht; ohne ihn wäre Einsteins allgemeine Relativitätstheorie nicht denkbar. Dabei kommt es auf die Analogie der Grundinvariante G mit dem Quadrat einer Ent- fernung an. Wir werden in Zukunft für die Größe (96) s = ^G = Vx^'-^-y'-i-z^-i-u^ = Vx^-i-y'-^-z^ — c^t" die Bezeichnung i^vierdimensionale Entfernung'^ gebrauchen, wobei wir uns bewußt bleiben müssen, daß das Wort in übertragenem Sinne ver- standen wird. Der eigentliche Sinn der Größe s ist nach unsern früheren Erörte- rungen über die Invariante G leicht zu verstehen. Beschränken wir uns auf die ^ /-Ebene, so wird s = y~G = |/^H^~^ = Vx' — ^"7^ Nun ist für jede raumartige Weltlinie G positiv, also s als Quadrat- wurzel aus einer positiven Zahl eine reelle Größe; man kann dann den Weltpunkt x, t mit dem Nullpunkte durch Wahl eines geeigneten Bezug- systems S gleichzeitig machen. Dann ist / = o, also s = Vx' = x der räumliche Abstand des Weltpunktes vom Nullpunkte. Für jede zeitartige Weltlinie ist G negativ, also s imaginär; dann gibt es ein Koordinatensystem, in dem x = o, also s = V — c^t^ = ict ist. In jedem Falle hat also s eine einfache Bedeutung und ist als meßbare Größe zu betrachten. Wir schließen damit die Darstellung der speziellen Einsteinschen Re- lativitätstheorie ab. Ihr Ergebnis können wir etwa so zusammenfassen: Nicht nur die Gesetze der Mechanik^ sondern die aller Naturvorgänge^ besonders die elektromagnetischen Erscheinungen^ lauten vollkommen identisch in unendlich vielen^ relativ zueinander gleichförmig translatorisch be^vegten Bezugsystemen , die man Inertialsysteme nennt. In jedem dieser Systeme gilt ein besonderes Maß für Längen und Zeiten., und diese Maße sind durch die Lorentz- Transformationen miteinander verknüpft, Bezugsysteme, die sich relativ zu den Inertialsystemen beschleunigt be- wegen, sind, genau wie in der Mechanik, mit den Inertialsystemen nicht gleichwertig. Bezieht man die Naturgesetze auf solche beschleunigte Sy- steme, so lauten sie anders; in der Mechanik treten Fliehkräfte auf, in der Elektrodynamik analoge Wirkungen, deren Studium uns zu weit führen würde. Einsteins spezielle Relativitätstheorie beseitigt also nicht den Newtonschen absoluten Raum in dem eingeschränkten Sinne, den wir 222 I^^s spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip. diesem Worte früher (III, 6, S. 55) gegeben haben; sie stellt gewisser- maßen nur für die ganze Physik einschließlich der Elektrodynamik den- jenigen Zustand her, den die Mechanik seit Newton hatte. Die tiefen Fragen des absoluten Raumes, die uns dort beunruhigten, sind also noch immer nicht gelöst: wir sind ihnen kaum einen Schritt näher gekommen, ja, durch die Erweiterung des physikalischen Gegenstandes über die Me- chanik hinaus ist die Aufgabe offenbar wesentlich erschwert. Wir werden jetzt sehen, wie Einstein sie bewältigt hat. VII. Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. I. Relativität bei beliebigen Bewegungen. Bei der Erörterung der klassischen Mechanik haben wir ausführlich die Gründe besprochen, die Newton zur Aufstellung der Begrifife des absoluten Raumes und der absoluten Zeit geführt haben; wir haben aber auch sogleich die Einwände hervorgehoben, die man vom Standpunkte der Erkenntniskritik gegen diese Begriffsbildungen vorbringen kann. Newton stützt die Annahme des absoluten Raumes auf die Existenz der Trägh ei ts widerstände und Fliehkräfte. Diese können augenscheinlich nicht auf Wechselwirkungen von Körper zu Körper be- ruhen, weil sie im ganzen Universum, soweit die Be- obachtung reicht, unabhängig von der lokalen Verteilung der Massen in der gleichen Weise auftreten. Daher schließt Newton, daß sie von den absoluten Beschleuni- gungen abhängen. Damit wird der absolute Raum als fiktive Ursache physikalischer Erscheinungen eingeführt. Das Unbefriedigende dieser Theorie erkennt man aus folgendem Beispiele: Im Weltenraume mögen zwei flüssige Körper S^ und 6*2 von gleicher Substanz und Größe vorhanden sein, in solcher Entfernung, daß die gewöhnlichen Gravitations- wirkungen des einen auf den anderen unmerklich gering sind (Abb. 126); jeder der Körper soll unter der Wir- kung der Gravitation seiner Teile aufeinander und der übrigen physikalischen Kräfte im Gleichgewicht sein, so daß keine relativen Bewegungen seiner Teile gegeneinander stattfinden. Aber die beiden Körper sollen um die Ver- bindungslinie ihrer Mittelpunkte eine relative Drehbewegung mit konstanter Rotationsgeschwindigkeit ausführen; das bedeutet, ein Beobachter auf dem einen Körper S^ stellt eine gleichförmige Drehung des andern Körpers •^2 g^g^n seinen eigenen Standpunkt fest, und umgekehrt. Nun soll jeder der Körper von relativ zu ihm ruhenden Beobachtern ausgemessen werden; es ergebe sich, daß S^ eine Kugel, S^ ein abgeplattetes Rotations- ellipsoid sei. Die Newtonsche Mechanik würde aus diesem verschiedenen Verhalten der beiden Körper den Schluß ziehen, daß S^ im absoluten Räume ruht, c::> Abb. 126. 2 24 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. S^ aber eine absolute Rotation ausführt; die Fliehkräfte bewirken dann die Abplattung von S^. Man sieht an diesem Beispiele deutlich, daß der absolute Raum als (fiktive) Ursache eingeführt wird; denn S^ kann an der Abplattung von S^ nicht schuld sein, weil ja die beiden Körper relativ zueinander unter ganz gleichen Bedingungen stehen und daher sich gegenseitig nicht ver- schieden deformieren können. Der Raum als Ursache befriedigt aber das Kausalitätsbedürfnis nicht. Denn wir kennen keine andere Äußerung seiner Existenz als die Flieh- kräfte; man kann also die Hypothese des absoluten Raumes durch nichts anderes belegen als durch die Tatsachen, zu deren Erklärung sie ein- geführt ist. Eine gesunde Erkenntniskritik lehnt solche ad hoc gemachten Hypothesen ab; sie sind zu billig und zerbrechen alle Schranken, die ge- wissenhafte Forschung zwischen ihren Ergebnissen und den Hirngespinsten der Phantasie aufzurichten sucht. Wenn der Bogen Papier, den ich eben beschrieben habe, plötzlich vom Tische auffliegt, so stände mir die Hypothese frei, daß der Geist des längst verstorbenen Newton ihn ent- führt habe; aber als vernünftiger Mensch mache ich diese Hypothese nicht, sondern denke an die Zugluft, die entstand, weil das Fenster ofifen- steht und meine Frau gerade zur Tür hereintritt. Auch wenn ich die Zugluft nicht selbst gespürt habe, ist diese Hypothese vernünftig, weil sie den zu erklärenden Vorgang mit einem andern beobachtbaren Vor- gange in Verbindung bringt. Diese kritische Auswahl der zulässigen Ursachen unterscheidet die vernünftige, kausale Weltbetrachtung, zu der die physikalische Forschung gerechnet werden will, von Mystik, Spiritis- mus und ähnlichen Äußerungen ungebändigter Phantasie. Der absolute Raum aber hat nahezu spiritistischen Charakter. Fragt man: »was ist die Ursache der Fliehkräfte .N<, so lautet die Antwort: ^>der absolute Raum«. Fragt man aber: »was ist der absolute Raum und worin äußert er sich sonst?«, so weiß niemand eine andere Antwort als die: »der absolute Raum ist die Ursache der Fliehkräfte, sonst hat er keine Eigenschaften«. Diese Gegenüberstellung zeigt zur Genüge, daß der Raum als Ursache physikalischer Vorgänge aus dem Weltbilde be- seitigt werden muß. Vielleicht ist es nicht überflüssig anzumerken, daß die Heranziehung elektromagnetischer Erscheinungen an dieser Beurteilung des absoluten Raumes nichts ändert. Bei diesen treten in rotierenden Koordinaten- systemen Wirkungen auf, die den Fliehkräften der Mechanik analog sind ; aber das sind natürlich nicht neue, unabhängige Beweisgründe für die Existenz des absoluten Raumes, denn, wie wir wissen, sind durch den Satz von der Trägheit der Energie Mechanik und Elektrodynamik zu einer Einheit verschmolzen. Es ist nur für uns bequemer, allein mit den Be- griffen der Mechanik zu operieren. Kehren wir nun zur Betrachtung der beiden Körper 6", und S^ zurück. Das Äquivalenzprinzip. 225 SO müssen wir, wenn der Raum als Ursache ihres verschiedenen Ver- haltens abgelehnt wird, nach anderen, reellen Ursachen suchen. Angenommen nun, es wären außerhalb der Körper »Sj und S^ absolut keine andern materiellen Körper vorhanden. Dann bliebe das ver- schiedene Verhalten von S^ und S^ tatsächlich unerklärbar. Aber ist denn dieses Verhalten empirische Tatsache: Zweifellos nicht; wir haben noch niemals Erfahrungen über zwei allein im Weltenraume schwebende Körper sammeln können. Die Annahme, daß zwei wirkliche Körper 5^ und S^ unter diesen Umständen sich verschieden verhielten, ist durch mc/its begründet. Man muß vielmehr verlangen, daß eine befriedigende Mechanik diese Annahme ausschließt. Wenn wir aber bei zwei wirklichen Körpern S^ und S^ das ge- schilderte verschiedene Verhalten beobachten (wir kennen ja mehr oder weniger abgeplattete Planeten), so dürfen wir als Ursache dafür rmi ferne Massen in Anspruch nehmen. In der wirklichen Welt sind solche ferne Massen tatsächlich vorhanden, das Heer der Gestirne. Welchen Welt- körper wir auch herausgreifen, so ist er umgeben von unzähligen anderen, die von ihm ungeheuer entfernt sind und sich relativ zueinander so lang- sam bewegen, daß sie als Ganzes etwa wie eine feste, hohle Masse wirken, in deren Hohlraum der betrachtete Körper sitzt. Diese fernen Massen müssen die Ursache der Fliehkräfte sein. Damit sind auch alle Erfahrungen im Einklänge; denn das Bezugsystem der Astronomie, gegen das die Rotationen der Himmelskörper bestimmt werden, ist so gewählt, daß es relativ zum Fixsternhimmel im Ganzen in Ruhe ist, genauer gesagt so, daß die scheinbaren Bewegungen der Fixsterne relativ zu dem Bezugsystem ganz ungeordnet sind und keine Vorzugs - richtung haben. Die Abplattung eines Planeten ist um so größer, je größer seine Drehgeschwindigkeit gegen dieses, mit den fernen Massen ver- bundene Bezugsystem ist. Demnach werden wir fordern, daß die Gesetze der Mechanik und die der Physik überhaupt nur die relativen Lagen und Bewegungen der Körper enthalten. Es darf kein Bezugsystem a priori bevorzugt sein, wie es die Inertialsysteme der Newtonschen Mechanik und der speziellen Einstein- schen Relativitätstheorie sind; denn sonst gingen in die Naturgesetze die absoluten Bechleunigungen gegen diese bevorzugten Bezugsysteme ein, nicht nur die relativen Bewegungen der Körper. Wir gelangen also zu dem Postulat, daß die wahren Gesetze der Physik in beliebig bewegten Bezugsystemen in gleicher Weise gelten sollen. Das ist eine beträchtliche Erweiterung des Relativitätsprinzips. 2. Das Äquivalenzprinzip. Die Erfüllung dieses Postulats erfordert eine ganz neue Formulierung des Trägheitsgesetzes, da dieses der Grund für die Sonderstellung der Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. IJ- 2 20 I^i^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. Inertialsysteme ist. Die Trägheit eines Körpers soll nicht mehr als Wir- kung des absoluten Raumes, sondern der andern Körper angesehen werden. Nun kennen wir nur eine Wechselwirkung zwischen allen materiellen Körpern, die Gravitation; ferner wissen wir, daß die Erfahrung einen merkwürdigen Zusammenhang zwischen Gravitation und Trägheit geliefert hat, den Satz von der Gleichheit der schweren und der trägen Masse (II, 12, S. 34). Die beiden, in der Newtonschen Formulierung so ver- schiedenen Phänomene der Trägheit und Attraktion werden also eine gemeinsame Wurzel haben. Das ist die große Entdeckung Einsteins, durch die das allgemeine Relativitätsprinzip aus einem Postulate der Erkenntniskritik in einen Satz der exakten Wissenschaften verwandelt worden ist. Wir können das Ziel der folgenden Untersuchung so kennzeichnen: in der gewöhnlichen Mechanik wird die Bewegung eines schweren Körpers (auf den keine elektromagnetischen oder anderen Kräfte wirken) durch zwei Ursachen bestimmt: i. seine Trägheit bei Beschleunigungen gegen den absoluten Raum, 2. die Gravitation der übrigen Massen. Jetzt soll eine Formulierung des Bewegungsgesetzes gefunden werden, bei dem Trägheit und Gravitation in einem höheren Begriffe verschmelzen, derart, daß die Bewegung allein durch die Verteilung der übrigen Massen in der Welt bestimmt ist. Bis zur Aufstellung des neuen Gesetzes müssen wir aber noch einen längeren Weg zurücklegen und einige begriffliche Schwierigkeiten überwinden. Wir haben den Satz von der Gleichheit der schweren und trägen Masse früher ausführlich besprochen. Für die irdischen Vorgänge besagt er: alle Körper fallen gleich schnell; für die Bewegungen der Himmels- körper drückt er aus, daß die Beschleunigung unabhängig ist von der Masse des bewegten Körpers. Wir haben auch- berichtet, daß der Satz nach Messungen von Eötvös mit außerordentlicher Genauigkeit gültig ist, daß er aber trotzdem in der klassischen Mechanik nicht zu den Grund- gesetzen gezählt, sondern als fast zufälliges Geschenk der Natur hin- genommen wird. Jetzt soll das anders werden; der Satz tritt an die Spitze nicht nur der Mechanik, sondern der ganzen Physik. Wir müssen ihn daher so beleuchten, daß sein fundamentaler Inhalt klar hervortritt. Wir raten dem Leser, folgendes einfache Experiment zu machen. Er nehme zwei leichte, aber verschieden schwere Gegenstände, etwa eine Münze und ein Stück Radiergummi, und lege sie auf den flachen Handteller. Er spürt dann das Gewicht der beiden Körper chen als Druck auf der Handfläche, und zwar ist dieser verschieden. Nun bewege er die Hand rasch nach unten; dann empfindet er eine Ver- ringerung des Druckes beider Körperchen. Wenn man diese Bewegung immer schneller wiederholt, so wird schließlich der Moment eintreten, Das Äquivalenzprinzip. 2 27 WO die Körperchen sich van der Handfläche lösen und hinter ihr während der Bewegung zurückbleiben; das tritt offenbar ein, sobald die Hand schneller herabsinkt, als die Körperchen frei herabfallen. Da diese nun trotz ihres verschiedenen Gewichtes gleich schnell fallen, so bleiben sie, auch nach der Ablösung von der Hand, immer in derselben Höhe bei- einander. Man denke sich nun Wichtelmännchen, die auf der Hand leben und nichts von der Außenwelt wissen ; wie würden diese den ganzen Vorgang beurteilen? Man kann sich leicht in die Seele solcher mitbewegter Be- obachter versetzen, während man den Versuch macht und auf die wechseln- den Drucke und Bewegungen der Körperchen gegen die Handfläche achtet. Bei ruhender Hand werden die Wichtelmännchen das verschiedene Ge- wicht der beiden Körperchen konstatieren. Wenn jetzt die Hand herab- sinkt, so werden sie eine Gewichtsabnahme der Körperchen feststellen; sie werden nach einer Ursache dafür suchen und bemerken, daß ihr Standort, die Hand, relativ zu den umgebenden Körpern, den Zimmerwänden^ herab- sinkt. Man kann nun aber die Wichtelmännchen mit den beiden Versuchs - körpern in einen geschlossenen Kasten sperren und diesen mit der Hand abwärts bewegen. Dann sehen die Beobachter im Kasten nichts, woran sie die Bewegung des Kastens feststellen könnten. Sie können dann einfach nur die Tatsache konstatieren, daß das Gewicht aller Körper im Kasten in gleicher Weise abnimmt. Wenn nun die Hand so schnell bewegt wird, daß die freifallenden Gegenstände hinter ihr zurückbleiben, so werden die Beobachter im Kasten zu ihrem Staunen die noch eben beträchtlich schweren Gegenstände nach oben fliegen sehen; sie bekommen negatives Gewicht, oder besser, die Schwerkraft wirkt nicht mehr nach unten, sondern nach oben. Auch fallen beide Körper trotz ihres verschiedenen Gewichts gleich schnell nach oben. Die Leute im Kasten können diese Beobach- tungen auf zweierlei Arten erklären: entweder denken sie, daß das Schwere- feld unverändert bestehen bleibt, der Kasten aber in der Richtung des Feldes beschleunigt wird; oder sie nehmen an, daß die anziehenden Massen unterhalb des Kastens verschwunden, dafür neue oberhalb des Kastens aufgetaucht sind, wodurch sich die Richtung der Schwerkraft umgekehrt hat. Wir fragen nun: Gibt es irgendein Mittel, um durch Experimente innerhalb des Kastens zwischen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden? Und wir müssen antworten, daß die Physik ein solches Mittel nicht kennt. Tatsächlich ist die Wirkung der Schwere von der Wirkung der Beschleunigung durch nichts zu unterscheiden; beide sind einander völlig äquivalent. Das beruht wesentlich darauf, daß alle Körper gleich schnell fallen; wäre das nämlich nicht der Fall, so könnte man sogleich unter- scheiden, ob eine beschleunigte Bewegung verschieden schwerer Körper durch die Anziehung fremder Massen erzeugt oder nur durch Beschleunigung des Standpunktes des Beobachters vorgetäuscht wird. Denn in ersterem Falle bewegen sich verschieden schwere Körper verschieden schnell, in 15* 2 28 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. letzterem Falle aber ist die relative Beschleunigung aller frei beweglichen Körper gegen den Beobachter gleich groß, sie fallen trotz verschiedenen Gewichtes gleich schnell. Dieses Einsteinsche Äquivalenzprinzip gehört also zu jenen Sätzen, auf die wir in diesem Buche besonderes Gewicht gelegt haben, nämlich solchen, die die Nichtfeststellbarkeit einer physikalischen Aussage, die NichtUnter- scheidbarkeit zweier Begriffe behaupten. Die Physik lehnt solche Begrifife und Sätze ab und ersetzt sie durch neue; denn physikalische Realität haben nur feststellbare Tatsachen. Die klassische Mechanik unterscheidet zwischen der Bewegung eines sich selbst überlassenen, keinen Kräften unterworfenen Körpers, der Trägheits- bewegung, und der Bewegung eines Körpers unter der Wirkung der Gravi- tation. Die erste ist in einem Inertialsysteme geradlinig und gleichförmig; die zweite geht auf gekrümm-ten Bahnen und ungleichförmig vor sich. Nach dem Äquivalenzprinzip müssen wir diese Unterscheidung fallen lassen; denn man kann durch bloßen Übergang zu einem beschleunigten Bezug- systeme die gerade, gleichförmige Trägheitsbewegung in eine gekrümmte, beschleunigte Bewegung verwandeln, die von einer durch Gravitation er- zeugten nicht unterscheidbar ist, und auch das Umgekehrte gilt, wenigstens für beschränkte Stücke der Bewegung, wie nachher näher ausgeführt wird. Wir nennen von nun an jede Bewegung eines Körpers, auf den keine Kräfte elektrischen, magnetischen oder sonstigen Ursprungs wirken, sondern der nur unter dem Einfluß gravitierender Massen steht, eine Trägheits- bewegung', dieses Wort soll also eine allgemeinere Bedeutung haben wie früher. Der Satz, daß die Trägheitsbewegung relativ zu einem Inertial- systeme geradlinig gleichförmig ist, das gewöhnliche Trägheitsgesetz, hört jetzt natürlich auf. Vielmehr ist es gerade unser Problem: das Gesetz der Trägheitsbewegung in dem verallgemeinerten Sinne anzugeben. Die Lösung dieser Aufgabe befreit uns vom absoluten Räume und liefert zugleich eine Theorie der Gravitation, die dadurch viel tiefer mit den Prinzipien der Mechanik verknüpft wird, als in Newtons Lehre. Wir wollen diese Erörterungen noch etwas nach der quantitativen Seite ergänzen. Wir haben früher (III, 8, S. 62) gezeigt, daß die Be- wegimgsgleichungen der Mechanik bezogen auf ein System 5, das gegen die Inertialsysteme die konstante Beschleunigung k hat, in der Form mb^K' geschrieben werden können, wenn K' die Summe aus der wirklichen Kraft K und der Trägheitskraft — mk bedeutet: K' ^ K—mk. Ist nun die Kraft K die Schwere, so ist K = mg, also K' ^m{g — k). Indem man die Beschleunigung k des Bezugsystems S geeignet wählt, kann man der Differenz g — k jeden beliebigen positiven oder negativen Das Äquivalenzprinzip. 220 Wert erteilen, sie auch zu Null machen. Nennt man in Analogie zur Elektrodynamik die Kraft auf die Masseneinheit die % Feldstärke {< der Schwere und den Raum, wo diese wirkt, das Schwerefeld , so kann man sagen: Durch geeignete Wahl des beschleunigten Bezugsystems kann man ein konstantes Schwerefeld schaffen, ein vorhandenes abschwächen, ver- nichten, verstärken, umkehren. Jedes beliebige Schwerefeld läßt sich offenbar innerhalb eines hin- reichend kleinen Raumteiles und während kurzer Zeit als annähernd konstant ansehen; daher kann man immer ein beschleunigtes Bezug- system finden, relativ zu dem in dem beschränkten Raum-Zeit- Gebiete kein Schwerefeld vorhanden ist. Man wird nun fragen, ob nicht jedes Gravitationsfeld in seiner ganzen Ausdehnung und für alle Zeiten durch bloße Wahl des Bezugsystems be- seitigt werden kann, ob sich also gewissermaßen alle Gravitation als »scheinbar« auffassen läßt. Das ist aber offenbar nicht der Fall. Das Feld der Erdkugel z. B. läßt sich nicht vollständig beseitigen. Denn es ist nach dem Zentrum gerichtet, die Beschleunigung müßte also von diesem fortweisen; das ist aber nicht möglich. Würde man selbst zu- lassen (und das werden wir müssen), daß das Bezugsystem nicht starr ist, sondern sich beschleunigt um den Erdmittelpunkt ausdehnt, so würde diese Bewegung nicht seit beliebig langer Zeit möglich sein, sie müßte einmal am Mittelpunkt angefangen haben. Durch Rotation des Bezugsystems um eine Achse erhält man eine von dieser fortgerichtete Trägheitskraft [III, 9, S. 64, Formel (31)], die Zentrifugalkraft 47rV mk^ m -^^ • Diese kompensiert das Schwerefeld der Erde nur in einem gewissen Ab- stände r, nämlich dem Radius der als kreisförmig gedachten Mondbahn mit der Umlaufszeit T. Es gibt also »wahre« Gravitationsfelder, doch ist der Sinn dieses Wortes in der allgemeinen Relativitätstheorie ein anderer, als in der klassischen Mechanik; denn man kann stets durch geeignete Wahl des Bezugsystems einen beliebigen, hinreichend kleinen Teil des Feldes be- seitigen. Wir werden erst später den Begriff des Gravitationsfeldes ge- nauer festlegen. Natürlich gibt es gewisse Gravitationsfelder, die in ihrer ganzen Aus- dehnung durch Wahl des Bezugsystems beseitigt werden können. Um solche zu finden, braucht man ja nur von einem Bezugsystem auszugehen, in dem ein Raumteil feldfirei ist, und ein irgendwie beschleunigtes Be- zugsystem einzuführen; relativ zu diesem besteht dann ein Gravitationsfeld. Dieses verschwindet, sobald man ziuii ursprünglichen Bezugsysteme zurück- 4. TC^ r kehrt. Das Zentrifugalfeld k = -^2— ist von dieser Art. Die Frage, 230 Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. wann sich ein Gravitationsfeld durch Wahl des Bezugsystems in seiner ganzen Ausdehnung ziun Verschwinden bringen läßt, kann natürlich erst von der fertigen Theorie beantwortet werden. 3. Das Versagen der euklidischen Geometrie. Ehe wir aber fortschreiten, müssen wir eine Schwierigkeit überwinden, die beträchtliche Anstrengungen erfordert. Wir sind gewohnt, Bewegungen in der Minkowskischen Welt als Weltlinien darzustellen. Das Gerüst dieser vierdimensionalen Geometrie wurde durch die Weltlinien der Lichtstrahlen und die Bahnen der kräfte- frei bewegten, trägen Massen geliefert; diese Weltlinien sind in der alten Theorie relativ zu den Intertialsystemen gerade. Läßt man aber die allgemeine Relativität gelten, so sind beschleunigte Bezugsysteme gleich- berechtigt, in diesen sind die vorher geraden Weltiinien krumm (III, i, S. 44, Abb. 32). Dafür werden waeder andere Weltiinien gerade. Das gilt übrigens auch für die rämnlichen Bahnen. Die Begriffe gerade und krumm werden relativiert, sofern man sie auf die Bahnen der Licht- strahlen und frei beweglichen Körper bezieht. Damit kommt das ganze Gebäude der euklidischen Geometrie des Weltenraumes ins Wanken. Denn diese beruht (vgl. IH, i, S. 43) wesent- lich auf dem klassischen Trägheitsgesetze, das die geraden Linien festiegt. IVlan könnte nun denken, daß sich diese Schwierigkeit überwinden ließe, indem man zur Definition der geome- trischen Elemente wie Gerade, Ebene usw. nur starre Maßstäbe gebraucht. Aber auch das ist nicht möglich, wie Einstein folgendermaßen zeigt. Wir gehen von einem räumlichen Gebiete aus, in dem während einer gewissen Zeit relativ zu einem ge- eignet gewählten Bezugsystem S kein Gravitationsfeld existiert. Sodann betrachten wir einen Kör- per, der in diesem Gebiete mit kon- stanter Winkelgeschwindigkeit rotiert, etwa in Gestalt einer ebenen, auf der Rotationsachse senkrechten Kreisscheibe (Abb. 127); wfr fuhren ein mit dieser Scheibe fest verbundenes Bezugsystem S' ein. In S' herrscht dann ein nach außen gerichtetes Gravitationsfeld, gegeben durch Abb^i^T. die Zentrifugalbeschleunigung k = 47c r rp-2. Nun will ein auf S befindlicher Beobachter die Kreisscheibe aus- messen. Dazu benutzt er einen Stab von bestimmter Länge als Einheit, Das Versagen der euklidischen Geometrie. 2 3 1 der dabei relativ zu S' ruhen muß. Ein Beobachter in dem Bezugsysteme S benutzt genau denselben Stab als Längeneinheit, wobei dieser natürlich relativ zu S ruhen muß. Wir werden nun annehmen müssen, daß die Ergebnisse des spe- ziellen Relativitätsprinzips richtig bleiben, sofern wir uns auf Raumteile und Zeitabschnitte beschränken, in denen die Bewegung als gleichförmig angesehen werden kann. Damit das möglich ist, nehmen wir an, daß der Einheitsstab klein gegen den Scheibenradius ist. Legt nun der Beobachter in S' den Stab in der Richtung des Scheibenradius an, so wird der Beobachter in S feststellen, daß die Länge des bewegten Stabes relativ zu S unverändert gleich i ist; denn die Bewegung des Stabes ist senkrecht auf seiner Längsrichtung. Legt der Beobachter in S' den Stab aber an die Peripherie der Kreisscheibe an, so wird er dem Beobachter in S nach der speziellen Relativitätstheorie verkürzt erscheinen. Angenommen nun, man müßte 100 Stäbchen an- einanderlegen , um von einem Ende des Durchmessers der Scheibe zum andern zu kommen; dann würde der Beobachter in ,S /r = 3,14 . . . mal loo, d. h. etwa 314 seiner Stäbchen, die relativ in ^ ruhen, ge- brauchen, um die Peripherie auszumessen, aber der Beobachter in S' könnte mit dieser Stäbchenzahl nicht auskommen. Denn die in S' ruhenden Stäbchen erscheinen von S aus verkürzt, die Anzahl von 314 genügt also nicht, um lückenlos die Peripherie zu umfassen. Demnach würde der Beobachter in S' behaupten, daß das Verhältnis des Kreisumfangs zum Durchmesser nicht 7t == 3,14 . • ., sondern größer sei. Das ist aber ein Widerspruch gegen die euklidische Geometrie. Ganz Entsprechendes gilt auch für die Messung der Zeiten. Bringt man von zwei gleich gebauten Uhren die eine in den Mittelpunkt, die andere an den Rand der Scheibe in relativer Ruhe zu dieser, so geht die letztere, vom System S beurteilt, langsamer, weil sie relativ zu S bewegt ist. Ein in der Mitte der Scheibe befindlicher Beobachter müßte oiGfenbar dasselbe konstatieren. Es ist also unmöglich, zu einer vernünftigen De- finition der Zeit mit Hilfe von relativ zum Bezugsysteme ruhenden Uhren zu kommen, wenn dieses Bezugsystem rotiert, beschleunigt ist, oder, was nach dem Äquivalenzprinzip dasselbe bedeutet, wenn in ihm ein Gravi- tationsfeld existiert. Im Gravitationsfeld ist ein Stab länger oder kürzer, geht eine Uhr schneller oder langsamer je nach der Stelle, wo das Meßgerät sich be- findet. Damit fällt aber die Grundlage der raumzeitlichen Welt, auf der bis- her alle unsere Überlegungen ruhten, in sich zusammen. Wir werden wieder zu einer Verallgemeinerung der Begriffe Raum und Zeit gedrängt, diesmal aber zu einer radikalen, die alle früheren an Gründlichkeit weit hinter sich läßt. 21.2 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. Es ist offenbar sinnlos, in der gewöhnlichen Weise Koordinaten und Zeit Xj y, z, t zu definieren; denn dabei werden die geometrischen Grundbegriffe Gerade, Ebene, Kreis usw. als schlechthin gegeben an- gesehen, die Gültigkeit der euklidischen Geometrie im Räume bzw. der Minkowskischen Verallgemeinerung auf die raumzeitliche Welt wird vor- ausgesetzt. Daher entsteht die Aufgabe, die vierdimensionale Welt und ihre Gesetze darzustellen, ohne eine bestimmte Geometrie a priori zugrunde zu legen. Es scheint, als wenn jetzt der sichere Boden unter den Füßen ver- schwindet; alles schwankt, gerade ist krumm, krumm ist gerade. Aber die Schwierigkeit des Unternehmens hat Einstein nicht davon abgeschreckt. Wichtige Vorarbeiten hatte die Mathematik schon geleistet; Gauß (1827) hatte die Theorie der krummen Flächen in der Form einer allgemeinen zweidimensionalen Geometrie entworfen und Riemann (1854) hatte die Raumlehre von kontinuierlichen Mannigfaltigkeiten beliebig vieler Dimen- sionen begründet. Wir können hier diese mathematischen Hilfsmittel nicht benützen; ohne sie ist aber ein tieferes Verständnis der allgemeinen Relativitätstheorie nicht möglich. Der Leser darf darum von den folgen- den Ausführungen keine vollständige Aufklärung über Einsteins Lehren erwarten; er wird Bilder und Analogien finden, die immer ein schlechter Ersatz für exakte Begriffe sind. Aber wenn ihn diese Andeutungen zu tieferen Studien anregen, so ist ihr Zweck erfüllt. 4. Die Geometrie auf krummen Flächen. Die Aufgabe, eine Geometrie ohne das a priori gegebene Gerüst der geraden Linien und ihrer euklidischen Verknüpfungsgesetze zu ent- werfen, ist keineswegs so ungewöhnlich, wie es zuerst scheinen mag. Wir denken uns, daß ein Feldmesser die Aufgabe hat, ein . hügeliges, ganz mit dichtem Walde bedecktes Terrain auszumessen und eine Karte davon zu entwerfen. Er kann von jeder Stelle aus nur eine ganz be- schränkte Umgebung übersehen; Visierinstrumente (Theodolithen) sind ihm nichts nütze, er ist im wesentlichen auf die Meßkette angewiesen. Mit dieser kann er kleine Dreiecke oder Vierecke ausmessen, deren Ecken durch Meßlatten fixiert sind, und durch Aneinanderfügen solcher direkt meßbaren Figuren kann er allmählich zu entfernteren Teilen des Geländes vordringen, die unmittelbar nicht sichtbar sind. Abstrakt ausgedrückt: der Feldmesser kann die Methoden der gewöhn- lichen euklidischen Geometrie auf kleine Gebiete anwenden. Das ganze Gelände ist aber diesen nicht zugänglich, sondern kann nur schrittweise, von Stelle zu Stelle fortschreitend, geometrisch erforscht werden. Ja, noch mehr: die euklidische Geometrie ist im hügeligen Gelände gar nicht streng gültig, es gibt darin überhaupt keine geraden Linien. Kurze Die Geometrie auf krummen Flächen. 233 Linienstücke von der Länge der Meßkette können als gerade angesehen werden; aber von Tal zu Tal, von Berg zu Berg führt keine gerade Verbindung auf dem Erdboden. Die euklidische Geometrie gilt also ge- wissermaßen nur im Kleinen, in infinitesimalen Bereichen; im Großen aber gilt eine allgemeinere Raum- oder besser Flächenlehre. Will der Feldmesser systematisch vorgehen, so wird er zunächst den Waldboden mit einem Netz von Linien bedecken, die durch Meßlatten oder markierte Bäume gekennzeichnet sind; er braucht zwei Scharen von Linien, die sich kreuzen (Abb. 128). Die Linien werden möglichst glatt, stetig gekrümmt gewählt und in jeder Schar durchlaufend numeriert; als Zei- chen für irgendeine Nummer der einen Schar wird der Buchstabe x genom- men, ebenso für die andere Schar j. Jeder Schnittpunkt hat dann zwei Nummern x^ y, etwa jc = 3 , j = 5 • Zwischenliegende Punkte lassen sich durch gebrochene Werte von x und y kennzeichnen. Dieses Verfahren, die Punkte einer krummen Fläche festzulegen, hat Gauß zuerst angewendet; man nennt x, y daher Gaußsche Koordinaten. Das wesentliche dabei ist, daß die Zahlen x und y nicht Längen, Winkel oder andere geometrische, meßbare Größen bedeuten, sondern nichts als Nummern^ geradeso, wie das System der amerikanischen Straßen- und Hausnummern. Das Maß in diese Bezifferung der Geländepunkte hineinzutragen, ist erst Sache des Feldmessers. Seine Meßkette umfaßt etwa den Bereich einer Masche des Netzes der Gaußschen Koordinaten. Der Feldmesser wird nun daran gehen, Masche für Masche auszu- messen; jede dieser kann als kleines Parallelogramm angesehen werden und ist durch Angabe zweier Seitenlängen und eines Winkels bestimmt. Diese muß der Feldmesser ausmessen und in die Karte für jede Masche eintragen. Ist das durchweg geschehen, so beherrscht er offenbar die Geometrie des Geländes vollständig mit Hilfe seiner Karte. An Stelle der 3 Daten pro Masche (2 Seiten und ein Winkel) pflegt man eine andere Methode der Maßbestimmung anzuwenden, die den Vor- zug größerer Symmetrie hat. Wir betrachten eine Netzmasche, ein Parallelogramm, dessen Seiten zwei aufeinanderfolgenden ganzen Nummern (etwa ^ = 3, ;c = 4 und ji; = 7j j^; z= 8) entsprechen (Abb. 129). Irgendein Punkt im Innern sei P\ sein Abstand von dem Eckpunkte O mit den kleineren Nummern sei s. Dieser wird mit der Meßkette ausgemessen. Durch P ziehen wir die Parallelen zu den Netzlinien, die diese in A und B treffen; ferner 234 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. sei C der Fußpunkt der von F auf die :x; -Koordinatenlinie gefällten Senkrechten. Die Punkte A und B haben dann auch Nummern oder Gaußsche Koordinaten im Netze; man bestimmt A etwa dadurch, daß man die Parallelogrammseite, auf der A liegt, und die Strecke AO ausmißt, und das Verhältnis beider Längen als Zuwachs der :r-Koordinate von A gegen O nimmt. Wir wollen diesen Zuwachs selbst mit x bezeichnen, indem wir O als Nullpunkt der Gaußschen Koordinaten wählen. Ebenso be- stimmen wir die Gaußsche Ko- / Ordinate y von JB als das Verhält - (/■8 I / nis, in dem B die entsprechende 7 / Parallelogrammseite teilt, x^ y ^f ~y^^^ / sind dann offenbar die Gaußschen / .^^r / ' / Koordinaten von F. / /^ / ' / Die wahre Länge von OA II - 7 I .^^^^ I -•2- — -^ -4 — -i -t aber ist natürlich nicht x^ son- U-3 X--^ dern etwa a • x, wo a eine be- Abb. 129. stimmte, durch die Messung zu ermittelnde Zahl ist; ebenso ist die wahre Länge von OB nicht y, sondern 3y. Wenn man den Punkt F herumbewegt, so ändern sich seine Gaußschen Koordinaten, aber die Zahlen a, b, welche das Verhältnis der Gaußschen Koordinaten zu den wahren Längen angeben, bleiben ungeändert. Wir drücken jetzt die Entfernung OF z= s mit Hilfe des rechtwink- ligen Dreiecks OFC nach dem Pythagoräischen Lehrsatze aus; es ist 5"= OF' = 0C^-\- CF\ • Nun ist OC = OA^ AC, also s^ = 0A^-\- 2 OA- AC-^AC''-^- CF\ Andererseits ist in dem rechtwinkligen Dreiecke AFC: AC^-\- CF^ = AF^\ daher wird s^ = OA"" -\- 2 OA' AC-^ AF\ Hier ist OA = ax, AF= OB = dy; ferner ist AC die Projektion von AF = by, steht also in festem Verhältnisse dazu, etwa AC = cy. Daher erhalten wir: i"^ == a^x^ -\- 2 acxy -\- b'^y^. Hier sind a, b, c feste Verhältniszahlen ; man pflegt die 3 Faktoren dieser Gleichung anders zu bezeichnen, nämlich zu setzen (97) -y" = ^ii^^'+ ^g.^xy-\-g^-,y''' Diese Gleichung kann man den verallgemeinerten Fythagoräischen Lehr- salz für Gaußsche Koordinaten nennen. Die Geometrie auf krummen Flächen. 235 Die 3 Größen g^^, g^^^ g^^ können genau so, wie die Seiten und Winkel, zur Bestimmung der tatsächlichen Größenverhältnisse des Parallelo- gramms dienen. Man nennt sie daher die Faktoren der .Maßbestimmimg. Von Masche zu Masche haben sie andere Werte, die auf der Karte ein- getragen oder mit den Hilfsmitteln der analytischen Mathematik als »Funktionen« angegeben werden müssen. Sind sie aber für jede Masche bekannt, so ist damit durch die Formel (97) der wahre Abstand eines beliebigen Punktes F innerhalb einer beliebigen Masche vom Null- punkte der Masche berechenbar, wenn die Nummern oder Gaußschen Koordinaten x^y von F gegeben sind. Die Faktoren der Maßbestimmung repräsentieren also die gesamte Geometrie auf der Fläche. Man wird gegen diese Behauptung einwenden, daß das doch nicht stimmen kann; denn das Netz der Gaußschen Koordinaten war ganz will- kürlich gewählt, diese Willkür geht also in die g^^, g^^j ^22 ^^^- ^^^ ^^t allerdings richtig; man könnte ein anderes Netz wählen und würde dann für den Abstand derselben Punkte OF einen ebenso gebauten Aus- druck (97), aber mit anderen Faktoren ^11, ^'27 ^22 erhalten. Doch gibt es natürlich Regeln, um diese aus den g^j, g^^, g22 ^^ berechnen, Trans- formationsformeln von ähnlicher Art, wie wir sie früher kennen gelernt haben. Jede wirkliche geometrische Tatsache auf der Fläche muß nun offen- bar durch solche Formeln ausgedrückt werden können, die bei einem Wechsel der Gaußschen Koordinaten unverändert bleiben, invariant sind. Die Flächengeometrie wird damit eine Invariantentheorie sehr allgemeiner Art; denn die Linien des Koordinatennetzes sind völlig willkürlich, nur müssen sie so gewählt sein, daß sie stetig gekrümmt sind und die Fläche einfach und lückenlos überdecken. Welches sind nun die geometrischen Aufgaben, die der Feldmesser zu lösen haben wird, sobald er sich die Maßbestimmung verschafft hat? Auf der krummen Fläche gibt es keine geraden Linien, wohl aber geradeste Linien-, das sind zugleich diejenigen, die die kürzeste Ver- bindung zwischen zwei Punkten bilden. Ihr wissenschaftlicher Name ist »geodätische Linien«. f'^"^^^ Mathematisch sind sie dadurch charakterisiert: / ^ .^...^^ \ man teile eine beliebige Linie auf der Fläche / /^'^^'^ '^^e^->^\^ in kleine, meßbare Abschnitte von der Länge > / "^ ^j , j-^ , -^3 , ; dann ist die Summe i^ ^ ., + ., +.3 + . . . Abb. ,30. für die geodätische Linie zwischen zwei Punkten F^ , F^ kleiner als für irgendeine andere Linie zwischen ihnen (Abb. 130). Die ^1,^2, • • lassen sich dabei rein rechnerisch aus dem verallgemeinerten Pythagoräischen Lehrsatze (97) bestimmen, wenn die g^j_, g^^j gz2 bekannt sind. 2^6 ^i^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. Auf einer Kugelfläche sind bekanntlich die »größten Kugelkreise« die kürzesten Linien; sie werden durch die Ebenen ausgeschnitten, die durch den Mittelpunkt gehen. Auf andern Flächen sind es oft recht kompli- zierte Kurven ; und doch sind es die einfachsten Kurven, die das Gerüst der Geometrie auf der Fläche bilden, geradeso, wie die geraden Linien das Gerüst der euklidischen Geometrie der Ebene. Die geodätischen Linien werden natürlich durch invariante Formeln dargestellt; sie sind wirkliche geometrische Eigenschaften der Fläche. Aus diesen Invarianten lassen sich alle höheren ableiten; doch können wir darauf nicht eingehen. Eine andere fundamentale Eigenschaft der Fläche ist ihre Krümmung. Gewöhnlich definiert man diese mit Hilfe der dritten Raumdimension; die Krümmung einer Kugel mißt man z. B. mit Hilfe des Kugelradius, d. h. einer außerhalb der Kugelfläche liegenden Strecke. Unser Feldmesser im Waldgebirge wird dieses Mittel nicht anwenden können; er kann nicht aus seiner Fläche heraus und muß versuchen, die ELrümmungsverhältnisse nur mit seiner Meßkette zu ergründen. Daß das wirklich möglich ist, hat Gauß systematisch bewiesen. Wir können es uns durch folgende ein- fache Überlegung klar machen: Der Feldmesser mißt mit der Meßkette 12 gleichlange Seile ab und formt aus ihnen die nebenstehend abgebildete Sechseckfigur (Abb. 131). Nach einem bekannten Satze der gewöhnlichen Geometrie der Ebene ist es tatsächlich möglich, die 1 2 Seile in dieser Anordnung gleichzeitig in der Ebene gespannt zu halten; das ist eigentlich höchst wunderbar, denn wenn etwa 5 der 6 gleichseitigen Dreiecke fertig gespannt sind, so muß das letzte Seil von selbst in die Lücke passen. Man lernt Abb. 131. in der Schule, daß das geht, und was man in der Schule lernt, darüber pflegt man nachher nicht viel nachzudenken. Und doch ist es höchst erstaunlich, daß die Lücke ge- rade durch ein Seil von gleicher Länge wie die andern Seiten aus- gefüllt wird. Das geht auch tatsächlich nur in der Ebene; versucht man dasselbe auf einer krummen Fläche, derart, daß der Mittelpunkt und die 6 Eck- punkte auf dieser liegen, so schließt sich das Sechseck nicht; auf Berg- kuppen und in Talkesseln ist das letzte Seil zu lang, auf Pässen (sattel- förmig gekrümmten Flächenteilen) ist es zu kurz. Wir raten den Leser, das selbst einmal mit 12 Stücken Bindfaden auf einem Sophakissen zu probieren! Damit ist aber ein Kriterium gewonnen, wie man, ohne aus der Fläche herauszutreten , die Krümmung der Flächen finden kann. Geht die Sechseckfigur auf, so ist die Fläche eben; geht sie nicht auf, so ist die Fläche gekrümmt. Das Maß der Krümmung wollen wir nicht ab- Das zweidimensionale Kontlnuum. 237 leiten; diese Andeutung genügt wohl, um plausibel zu machen, daß sich ein solches streng definieren läßt. Offenbar hängt es damit zusammen, wie sich die Faktoren der Maßbestimmung von Stelle zu Stelle ändern; das Krümmiingsmaß läßt sich, wie Gauß bewiesen hat, durch die S^.T.1 Sxii S-i-i ausdrücken und ist eine Invariante der Fläche. Die Gaußsche Flächentheorie ist eine Art, Geometrie zu treiben, die man mit einer der Physik entlehnten Ausdrucks weise als Nahwirkungs- theorie bezeichnen kann. Nicht die Gesetze der Fläche im Großen werden primär gegeben, sondern ihre differentiellen Eigenschaften, die Koeffizienten der Maßbestimmung und die daraus gebildeten Invarianten, vor allem das Krümmungsmaß; die Gestalt der Fläche und ihre geome- trischen Eigenschaften im Ganzen können dann nachträglich ermittelt werden, durch rechnerische Prozesse, die der Lösung der Differential- gleichungen der Physik sehr ähnlich sind. Die Geometrie Euklids ist im Gegensatz dazu eine typische Fernwirkungstheorie. Daran liegt es, daß die neuere Physik, die ganz auf den Begriffen der Nahwirkung, des Feldes, aufgebaut ist, mit dem euklidischen Schema nicht auskommt, sondern nach dem Vorbilde von Gauß neue Wege gehen muß. 5. Das zweidimensionale Kontinuum. Stellen wir uns vor, daß unser Feldmesser mit dem Seil -Sechseck hantiert, um die Krümmung des Geländes festzustellen; dabei achtet er nicht darauf, daß in der Mitte des Sechsecks eine Lichtung im Walde ist, -durch die die Sonne die dort zusammenstoßenden Enden der Seile bestrahlt. Diese werden sich durch die Erwärmung etwas ausdehnen. Daher werden die 6 radialen Seile länger sein, als die 6 äußeren, und diese werden sich nicht schließen. Der Feldmesser wird daher, wenn das Gelände in Wirklichkeit eben ist, glauben, daß er auf einer flachen Bergkuppe (oder in einem Talkessel) sei. Ist er gewissenhaft, so wird er die Messung mit Seilen aus anderem Material wiederholen; diese werden sich in der Sonnenwärme mehr oder weniger ausdehnen als die zuvor gebrauchten, dadurch wird er auf den Fehler aufmerksam werden und ihn richtigstellen. Nim nehmen wir aber einmal an, daß die durch Erwärmung hervor- gerufene Längenänderung für alle verfügbaren Materialien, aus denen man Seile machen kann, gleich sei. Dann wird der Fehler niemals heraus- kommen. Ebenen werden für Berge, Berge für Ebenen gehalten werden. Oder stellen wir uns vor, daß irgendwelche, uns noch unbekannte Natur- kräfte auf die Längen von Stäben und Seilen Einfluß haben, aber auf alle in gleicher Weise. Dann würde die Geometrie, die der Feldmesser mit Meßkette und Seilpolygonen feststellt, ganz anders ausfallen, als die wirkliche Geometrie der Fläche; solange er aber immer nur in dieser hantiert und keine Möglichkeit hat, einen höheren Standpunkt einzu- 2^8 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. nehmen, die dritte Dimension zu benutzen, so wird er fest überzeugt sein, daß er die richtige Geometrie der Fläche ergründet hat. Diese Überlegungen zeigen uns, daß der Begriff der Geometrie in einer Fläche oder, wie Gauß sagt, der »geometria intrinsica«, nichts zu tun hat mit der Gestalt der Fläche, wie sie einem Betrachter erscheint, der die dritte Raumdimension zur Verfügung hat. Ist einmal die Längen- einheit durch eine Meßkette oder einen Maßstab gegeben, so ist die Geometrie in der Fläche relativ zu dieser Maßbestimmung völlig fest- gelegt, mag auch der Maßstab in Wirklichkeit während des Messens alle möglichen Veränderungen erfahren. Für ein Wesen, das an die Fläche gebannt ist, sind diese Veränderungen nicht da, sobald sie alle Sub- stanzen in gleicher Weise betreffen. Daher wird dieses Wesen Krüm- mungen konstatieren, wo in Wirklichkeit keine sind, und umgekehrt. Dieses »in Wirklichkeit« wird aber sinnlos, wenn es sich um Flächen- wesen handelt, die überhaupt keine Vorstellung von einer dritten Dimen- sion haben; so, wie wir Menschen keine Vorstellung von einer vierten Raumdimension haben. Es ist dann für diese Wesen auch sinnlos, ihre Welt als »Fläche« zu bezeichnen, die in einem dreidimensionalen Räume eingebettet ist; vielmehr ist sie ein »zweidimensionales Kontinuum«. Dieses hat eine bestimmte Geometrie, bestimmte kürzeste oder geodätische Linien, auch ein bestimmtes »Krümmungsmaß« an jeder Stelle; aber die Flächenwesen werden keineswegs mit diesem Worte dieselbe Vorstellung verbinden, wie wir mit dem anschaulichen Begriffe der Krümmung einer Fläche, sondern sie werden damit nur die Tatsache meinen, daß das Seil -Sechseck sich mehr oder weniger schließt — nichts weiter. Gelingt es dem Leser, die Empfindungen dieses Flächenwesens nach- zuspüren und die Welt, wie sie ihm erscheint, sich vorzustellen, so ist er reif zu dem nächsten Schritte der Abstraktion. Es könnte doch uns Menschen in unserer dreidimensionalen Welt ge- nau so gehen. Vielleicht ist diese in einen vierdimensionalen Raum gerade so eingebettet, wie eine Fläche in unseren dreidimensionalen Raum; und durch uns unbekannte Kräfte werden in gewissen Raumteilen alle Längen verändert, ohne daß wir das direkt jemals merken können. Dann würde es aber möglich sein, daß in diesen Raumteilen ein nach Art der Sechseckfigur konstruiertes räumliches Polyeder sich nicht schließt, welches nach der gewöhnlichen Geometrie sich schließen müßte. Haben wir jemals etwas dergleichen beobachtet? Seit dem Altertum hat man immer die euklidische Geometrie für exakt richtig gehalten; ihre Sätze sind sogar von der kritischen Philosophie Kants (1781) als a priori richtig erklärt und gewissermaßen heilig gesprochen worden. Die großen Mathematiker und Physiker, vor allem Gauß, Riemann und Helmholtz, haben aber niemals diesen allgemeinen Glauben geteilt. Gauß selbst hat sogar einmal eine großartig angelegte Messung vorgenommen, um einen Satz der euklidischen Geometrie zu prüfen, nämlich den Satz, daß die Mathematik und Wirklichkeit. 239 ¥ Winkelsumme im Dreieck zwei Rechte (180°) beträgt. Er hat das Drei- eck zwischen den drei Bergen Brocken, Hoher Hagen, Inselberg aus- gemessen; das Ergebnis war, daß die Winkelsumme innerhalb der Fehler- grenze den richtigen Betrag hat. Gauß ist wegen dieses Unternehmens von philosophischer Seite viel angefeindet worden; man sagte vor allem, selbst wenn er Abweichungen gefunden hätte, so wäre dadurch höchstens bewiesen, daß die Licht- strahlen zwischen den Fernrohren durch irgendwelche, vielleicht unbe- kannte, physikalische Ursachen abgelenkt seien, aber nichts über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der euklidischen Geometrie. Einstein behauptet nun, wie wir schon oben (S. 230) gesagt haben, daß die Geometrie der wirklichen Welt tatsächlich nicht euklidisch ist und belegt diese Behauptung durch sehr konkrete Beispiele. Wir müssen nun, um das Verhältnis seiner Lehre zu den früheren Diskussionen über die Grundlagen der Geometrie zu verstehen, einige prinzipielle Über- legungen einschieben, die hart an das Philosophische streifen. 6. Mathematik und W^irklichkeit. Es handelt sich um die Frage nach dem Gegenstande der geometri- schen Begriffe überhaupt. Der Ursprung der Geometrie ist sicherlich die praktische Kunst des Feldmessers, also eine rein empirische Lehre. Die Antike entdeckte, daß die geometrischen Sätze sich deduktiv beweisen lassen, d. h. daß man nur eine kleine Anzahl von Grundsätzen oder Axiomen anzunehmen braucht, um daraus rein logisch das ganze System der übrigen Sätze ableiten zu können. Diese Entdeckung hat eine ge- waltige Wirkung gehabt; denn die Geometrie wurde das Vorbild jeder deduktiven Wissenschaft, und etwas »more geometrico« zu demonstrieren, galt als Ziel des strengen Denkers. Was sind nun die Gegenstände, mit denen sich die wissenschaftliche Geometrie beschäftigt? Die Philosophen und Mathematiker haben diese Frage nach allen Richtungen diskutiert und eine große Zahl von Antworten gegeben. Allgemein zugestanden wurde die Sicherheit und unumstößliche Richtigkeit der geometrischen Sätze; das Problem war nur, wie man zu solchen absolut sicheren Sätzen kommt und auf was für Dinge sie sich beziehen. Zweifellos ist das: Wenn jemand die geometrischen Axiome als richtig zugibt, so ist er gezwungen, auch alle übrigen Sätze der Geometrie an- zuerkennen. Denn die Kette der Beweise ist für jeden zwingend, der überhaupt logisch denken kann. Damit ist die Frage auf die nach dem Ursprung der Axiome reduziert. In diesen hat man eine kleine Anzahl von Sätzen über Punkte, Gerade, Ebenen und ähnliche Begriffe vor sich, die ganz exakt gelten sollen. Daher können sie nicht, wie die meisten Aussagen der Wissenschaft und des täglichen Lebens, aus der Erfahrung stammen; diese liefert immer nur ungefähr richtige, mehr oder minder 240 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. wahrscheinliche Sätze. Man muß daher nach anderen Erkenntnisquellen suchen, die eine absolute Sicherheit der Sätze verbürgen. Nach Kant (1781) sind Raum und Zeit Formen der Anschauung, die a priori sind, vor jeder Erfahrung vorhergehen und diese überhaupt erst möglich machen. Die Gegenstände der Geometrie müßten danach vorgebildete Formen der reinen Anschauung sein, die den Urteilen zugrunde liegen, welche wir in der empirischen Anschauung über wirkliche Gegenstände fällen. Da- nach käme etwa das Urteil: »diese Kante des Lineals ist gerade« da- durch zustande, daß die empirisch angeschaute Kante mit der reinen Anschauung einer Geraden verglichen wird, natürlich ohne daß dieser Prozeß zum Bewußts.^in kommt. Der Gegenstand der geometrischen Wissenschaft wäre dann die in der reinen Anschauung gegebene Gerade; also weder ein logischer Begriff, noch ein physisches Ding, sondern ein drittes, dessen Wesen nur durch Hinweis auf das mit der Anschauung »gerade« verbundene Erlebnis vermittelt werden kann. Wir wollen uns nicht anmaßen, über diese Lehre oder über ähnliche philosophische Theorien ein Urteil zu fällen. Sie betreffen vor allem das Raumerlebnis, und dieses liegt außerhalb des Gegenstandes unseres Buches. Hier handelt es sich uqi Raum und Zeit der Physik, also einer Wissenschaft, die sich bewußt und immer deutlicher von der Anschauung als Erkenntnisquelle abwendet und schärfere Kriterien verlangt. Da müssen wir nun feststellen, daß ein Physiker das Urteil »diese Kante des Lineals ist gerade« niemals auf die unmittelbare Anschauung des Geradeseins stützen wird. Es ist ihm ganz gleichgültig, ob es so etwas wie eine reine Form der An- schauung des Geraden gibt oder nicht ^//////////fJ/fJlJIulm^ gibt, mit dem die Linealkante ver- ... etlichen werden kann. Er wird viel- Abb. 132. ° mehr bestimmte Versuche machen, um die Geradlinigkeit zu prüfen, geradeso wie er jede andere Behauptung über Gegenstände durch Versuche prüft. Er wird z. B. an der Linealkante entlang Abb. 133. visieren, d. h. feststellen, ob ein Licht- strahl, der Anfangs- und Endpunkt der Kante berührt, auch an allen übrigen Punkten der Kante gerade berührend entlang streicht (Abb. 132). Oder er wird das Lineal um die Endpunkte der Kante drehen und einen Stift mit einem beliebigen Zwischenpunkte der Kante in Berührung bringen; wenn bei der Drehung diese Berührung erhalten bleibt, ist die Kante gerade (Abb. 133). Unterwerfen wir nun diese Verfahren, die jedenfalls der Anschauung weit überlegen sind, der Kritik, so sehen wir, daß sie über die absolute Geradlinigkeit eigentlich auch nichts ausmachen. Bei der ersten Methode ist offenbar schon vorausgesetzt, daß der Lichtstrahl geradlinig sei; wie Mathematik und Wirklichkeit. 24 1 beweist man, daß er das ist? Bei der zweiten Methode ist vorausgesetzt, daß die Drehpunkte des Lineals und die Spitze in starrer Verbindung stehen und daß das Lineal selbst starr ist; angenommen, man wolle die Gerad- linigkeit eines Stabes mit kreisförmigem Querschnitte prüfen, der horizontal gelagert ist und sich durch die eigene Schwere ein wenig durchbiegt, so wird diese Durchbiegung bei der Drehung unverändert bleiben, die Tast- methode wird also Geradlinigkeit erkennen, wo in Wirklichkeit Krüm- mung vorliegt. Man werfe nicht ein, daß das Fehlerquellen sind, die bei jeder physikalischen Messung vorkommen und vom geschickten Ex- perimentator vermieden werden. Worauf es uns ankommt, ist zu zeigen, daß absolute Geradlinigkeit oder sonst eine andere geometrische Eigen- schaft empirisch nicht direkt geprüft werden kann, sondern nur relativ zu bestimmten geometrischen Eigenschaften der bei der Messung ver- wendeten Hilfsmittel (Geradlinigkeit des Lichtstrahls, Starrheit der Ap- paratteile). Entkleidet man die wirklich ausgeführten Operationen aller Zutaten des Denkens, Erinnerns, Wissens, so bleibt nur übrig die Fest- stellung: Fallen 2 Punkte der Linealkante auf einen Lichtstrahl, so tut es auch dieser oder jener andere; fallen 2 Punkte des Lineals mit zwei Punkten eines Körpers zusammen, so gilt dasselbe auch für diesen oder jenen dritten Punkt. Wirklich festgestellt werden also räumliche oder besser raum-zeitliche Koinzidenzen^ d. h. das Zusammentreffen zweier mate- rieller, erkennbarer Punkte zur selben Zeit am selben Orte. Alles übrige ist Spekulation, selbst eine so einfache Behauptung, daß durch solche Koinzidenzversuche am Lineal dessen Geradlinigkeit festgestellt werden kann. Eine kritische Musterung der exakten Wissenschaften lehrt, daß alle Feststellungen überhaupt auf solche Koinzidenzen herauslaufen. Jede Messung ist am Ende die Konstatierung, daß ein Zeiger oder eine Marke mit dem und dem Teilstrich einer Skala zu der und der Zeit zusammen- trifft. Ob die Messung Längen, Zeiten, Kräfte, Massen, elektrische Ströme, chemische Affinitäten oder was auch immer betrifft, alles tat- sächlich Feststellbare sind raum-zeitliche Koinzidenzen. Das sind in der Sprache Minkowskis Weltpunkte, die durch Begegnung materieller Welt- linien in der Raum -Zeit -Mannigfaltigkeit markiert sind. Physik ist Lehre von den Beziehungen solcher markierter Weltpunkte. Die logische Verarbeitung dieser Beziehungen ist die mathematische Theorie; mag sie noch so verwickelt sein, ihr letzter Zweck ist immer, die tatsächlich beobachteten Koinzidenzen als denknotwendige Folgen einiger Grundbegriffe und Grundsätze darzustellen. Manche Aussagen über Koinzidenzen treten in der Form geometrischer Sätze auf; die Geo- metrie als eine auf die wirkliche Welt anwendbare Lehre hat dabei keine Sonderstellung vor andern Zweigen der physikalischen Wissenschaften. Ihre Begriffsbildungen sind in derselben Weise durch das tatsächliche Verhalten der natürlichen Gegenstände bedingt, wie die Begriffe anderer Born, Relativitätstheorie. 3. Aufl. 16 242 I^i^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. physikalischer Gebiete. Irgendeine Vorzugsstellung können wir der Geo- metrie nicht zuerkennen. Daß die euklidische Geometrie bislang unumschränkt galt, beruht auf dem empirischen Faktum, daß es Lichtstrahlen gibt, die mit großer Ge- nauigkeit sich so verhalten, wie die Geraden des Begriffsschemas der euklidischen Geometrie, und daß es nahezu starre Körper gibt, die den euklidischen Axiomen der Kongruenz genügen. Der Behauptung von der absolut exakten Gültigkeit der Geometrie können wir vom physikalischen Standpunkte aus keinen faßbaren Sinn unterlegen. Die Gegenstände der tatsächlich auf die Welt der Dinge angewandten Geometrie sind also diese Dinge selbst, von einem bestimmten Gesichts- punkte aus betrachtet. Die gerade Linie ist durch Definition der Licht- strahl, oder die Trägheitsbahn, oder die Gesamtheit der Punkte eines als starr betrachteten Körpers, die bei einer Drehung um zwei feste Punkte sich nicht bewegen, oder sonst ein physisches Etwas. Ob die so definierte Gerade diejenigen Eigenschaften hat, die die Geometrie Euklids behauptet, ist dann nur auf Grund der Erfahrung feststellbar. Eine solche Eigenschaft der euklidischen Geometrie ist der Satz von der Winkelsumme im Dreieck, den Gauß empirisch geprüft hat; wir müssen die Berechti- gung solcher Versuche durchaus anerkennen. Eine andere charakteristische Eigenschaft der zweidimensionalen Geometrie war durch das Sichschließen des Seil- Sechsecks (S. 236) gegeben. Nur die Erfahrung kann lehren, ob eine bestimmte Art der Realisierung der Geraden, der Längeneinheit usw. durch bestimmte physische Dinge diese Eigenschaft hat oder nicht. Im ersteren Falle ist die euklidische Geometrie relativ zu diesen Definitionen anwendbar, im letzteren nicht. Einstein behauptet nun: alle bisher üblichen Definitionen der Grund- begriffe des räum -zeitlichen Kontinuums durch starre Maßstäbe, Uhren, Lichtstrahlen, Trägheitsbahnen genügen wohl in begrenzten, kleinen Ge- bieten den Gesetzen der euklidischen Geometrie bzw. der Minkowskischen Welt, im Großen aber nicht. Nur die Geringfügigkeit der Abweichungen ist daran schuld, daß man sie bisher nicht entdeckt hat. Man könnte nun zwei Wege zur Abhilfe einschlagen: Entweder man gibt es auf, die Gerade durch den Lichtstrahl, die Länge durch den starren Kör- per usw. zu definieren, und sucht andere Realisationen der euklidischen Grundbegriffe, um an dem euklidischen System ihrer logischen Zusammen- hänge festhalten zu können; oder man gibt die euklidische Geometrie selbst auf und sucht eine allgemeinere Raumlehre aufzustellen. Daß der erste Weg ernstlich nicht in Betracht kommt, leuchtet jedem ein, der nicht ganz fremd ist im Gebäude der Wissenschaft. Aber man kann auch nicht beweisen, daß er unmöglich ist. Hier entscheidet nicht die Logik, sondern der wissenschaftliche Takt. Es gibt keinen logischen Weg von den Tatsachen zur Theorie; der Einfall, die Intuition, die Phantasie sind hier, wie überall, die Quellen schöpferischer Leistung, und ¥ Die Maßbestimmung des raumzeitlichen Kontinuums. 243 das Kriterium der Richtigkeit ist die prophetische Voraussage noch un- erforschter oder zukünftiger Vorgänge. Der Leser mache einmal die Annahme: Der Lichtstrahl im leeren Weltenraume sei nicht das »ge- radeste«, was es gibt, und denke ihre Konsequenzen durch. Dann wird er verstehen, daß Einstein einen andern Weg einschlug. Er hätte, da die euklidische Geometrie versagte, eine bestimmte andere nichteuklidische wählen können. Es gibt solche ausgebaute Be- griffssysteme, von Lobatschewski (1829), Bolyai (1832), Riemann (1854), Helmholtz (1866) und anderen, die hauptsächlich ersonnen wurden, um zu prüfen, ob bestimmte Axiome Euklids denknotwendige Folgen der übrigen sind; wären sie das, so müßte man zu logischen Widersprüchen kommen, wenn man sie durch andere Axiome ersetzt. Wollte man eine solche spezielle nichteuklidische Geometrie zur Dar- stellung der physikalischen Welt wählen, so hieße das den Teufel durch Beelzebub austreiben. Einstein ging auf das physikalische Urphänomen, die raumzeitliche Koinzidenz, das Ereignis, den Weltpunkt, zurück. 7. Die Maßbestimmung des raumzeitlichen Kontinuums. Die Gesamtheit der markierten Weltpunkte ist das tatsächlich Fest- stellbare. Das vierdimensionale raumzeitliche Kontinuum ist an und für sich strukturlos; erst die tatsächlichen Beziehungen der Weltpunkte in ihm, die das Experiment aufdeckt, drücken ihm eine Maßbestimmung und Geometrie auf. Wir haben also in der wirklichen Welt dieselben Umstände vor uns, die wir eben bei der Betrachtung der Flächengeo- metrie kennen gelernt haben. Die Methode der mathematischen Be- handlung wird daher auch dieselbe sein. Zunächst wird man Gaußsche Koordinaten in der vierdimensionalen Welt einführen. Wie konstruieren ein Netzwerk markierter Weltpunkte; das bedeutet, wir denken uns den Ratun erfüllt durch beliebig bewegte Materie, die sich drehen und deformieren mag, aber ihren stetigen Zu- sammenhang immer wahren soll, eine Art »Molluske«, wie Einstein sich ausdrückt; darin ziehen wir 3 Scharen von sich durchkreuzenden Linien, die wir numerieren und durch die Buchstaben x, 7, z unterscheiden. In den Ecken des entstehenden Maschennetzes denken wir uns Uhren an- gebracht, von ganz beliebigem Gange, nur so, daß der Unterschied der Angaben / örtlich benachbarter Uhren klein ist. Das Ganze ist also ein unstarres Bezugsystem, eine »Bezugsmolluske«. In der vierdimensionalen Welt entspricht ihr ein System Gaußscher Koordinaten, bestehend aus einem Netz von 4 numerierten Flächenscharen x, y, z, t. Alle bewegten, starren Bezugsysteme sind natürlich spezielle Arten dieser sich deformierenden Bezugsysteme. Es ist aber von unserm all- gemeinen Standpunkte aus sinnlos, die Starrheit als etwas a priori Ge- gebenes einzuführen. Auch die Trennung von Raum und Zeit ist gänz- 16* 244 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. lieh willkürlich; denn da der Gang der Uhren völlig willkürlich, nur stetig veränderlich, angenommen werden kann, so ist der Raum als Ge- samtheit aller »gleichzeitigen« Weltpunkte keine physikalische Realität. Bei anderer Wahl der Gaußschen Koordinaten werden andere Weltpunkte gleichzeitig. Was sich aber nicht ändert beim Übergang von einem System Gauß- scher Koordinaten zu einem andern, das sind die Schnittpunkte von reellen Weltlinien, die markierten Weltpunkte, raumzeitliche Koinzidenzen. Alle wirklich feststellbaren Tatsachen der Physik sind qualitative Lagen - beziehungen dieser Weltpunkte, bleiben also bei einem Wechsel der Gaußschen Koordinaten unberührt. Eine solche Transformation der Gaußschen Koordinaten des raum- zeitlichen Kontinuums bedeutet den Übergang von einem Bezugsystem zu einem beliebig deformierten und bewegten. Die Forderung, nur wirk- lich Feststellbares in die Gesetze der Natur aufzunehmen, führt also dazu, daß diese gegen beliebige Transformationen der Gaußschen Koor- dinaten Xy j, s, / in andere x\ y\ z, / invariant sein sollen. Dieses Postulat enthält ofifenbar das allgemeine Relativitätsprinzip in sich, denn unter allen Transformationen von x, y, z, t sind auch die, welche den Übergang von einem dreidimensionalen Bezugsysteme zu einem beliebig bewegten darstellen; aber es geht formal noch darüber hinaus, indem es beliebige Deformationen des Raumes und der Zeit einschließt. Damit haben wir die Grundlage der allgemeinen Raumlehre gefunden, auf der allein die Durchführung der vollständigen Relativität möglich ist. Es wird sich jetzt darum handeln, diese mathematische Methode mit den physikalischen Überlegungen zu verknüpfen, die wir früher angestellt haben und die in der Aufstellung des Äquivalenzprinzipes gipfelten. Wir sind jetzt bezüglich der vierdimensionalen Welt in derselben Lage wie der Feldmesser im Waldgebirge, nachdem er sein Koordinaten- netz abgesteckt, aber noch nicht begonnen hat, es mit der Meßkette auszumessen. Wir müssen uns nach einer vierdimensionalen Meßkette umsehen. Dafür ist nun das Äquivalenzprinzip gut. Wir wissen: Durch geeignete Wahl des Bezugsystems kann man immer erreichen, daß in einem hin- reichend kleinen Weltgebiete kein Gravitationsfeld herrscht. Es gibt un- endlich viele solche Bezugsysteme, die sich geradlinig und gleichförmig relativ zueinander bewegen und für die die Gesetze der speziellen Re- lativitätstheorie gelten. Maßstäbe und Uhren verhalten sich so, wie die Lorentz -Transformationen ausdrücken; Lichtstrahlen und Trägheitsbe- wegungen (s. S. 228) sind gerade Weltlinien. Innerhalb dieses kleinen Weltgebietes ist also die Größe u- = s = X -\- y -j-s — et eine Invariante von unmittelbarer physikalischer Bedeutung. Ist nämlich Die Maßbestimmung des raumzeitlichen Kontinuums. 245 die Verbindung des Nullpunkts O (der im Innern des kleinen Gebietes angenommen ist) mit dem Weltpunkte P (xy z t) eine raumartige Welt- linie, so ist s die Entfernung OP in demjenigen Bezugsystem, in dem die beiden Punkte gleichzeitig sind; ist aber die Weltlinie OP zeit- artig, so ist s = zcf, wo / die Zeitdifferenz der Ereignisse O und P in dem Koordinatensystem ist, in dem beide am selben Ort stattfinden. Wir haben s früher (VI, 10, S. 221) die vierdimensionale Entfernung ge- nannt; sie ist direkt mit Maßstäben und Uhren meßbar, sodann hat sie bei Einführung der imaginären Koordinate ii = ict formal den Charakter einer euklidischen Entfernung im vierdimensionalen Räume: Die Tatsache der Gültigkeit der speziellen Relativitätstheorie im Kleinen entspricht genau der Anwendbarkeit der euklidischen Geometrie auf hinreichend kleine Stücke einer krummen Fläche. Genau wie dort braucht aber im Großen die euklidische Geometrie bzw. die spezielle Relativitätstheorie nicht zu gelten; es braucht überhaupt keine geraden Weltlinien zu geben, nur geradeste oder geodätische Linien. Die weitere Behandlung der vierdimensionalen Welt geht der Flächen- theorie parallel. Zunächst muß man die Maschen eines beliebigen Netzes Gaußscher Koordinaten mit Hilfe der vierdimensionalen Entfernung s aus- messen. Wir deuten das Verfahren in einer zweidimensionalen :x: /-Ebene an (Abb. 134). Eine Masche des Koordinatennetzes werde durch die Linien ^ == 3, x = äf und / = 7, / = 8 begrenzt (vgl. Abb. 129 auf S. 234). Die von dem Eckpunkte x =^ 2>i ^ = 7 ausgehenden Licht- strahlen entsprechen zwei sich kreuzenden Weltlinien, die wir innerhalb eines kleinen Gebietes als Gerade zeichnen können, die sich unter 90° schneiden. Zwischen diesen Lichtlinien verlaufen die hyperbolischen Eich- kiirven 6^ = dz i ; sie entsprechen dem Kreise, welcher in der ge- wöhnlichen Geometrie die Punkte gleicher Entfernung i enthält. 246 I^is allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. Dann ergibt die Übertragung der Formel (97) aus der Flächentheorie für die Invariante s den Ausdruck: WO X und u = ict die Gaußschen Koordinaten irgendeines Punktes P der betrachteten Masche sind. Setzt man nun ii = ict ein, so wird S^ == g^^Oc'' -\- 2icg^^Xt— C^'g^J^ oder mit anderer Bezeichnung der Faktoren: gii) gl 2) ^22 heißen Faktoren der Maßbestimmung und lassen sich direkt physikalisch interpretieren. So ist z. B. für / = o s = Vg^ j x, d. h. y^jj bedeutetet die wahre Länge der räumlichen Maschenseite in dem Bezugsystem, in welchem sie ruht. In der vierdimensionalen Welt wird die invariante Entfernung s zweier Punkte, deren relative Gaußsche Koordinaten x^ y, z, t sind, durch einen Ausdruck der Form (98) S^ = ^„ ^^ _|-^. ^;;^ +^3^S^ +^^^ t^ + 2gz2^y-\- 2g,^XZ-}- 2g^^Xt ■i- 2g^^yz -i-2g^^yt -\- 2g^^zt dargestellt werden; man kann diese Formel den verallgemeinerten Pytha- goräischen Lehrsatz ßir die vierdimensionale Welt nennen. Die Größen g^^^ • -^34 sind die Faktoren der Maßbestimmung \ sie werden im allgemeinen von Masche zu Masche des Koordinatennetzes verschiedene Werte haben. Auch werden sie für eine andere Wahl der Gaußschen Koordinaten andere Werte haben, die durch bestim^mte Trans - formationsformeln mit den ursprünglichen verbunden sind. 8. Die Grundgesetze der neuen Mechanik. Nach dem allgemeinen Relativitätsprinzip e werden die Naturgesetze durch Invarianten bei beliebiger Transformation der Gaußschen Koor- dinaten dargestellt, genau so, wie die geometrischen Eigenschaften einer Fläche bei beliebigen Transformationen der krummlinigen Koordinaten in- variant sind. Das Gerüst der Flächentheorie waren die geodätischen Linien. Ganz ebenso werden wir in der vierdimensionalen Welt geo- dätische Linien konstruieren, d. h. solche WeltHnien, die die kürzeste Verbindung zwischen zwei Weltpunkten bilden; dabei ist die Entfernung zweier benachbarter Punkte durch die Invariante s zu messen. Was bedeuten nun die geodätischen Linien? Offenbar sind sie in solchen Gebieten, die bei geeigneter Wahl des Bezugsystems frei von Gravitation sind, bezüglich dieses Systems gerade Linien; die geraden Die Grundgesetze der neuen Mechanik. 247 Weltlinien sind aber entweder raumartig (s^ ^ o) oder zeitartig (s^ <^ o) oder Lichtlinien (^ = o). Führt man ein anderes System Gaußscher Koordinaten ein, so werden dieselben Weltlinien jetzt krumm, bleiben aber natürlich geodätische Linien. Daraus geht hervor, daß die geodätischen Linien gerade diejenigen physikalischen Vorgänge darstellen müssen, die in der gewöhnlichen Geo- metrie und Mechanik durch gerade Linien dargestellt werden: die Licht- strahlen und Trägheitsbewegungen. Damit haben wir die gesuchte For- mulierung für das verallgemeinerte Trägheitsgesetz gefunden, das die Er- scheinungen der Trägheit und Gravitation in einem Ausdrucke zusammenfaßt. Sind die Faktoren der Maßbestimmung g^^^ , . .g^^ relativ zu einem beliebigen Gaußschen Koordinatensystem für jede Stelle des Netzes be- kannt, so lassen sich die geodätischen Linien rein rechnerisch finden. Wenn in einem Bereiche relativ zu dem betrachteten Koordinatensystem kein Gravitationsfeld vorhanden ist, so sind (99) ^11 = ^44 = — ^') «^12 <5i3 öl 4 023 624 034 ^> denn dann reduziert sich der allgemeine Ausdruck der Entfernung (98) auf s"^ = x^ -\- y"" -\- z"^ — c'^t^, Abweichungen der g von diesen Werten bedeuten also jenen Zustand, den man in der gewöhnlichen Mechanik als Gravitationsfeld bezeichnet; die Trägheitsbewegungen sind dann un- gleichförmig und gekrümmt, wofür die gewöhnliche Mechanik die New- tonsche Anziehungskraft als Ursache angibt. Die 10 Größen g haben also eine doppelte Funktion: i. Sie definieren die Maßbestimmung, die Einheiten der Längen und Zeiten; 2. sie vertreten das Gravitationsfeld der gewöhnlichen Mechanik. Man sagt: die g bestimmen das metrische Feld oder Gravitationsfeld. Die Einsteinsche Theorie ist also eine höchst wunderbare Verschmel- zung von Geometrie und Physik, eine Synthese der Gesetze des Pytha- goras und des Newton. Sie erreicht das durch eine gründliche Reini- gung der Begriffe Raum und Zeit von allen Zutaten der subjektiven Anschauung, durch die vollständigste Objektivierung und Relativierung, die denkbar ist. Darin beruht die Bedeutung der neuen Lehre für die geistige Entwicklung der Menschheit. Die neue Formulierung des Trägheitsgesetzes ist aber nur der erste Schritt der Theorie. Wir haben die g begriflflich eingeführt und in ihnen das Mittel kennen gelernt, den geometrisch -mechanischen Zustand der Welt relativ zu einem beliebigen Gaußschen Koordinatensystem mathe- matisch zu beschreiben. Jetzt kömmt das eigentliche Problem der Theorie zum Vorschein: Es sollen die Gesetze gefunden werden, nach denen das metrische Feld (die g) für jede Stelle des raumzeitlichen Kontinuums relativ zu irgendeinem Gaußschen Koordinatensystem bestimmt werden kann. 248 I^ic allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. Über die Gesetze wissen wir vorläufig folgendes: 1. Sie müssen invariant sein gegenüber beliebigem Wechsel der Gaußschen Koordinaten; 2. sie müssen durch die Verteilung der materiellen Körper vollständig bestimmt sein. Hierzu kommt noch eine formale Bedingung, die Einstein aus der gewöhnlichen Newtonschen Gravitationstheorie übernommen hat; stellt man nämlich diese als Pseudo-Nahwirkungstheorie durch Differentialglei- chungen dar, so sind diese, wie alle Feldgesetze der Physik, von der zweiten Ordnung, und man wird verlangen, daß die neuen Gravitations- gesetze, welche Differentialgleichungen für die g sind, ebenfalls höchstens von zweiter Ordnung sein sollen. Es ist Einstein gelungen, die Gleichungen des metrischen Feldes oder Gravitationsfeldes aus diesen Forderungen abzuleiten. Hilbert, Klein, Weyl und andere Mathematiker haben dabei mitgewirkt und die formale Struktur ^der Einsteinschen Formeln tief durchforscht und aufgehellt. Wir müssen darauf verzichten, diese Gesetze und ihre Begründung mit- zuteilen, weil das ohne Anwendung höherer Mathematik nicht möglich ist. Einige Andeutungen müssen hier genügen. Wir wissen aus der Flächentheorie, daß die Krümmung eine Invariante gegenüber beliebigem Wechsel der Gaußschen Koordinaten ist, die sich durch Messungen in der Fläche selbst bestimmen läßt; der Leser er- innere sich an das Seil- Sechseck. In ganz analoger Weise lassen sich für die vierdimensionale Welt Invarianten finden, die direkte Verallgemeinerungen der Krümmungs- invariante der Flächentheorie sind. Man denke sie sich etwa so ent- standen: Von einem Punkte F der vierdimensionalen Welt lasse man alle geodätischen Weltlinien ausgehen, die eine durch den Punkt F gehende zweidimensionale Fläche berühren ; diese geodätischen Linien erfüllen selbst wieder eine Fläche, die man geodätische Fläche nennen könnte. Wenn man nun in diese ein Sechseck hineinlegt, dessen Seiten und Radien die gleiche vierdimensionale Länge haben, so wird sich dieses Sechseck im all- gemeinen nicht schließen; die geodätische Fläche ist also gekrümmt. Wenn man die geodätische Fläche durch den Punkt F anders im vierdimensio- nalen Räume orientiert, ändert sich die Krümmung. Die Gesamtheit der Krümmungen aller geodätischen Flächen durch einen Punkt liefert eine An- zahl unabhängiger Invarianten. Wenn diese Null sind, so sind die geo- dätischen Flächen eben, der vierdimensionale Raum ist euklidisch. Die Ab- weichungen der Invarianten von Null bestimmen also die Gravitationsfelder und müssen von der Verteilung der materiellen Körper abhängen. Die Masse eines Körpers aber ist nach der speziellen Relativitätstheorie [VI. 8, Formel (94), S. 209] gleich der Energie, dividiert durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit; die Verteilung der Materie wird daher von ge- wissen Energie -Impuls -Invarianten bestimmt. Diese sind es, denen die Mechanische Folgerungen und Bestätigungen. 2dQ Krümmungsin Varianten proportional gesetzt werden. Der Proportionali- tätsfaktor entspricht der Gravitationskonstante (III, 3, S. 50) der Newton- schen Theorie. Die so gewonnenen Formeln sind die Gleichungen des metrischen Feldes. Ist die raumzeitliche Verteilung der Energie und des Impulses gegeben, so lassen sich daraus die g berechnen, und diese bestimmen wiederum die Bewegung der materiellen Körper und die Ver- teilung ihrer Energie. Das Ganze ist ein höchst verwickeltes System von Differentialgleichungen; aber diese mathematische Komplikation wird aufgewogen durch den ungehexuren, begrifflichen Fortschritt, der in ihrer allgemeinen Invarianz besteht. Denn diese ist der Ausdruck der voll- ständigen Relativität aller Vorgänge; der absolute Raum ist endgültig aus den Gesetzen der Physik verschwunden. Wir müssen hier noch einer Bezeichnungsweise Erwähnung tun, die bei Nichtmathematikern gewöhnlich Anstoß erregt. Man pflegt die ztir Flächenkrümmung analogen Invarianten des dreidimensionalen Raumes oder der vierdimensionalen Welt selbst als Krümmungsmaß zu bezeichnen ; man sagt von raumzeitlichen Gebieten, wo dieses von Null verschieden ist, sie seien »gekrümmt«. Hiergegen empört sich gewöhnlich das Ge- müt des Ungelehrten: »daß etwas im Räume gekrümmt sei, kann ich mir vorstellen, aber daß der Raum gekrümmt sein soll, das ist doch barer Unsinn!« Nun, es verlangt auch niemand, daß man sich das vor- stellen soll; kann man sich unsichtbares Licht vorstellen, oder unhörbare Töne: Wenn man zugibt, daß hier die Sinne versagen und die Me- thoden der Physik weiter reichen, so muß man sich entschließen, für die Lehre vom Räume und von der Zeit dasselbe zuzugestehen. Denn die Anschauung erblickt nur das, was durch das Zusammenwirken von physi- kalischen, physiologischen und psychischen Vorgängen als geistiger Prozeß zustande kommt und dadurch tatsächlich gegeben ist; die Physik leugnet nicht, daß dieses tatsächlich Gegebene gewiß mit größter Schärfe nach den klassischen Gesetzen Euklids interpretiert werden kann. Die Ab- weichungen, die die Einsteinsche Theorie vorhersagt, sind so winzig, daß nur die außerordentliche Meßgenauigkeit der heutigen Physik und Astro- nomie sie offenbaren kann. Darum sind sie aber doch da, und wenn die Summe der Erfahrungen zu dem Resultat führt, daß das raumzeitliche Kontinuum nichteuklidisch oder »gekrümmt« ist, so muß die Anschauung dem Urteile der Erkenntnis weichen. 9. Mechanische Folgerungen und Bestätigungen. Die erste Aufgabe der neuen Physik ist zu zeigen, daß die klassische Mechanik und Physik mit großer Annäherung richtig ist; denn sonst wäre nicht zu verstehen, daß zwei Jahrhunderte unermüdlicher und sorgfältiger Forschung sich mit ihr begnügen konnten. Das nächste Problem ist dann, Abweichungen ausfindig zu machen, die für die neue Theorie charakteristisch sind und zu ihrer Prüfung an der Erfahrung dienen können. 250 I^ic allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. Warum reicht die klassische Mechanik zur Darstellung aller irdischen und fast aller kosmischen Bewegungsvorgänge aus? Was tritt an die Stelle der Begriffe vom absoluten Räume und von der absoluten Zeit, ohne die nach den Newtonschen Prinzipien schon die einfachsten Tat- sachen, wie das Verhalten des Foucaultschen Pendels, die Trägheits- und Fliehkräfte u. dgl. nicht erklärt werden können? Wir haben diese Fragen im Grunde schon zu Beginn der Erörterungen über das allgemeine Relativitätsprinzip beantwortet ; wir haben dort (VII, i , S. 225) als das Fundament der relativistischen Dynamik den Satz aufgestellt daß an die Stelle des absoluten Raumes als fiktiver Ursache von physikali- schen Vorgängen jetzt ferne Massen als wirkliche Ursachen zu treten haben. Der Kosmos als ganzer, das Heer der Gestirne, erzeugt an jeder Stelle und zu jeder Zeit ein bestimmtes metrisches Feld oder Gravitations- feld; wie dieses im Großen beschaffen ist, kann nur eine Spekulation kosmologischer Art lehren, wie wir sie nachher kennen lernen werden (VII, II, S. 260). Im Kleinen aber muß bei geeigneter Wahl des Bezug- systems das metrische Feld »euklidisch« sein, d. h. die Trägheitsbahnen und Lichtstrahlen gerade Weltlinien. Gegenüber dem Kosmos sind nun selbst die Dimensionen unseres Planetensystems klein, und darum gelten darin, bezogen auf ein geeignetes Koordinatensystem, die Newtonschen Gesetze, soweit nicht die Sonne oder die planetarischen Massen lokale Störungen hervorrufen, die den Anziehungen der Newtonschen Theorie entsprechen. Die Astronomie lehrt, daß ein solches Bezugsystem, in dem die Wirkung der Fixsternmassen innerhalb des Bereiches unseres Planetensystems zur euklidischen Maßbestimmung führt, gerade in rela- tiver Ruhe (oder in gleichförmiger und geradliniger Bewegung) zu der Gesamtheit der kosmischen Massen ist, daß also die Fixsterne gegen dieses System nur relativ kleine, im Mittel sich aufhebende Bewe- gungen machen; eine Erklärung dieser astronomischen Tatsache läßt sich nur durch eine Anwendung der neuen dynamischen Prinzipien auf den ganzen Kosmos geben, die uns im Schlußabschnitt beschäftigen wird. Hier haben wir es zunächst mit der Mechanik und Physik innerhalb des Planetensystems zu tun. Dann bleiben alle Lehren der Newtonschen Me- chanik fast unverändert bestehen ; nur muß man immer daran denken, daß die Schwingungsebene des Foucaultschen Pendels nicht gegen den absoluten Raum, sondern gegen das System der fernen Massen feststeht, daß die Fliehkräfte nicht bei absoluten Rotationen, sondern bei Rotationen gegen die fernen Massen auftreten. Ferner ist es durchaus unbenommen, die Gesetze der Physik nicht auf das gewohnte Koordinatensystem zu beziehen, in dem das metrische Feld euklidisch ist und ein Gravitationsfeld im gewöhnlichen Sinne (bis auf die lokalen Felder der planetaren Massen) nicht existiert, sondern auf ein irgendwie bewegtes (oder sogar ein sich deformierendes) System; nur treten in diesem Falle sogleich Gravitations- felder auf und die Geometrie verliert ihren euklidischen Charakter. Die Mechanische Folgerungen und Bestätigungen. 25 1 allgemeine Form aller Naturgesetze bleibt immer dieselbe; nur sind die Werte der Größen g^^^ g^^, . . . g^^, die das metrische Feld oder Gravita- tionsfeld bestimmen, in jedem Bezugsystem andere. In dieser Invarianz der Gesetze allein liegt der Unterschied gegen die alte Dynamik; dort konnte man natürlich auch zu beliebig bewegten (oder deformierten) Bezugsystemen übergehen, aber die Naturgesetze behielten dabei nicht ihre Gestalt, es gab »einfachste« Formen der Naturgesetze, die in bestimmten, im abso- luten Räume ruhenden Koordinatensystemen angenommen wurden. In der allgemeinen Relativitätstheorie gibt es keine solchen einfachsten, aus- gezeichneten Formen der Gesetze; höchstens können die Zahlenwerte der in allen Naturgesetzen vorkommenden Größen g^^, • • -^34 innerhalb be- grenzter Räume besonders einfach sein oder sich von solchen einfachen Werten nur wenig entfernen. So bezieht die Astronomie ihre Formeln auf ein Bezugsystem, das innerhalb des kleinen Raumes des Planeten- systems, wenn es keine Sonne und keine Planeten gäbe, euklidisch wäre, wo also die g^^, ... g die einfachen Werte (99), S. 247, hätten; in Wahr- heit haben die g^^, . . .g^^ aber gar nicht diese Werte, sondern weichen in der Nähe der planetaren Massen davon ab, wie wir nachher näher erläutern werden. Irgendein anderes (etwa rotierendes) Bezugsystem, in dem die g^^, •••^34 ^^ch ohne planetare Massen nicht die einfachen Werte (99) haben, ist daher prinzipiell mit dem ersten völlig gleich- berechtigt. Damit ist die Rückkehr zu des Ptolemäus Standpunkt der »ruhenden Erde« ins Belieben gestellt; es würde das die Benutzung eines mit der Erde fest verbundenen Bezugsystems bedeuten, wobei die g^^, • ••^34 solche Werte bekommen, die dem Zentrifugalfeld der Rotation gegen die fernen Massen entsprechen. Von Einsteins hoher Warte ge- sehen haben Ptolemäus und Kopernikus gleiches Recht: beide Standpunkte liefern dieselben Natiurgesetze, nur mit verschiedenen Zahlenwerten der St.x) •••^34- Welchen Standpunkt man wählt, ist nicht aus Prinzipien entscheidbar, sondern Sache der Bequemlichkeit. Für die Mechanik des Planetensystems ist allerdings die Auffassung des Kopernikus die bequemere. Aber es ist sinnlos, die bei anderer Wahl des Bezugsystems auftretenden Gravitationsfelder als »fiktiv« in Gegensatz zu den »wirklichen«, von den nahen Massen erzeugten, zu bezeichnen; genau so sinnlos, wie in der speziellen Relativitätstheorie die Frage nach der »wirklichen« Länge eines Stabes (VI, 5, S. 192). Ein Gravitationsfeld ist an sich weder »real« noch »fiktiv«; es hat überhaupt keine von der Koordinatenwahl unabhängige Bedeutung, genau wie die Länge eines Stabes. Auch unterscheiden sich die Felder keineswegs dadurch, daß die einen von Massen erzeugt werden, die andern nicht; nur sind es in einem Falle hauptsächlich die nahen Massen, im andern allein die fernen Massen des Kosmos. Gegen diese Lehre hat man Argumente des »gesunden Menschen- verstandes« vorgebracht, unter andern folgendes. Wenn ein Eisenbahn- zug auf ein Hindernis stößt und dadurch im Zuge alles in Trümmer 2C2 Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. geht, SO kann man den Vorgang auf zwei Weisen beschreiben: Einmal kann man die Erde (die hier als relativ zu den kosmischen Massen ruhend betrachtet wird) als Bezugsystem wählen und die (negative) Beschleunigung des Zuges für die Zerstörung verantwortlich machen; man kann aber auch ein mit dem Zuge fest verbundenes Koordinatensystem wählen, dann macht im AugenbHck des Zusammenstoßes relativ zu diesem System die ganze Welt einen Ruck und es tritt überall ein parallel der ursprüng- lichen Bewegung gerichtetes, sehr starkes Gravitationsfeld, auf, welches die Zerstörungen im Zuge verursacht. Warum fällt dann der Kirchturm im benachbarten Dorfe nicht ebenfalls um? Warum machen sich die Folgen des Rucks und des damit verbundenen Gravitationsfeldes einseitig nur im Zuge bemerkbar, während doch die beiden Sätze gleichberechtigt sein sollen: Die Welt ruht und der Zug wird gebremst — der Zug ruht und die Welt wird gebremst? Die Antwort hierauf ist folgende: Der Kirchturm fällt nicht um, weil beim Bremsen seine relative Lage gegen die fernen, kosmischen Massen gar nicht geändert wird; der Ruck, den vom Zuge aus gesehen die ganze Welt erfährt, betrifft alle Körper bis zu den fernsten Gestirnen, einschließlich des Kirchturms, gleichmäßig, alle diese Körper fallen frei in dem während der Bremsung auftretenden Gravitationsfelde ausgenommen der Zug, der durch die bremsenden Kräfte am freien Fallen gehindert wird. Frei fallende Körper verhalten sich aber bezüglich innerer Vorgänge (wie es das Gleichgewicht des Kirch- turms auf der Erde ist) genau so wie frei schwebende, allen Einflüssen entzogene Körper; es treten also keinerlei Gleichgewichtsstörungen auf, der Kirchturm fällt nicht um. Der Zug dagegen wird am freien Fallen gehindert; dadurch entstehen Kräfte und Spannungen, die zu den zer- störenden Folgen führen. Die Berufung auf den »gesunden Menschenverstand« in diesen schwierigen Fragen ist überhaupt mißlich. Es gibt Anhänger der Theorie vom substantiellen Äther, die sich gegen die Relativitätstheorie wehren, weil sie ihnen nicht anschaulich, bildmäßig genug ist. Manche von diesen haben schließlich das spezielle Relativitätsprinzip anerkannt, nach- dem die Experimente eindeutig dafür entschieden haben; aber sie sträuben sich noch gegen das Prinzip von der allgemeinen Relativität, weil dieses ihrem gesunden Verstände zuwider sei. Diesen hat Einstein folgende Lehre erteilt: Nach der speziellen Relativitätstheorie ist jedenfalls der gleichförmig fahrende Zug ein mit der Erde gleichberechtigtes Bezug- system. Wird das der gesunde Verstand des Lokomotivführers zugeben? Er wird einwenden, daß er doch nicht die »Gegend« unausgesetzt heizen und schmieren müsse, sondern die Lokomotive, und daß es entsprechend die letztere sein müsse, in deren Bewegung sich die Wirkung seiner Arbeit zeige. Eine solche Anwendung des gesunden Menschenverstandes führt schließlich zur Negation aller wissenschaftlichen Betrachtung; denn wozu dient, so fragt der gesunde Verstand des Alltagsmenschen, die Be- Mechanische Folgerungen und Bestätigungen. 253 schäftigimg mit Relativität oder Kathodenstrahlen, da diese Tätigkeit offen- bar wenig geeignet ist, Geld damit zu erwerben? Wir fahren jetzt in der Betrachtung der Himmelsmechanik vom Ein- steinschen Standpunkte fort und wenden uns zu den lokalen Gravitations- feldern, die sich infolge der Existenz der planetaren Massen über das kosmische Feld überlagern. Wir können über diese Untersuchungen Einsteins nur kurz referieren, da es sich dabei hauptsächlich um mathematische Folgerungen aus den Feldgleichungen handelt. Das einfachste Problem ist die Bestimmung der Bewegung eines Pla- neten um die Sonne. Dabei geht man am bequemsten von dem schon erwähnten Gaußschen Koordinatensysteme aus, in dem in der Gegend des Sonnensystems bei Abwesenheit der Sonne und des Planeten das metrische Feld euklidisch und kein Gravitationsfeld im gewöhnlichen Sinne vorhanden wäre; es ist dadurch charakterisiert, daß ohne Berücksichtigung der Sonnenwirkung die ^^j, . . . ^^4 ^^^ Werte (99), S. 247, hätten. Es kommt nun darauf an, die durch die Sonnenmasse bewirkten Abweichungen von diesen Werten zu bestimmen; dazu dienen die Einsteinschen Feld- gleichungen, und es zeigt sich, daß diese unter der Annahme einer kugel- symmetrischen Ausbreitung der Sonnenmasse und damit auch des Feldes ganz bestimmte, relativ einfache Ausdrücke für die g^^, •••^34 liefern. Sodann kann man die Planetenbahnen als geodätische Linie dieser Maß- bestimmung berechnen. Ihre Krümmung, die in der Newtonschen Theorie als Wirkung der Anziehungskraft betrachtet wird, erscheint in der Einstein- schen Theorie als Folge der Krümmung der raumzeitlichen Welt, deren geradeste Linien sie sind. Die Durchrechnung ergibt nun, daß die so bestimmten Planetenbahnen mit großer Annäherung dieselben sind wie die der Newtonschen Theorie. Dieses Ergebnis ist wunderbar, wenn man sich den ganz verschiedenen Standpunkt beider Lehren vor Augen hält: Bei Newton der erkenntnis- theoretisch unbefriedigende absolute Raum und eine ad hoc erfundene ablenkende Kraft mit der merkwürdigen Eigenschaft, daß sie der trägen Masse proportional ist — bei Einstein ein allgemeines, den Ansprüchen der Erkenntniskritik genügendes Prinzip ohne jede spezielle Hypothese. Wenn die Einsteinsche Theorie nichts weiter leisten würde, als die New- tonsche Mechanik dem allgemeinen Relativitätsprinzip zu unterwerfen, so würde sie doch jeder vorziehen, der in den Gesetzen der Natur die Har- monie der höchsten Einfachheit sucht. Aber die Einsteinsche Theorie leistet mehr. Sie enthält, wie schon gesagt, die Newtonschen Gesetze der Planetenbahnen nur näherungsweise; die exakten Gesetze sind ein wenig anders, und zwar wird der Unter- schied um so größer, je näher der Planet der Sonne ist. Nun haben wir schon bei der Besprechung der Newtonschen Himmelsmechanik (III, 4, S. 5 1), gesehen, daß diese gerade beim sonnennächsten Planeten, Merkur, ver- 254 ^^^ allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. sagt; es bleibt eine unerklärte Perihelbewegung des Merkur von 43 Bogen - Sekunden pro Jahrhundert. Genau diesen Betrag aber fordert die Ein- steinsche Theorie; sie ist daher durch Leverriers Rechnungen bereits im voraus bestätigt. Dieses Resultat ist von außerordentHchem Gewichte; denn in die Einsteinsche Formel gehen keine neuen, willkürlichen Kon- stanten ein, die »Anomahe« des Merkur ist eine ebenso notwendige Folgerung aus der Theorie wie die Gültigkeit der Keplerschen Gesetze für die Sonnenfernen Planeten. 10. Optische Folgerungen und Bestätigungen. Außer "diesen astronomischen Folgerungen hat man bisher nur einige optische Erscheinungen gefunden, die sich nicht wegen ihrer Kleinheit den Beobachtungen entziehen. Die eine ist die Rotverschiebung der Spektrallinien des Lichtes, das von Gestirnen mit großer Masse kommt. Auf deren Oberfläche herrscht ein sehr starkes Gravitationsfeld; dieses verändert die Maßbestimmung und bewirkt, daß eine bestimmte Uhr dort langsamer geht als auf der Ej:de, wo das Gravitationsfeld kleiner ist. Solche Uhren hat man aber in den Atomen und Molekeln leuchtender Gase vor sich; der Schwingungsmechanismus in diesen ist sicherlich derselbe, wo auch die Molekel sich befinde, die Schwingungsdauer ist also in solchen Bezug- systemen gleich, in denen dasselbe Gravitationsfeld, etwa das Feld Null, herrscht. Sei die Schwingungsdauer im feldfreien Raumgebiete 7", so ist s = icT die zugehörige invariante Entfernung der Weltpunkte, die zwei aufeinander- folgenden Umkehrpunkten der Schwingung entsprechen, relativ zu dem Bezugsystem, in dem das Atom ruht. In einem relativ beschleunigten Bezugsystem, in dem ein Gravitationsfeld herrscht, wird dasselbe s = icT durch die Formel (98) gegeben, wo x^y^ z die Lage des Atoms charakteri- sieren imd t die in diesem System gemessene Schwingungszeit ist. Wir können x ^=^y = z =■ o setzen, indem wir den Nullpunkt der räumlichen Koordinaten in das Atom legen; dann wird s = — c T = g^^t ^ also Nun ist nur im feldfreien Räume g^^ = — ^^ [s. Formel (99), S. 247), also t = T. Im Gravitationsfelde aber ist g^^ von — ^^ verschieden, etwa g^^ = — c^(i — y); also ist die Schwingungsdauer verändert, näm- lich gleich Optische Folgerungen und Bestätigungen. 255 oder, wenn die Abweichung y klein ist, angenähert (s. die Anmerkung auf S. 164) (100) /=7^|i4-l_j. Das ist der Unterschied im Gange zweier Uhren, welche sich an zwei verschiedenen Orten befinden, für die der Unterschied des durch g^ gemessenen Gravitationsfeldes den relativen Betrag y hat. Ob y positiv oder negativ ist, kann man durch Betrachtung eines einfachen Falles erkennen, wo die Frage direkt mit Hilfe des Äquivalenz - prinzips beantwortet werden kann. Das gelingt fiir ein konstantes Gra- vitationsfeld, wie es unmittelbar an der Oberfläche eines Himmelskörpers herrscht. Die Wirkung eines solchen Feldes g kann ersetzt werden durch eine der Anziehung entgegen gerichtete Beschleunigung des Beobachters von derselben Größe g. Ist / der Abstand des Beobachters von der Oberfläche des Gestirns, so wird eine von dieser ausgehende Lichtwelle / . . die Zeit / = — bis zu ihm gebrauchen und er wird die Welle so wahr- nehmen, als hätte er während dieser Zeit eine beschleunigte Bewegung nach außen mit der Beschleunigung g vollführt. Dann käme ihm beim gl Eintreffen der Lichtwelle die Geschwindigkeit v = gt ^ — in der Rich- c tung der Lichtbewegung zu, daher beobachtet er nach dem Dopplerschen Prinzipe [Formel (40), S. 97] die verkleinerte Schwingungszahl .' = .(.-^)=.(,_^); also hängt die im Gravitationsfelde beobachtete Schwingungsdauer f = —^ mit der im feldfireien Räume bestimmten T = — so zusammen : V t= T oder angenähert (loi) t=T(i+^y Diese Formel gibt allgemein den Gangunterschied zweier Uhren an, die sich in einem konstanten Gravitationsfelde g im Abstände / befinden. Im konstanten Gravitationsfelde ist demnach die in (100) auftretende 2gl . . Größe y = — —^ also positiv. Die Schwingungsdauer, somit auch die c Wellenlänge, wird für eine gegen die Anziehung des Gravitationsfeldes anlaufende Lichtwelle durch das Feld vergrößert. Dieses Resultat kann 256 Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. man auf das von den Gestirnen kommende Licht übertragen ; die Größe y wird positiv sein. Daher erscheinen alle Spektrallinien der Gestirne ein wenig nach Rot verschoben. Obwohl dieser Effekt sehr klein ist, ist seine Existenz heute sowohl auf der Sonne als auch auf Fixsternen recht wahrscheinlich gemacht worden. Wir können an dieser Stelle eine Lücke ausfüllen, die wir früher (VI, 5, S. 193) gelassen haben, nämlich die vollständige Aufklärung des sogenannten »Uhrenparadoxons«. Wir hatten dort zwei Beobachter A und B angenommen, von denen der eine A in einem Inertialsystem (der speziellen Relativitätstheorie) ruht, während der andere B eine Reise macht. Bei der Rückkehr von B geht dann nach (76), S. 194, die Uhr von A gegen die von B vor um den Betrag — / wo t die gesamte Reisezeit, 2 gemessen im System A ist; diese Formel gilt allerdings niu: näherungs- weise, doch genügt sie für unsere Zwecke, wenn wir auch alle andern Rechnungen mit entsprechender Annäherung durchführen. Nun kann man auch B als ruhend ansehen; dann macht A eine Reise in der umgekehrten Richtung. Aber man darf natürlich nicht ein- fach schließen, daß nun die Uhr von B gegen die von A um denselben Betrag vorgehen muß, denn B ruht nicht in einem Inertialsystem, sondern erfährt Beschleunigungen. Vom Standpunkte der allgemeinen Relativitätstheorie muß man viel- mehr darauf achten, daß bei dem Wechsel des Bezugsystems bestimmte Gravitationsfelder während der Beschleunigungszeiten eingeführt werden müssen. Bei der ersten Betrachtungsweise ruht A in einem Raumgebiete, wo euklidische Maßbestimmung herrscht und Gravitationsfelder fehlen; bei der zweiten Betrachtungsweise ruht B in einem Bezugsystem, in dem bei der Abreise, der Umkehr und der Rückkunft von A kurz dauernde Gravi- tationsfelder auftreten, in denen A frei fällt, während B durch äußere Kräfte festgehalten wird. Von diesen drei Gravitationsfeldern haben das erste und das letzte keinen Einfluß auf den relativen Gang der Uhren von A und B, da diese sich im Augenblicke der Abreise und der Rück- kunft am selben Orte befinden und ein Gangunterschied im Gravita- tionsfeld nach (loi) nur bei einem Ortsunterschiede / der Uhren auftritt. Wohl aber entsteht bei der Umkehr von A ein Gangunterschied. Ist r die Zeitdauer der Umkehr, während der, wenn B als ruhend gilt, ein Gravitationsfeld besteht, so geht die im Abstände / und im Felde ^be- findliche Uhr A gegen die Uhr von B vor, und zwar mit genügender Annäherung nach (10 1), S. 255, um -^r. Aber in den Zeiten der gleich- förmigen Bewegung von A^ auf die man das spezielle Relativitätsprinzip anwenden muß, geht umgekehrt die Uhr von A gegen die von B nach Optische Folgerungen und Bestätigungen. 257 um —4. Also hat im ganzen bei der Rückkehr die Uhr von A gegen 2 die von B einen Vorsprmig von Wir behaupten nun, daß dieser Wert genau mit dem Resultat der ersten Betrachtungsweise, wo A als ruhend angesehen wurde, übereinstimmt, nämlich gleich — t^ ist. Denn da der bewegte Beobachter bei der Umkehr von der Geschwin- digkeit V zur Geschwindigkeit — v übergeht, so ist seine Geschwindig- keitsänderung im ganzen 2V\ seine Beschleunigung erhält man daraus . . 211 durch Division mit der gebrauchten Zeit t, sie beträgt also g = — . Andrerseits ist im Augenblick der Umkehr die halbe Reisedauer t^ ver- flössen; der Abstand der beiden Beobachter ist also dann l=v t Daraus folgt gl = v"^ -^ und 2 ^Ir-^^f ~Cf -t, -t, ^ 2 ° "~z;^ ° 2 ° ~ 2 °' womit der Beweis erbracht ist. Das Uhrenparadoxon beruht also auf einer falschen Anwendung der speziellen Relativitätstheorie, wo in Wahrheit die allgemeine angewandt werden muß. Ein ganz ähnlicher Fehler liegt folgendem Einwände zugrunde, der immer wieder vorgebracht wird, so trivial auch die Aufklärung ist. Nach der allgemeinen Relativitätstheorie soll ein gegen die Fixsterne rotierendes, also etwa ein mit der Erde fest verbundenes Koordinaten- system mit dem gegen die Fixsterne ruhenden System völlig gleich- berechtigt sein. In einem solchen System aber werden die Fixsterne selbst ungeheure Geschwindigkeiten bekommen; ist r die Entfernung eines 2 7t T Sterns, so wird seine Geschwindigkeit v = — ^ ; wo T die Dauer eines Tages bedeutet. Diese wird gleich der Lichtgeschwindigkeit ^, wenn r = — ist; mißt man r in der astronomischen Längeneinheit Lichtjahr^), 2 7t so muß man dies durch ^-365 dividieren, wenn T=i Tag gesetzt wird. Sobald also die Entfernung Lichtjahre übersteigt, wird 2 7t • SOS ^) Ein Lichtjahr ist die Entfernung, die das Licht mit der Geschwindigkeit von 300000 km pro sec in einem Jahre (365 Tagen) zurücklegt. B o r n , Relativitätstheorie. 3. Aufl. IJ 258 Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. die Geschwindigkeit größer als c. Aber schon die nächsten Fixsterne sind mehrere Lichtjahre von der Sonne entfernt. Andrerseits behauptet die Relativitätstheorie (VI, 6, S. 199), daß die Geschwindigkeit materieller Körper immer kleiner sein muß als die des Lichtes. Hier scheint ein Widerspruch zu klafifen. Dieser entsteht aber nur dadurch, daß der Satz v <^c ganz und gar auf die spezielle Relativitätstheorie beschränkt ist. In der allgemeinen nimmt er folgende enge Fassung an: Man kann bekanntlich immer ein solches Bezugsystem wählen, daß in der unmittelbaren Umgebung eines beliebigen Weltpunkts Minkowskis Weltgeometrie herrscht, also die Geo- metrie euklidisch ist, kein Gravitationsfeld besteht, die ^^^ , ...g die Werte (99), S. 247, haben; in Bezug auf dieses System und in diesem engen Räume ist die Lichtgeschwindigkeit c = 3 • io^° cm/sec die obere Schranke für alle Geschwindigkeiten. Sobald aber diese Bedingungen nicht erfüllt sind, also sobald Gra- vitationsfelder herrschen, kann natürlich jede Geschwindigkeit, sowohl die materieller Körper als auch die des Lichts, jeden numerischen Wert an- nehmen. Denn die Lichtlinien in der Welt sind bestimmt durch G = s"^ =^ o^ also bei Beschränkung auf die ^ /-Ebene durch X aus dieser quadratischen Gleichung läßt sich — berechnen, und das ist die Lichtgeschwindigkeit. Ist z. B. ^^^ = 0, so erhält man aus X ~\ / P" ^„ a;'' + ^^4 /^ = o den Wert ~- = y —^-A± als Lichtgeschwindigkeit, der ganz davon abhängt, wie groß g^^ und g^^ gerade sind. Nimmt man die Erde als Bezugsystem, so existiert das Zentrifugal - feld (III, 9, S. 64) — ^^^— , das in großen Entfernungen ganz ungeheiure Werte annimmt; die g haben daher auch Werte, die von den euklidischen (99) sehr stark abweichen. Daher ist die Lichtgeschwindigkeit für manche Richtungen des Lichtstrahls viel größer als ihr gewöhnlicher Wert ^, und andere Körper können ebenfalls viel größere Geschwindigkeiten erreichen. In einem beliebigen Gaußschen Koordinatensystem wird nicht nur die Lichtgeschwindigkeit anders, sondern auch die Lichtstrahlen bleiben nicht gerade. Auf dieser Krümmung der Lichtstrahlen beruht eine zweite opti- sche Prüfung des allgemeinen Relativitätsprinzips. Die Weltlinien des Lichts sind ja geodätische Linien, genau so wie die Trägheitsbahnen materieller Körper, und werden daher in Gravitationsfeldern genau wie diese gekrümmt; nur ist die Lichtablenkung viel geringer wegen der ungeheuren Geschwindigkeit des Lichts. Man sieht diese Ablenkung ohne alle Theorie aus dem Äquivalenzprinzip ein; denn in einem beschleu- nigten Bezugsystem erscheint jede geradlinige und gleichförmige Bewegung I Optische Folgerungen und Bestätigungen. 25Q Fixstern gekrümmt mid ungleichförmig, also muß dasselbe für ein beliebiges Gravi- tationsfeld gelten. Ein Lichtstrahl, der, von einem Fixstern kommend, an der Sonne vorbeistreicht, wird daher von dieser angezogen und beschreibt eine nach der Sonne etwas konkave Bahn (Abb. 135); der Beobachter auf der Erde verlegt den Sternort in die Verlängerung des ihn treffenden Strahls, daher erscheint ihm der Stern nach außen abgelenkt. Man könnte diese Ab- lenkung auch nach der Newtonschen Attraktionstheorie berechnen, in dem man den Lichtstrahl etwa wie einen mit Lichtgeschwindigkeit heran- schießenden Kometen behandelt, und es ist historisch interessant, daß diese Überlegung schon im Jalire 1801 von dem deutschen Mathematiker und Geodäten Soldner angestellt .worden ist. Man erhält dann eine ähnliche Formel wie die Einsteinsche, sie liefert aber nur die Hälfte des Betrages der Ablenkung. Das liegt an der von der Einsteinschen Theorie ge- forderten Verstärkung des Gravitationsfeldes in der Nähe der Sonne. Gerade dieser geringfügig erscheinende Unter- schied, der übrigens Einstein selbst bei seiner ersten, vor- \ läufigen Publikation entgangen war, bildet also ein beson- \ ders scharfes Kriterium für die Richtigkeit der allgemeinen ^ Relativitätstheorie. ' Die Ablenkung der scheinbaren Stellungen der Fixsterne in der Nähe der Sonne ist nur während der kurzen Dauer einer totalen Sonnenfinsternis zu beobachten, da sonst die Strahlung der Sonne die in ihrer Nähe stehenden Fixsterne unsichtbar macht. Die letzte Sonnenfinsternis fand am 29. Mai 191 9 statt; zu dieser haben die Engländer zwei Expeditionen ausgerüstet, die keine andere Aufgabe hatten, als festzu- stellen, ob der » EinsteinefFekt « wirklich vorhanden sei oder nicht. Die eine ging nach der Westküste von Afrika, die andere nach Nordbrasilien, und sie brachten eine Reihe von photographischen Aufnahmen der die Sonne umgeben- den Fixsterne mit. Das Resultat der Ausmessung der Platten konnte am 6. November 191 9 verkündet werden und bedeutete den Triumph der Einsteinschen Theorie: die von Einstein vor- hergesagte Verschiebung, die am Sonnenrande 1,7 Bogensekunden betragen soll, ist in vollem Betrage da. Seit dieser größten Leistung moderner Prophetie kann die Einsteinsche Lehre als gesicherter Besitz der Wissenschaft gelten. Die Frage, ob es möglich sein wird, noch andere beobachtbare Er- scheinungen zu finden, durch die die Theorie geprüft werden kann, läßt sich mit Sicherheit nicht beantworten; aber da wahrscheinlich die Beobach- tungskunst späterer Jahrzehnte oder Jahrhunderte die unsere um ebenso- viel übertreffen wird, wie diese die Leistungen der Newtonschen Zeit, 17* 260 I^is allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. SO darf man erwarten, daß die neue Theorie immer engeren Anschluß an die Erfahrung finden wird. II. Makrokosmos und Mikrokosmos. Wir haben oben gesehen, daß die konsequente Auffassung der Träg- heitskräfte als Wechselwirkungen notwendig dazu führt, die Theorie auf den ganzen Kosmos anzuwenden. Es handelt sich darum zu verstehen, warum dasjenige Bezugsystem, für das in der Gegend des Sonnensystems die euklidische Metrik gilt, gerade in relativer Ruhe (oder in Trans- lationsbewegung) zu der Gesamtheit der kosmischen Massen ist. Weiter aber lehrt die Beobachtung ferner Sternsysteme, Doppelsterne, das dort genau das gleiche gilt. Es scheint danach so zu sein, als wenn das durch die Gesamtheit aller Massen bestimmte metrische Feld überall den gleichen Charakter hat, es sei denn, daß dieser durch nahe Massen lokal gestört wird. Spekulationen über das Universum sind seit jeher ein Lieblingsthema phantasievoller Köpfe; aber auch die wissenschaftliche Astronomie hat sich mit solchen Problemen befaßt. Vor allem ist die Frage untersucht worden, ob es endlich viele oder unendlich viele Himmelskörper gibt, und man hat sich für das erstere entscheiden müssen; wir können die Begründung hier nur andeuten. Sind die Gestirne ziemlich gleichförmig im Räume verteilt und wäre ihre Anzahl unendlich groß, so müßte der ganze Himmel in hellem Lichte erstrahlen, weil dann schließhch in jeder Richtung irgendwo einmal ein Stern zu treffen wäre; es sei denn, daß das Licht auf seinem Wege vom Sterne zu uns geschwächt, verschluckt würde. Aber man kann mit guten Gründen belegen, daß es keine Absorp- tion des Lichtes im Weltenraume gibt. Daher muß man sich die Gesamt- heit aller Sterne als eine riesige Anhäufung denken, die entweder plötzlich nach außen aufhört oder sich wenigstens allmählich nach außen verdünnt. Aber diese Vorstellung führt zu einer großen Schwierigkeit, wenn man von der Newtonschen Mechanik ausgeht. Warum bleiben die Sterne bei- sammen? Warum verlieren sie sich nicht im Nichts? Man weiß, daß alle Sterne beträchtliche Geschwindigkeiten haben, aber diese sind un- regelmäßig nach allen Richtungen verteilt, man bemerkt keine Andeutung, daß das Ganze nach außen auseinanderstrebt. Man wird darauf antworten: Nun, die gegenseitige Gravitation hält die Sterne zusammen. Aber diese Antwort ist falsch. Man kennt seit langem die Methoden, um solche Probleme zu untersuchen. Es sind die Methoden der kine- tischen Gastheorie] ein Gas besteht aus unzähligen Molekeln, die wirr durcheinander fliegen, und man kennt die Gesetze dieser Bewegungen. Nun ist doch klar, daß ein Gas, das nicht in feste Wände ein- geschlossen ist, sofort auseinanderfliegt; Erfahrung und Theorie lehren übereinstimmend, daß ein System von Körpern nicht dauernd beisammen Makrokosmos und Mikrokosmos. 26 1 bleibt, auch wenn die Körper sich mit Kräften anziehen, die nach dem Newtonschen Gesetze umgekehrt proportional dem Quadrate der Ent- fernung wirken. Das System aller Gestirne müßte sich genau so, wie ein Gas ver- halten, und es ist also nicht zu verstehen, warum es keinerlei Tendenz zeigt, sich im unendlichen Weltenraume zu verlieren. Einstein hat hierauf eine sehr merkwürdige Antwort: »weil die Welt gar nicht unendlich ist«. Ja, wo sollten aber ihre Grenzen sein? Ist es nicht absurd anzunehmen, die Welt sei irgendwo »mit Brettern ver- nagelt << ? Nun, begrenzt und endlich ist keineswegs dasselbe. Man denke an die Oberfläche einer Kugel; diese ist zweifellos endlich und doch ohne Grenzen. Einstein behauptet nun, daß der dreidimensionale Raum sich genau so verhalte; er darf dies, da ja die allgemeine Relativitätstheorie eine Krümmung des Raumes zuläßt. So kommt er zu folgender Theorie vom Universum: Sieht man von der ungleichförmigen Verteilung der Ge- stirne ab und ersetzt diese durch eine überall gleichförmige Massen- verteilung, so kann man fragen, wann eine solche nach den Feld- gleichungen der Gravitation dauernd in Ruhe verharren kann. Die Ant- wort lautet : das Krümmungsmaß des dreidimensionalen Räumet WklQ überall einen konstanten, positiven Wert haben, genau so wie das einer zwei- dimensionalen Kugelfläche. Es ist evident, daß auf einer Kugelfläche eine endliche Zahl von Massenpunkten, die durch ihre Geschwindigkeit auseinanderstreben, sich gleichförmig ausbreiten und eine Art dynamisches Gleichgewicht bilden. Genau das entsprechende soll also für die drei- dimensionale Verteilung der Gestirne gelten. Einstein schätzt sogar die Größe der »Weltkrümmung« mit Hilfe einer plausiblen Annahme über die gesamte Masse aller Gestirhe ab; leider ergibt sie sich so gering^), daß vorläufig keine Hofihung besteht, diese kühnen Gedanken empirisch zu prüfen. Daraus, daß die Weltkrümmung überall denselben Wert hat, folgt sodann, daß das metrische Feld überall in der Welt denselben Charakter hat und daß es euklidisch ist gerade in demjenigen Bezugsystem, das zur Gesamtheit aller Massen ruht (oder sich geradlinig gleichförmig da- gegen bewegt). Dieser Satz enthält den Kern der Tatsachen, die Newton durch seine Lehre vom absoluten Räume darstellen wollte. Jeder Versuch, sich eine solche endhche, aber unbegrenzte » sphärische « Welt vorzustellen^ ist natürlich hoffnungslos, geradeso unmöglich, wie der, eine Anschauung von den lokalen Weltkrümmungen in der Nähe gravi- tierender Massen zu gewinnen. Und doch hat diese Theorie sehr kon- krete Folgen. Man denke sich ein Fernrohr in der Babelsberger Stern- ^) Nach einer Schätzung von de Sitter ist der >Umfang der Welt«, d. h. die Länge einer in sich zurücklaufenden geodätischen Weltlinie, etwa 100 Millionen Lichtjahre. 2(i2 Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins. warte nach einem bestimmten Fixstern gerichtet; zu gleicher Zeit soll bei den Antipoden, also etwa in Sidney in Australien, ein Fernrohr auf genau die gegenüberliegende Stelle des Himmels gerichtet sein. Dann ist es nach der Einsteinschen Kosmologie denkbar, daß die Beobachter an beiden Fernrohren ei/i und denselben Stern sehen, der etwa durch ein charakteristisches Spektrum kennthch ist! In der Tat, genau wie jemand eine Reise um die Erde sowohl nach Osten als nach Westen antreten und auf demselben größten Kreise in beiden Richtungen herumfahren kann, so wird ein Lichtstrahl in der sphärischen Welt Einsteins auf einer geodätischen Linie nach beiden Richtungen vom Gestirn ausgehen und die Erde in entgegengesetzten Richtungen treffen können. Heute mag man solche Betrachtungen noch Ausgeburten einer wilden Phantasie nennen; wer weiß, ob sie nicht in wenigen Jahrhunderten durch die verfeinerte Beobachtungskunst empirische Tatsachen werden? Es wäre vermessen, diese Möglichkeit zu leugnen. Schon heute ^ibt es ernsthafte Astronomen, die bei ihren exakten Untersuchungen über die Gesetze der Verteilung der Fixsterne Einsteins Lehre vom Makrokos??ios zugrunde legen. Aber auch in den Mikrokosmos, die Welt der Atome, greifen Ein- steins Gedanken ein. Wir haben schon früher (V, 15, S. 169) die Frage nach den merkwürdigen Klräften gestreift, die verhindern, daß ein Elektron oder ein Atom auseinanderfliegt. Nun sind diese Gebilde ungeheure An- häufungen von Energie auf kleinsten Räumen; daher werden sie gewaltige Raumkrümmungen oder, mit andern Worten, Gravitationsfelder in sich bergen. Der Gedanke liegt nahe, daß diese es sind, die die auseinander- strebenden elektrischen Ladungen zusammenhalten. Aber diese Theorie ist erst in den Anfängen und es ist dturchaus ungewiß, ob ihr ein Erfolg beschieden sein wird. Wissen wir doch aus zahlreichen Erfahrungen, daß in der atomistischen Welt neue, fremdartige Gesetze herrschen, in denen eine uns noch unvollkommen verständliche Harmonie ganzer Zahlen zum Ausdruck kommt: die sogenannte Quanten- theorie von Planck (1900). Hier hat die zukünftige Forschung das Wort. 12. Schluß. Wir kennen nun, wenn auch nur in rohen Zügen, die Einsteinschen Lehren von Raum und Zeit. Wir haben ihre Entstehung aus den physi- kalischen Theorien seiner Vorgänger verfolgt und dabei gesehen, wie ein deutlich erkennbarer Prozeß der Objektivierung und Relativierung durch die verschlungenen Wege der Forschung zu der Höhe der Abstraktion führt, die die Grundbegrifte der exakten Naturwissenschaften heute aus- zeichnet. Die Kraft der neuen Lehre beruht auf ihrer unmittelbaren Herkunft von der Erfahrung; sie ist eine Tochter des Experiments und hat selbst neue Experimente geboren, die von ihr Zeugnis ablegen. Aber das, was ihre Bedeutung über das enge Reich der Spezialforschung hin- Schluß. 263 aus ausmacht, ist die Größe, Kühnheit und Geradheit der Gedanken. Einsteins Theorie repräsentiert eine Geistesrichtung, die das gesunde Gleichmaß zwischen frei schaffender Phantasie, kritischer Logik und ge- duldiger Anpassung an die Tatsachen zum Ideal hat. Sie ist keine Welt- anschauung, wenn Welt mehr bedeutet als Minkowskis raumzeitliche Mannigfaltigkeit; aber sie führt den, der sich in ihre Gedanken liebevoll versenkt, zu einer Weltanschauung. Denn auch außerhalb der Wissen- schaft ist die objektive und relative Betrachtung ein Gewinn, eine Er- lösung von Vorurteilen, eine Befreiung des Lebens von Normen, deren Anspruch auf absolute Geltung vor dem kritischen Urteil des Relativisten dahinschmilzt. Zeitt Um 300 V. Chr. Euklid. Um 150 A) ? Claudius Ptolemäus 98—54 L P. Lucretius Carus. 1473— 1564— 1571— 1596— 1618— 1625— 1629 — 1635— 1642 — 1644— 1646 — 1692 — 1698— 1706 — 1715— 1724— 1724— 1731— 1733— 1736— 1736— 1737— 1745— 1749— 1753— 1768— 1773— 1774- 1775— 1775— 1777— 1777— 1781— 1781- 543 Nicolaus Copemikus. 642 Galileo Galilei. 630 Johann Kepler. 650 Ren6 Descartes. 663 Francesco Maria Grimaldi. 698 Erasmus Bartholinus. 695 Christian Huygens. 703 Robert Hocke. 727 Isaak Newton. 710 Olaf Römer. 716 Gottfried Wilhelm Leibniz. 762 James Bradley. 739 Charles Frangois du Fay. 790 Benjamin Franklin. 787 William Watson. 804 Immanuel Kant. 802 Franz Ulrich Theodor Aepinus. 810 Hon. Henry Cavendish. 804 Joseph Priestley. 806 Charles Augustin Coulomb. 813 Joseph Louis Lagrange. 798 Luigi Galvani. 827 Alessandro Volta. 827 Pierre Simon Graf Laplace. 815 William Nicholson. 840 Anthony Carlisle. 829 Thomas Young. 862 Jean Baptiste Biot. 840 Andre Maria Ampere. 812 Etienne Louis Malus. 851 Hans Christian Oersted. 855 Karl Friedrich Gauß. 840 Simdon Denis Poisson. 868 David Brewster. afel. 1785—] [836 1786—] t853 1786—] [850 1787-] 854 1788—] 827 1789-] :857 1791— ] [841 1791— ] [867 1791— ] [860 1791— ] [841 1793—1 [841 1793—1 [856 1798-] t895 1801— ] [892 1802 — ] [860 1803—] ^853 1804 — ] [890 1809 — [847 1809— [858 1811— ] [877 1814— [878 1818— ] [889 1819— : [903 1819— [868 1819— [896 1821— 1894 1822— [888 1824 — [908 1824 — ] [887 1824 — ] [914 1826— [866 1831— [879 1832—] [919 1838—] [916 1844 — ] [906 Claude Louis Marie Henri Navier. Frangois Arago. William Prout. Georg Simon Ohm. Augustin Fresnel. Augustin Louis Cauchy. Baptiste Felix Savart. Michael Faraday. Christian Karl Josias Bunsen. Felix Ampere. George Green. Nicolai Lobatschewski. Franz Neumann. Sir George Bidelt Airy. Johann Bolyai. Christian Doppler. Wilhelm Weber. James Mac Cullagh. Rudolf Kohlrausch. Urbain Jean Joseph Leverrier. Robert Mayer. James Prescott Joule. George Gabriel Stokes. Leon Foucault. Armand Hippolyt Louis Fizeau. Hermann von Helmholtz. Rudolph Clausius. William Thomson (Lord Kelvin). Gustav Kirchhof?. Johann Wilhelm Hittorf. Bernhard Riemann. James Clerk Maxwell. Sir William Crookes. Ernst Mach. Ludwig Boltzmann. Zeittafel. 265 1845 Wilhelm Conrad Röntgen. 1862 1848- -I9I9 Roland Baron Eötvös. 1863 1848- -I90I Henry A. Rowland. 1864 1849 Felix Klein. 1865 1850 Eugen Goldstein. 1865 1850- -I9I9 Woldemar Voigt i866- I85I Sir Oliver Lodge. 1868 1852- -I9I4 John Henry Poynting. 1868 1852 Albert Abraham Michelson. 1870 1853 Hendrik Antoon Lorentz. 1871 1854- -I9I2 Henry Poincare. 1871 1857 Joseph John Thomson. 1875 1858 Max Planck. 1879 1862 Philip Lenard. David Hubert. Alexander Eichenwald. -1909 Hermann Minkowski. Friedrich Paschen. Heinrich Rubens. ■1912 P. N, Lebedew. Arnold Sommerfeld. Gustav Mie. Gordon Ferrie Hüll. Emest Rutherford. Walter Kaufmann, Max Abraham. Albert Einstein. Abraham l6i. 162. 169. 207. Aepinus Ii6. Airy lio. Ampere 132. 136. Arago 79. 83. 103. 104. 167. Aston 213. Bartholinus 71. Belopolski 99. Bjerknes 145. Biot 125. 132.— 134. 136. 138. 147. 149. 155- 159. Bohr 207. Boltzmann 142. Bolyai 243. Brewster 79. Bradley 73. Bunsen 95. Carlisle 122. Cauchy 79. 84. 90. Cavendish 117. Clausius 90. 127. 139. Coulomb 117. 118. 120. 126. 129. 134. 135- 155- Crookes 152, l. McCullagh 91. 143. 144. Descartes 69. Doppler 94. 95. 98. 99. 146. 167. 216. 218. 255. Ehrenhaft 154. Eichenwald 150. 213. Einstein i. 2. 4. 5. 12. 23. 35. 53. 56. 61. 62. 67. 79. III. 112. 145. 163. 170 — 257- Eötvös 34. 226. Euler 75. Euklid 8. 43. 219. 220. 230 — 232. 237 — 249. Faraday 116, 122—124. 127 — 134. 140. 148. 151. 152. Namens Verzeichnis. Fitz-Gerald 167. 187. 188 du Fay 113 Fizeau 74. 104. 108. Foucoult 65. 74. 75. 250. Franklin 115. Fresnel 79. 81. 83. 90. 103 — 112. 146 147- 155—157- 215. 216. 218. Galilei 11. 12. 24. 43. 44. 46. 53. 59. 72. 94. 96. 109. 113. 180. 181. 199. 214. 218. Galizin 99. Galvani 121. Gauß 119. 127. 219. 232—248. Glitscher 207. Goethe i. 3. Goldstein 99. Gray 113. Green 79. 90. 119. Grimaldi 70. Helmholtz 40. 90. 139. 151. 243. Hertz 139. 143. 145 — 153. 156. 166. Hilbert 211. 248. Hittorf 152. Hoek 104. 107. 108. 167. Hooke 69. HuU 209. Huygens 69 — 71. Joule 40. 125. Kant 238. 240. Kaufmann 161. Lord Kelvin (W. Thomson) 144. Kepler il. 12. 42 — 45. 49. 50. 254. Kirchhoff 81. 90. 95. 127. Klein 248. Kohlrausch 127. 134. 139. 142. Kopernikus 9. lo. II. 45. 251. Lagrange 79. Laplace 79. 119. 125. Larmor 170. Lebedew 209. Leibniz 46. Namensverzeichnis. 267 Lenard 152. Leverrier 52. 254. Lobatschewski 243. Lodge 166. Lorentz 151 — 157. 162. 167—173. 178. 180. 189. 199. 206. 213 — 214. 217. 218. 221. 244. Lucretius 69. Mach 66. Malus 79. 82. Maxwell 91. 100. 116. 127. 131 — 147. 149. 153-157- 180. 206. 213. Mayer 40. Michelson 80. 112. 162—168. 172. 187. 214. Mie 211. Millikan 154. 160. Minkowski 23. 57. 177. iSi. 213. 218 — 222. 230. 232. 242. 258. Morley 165. Navier 79. 84. Neumann 90. 127. 139. Newton 3. 5. 12. 19. 22. 34. 41 — 65. 69. 71- 75- 79- S6. 92. 112. 113. 116. 158. 162. 170. 174. 221 — 223. 247 — 262. Nichols 209. Nicholson 122. Noble 168. Oersted 125. 132. 133. Ohm 124. 125. 138. Paschen 207. Planck 79. 207. 262. Plücker 152. Poincare 170. Poisson 79. 84. 90. 119. Poynting 209. Priestley 117. Prout 212. Ptolemäus 9. 251. Pythagoras 163. 219. 234- -236. 246. Riemann 127. 139. 232. 243. Ritz 166. 171. Römer 73. iii. 157. 191. Röntgen 149. 150. 156. 206. 207, 212. 213. Rowland 147. Rubens 143. Rutherford 212. 213. Savart 125. 132. 133. 134. 136. 138. 147. 149. 155 de Sitter 167 Soldner 259. Sommerfeld 81 Snellius 69. Stark 98. Stokes 91. 104 159- 261. 207. HO. 146. 166. Thomson, J. J. 152. 153. 159. Thomson, W. (Lord Kelvin) 144. Trouton 168. Voigt 170. Volta 121. Watson 115. Weber 127. 134. 139. 142. Weyl 248. Wilson 150. 156. 213. Young 75. 79. 8: Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig Verlag von Julius Springer in Berlin W 9 Naturw^issenschaftliche Monographien und Lehrbücher Herausgegeben von der Schriftleitung der „Naturwissenschaften** Band I: Allgemeine Erkenntnislehre Von Moritz Schlick Zweite Auflage In Vorbereitung Band II: Die binokularen Instrumente Nach Quellen und bis zum Ausgang von 1910 bearbeitet Von Moritz von Rohr Dr. phil., wissenschaftlichem Mitarbeiter der optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena und a. o. Professor an der Universität Jena Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage Mit 136 Textabbildungen 1920. Preis M. 46. — ; gebunden M. 54. — Vorzugspreis für Bezieher der „Naturwissenschaften'* M. 42. — ; gebunden M. 50. — Band IV: Einführung in die Geophysik Von Prof.Dr.Adalbert Frey-Prag, Prof.Dr.C.Mainka-Göttingen und Prof. Dr. E. Tams-Hamburg Mit 82 Textabbildungen Erscheint im Juni 1922 Hierzu Teuerungszuschläge Verlag von Julius Springer in Berlin W g Der Aufbau der Materie Drei Aufsätze über moderne Atomistik und Elektronentheorie Von Max Born Zweite, verbesserte Auflage. Mit 37 Textabbildungen 1922. Preis M. 36. — Inhaltsverzeichnis: Das Atom: Einleitung, i. Elektronen und Kerne. 2. Aufbau des Atoms. 3. Die Atomistik der Elektrizität. 4. Die positive Elektrizität. 5. Die Ladung des Elek- trons. 6. Die Größe der Elektronen und Kerne. 7. Thomsons Atommodell. 8. Ruther- fords Kerntheorie. 9. Die Interferenz der Röntgenstrahlen. 10. Die Röntgenspektra. II. Der Atombau. 12. Chemische Folgerungen. 13. Die sichtbaren Spektren. 14. Die Quantentheorie der Atome. 15. Der Aufbau der Kerne. Literatur. Vom mechanischen Äther zur elektrischen Materie: Einleitung, i. Die elastische Lichtheorie. 2. Die elektromagnetische Lichttheorie. 3. Die Atomistik. 4. Die Gittertheorie der Kristalle. 5. Die elektrische Natur der Molekularkräfte. 6. Atom- gitter. 7. Elektrolytische Ionen. 8. lonengitter. 9. Elektrische Kontraktionskraft. 10. Die Abstoßungskraft. 11. Die Berechnung der Kompressibilität. Literatur. Die Brücke zwischen Chemie und Physik: i. Die Probleme der chemischen Affini- tätslehre. 2. Die chemischen Elementargrößen. 3. Die Bindungsenergie zweiatomiger Molekeln. 4. Die Energie der Kristallgitter. 5. Reaktionen zwischen binären Salzen. 6. Die lonisierungsenergie der positiven Ionen. 7. Die Elektronenaffinität der elektrq- negativen Atome. 8. Die lonisierungsenergie der HalQgenwasserstoffe. 9. Die Ver- dampfungswärme der einwertigen Metalle. 10. Ausblick. Literatur. Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik, zur Einführung in das Verständnis der Relativitäts- und Gravitationstheorie. Von Professor Dr. Moritz Schlick. Vierte, vermehrte und verbesserte Auflasfe. In Vorbereitung. Raum- Zeit-Materie. Vorlesungen über allgemeine Relativitätstheorie. Von HermiannWeyl. Vierte, erweiterte Auflage. Mit 1 5 Textfiguren. 1921. Preis M.48. — Relativitätstheorie und Erkenntnis a priori, von Hans Reichenbach. 1920. Preis M. 14. — Das Raum-Zeit-Problem bei Kant und Einstein, von Dr. iise Schneider. 1921. Preis M. 12. — Die Idee der Relativitätstheorie, von h. xhirring, a. o. Professor der theoretischen Physik an der Universität Wien. Zweite Auflage. In Vorbereitung. Hierzu Teuerungszuschläge Verlag von Julius Springer in Berlin W g Hermann v. Helmholtz, Schriften zur Er- kenntnistheorie. Herausgegeben und erläutert von Paul Hertz in Göttingen und Moritz Schlick in Rostock. Preis M. 45. — ; in Ganzleinen gebunden M. 54. — B. Riemann, Über die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen. Neu heraus- gegeben und erläutert von H. Weyl in Zürich. Zweite Auflage. 192 1. Preis M. 12. — Die Quantentheorie, ihr Ursprung und ihre Entwicklung. Von Fritz Reiche. Mit 15 Textfiguren. 1921. Preis M. 34. — Die Grundlagen der Einsteinschen Gravi- tationstheorie. Von Erwin Freundlich. Mit einem Vor- wort von Albert Einstein. Vierte, erweiterte und verbesserte Auf- lage. 1920. Preis M. 10. — Die mechanischen Bevsreise für die Be- wegung der Erde, von R. Orammel, Professor an der Technischen Hochschule, Stuttgart. Mit 25 Textabbildungen. 1922. Preis M. 24. — Das Wesen des Lichts. Vortrag, gehalten in der Haupt- versammmlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft am 28. Oktober 19 19. Von Dr. Max Planck, Professor der theoretischen Physik an der Uni- versität Berlin. Zweite, unveränderte Auflage. 1920. Preis M. 3.60 Die Iterationen. Ein Beitrag zur Wahrscheinlichkeitstheorie. Von Dr. L. v. Bortkiewicz, Berlin. 19 17. Preis M. 10. — Die radioaktive Strahlung als Gegenstand wahrscheinli chkeitstheoretischer Unter- suchungen. Von Professor L. v. Bortkiewicz, Berlin. Mit 5 Textfiguren. 19 13. Preis M. 4. — Hierzu Teuerungszuschläge Verlag von Julius Springer in Berlin W g Das Weltgebäude im Lichte der neueren Forschung, von Dr. W. Kernst, o. ö. Professor an der Uni- versität Berlin. 192 1. Preis M. 12. — Die Atomionen chemischer Elemente und ihre Kanalstrahlen-Spektra, von Dr. j. stark, Professor der Physik an der Technischen Hochschule Aachen. Mit II Figuren im Text und auf einer Tafel. 1913. Preis M. 1.60 Valenzkräfte und Röntgenspektren, zwei Auf- sätze über das Elektronengebäude des Atoms. Von Dr. W. Kossei, o. Professor an der Universität. Kiel. Mit 11 Abbildungen. 192 1. Preis M. 12. — Fluoreszenz und Phosphoreszenz im Lichte der neueren Atomtheorie, von Peter Pringsheim. Mit 32 Textfiguren. 192 1. Preis M. 48.— Ultra- Strukturchemie. Ein leichtverständlicher Bericht von Professor Dr. Alfred Stock. Zweite, durchgesehene Auflage. Mit 17 Textabbildungen. 1920. Preis M. 12. — Das Problem der Ent^wicklung unseres Planetensystems. Eine kritische Studie. Von Dr. Friedrich Nölke. Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Mit einem Geleitwort von Dr. H. Jung, o. Professor der Mathematik an der Universität Kiel. Mit 16 Textfiguren. 191 9. Preis M. 28. — Mondphasen, Osterrechnung und E^viger Kalender, von Prof. Dr. W. Jacobsthal. 1917. Preis M. 2.— Tafeln und Formeln aus Astronomie und Geodäsie für die Hand des Forschungsreisenden, Geographen, Astronomen und Geodäten. Von Dr. Carl Wirtz, Universitätsprofessor in Straßburg i. E. 1918. Gebunden Preis M. 18. — Astronomische Miniaturen, von ehs strömgren. Aus dem Schwedischen übersetzt von K. F. Bottlinger. Mit 14 Ab- bildungen. 1922. Preis M. ^6. — Hierzu Teuerungszuschläge o BINßlNG SECT. APR 2 9 1964 QC Born, Max 6 Die Relativitätstheorie B6613 Einsteins 1922 PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY